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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. 1 FC Köln

Triskaidekaphobie

Rarität mit Beigeschmack

„Wir werden unterwandert. Immer mehr Fremdes dringt zu uns, raubt uns unser Wesen und irgendwann sind wir mehr überhaupt nicht mehr in der Lage, uns so Gehör zu verschaffen, wie es unserer Art entspricht. Und in den Medien interessiert es niemanden. Deshalb müssen wir uns selbst organisieren, das Fremde zurückdrängen und für das Deutsche kämpfen.“

Wir befinden uns in einer Zeit lange vor der unseren. Diese Einleitung hat nichts mit 2016 oder gar Flüchtlingen zu tun, sondern so oder ähnlich könnte wer vor rund 400 Jahren gesprochen haben, als der deutsche Sprachpurismus erwachte.

Das Ziel war es, vor allem die lateinischen und französischen Begriffe, die im Deutschen gang und gäbe waren, einzudeutschen. 1617 gründete sich die erste dieser Sprachakademien: die Fruchtbringende Gesellschaft.

Einer der engagiertesten Wortneuschöpfer war der Schriftsteller Philipp von Zesen. Ihm verdanken wir, dass wir nicht mehr (nur) „Distanz“, „Bibliothek“/„Liberey“, „Moment“, „Passion“, „Projekt“, „Adresse“, „Korrespondenz“, „Komödie“, „Dialekt“, „Orthografie“, „Journal“ und „Autor“ sagen, sondern (auch) „Abstand“, „Bücherei“, „Augenblick“, „Leidenschaft“, „Entwurf“, „Anschrift“, „Briefwechsel“, „Lustspiel“, „Mundart“, „Rechtschreibung“, „Tagebuch“ und „Verfasser“.

Joachim Heinrich Kampe, ebenfalls Schriftsteller und zudem Pädagoge und Verleger war ebenfalls sehr produktiv. Er übersetzte „Antike“, „Parterre“, „Delikatesse“, „Universität“, „Rendezvous“, „Terrorismus“ und „Karikatur“ in „Altertum“, „Erdgeschoss“, „Feingefühl“, „Hochschule“, „Stelldichein“, „Schreckensherrschaft“ und „Zerrbild“. Zudem werden die Worte „tatsächlich“ und „Randbemerkung“ seinem Wortschaffen zugeschrieben sowie fast alle deutschen Begriffe der Grammatik, z. B. „Mehrzahl“ für „Plural“ etc.

Einige vom Campes Vorschlägen bereicherten den Sprachschatz der Deutschen, allerdings direkt nicht als Übersetzung, wozu man „Mannweib“, „Lotterbett“ und „Lusthöhle“ zählen kann, die er für „Amazone“, „Sofa“ und „Grotte“ vorschlug.

Es ist wahrlich beeindruckend, wie viel der Volksmund von dem aufnahm, was sich aus dem Elfenbein der Elite ergoss. (Ja, ein ekliges Sprachbild, aber das schafft Aufmerksamkeit.) Alles fraßen die Menschen aber nicht.

So reden wir heute immer noch vom „Anatom“, „Nonnenkloster“, der „Pistole“ sowie „Kultur“, „Pause“, „Mumie“, „Friseur“, „Chemie“, „Fieber“, „Ironie“, „Poren“, „Soldat“ und „Katholiken“. Zesens „Entgliederer“, „Jungfernzwinger“, „Meuchelpuffer“ brachten es zwar ebenso wie Campes „Geistesanbau“, „Zwischenstille“, „Dörrleiche“, „Haarkräusler“, „Scheidekunst“, „Zitterweh“, „Schalksernst“, „Schweißlöcher“, „Menschenschlächter“ und „Zwangsgläubige“ zu großer Bekanntheit, aber eben nur schalksernster.

Wir sehen das ja eher wie Goethe:

Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern, ist das Geschäft der besten Köpfe.“

Nota bene: Deshalb möchten wir hier so ganz nebenbei anregen, noch einmal über den jahrhundertealten Vorschlag zur Eindeutschung von „Chemie“ nachzudenken, da dies in der Schule gewiss erheblich zur Popularität des Faches beitragen würde. Das war jetzt aber tatsächlich nur eine Randbemerkung. (Danke, Campe.)

Und ansonsten sind wir ja diejenigen, die einfach zu gerne Fremdworte benutzen – zum Spaß. Und zum Glück, vor allem für die Triskaidekaphobiker unter unseren Lesern, reichte es gestern „nur“ zu einem Punkt. Sonst hätten wohl ihr Mandelkern gesponnen – und womit mal wieder bewiesen wäre, dass es wohl auch nicht immer was bringt, wenn man deutsche Fachbegriffe benutzt.

Denn als „Mandelkern“ bezeichnet man in der Medizin die Amygdala. Nein, nicht Mandala – und ZACK – können Sie sich leichter an Amygdala erinnern, obwohl Sie, wenn nicht vom Fach, noch nie davon gehört haben dürften – und das schon seeehr lange, denn die Amygdala ist Teil des limbischen Systems, was wiederum der Teil im Hirn ist, der für die Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten zuständig ist.

Die Amygdala, die ihren Namen ihrem Aussehen verdankt, denn das ist schlicht lateinisch für „Mandelkern“, da mussten also Zesen et al. gar nicht groß aktiv werden, ist nicht nur wesentlich an der Entstehung von Angst („Phobie“) beteiligt, sondern sie spielt zudem auch allgemein eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren, was sie auch zum Ort der Vorurteile macht.

Sie dürften sie also zu Anfang dieses Textes gespürt haben, als das da mit den Fremden stand, weil Sie eventuell erst einmal ahnten, dass wir da ein politisches, gar nationales (was der Germanist Hermann von Pfister-Schwaighusen 1875 mit „völkisch“ übersetzte) Statement würden abgeben wollen. (Nö!)

Nein, wir wollten vielmehr überleiten, dass wir Spaß am Neuen und Fremden haben, dass wir es spannend finden, was sich damit gestalten lässt. Nur so entwickelt man sich weiter. Andererseits ist das ein rationaler Akt und bis der einsetzt, hat die Amygdala schon längst zugeschlagen.

Phobiker können ein Lied (Leid?) davon singen. Und vielleicht ist unsere Mannschaft triskaidekaphobisch, was erklären würde, warum sie spielte, wie sie spielte: schlecht, nicht auf Sieg, denn das wäre ja gleichbedeutend gewesen mit Platz 13 – und vor dieser Zahl fürchtet sich nun mal ein Triskaidekaphobiker.

Zugegeben, ein kühne These, dafür wesentlich steiler als die Zuspiele unserer Mannschaft gestern in die Spitze, wohl aber ähnlich präzise. (Letzteres war Schalksernst.)

Von Anfang hatte man das Gefühl, dass unserer Mannschaft das Selbstvertrauen fehlt. Positiv gesprochen: Sie agierte sehr kontrolliert aus einer sehr stabilen defensiven Grundstruktur. Negativ gesprochen: Standfußball.

Das war ja so übel nicht. Alle anderen Spiele waren bereits gelaufen und man wusste, dass man einen richtigen Sprung in der Tabelle machen würde, sofern man das Spiel nicht verliert. Und auch für die Gäste war ein Punkt viel wert, so dass sich niemand wirklich traute, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken.

Das hieß natürlich nicht, dass man nicht bereit war, Fehler des Gegners zum eigenen Vorteil zu nutzen, aber diese Fehler musste er schon selber machen. Die Gäste machten keinen, und wir auch sehr wenig Anstalten, diese bei ihm zu provozieren. Und sie mussten nur warten, bis wir ihnen den Gefallen taten, was oft der Fall war, vor allem im letzten Drittel, was zu zwei Großchancen der Domstädter führte, doch beide Male überquerte der Ball links vom linken Pfosten die Torauslinie.

So ging es mit einigem Dusel ohne Tore in die Kabine, in der man den Spieler half, Fehler ab-, aber dabei vergaß, ihnen zu erklären, wie sie ihren Motor anzustellen haben. Auch Julian Nagelsmann schien sich von der Lethargie des Spiels angesteckt zu haben, denn noch nie sahen wir ihn so viel und ruhig auf der Bank sitzen. Und dabei hätte es viel Grund gegeben, sich aufzuregen, vor allem nach dem Rückstand, aber spannenderweise tat das Gegentor das selbst.

Natürlich waren die Einwechslungen auch hilfreich, dass da etwas mehr Dynamik ins Spiel kam, aber den größten Anteil dürfte gewiss das völlig sinnlose 0:1 gewesen sein. Das weckte die Mannschaft auf, denn so groß die Triskaidekaphobie auch innerhalb der Mannschaft sein mag, die Abstiegsangst ist größer, weil auch konkreter.

Plötzlich ging es. Nach vorn. Da wurde gespielt, gepasst und geschossen. Der Gästekeeper bekam nach dem Gegentor ein Zigfaches von dem auf seinen Kasten, was er in der Stunde zuvor zu halten bekam.

Das war zwar beileibe nicht das, was unsere Mannschaft schon unter Nagelsmann gezeigt hat, was aber ja auch ein Indiz dafür sein kann, wie wenig Routine in der Mannschaft, in den Abläufen zu sein scheint, so dass solche Länderspielpausen uns nicht gut tun.

Aber so statisch-phlegmatisch das Spiel lange Zeit war, so turbulent wurde es dann in der Nachspielzeit, als es Kevin Volland gelang, den Ball doch noch über die Linie zu drücken und damit eine echte Rarität im Kosmos der TSG zu schaffen: ein PunktGEWINN in letzter Sekunde.

Dabei war es weniger das Tor, was für Unmut auf Seiten der Kölner sorgte, sondern dessen Entstehung: Der Schiedsrichter, der auch schon besser pfiff, wertete einen Zweikampf nicht als Foulspiel, was bei dem vermeintlich gefoulten Spieler zu einer stabilen Rasenlage führte, was Kramaric nicht, dafür den Ball sowie die Chance sah, vielleicht doch noch den Ausgleich zu erzielen, weshalb er es dann mit fünf gegnerischen Abwehrspielern aufnahm, abzog und so gut traf, dass der Gästekeeper nur zur Seite auf Volland abwehren konnte, der dann nur noch einschieben musste.

Und so bildeten sich zwei Trauben vor der Haupttribüne. Die eine im Süden, wo Spieler über Spieler sprangen, hingen, lagen, und eine im Zentrum, wo Verantwortliche des FC mit dem 4. Offiziellen im Hader lagen und nicht nur Worte der Verärgerung flogen, sondern auch ein dental bearbeitetes Gemisch aus Zucker und Kunststoffen wie Polyisobutylen und Polyvinylacetat sowie Füllstoffen wie Aluminiumoxid, Kieselsäure und Zellulose.

Schmadtke traf niemanden. Volland ins Tor.
Die einen glauben, damit würde der Fair-Play-Gedanke vertrieben. Die anderen das Abstiegsgespenst.
Alles gut. Alles falsch.

Was stimmt ist: Wir sind auf keinem Abstiegsplatz mehr.
Was stimmt ist: Wir sind nicht auf der vermeintlichen Unglückszahl „13“ gelandet.
Was aber auch stimmt: Bis nächste Woche sollte diese Angst überwunden werden, denn wenn es weiter aufwärts gehen soll, geht es nur darüber. Direkt auf die 12 können wir vielleicht den Gegner der nächsten Woche treffen, aber es nicht direkt auf den Tabellenplatz schaffen.

Oft ist es ja sinnvoll, eine Angst durch eine andere zu ersetzen. Wir schlagen vor: Arachibutyrophobie.

Damit hat die Amygdala was zu tun, und der Fitness des Einzelnen schadet es gewiss auch nicht. Unter Arachibutyrophobie versteht man die Angst davor, dass Erdnussbutter am Gaumen kleben bleibt. Und damit wäre ja auch schon das Motto fürs nächste Spiel klar:

Punkte statt Peanuts.

A propos „Peanuts“: Auch heutzutage gibt es noch Vereine, z. B. den Verein Deutsche Sprache, die sich gegen die Überfremdung der deutschen Sprache durch Einflüsse aus anderen Sprachen wehren. Hierbei geht es meist um Begriffe aus dem Englischen. Und für manche wie „Halloween“, „Airbag“ und „Notebook“ fand man da auch Übersetzungen („Gespenstertag“, „Prallsack“, „Klapprechner“), aber diese Begriffe sind in puncto Popularität ähnlich weit vorne wie das, wozu dieser Beitrag habe dienen mögen: Geistesanbau.

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