Berlin, Berlin, wir fahren nicht nach Berlin …
Zum Fankongress 2014
Der Fan, das unbekannte Wesen
An diesem Wochenende findet in Berlin der Fankongress 2014 statt. Motto: „Fanfreundliches Stadionerlebnis: Wie Fans den Fußball wollen.“
Zu diesem Thema flatterten in den letzten Wochen hier einige Online-Umfragebögen ein. Kann gut sein, dass auch einer der Organisatoren dieses Kongresses dabei war oder nur eine Bachelor- oder Master-Arbeit, die, weil sie nichts zu sagen hat, Zahlen nennt.
Nun waren wir dazu weder eingeladen noch haben wir uns hierzu angemeldet, werden das Ganze aber natürlich mit großem Interesse verfolgen, wie wir überhaupt die ganze Fan-Szene verfolgen, nicht zuletzt deshalb weil wir uns auch dazu zählen, auch wenn uns das gerne in Abrede gestellt wird.
Aber genau das ist unsere Motivation. Wer oder was ist ein Fan? Oder gar: „der wahre Fan“.
- Ist es die Medien-Marionette, die viel TammTamm macht, die bei -17° C und textilbefreitem Oberkörper am, besser: auf dem Zaun steht und „Shalalala“ macht?
- Jene, die mit großen Bannern und Fahnen und Choreos gegen den „Event-Fußball“ wettern, ohne sich zu vergegenwärtigen, dass es ja genau diese Banner, Fahnen und Choreos sind, die Fußball zu einem Event für die Medien und ach so-verpönten Businesskunden sind?
- Oder ist es der Mensch, der Monat für Monat feststellt, dass am Ende des Geldes noch sehr viel Monat übrig ist, aber mit Nachdruck von seinem Verein fordert, dann „halt noch ne Million“ draufzulegen, um den (seinen) Wunschspieler zu holen oder halten?
Ggfs. damit droht, andernfalls das nächste Heimspiel zu „bestreiken“ oder den Mannschaftsbus durch eine Sitzblockade am Weiterfahren zu hindern, während er selbst aus Angst vor Verlust seines Arbeitsplatzes niemals streiken oder sonst irgendetwas Aufständlerisches machen würde?
Das ist in der Tat sehr spannend.
Ist eine Selbstproletarisierung wichtig? Es ist doch erstaunlich, wie viele Menschen ihre persönlichen Kompetenzen in der Rolle des Fans hintananstellen und sich hierbei gebärden, als wäre das Feuer noch nicht entdeckt.
Warum ist das so? Welche Zwänge spielen hier mit? Welcher Nutzen liegt darin? Alles sehr spannend.
Oder kann man nicht einfach den Fan als solchen als den sehen, der sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für den Verein seiner Wahl einbringt?
Diese Definition böte doch noch genug Möglichkeiten, sich vom bloßen Zuschauer zu distanzieren, sofern dies als notwendig oder gar erstrebenswert erachtet wird. (Und falls ja, warum eigentlich?)
Stattdessen werden Merkmale herangezogen, die nicht der Homogenität derer dient, die ja an sich für dieselbe Sache, sprich denselben Verein sind, z. B.: der Ort.
Dabei scheint dem ganzen eine Güteklassenlogik zugrunde zu liegen. Danach steht der A-Fan in der „Kurve“, der B-Fan sitzt auf den Rängen hinter dem (anderen) Tor, der C-Fan auf der Gegengerade, der D-Fan auf Business Seats und der E-Fan in der Loge.
Natürlich ist das einfach nachvollziehbar. Es gibt denen, die sich vielleicht im „normalen“ Leben aufgrund ihrer materiellen Situation im Vergleich zu denen unterlegen fühlen, die statt mit Ticket mit Bändel im Stadion sitzen, ein Überlegenheitsgefühl, aber es mutet seltsam an.
Oder die Fansein-Kompetenz wird abhängig gemacht von der Branchen-Akzeptanz des jeweiligen Vereins. So hat ja angeblich jeder Traktor mehr Anhänger als Bayer 04 Leverkusen und 1899 Hoffenheim ohnehin nur „Kunden“.
Die Vorstellungen von Fans, wie sie auch auf dem Fan-Kongress kundgetan werden, kann man durchaus befremdlich finden.
Unter der Überschrift »Der Spielort: Das Stadion als Zuhause« ist der Dialog zwischen Fans und Vereinen in Sachen Fankurven-Kultur zusammengefasst. Anhand der Beispiele Hannover und Köln sollen die Vor- und Nachteile eines funktionierenden Dialogs aufgezeigt werden, ehe im Anschluss das sogenannte »St. Pauli-Modell« Thema ist. Dieses strebt eine Selbstregulierung der Fankurven an.
Wer dieser Fans würde es seinen ihm meist auch unbekannten Gästen gestatten, die Kontrolle über sein Zuhause gewähren? Nur mal so gefragt.
Im Themenblock »Der Ausrichter: Der Verein und seine Mitglieder« soll es zum einen um die mögliche Wettbewerbsverzerrung durch Werksclubs gehen, und inwieweit diese Sonderfälle mit den Statuten von DFB und DFL überhaupt vereinbar sind. Genannte Beispiele: Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und RB Leipzig.
Eine immer wieder aufkommende Frage, die aber trotz zunehmender Frequenz nicht richtiger wird. Es sind nicht die Werksclubs, die den Wettbewerb verzerren. Es sind die Fernsehgelder bzw. die Verbandsprämien. Vereine, die an diese Töpfe nicht rankommen, benötigen anderweitige Finanzierungsquellen. Das mag unromantisch sein, ist aber realistisch.
Zum anderen soll diskutiert werden, welche Möglichkeiten der gemeine Fan heutzutage noch besitzt, angesichts ausgegliederter Profiabteilungen und immer schwerer verständlicher Satzungen tatsächlich in die Belange seines Vereins einzugreifen.
Nun, er kann Mitglied werden. Die 68er nannten das den Weg durch die Institutionen. Ansonsten gibt es natürlich die Möglichkeiten des Medieneinsatzes – von Sportschau bis Shitstorm. Aber die Frage ist natürlich: Warum sollte er? Kann jemand, der seit Jahrzehnten Kunde eines Bäckers ist, in dessen Geschäfts- und Angebotsstruktur eingreifen? Schwerlich, aber es geht, z. B. schlicht durch Konsumverzicht.
Natürlich ist das nicht ganz das Gleiche, obwohl … wenn plötzlich keine Laugenbrötchen …
Wenn es dann noch Untersuchungen gibt, die belegen, dass es so etwas wie einen Heimspielvorteil nicht (mehr) gibt, dann geht es für den Fan in dem herkömmlichen Sinne um etwas ganz anderes: seine bloße Existenz.
Träfe diese These zu, würde das immerhin so manches verständlicher machen.
(Ziate aus: 11freunde.de)
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