Olympique Lyonnais vs. 1899 Hoffenheim
Das richtige Rezept1
Alles sehr delikat!
1 Ja, fast dieselbe Überschrift wie Samstag, aber wir konnten nach DEM Spiel DEM Wortspiel einfach nicht widerstehen. Also nimm dir, geneigte/r Leser/in etwas Zeit und genieße unser wort- und kalorienreiches amuse gueule cervelle …
Jedem war klar, dass es bei dem Spiel um die Wurst geht. Und jedem Experten war auch klar, worauf es dabei ankommt. Die richtige Zusammensetzung. Die richtige Struktur. Fachleute sprechen dabei von einer „histometrischen Untersuchung“, also die quantitative Bestimmung von Gewebskomponenten. Sie darf nicht unter 65 Vol.-% liegen.
Nachdem das Hoffenheimblog in dessen Hinspielbericht bereits mutmaßte, dass wir uns um die Lyoner kümmern würden, tun wir das erst jetzt, weil es jetzt ja wirklich um die Wurst ging.
Bei der Lyoner kommt es nämlich auf das bindegewebseiweißfreie Fleischeiweiß an, also die Differenz zwischen Gesamteiweiß und der Summe aus Fremdeiweiß, fremden Nichteiweißstickstoffverbindungen und Bindegewebseiweiß, also dem BEFFE-Wert. Liegt der unter 8% ist es nämlich nur eine Fleischwurst.
Erreicht er diesen Wert, ist es eine Brühwurst ohne Einlage, oder wie wir sagen: Lyoner. Den Namen verdankt sie dem Umstand, dass sie dort erfunden wurde – wie auch der Berliner und, ja, ja, der Hamburger (Der hat nichts mit „ham“ zu tun, sondern geht auf den traditionellen Imbiss Rundstück warm der Hansestadt zurück (wobei Rundstück das regionale Wort für das ist, was man in Berlin Schrippe nennt, in Bayern Semmel und hier Weck: ein Brötchen) und die nachweislich bei der Weltausstellung 1904 in St. Louis als Hamburg verkauft wurden).
Nicht nach ihrem Herkunftsort benannt, sind: der Amerikaner (Das Gebäck verdankt seinen Namen mit hoher Wahrscheinlichkeit seinem Triebmittel Ammoniumhydrogencarbonat.) oder, um wieder nach Frankreich zurückzukehren, der Pariser (Der Begriff geht auf „Le Parisien“ zurück, dem Pruduktnamen, unter dem Ende des 19. Jahrhunderts Maison A. Claverie in Paris aufgerollte Kondome mit Reservoir verkaufte.)
Interessant ist ja auch, dass die Lyonnais (nicht: Lyoner) die Lyoner Cervelas nennen. Und noch faszinierender eigentlich, dass man das Fleischprodukt, das man in Deutschland Wiener Würstchen, in Österreich Frankfurter nennt. Die Lyoner nennt man dort übrigens Extrawurst. Dazu passt es eigentlich ganz gut, dass wir wiederum unter Cervelat eine dicke kurze Wurst, gefüllt mit Fleisch und Schweinehirn, verstehen.
Ja, nicht nur in Sachen Delikatessen kann Essen sehr delikat sein. Man denke nur daran, wenn man in Frankreich beim Bäcker ein Baiser bestellt. Da darf man nicht verwundert sein, wenn das Personal befremdlich schaut, denn dort heißt das Schaumgebäck aus gezuckertem Eischnee Meringue. „baiser“ selbst heißt schulbuchmäßig „küssen“, aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Franzosen küssen meinen, wenn sie von umarmen sprechen, kann man sich die Eskalationsstufe und damit auch die Verwunderung beim Backwarenpersonal vorstellen.
Aber wir fuhren ja nicht deretwegen nach Lyon. Überhaupt hatten wir kein Interesse an Backwaren jedweder Art, vor allem nicht an kleinen Brötchen. Sondern wir wollten und wir mussten punkten, denn bei der Tabellensituation war klar, es geht beim Spiel in Lyon um die Wurst.
Diese Redewendung passt auch deshalb so gut zum Fußball, weil sie auf volkstümliche Spiele und Wettkämpfe zurückgeht, bei denen es um einen fetten Gewinn ging, nämlich genau eine solche, z. B. Wurstschnappen oder Wurstangeln.
Es war angerichtet:
Um 21.00 Uhr standen nicht nur die vielen Busse wie in Block neben dem Stadion, …
… sondern auch rund 1600 Fans aus Hoffenheim hinter ihrer Mannschaft …
… und die wiederum in der Tabelle 3 Punkte hinter Olympique Lyon. Das Ziel war es, um 23.00 Uhr punktgleich vor ihnen zu stehen.
Wie? Das war wiederum den TSG-Fans völlig wurs(ch)t. Wie auch bei dem Fleischprodukt kam es nicht darauf an, dass es schön ist oder elegant. Hauptsache, irgendwas kommt rein und macht satt – und das ist ja genau das, worauf diese Redewendung zurück geht. Nicht der Inhalt entscheidet, das Ergebnis.
Doch das Ergebnis von gestern Abend entschied nichts. Da kann Herr Remmler (s. Video) es noch so oft besingen, das Spiel bewies, dass nicht nur die Wurst zwei Enden hat. Die TSG in der Champions League hat z. B. Selbiges, denn das eine Ende war der Abpfiff, das andere Ende war das Aus in dem Wettbewerb. Und Letzteres konnte nach Ersterem vermieden werden – denn auch das Spiel zeigte, dass es auch zwei gleichanmutende Dinge haben kann, auch wenn sie unterschiedlicher kaum sein können: Halbzeiten.
Waren es in der ersten Halbzeit wir, die das Spiel, und die Lyonnais die, die die Tore machten, waren es in der zweiten die Lyonnais, die Tausendkaräter versemmelten, während wir aus Nichts Gold machten – und dabei auch noch Geschichte schrieben, denn uns ist es in der Geschichte der UEFA Champions League als erste Mannschaft überhaupt gelungen, einen Zwei-Tore-Rückstand in Unterzahl aufzuholen. Kurz nach Wiederanpfiff nämlich sah Nuhu aus zweierlei Gründen fragwürdigerweise die gelb-rote Karte, schließlich waren weder (vor allem) das erste noch das zweite Foul wirklich gelbwürdig, aber so ward entschieden – und damit musste man ebenso leben, wie mit der Tatsache, dass wir in der ersten Halbzeit zwar insgesamt carnivor auftraten (wofür die 70% Ballbesitz im ersten Durchgang sprechen sowie die zahlreichen Eckbälle), aber letztlich individuell zu vegan agierten (insbesondere Belfodil schien jeglicher Biss zu fehlen).
Dabei war die Salamitaktik des Trainers schnell erkennbar, aber trotz guter bis sehr gute Vorbereitung im Mittelfeld, ließen sich unsere Offensivkräfte viel zu oft die Wurst vom Brot nehmen. Ausnahme: Joelinton, der im ersten Durchgang eine Zweikampfquote von 120% gehabt haben dürfte.
Die Gastgeber ihrerseits boten hingegen noch weniger zum Zungeschnalzen, so dass das Spiel bei weitem nicht so eine Delikatesse war wie das Hinspiel. Da hatte man natürlich gerade in Lyon mehr erwartet:
Der Laie denkt natürlich, dass es in der Geburtsstadt des jüngst verstorbenen Starkochs immer nur Leckerbissen größter Virtuosität gibt, vergisst dabei aber, dass Paul Bocuse im Grunde nichts weiter servierte als Hausmannskost, diese allerdings auf höchstem Niveau. Und so gesehen passt das, was Olympique servierte, dann doch zum großen Sohn der Stadt.
Zwei Mal kamen sie im ersten Durchgang gefährlich vors Tor. Garniert mit ein paar Klöpsen von uns bedeutete das auch die 2:0-Führung zur Halbzeit.
Natürlich sind Tore das Salz in der Suppe des Fußballs, um Herrn Nagelsmann frei zu zitieren, aber wirklich schmecken taten die niemandenem. Und als wir dann kurz nach Wiederanpfiff, wie bereits oben angewärmt, durch eine robuste Kombination aus Keule an Haxe einen Mann weniger auf dem Platz hatten, verspürte so mancher einen Kloß im Hals, anderen war gar zum Kotzen zumute. Was für eine Soße! So hatte man das nicht bestellt – und auch nicht vorgestellt.
Und alles, was im Anschluss an den Platzverweis passierte, deutete darauf hin, dass wir von den Gastgebern abgeschlachtet und mit Haut und Haaren gefressen würden. Sie tranchierten weit über ein Dutzend Mal unsere ja um einen Mann reduzierte Abwehr nach allen Regeln der Kunst. Dann wurde der Rest der Mannen in Blau mit viel Finesse filetiert und zurechtgelegt, aber dank des Mannes in Gelb weder flambiert noch sonstwie der Garaus gemacht.
Vielmehr machte er gar aus allen Chancen – nichts. Hob Nagelsmann Baumann nach dem letzten Spiel in Leverkusen noch besonders hervor, muss er ihn dank seiner Leistung in der zweiten Halbzeit gegen Olympique in den Olymp der Torhüter heben. Er hielt alles – und damit zumindest noch ein kleines Flämmchen Hoffnung aufrecht, das plötzlich aufblitzte, als Schulz nach gepfeffertem Zweikampf den Ball eroberte, ihn Kramaric auflegte, der daraufhin ein but special kreierte –, das in dem Moment viel wertvoller war als das, was unser CCEO 2013 gemeinsam mit dem Stefan Wiertz anbot, zumal Kramaric ja nicht vom Punkt, sondern sogar mal von außerhalb des Strafraums traf:
„Volltreffer!“ stimmt aber. Und hatten die zwei doofen Tore in der ersten Halbzeit uns die Laune verdorben, sprich: Suppe versalzen, war Nagelsmann mehr als gewillt, metaphorisch in selbige zu spucken. Schon durch die Hereinnahme von Nelson für den verletzten Grillitsch kam mehr Würze ins Spiel, aber mit dem Treffer kochte auf einmal des Fanes Seele – und das nicht vor Wut.
Kurz nach dem Tor wechselte Nagelsmann auch Belfodil für das personifizierte Lorbeerblattbündel aus: Szalai agierte gewohnt steif, aber so nach und nach entfaltete er seine Wirkung – und alle TSG’ler kamen auf den Geschmack, zumal vor allem die zuletzt wenig völlig überzeugenden Vogt und Baumann aber wirklich alles völlig abkochten. Da konnte keiner und nichts mehr passieren.
Die Mannschaft entwickelte mehr und mehr Biss. Auch die Fans wurden immer heißer und gemeinsam erreichten sie dann bei 92 °C, äh: in der 92. Minute ihren Siedepunkt, als Joelinton forte extra einen Kopfball in den Fünfer kredenzte, den Kaderabek nur noch eintunken musste.
Die Mannschaft war aber immer noch nicht satt. Doch das Dessert mit Sahnehäubchen blieb aus. Dafür blieb es dann bei dem Unentschieden, so dass es auch weiterhin um die Wurst geht. In rund drei Wochen dann um die КРОВ’ЯНКА (Krov’janka – eine sehr rohe Blutwurst aus der Ukraine).
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