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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. SV werder Bremen

„Äh, Fußball?“

Am Ende gewinnt immer die Ästhetik.

Wir leben in einer Zeit der bildhaften Sprache. Man könnte auch sagen: der Geschwätzigkeit, schließlich sagt ein Bild bekanntlich, sprichwörtlich betrachtet, mehr als 1000 Worte. Statt es zu wagen, etwas klar und deutlich zu sagen, bedient man sich der vagen Begriffe. Dadurch vermeidet man Gegenwind der exkrementen Art, neudeutsch: Shitstorm, wobei auch der meist nur aus Dünnpfiff besteht: „erntet Kritik“, „löst Reaktionen aus“, „stößt auf Widerstand“.

Das impliziert ja, dass es das eigentliche Ziel des Miteinanders sein bzw. sein sollte, dies zu vermeiden. Dies ist natürlich Quatsch, schließlich schlösse ein solches Stadium jeden Fortschritt aus. Fortschritt entsteht aber nur im Diskurs ganz im Sinne Hegels: These – Antithese – Synthese.

Doch allein dies scheint ein schon zu großer Anspruch zu sein, obwohl wir alle in der Schule genau diese Methode im Rahmen einer Erörterung gelernt haben (sollten). Dabei spielt natürlich auch die Form eine Rolle, also die Sprache, welcher man sich bei einer solchen Erörterung bedient – und welche Position man bei diesem Diskurs selbst einnimmt.

Als unbeteiligte dritte Partei findet man dabei Humor sehr amüsant. Berühmt sind die Aussagen Winston Churchills, der mal eine Bemerkung einer Unterhausabgeordneten, dass sie, wäre sie mit ihm verheiratet, seinen Tee vergiften würde, beantwortete mit der Aussage, dass, wäre er mit ihr verheiratet, diesen trinken würde.

Ob diese Anekdote stimmt, ist wie so oft nicht gesichert. Was gesichert ist, ist, dass sie original nicht von Churchill stammt, sondern aus dem Jahre 1899 🙂

In „Oswego“, einer New Yorker Zeitung, erschien in diesem Jahr folgende Geschichte aus der U-Bahn:

On one of the recent warm days a sour-visaged, fussy lady got on one of the smoking seats on an open car in the subway.

Next her sat a man who was smoking a cigar. More than that, the lady, sniffing, easily made out that the man had been eating onions. Still more than that, she had the strongest kind of suspicion that he had been drinking beer. The lady fussed and wriggled, and grew angrier, and looked at the man scornfully. Presently she could endure it no longer. She looked squarely at him and said:

“If you were my husband, Sir, I’d give you a dose of poison!”

The man looked at her. “If I were your husband,” said he, “I’d take it!”
(Quelle)

Heute besteht keine Notwendigkeit mehr für verbale Schlagfertigkeit – und sie birgt sogar eine gewisse Gefahr. Heute reicht es, sich angegriffen zu fühlen. Und dabei ist es völlig gleich, ob man der Initiator / die Initiatorin eines Disputs ist oder nicht, denn noch schlimmer ist es, wenn man als Adressat/in auf eine solche Provokation gewitzt antwortet, denn spätestens dann bricht sich der Dünnpfiff Bahn, wenn diese humorvolle Antwort lauthals (von der Person, von der es ausging) als „Hass und Hetze“ deklariert wird – und das ist strafbewehrt.

Das klingt natürlich wuchtig. Dabei sind beides aber sehr vage Begriffe, wenngleich „Hass“ bereits höchstrichterlich definiert wurde als „eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil“ (Quelle)

Spaßigerweise müssten demnach fast alle Fußballtraditionalisten verurteilt werden, denn zweifelsfrei sind Fans der TSG Hoffenheim ein Bevölkerungsteil, dem eine gesteigerte, feindselige Haltung ihrerseits entgegengebracht wird.

Und was ist „Hetze“? In erster Linie – lt. Duden: übertriebene Eile, große Hast; das Getriebensein. (Dagegen sind ja irgendwie alle, aber das ist in diesem Zusammenhang nicht gemeint.) Erst als Zweites findet Erwähnung die „Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen und Handlungen, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden, etwas erzeugen.“

„Hass und Hetze“ sind also hier nicht nur eine Alliteration, sondern auch ein Hendiadyoin (doppelt gemoppelt), die den Vorwurf zwar laut, aber auch nichtssagend machen.

Deshalb sollte man sich von Hass nicht hetzen lassen, sondern ihn mit Klarheit – und Witz – in seine Schranken weisen, sich nicht an ihm und allem Hässlichen suhlen, sondern sich an dessen gegenteiligen Momenten erquicken und labern … äh … laben.

Es macht niemanden (geistig Gesunden) wirklich froher, wenn er einen Makel in einem Gesamtwerk entdeckt. Das sprichwörtliche Haar in der Suppe kann man auch mal übersehen, und ein echtes einfach rausziehen (insbesondere, wenn es eigene ist) oder man lässt die Suppe zurückgehen und bekommt dann etwas Neues serviert.

1:0 nach einer Ecke. Das erste Standardtor der TSG in dieser Spielzeit. Da waren noch keine zehn Minuten gespielt, und wir hatten da schon die ein oder andere Chance uns erarbeitet – und vergeben, aber nun war der Ball im Tor.

Das schnelle und schnörkellose Spiel der TSG und insbesondere der doch noch frühe Führungstreffer machte Lust auf mehr – und das gab es auch. Noch mehr schnelles, schnörkelloses, variantenreiches Spiel und phasenweise richtig herrliche Ballstafetten dank perfekter Laufwege, so dass man sich verwundert die Augen rieb und sich darob freute, dass man endlich auch mal wieder von unserer Elf gezeigt bekam, warum man diesen Sport auch „das schöne Spiel“ nennt.

Wir bolzten nicht, wir schrubbten nicht, wir kloppten nicht, wir kickten nicht mal. Nein, wir spielten, ja, wirklich: spielten Fußball.

20 Minuten lang. Dann ließ es nach, zum Teil sogar stark nach, so dass die Gegner immer wieder in aussichtsreichste Positionen kamen, die aber dann doch mit großer Verve gerade noch abgewendet werden konnten: mal war es das Gesäß eines der unseren, mal der Rücken unseres Goalies, mal sein Fuß, mal war es auch Dusel, aber nie dusselig.

Und selbst, als es ganz frappant danach aussah, sah alles keine zehn Sekunden später wieder brillant aus.

2:0 – wieder durch Maximillian Beier, diesmal durch eine Kombination, die wir in der Partie wieder und wieder bewundern konnten, aber diesmal in Perfektion.

Er drosch die Vorlage Bebous, die dieser im Fallen auf den langen Pfosten gegeben hatte, nachdem er ein Laufduell gewann, in den ihn ein Sensationspass Grillitschs fast aus dem eigenen Sechzehner brachte, dem die Kugel zuvor von der eigenen Grundlinie zugespielt wurde, wo sie vom zentralen Verteidiger gespielt wurde, nachdem ihn Oli mit einem ungenauen Zuspiel überhaupt erst in die Bredouille brachte.

Ja, so wirr es rückwärts erzählt klingt, so klar war es in der Vorwärtsbewegung ausgeführt – und -gespielt.

„Äh, das ist ja richtig Fußball …“ wunderte man sich freudig zur Halbzeit. Immerhin spielte man gegen die drittbeste Rückrundenmannschaft, die dreimal in Folge auswärts gewonnen hatte (u. a. in München), während wir gerade mal zwei Heimsiege in dieser Spielzeit bisher zu verzeichnen hatten – und auch erst einen Sieg, aber das war der der Vorwoche – und auch bei der Partie war ja bereits viel Schönes bei – auch und gerade von Beier, z. B. ein Doppelpack, wie in diesem Spiel.

Das ließ sich also gut an, und es ging auch gut weiter, wenngleich sich beide Mannschaften inzwischen eher durchschaut haben. Zudem ging einer unserer Mittelfeldturbinen so langsam der Druck aus, obwohl gerade von ihr, genauer: ihm, Umut Tohumcu, im ersten Durchgang richtig Druck und Schub entwickelt wurde.

Für ihn kam Geiger, der allerdings kurze Zeit darauf (ca. 20 Minuten später) wieder verletzt gehen musste. Doch nicht nur deswegen fiel sein stark bejubeltes Heimspieldebüt ganz anders aus, als er und sich wohl alle das dachten, denn plötzlich spielten wir aus einer Dummheit Bülters heraus nur noch zu zehnt.

Die gelb-rote Karte in der 73. Minute war natürlich Mist für uns, denn nach wie vor stand es „nur“ 2:0 – und das obwohl es Minuten zuvor hätte 3:0 stehen können, wenn der Schiedsrichter das Foul an Beier im Bremer Strafraum als das gewertet hätte, was es war, aber das war es nicht in der aktuellen Situation, was für den VAR so klar nicht war. Immerhin schaute er sich die Szene an und blieb bei seiner zuvor getroffenen Meinung, die er weiterhin exklusiv haben dürfte.

Statt Strafstoß also Platzverweis und das Wissen, dass es einiges an Nachspielzeit geben würde. Sieben Minuten waren es, und bis zum Ende der regulären Spielzeit verteidigten wir das sehr schön weg. In der Nachspielzeit jedoch kamen die Gäste noch zum Anschlusstreffer und 10 Sekunden vor Schluss sogar noch zu der Top-Einschusschance für einen Ex-Hoffenheimer, doch Bittencourt geriet sein Schuss n büdden lang. So zog der Schuss am Tor vorbei – und just dann war das auch das Spiel und wir fertig mit den Nerven.

Ein richtig schönes Fußballspiel, auch weil unser storm alles andere als shit war.

Mit noch einigem an Luft nach oben, aber wir wollen ja weder hassen, noch hetzen. Wir wollen und können uns so langsam an dem Schönen erfreuen – und das sind natürlich zuvörderst die erneuten drei Punkte –

… und langsam machen. Und das ist auch ganz im Sinne Hegels:

„Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen.“

Nächste Woche geht es gegen das Team über uns, das wir zwar selbst im Erfolgsfalle nicht würden überholen können, aber wir kämen dann richtig schön nah dran. Und das sind wir eigentlich jetzt schon, denn der nächste Gegner stand nach dem 24. Spieltag in der letzten Saison ebenfalls auf Platz 6. Wir? Zum gleichen Zeitpunkt: auf Platz 18!

Das ist doch auch schon mal schön, wie sich das Ganze entwickelt(e), oder?

Und wenn wir uns weiter an der Schönheit des Spiels orientieren, wird es weiter aufwärts gehen, denn das können wir aus der Kulturgeschichte des Menschen lernen: Hass und Hetze zerstören nur, aber Humor baut auf … und am Ende gewinnt immer die Ästhetik.

Und statt jetzt 1000-mal „GEIL!“ zu schreien, schließlich wollen wir ja auf garrrrrrr keinen Fall geschwätzig rüberkommen: ein schönes Bild, das alles sagt!

 

 

 

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