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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1. FC Union Berlin vs. 1899 Hoffenheim

Was für ein Theater!

Ein Märchen, das
– ganz ohne KI, dafür ganz klassisch –
zum Drama wurde.

Geneigte/r Leser/in,
herzlich willkommen in der Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2023 – und trotz der 1:3-Niederlage gegen den 1. FC Union Berlin mit nur noch drei Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz, gegen dessen jetzigen Besetzer wir am Dienstag die nächste Partie bestreiten, unsere TSG nicht ab.

Natürlich erfasst uns Grimm, wenn wir an den Spielverlauf denken, zumal die Partie selbst wie ein Märchen begann, das eigentlich eine Posse war, aber von außen betrachtet nichts weiter als ein ganz normales Drama.

Zumindest nannte die trei-, äh: schreibende Kraft das Werk  „Der Hauptmann von Köpenick – Ein deutsches Märchen“.

In seinem Theaterstück griff Carl Zuckmayer die wahre Geschichte des Schustersohns Wilhelm Voigt auf, der sich am 16. Oktober 1906 beim Trödler in Potsdam im Alter von 57 Jahren eine gebrauchte Hauptmannsuniform kaufte, zehn preußische Gardisten nach ihrem Wachdienst „rekrutierte“ und sie nach Cöpenick – die damals eine selbständige Stadt außerhalb Berlins ohne Militär war – führte, mit seiner Garde das Rathaus besetzte, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse leerte. Bei seinem Coup erbeutete er immerhin 3.557 Mark und 45 Pfennige!

Für Carl Zuckmayer ging es in seinem 1931 erschienenen Werk vor allem um die Darstellung der Leichtgläubigkeit der Menschen vor der Obrigkeit und ihrer Insignien. Gebracht hat es bekanntlich nichts. Keine zwei Jahre später kamen die Nazis an die Macht und da war weder ein Mangel an Insignien noch Menschen, die ihnen folgten und sich in ihren Dienst stellten. Wenig überraschend verboten sie die Aufführung des Stücks.

„Cancel Culture“ ist also so neu nicht. Und auch heute gibt es keinen Mangel an Symbolen, denen Menschen leichtgläubig folgen. Man muss den Bogen jetzt nicht überspannen und auf die „One Love“-Armbinde der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und das ganze Theater darum eingehen. Aber …

… sicherlich gibt es keine bessere Lehrerin für unsere Zukunft als unsere Geschichte. Motto: Alles schon mal dagewesen.

Ganz im Gegensatz zu dem Mann, der die Hauptrolle im 1. Akt in dieser Aufführung spielte …

Ihlas Bebous Saisondebüt hatte was Possenhaftes. Erst tauchte er nur auf dem Spielerbogen in Erscheinung und dann im eigenen Sechzehner mit einer Aktion, in der deutlich wurde, a) dass ihm die Spielpraxis fehlte und b) dass er viel NBA geschaut hat. Nur durch einen schönen Block mit seiner linken Hand konnte er den Kopfball auf unser Tor verhindern. Vielleicht hätte es keinen Elfmeter gegen uns gegeben, wenn Stevie Wonder der Feld- und Ray Charles der Videoschiedsrichter gewesen wäre. So aber war das unvermeidlich und die Freude unermesslich, als der Berliner den Ball platziert an die Außenseite des linken Pfostens setzte. Das war natürlich auch Glück, aber das Glück hatte sich die Mannschaft auch verdient …

Die Mannschaft startete super – und das war so definitiv nicht zu erwarten. Nicht wegen der Abgabe von Rutter.

Dieser sympathische Kerl war natürlich ein Publikumsliebling. Sein immer heiteres Gemüt, sein freundliches Gesicht, sein sympathisches Lächeln und seine Soli am Ball hatten einen sehr hohen Unterhaltungswert und ließen ihn im mannschaftlichen Korsett der Mannschaft persönlich und spielerisch natürlich herausragen. Dennoch war dieses, sein ballfokussiertes Spiel sowie sein taktisches Verhalten auch nicht immer so mannschaftsdienlich.

Dennoch fiel bei ihm die Kritik immer wesentlich geringer aus als beispielsweise bei einem Dabbur. Auch gegenüber einem Stiller, Geiger oder Kramaric war die Kritik bei ähnlich vielen Ballverlusten wesentlich ausgeprägter. Der Grund hierfür liegt natürlich im Auftreten und Wesen der Spieler, die einfach weniger Spiel- und Lebensfreude ausstrahlen und insgesamt für weniger Überraschungsmomente sorgen. Und in der Winterpause sorgte er nun für die größte Überraschung, denn niemand hätte gedacht, dass er jetzt schon die TSG verlassen würde und schon gar nicht für die vierthöchste Ablöse aller Zeiten für einen Spieler der TSG.

Natürlich hat das Folgen fürs Fanwesen: Einen Fan interessieren die wirtschaftlichen Notwendigkeiten eines Vereins ebenso wenig wie die wirtschaftlichen Interessen eines Spielers. Ihm geht es um die Identifikation mit einem Verein. Er (oder: sie) erwartet, dass sich ein Spieler mindestens ebenso sehr mit dem Verein identifiziert, wie man selbst – vorausgesetzt, es ist ein Spieler, den man ins Herz geschlossen hat. Wenn ein solcher bei der erstbesten sich bietenden Gelegenheit den Verein verlässt, wird diese Identifikation beklagt und der Verein beschimpft. War bei David Raum im Sommer nicht anders.

Anders verhält es sich natürlich bei Spielern, mit denen eben jener Fan nicht ganz so warm wird. Sollte die TSG Bruun Larsen, Skov, Stiller, Akpoguma, Dabbur und inzwischen auch Rudy oder Kramaric verkaufen, das Wehklagen fiele um einiges geringer aus.

Auf die Idee, dass die Spieler, die er nicht so dolle findet, auch andere Vereine nicht so dolle finden könnten – aus wahrscheinlich gar nicht mal so unähnlichen Gründen – kommt er nicht unbedingt.

Viel überraschender und schwerwiegender war der kurzfristige Ausfall von Vogt. So bildeten Kabak als bereits feste Größe in der Defensive sowie den zwei Stammelf-Wackelkandidaten Akpoguma und Nsoki die Dreierkette zum Anpfiff. Und neben dem Saisondebüt von Bebou gab es auch das Stammelf-Debüt von Bischof. Es war also sehr, sehr viel neu in den Reihen der TSG – und zur großen Überraschung rollte bei ihr nicht nur der Rubel (wegen Rutter), sondern vor allem der Ball (ohne Rutter) beim offiziellen Premierenkick 2023.

Es war schlicht ein Traum zu sehen, wie Laufwege, Passspiel und Zuspiele auch auf kleinstem Raum funktionierten. Da war aber mal gar nichts von Verunsicherung zu spüren, sondern großes Selbstvertrauen und Zuversicht prägten das – im wahrsten Sinne des Wortes – Spiel der TSG, das sich bereits nach nicht einmal zehn Minuten zu einem klassischen Fußball-Märchen hätte entwickeln können – doch Bischof verzog …

Qui est Rutter?

… erst den Ball, dann sein Gesicht zu einem frischen Grinsen der Ungläubigkeit. (im Sinne von: „Ich? Ich junger Kerl hatte eben diese Chance? In meinem Startelfdebüt? Unfassbar.“) Diese Unbekümmertheit war schön zu sehen, auch dass Baumgartner ihm ebenfalls mit einem leichten Grinsen aufmunternd zusprach (im Sinne von: „Weiter, Digga, den Nächsten machste.“).

Und es ging auch munter weiter. Es war einfach herrlich zu sehen, wie die TSG auftrat und -drehte. Union hatte keine Chance bis eben zu dem Moment, in dem Ihlas Bebou den Dennis Rodman in sich entdeckte, nutzte sie aber nicht, dafür dann eben jener Bebou kurz vor der Halbzeit die eine, die sich ihm bot. Mit einer wunderschönen Direktabnahme schloss er einen wunderschönen Angriff voller Direktspiel ab.

Das Führungstor hatte nicht nur der Person, sondern auch des Zeitpunkts wegen etwas Märchenhaftes, zumal zuvor Dramatisches passierte, denn Akpoguma verletzte sich so schwer, dass er ausgewechselt und damit die Defensive erneut neu geordnet werden musste.

Die zweite Halbzeit hatte was von einem Betatest einer Spielesoftware. Vieles war identisch zu dem, was man im ersten Durchgang sah. Der Ball rollte in dieselbe Richtung auf dasselbe Tor, nur die Leibchen waren vertauscht. In Zeiten, in denen die Entwicklung in Sachen künstlicher Intelligenz immer schneller voranschreitet und es immer schwieriger wird zu erkennen, was wahr, was echt ist, war das eine gar nicht mal so unplausible Erklärung für das, was man da im Fernsehen sah. Dummerweise waren aber auch fast tausend Fans der TSG vor Ort, die dasselbe sahen, so dass man konstatieren musste, dass das, was man sah, wahr war – und dafür keine Erklärung fand.

Vorbei war es mit der Spielfreude, der Ballsicherheit. Es gab keinerlei Entlastung mehr für die TSG, die sich aber dafür sehr lange und sehr erfolgreich gegen die zahlreichen Angriffe wehrte – und das eben mit einer letzten Linie, die bereits zweimal geändert werden musste – und mit jeder Veränderung verloren wir natürlich nicht nur etwas an Sicherheit, sondern auch an Zentimetern. So tat es nicht wunder, dass es letztlich ein Kopfball nach einem Eckball war, der zum Ausgleich führte. Ob wir den mit Vogt und/oder Akpoguma hätten besser verteidigt bekommen, weiß man natürlich nicht, Kabak jedenfalls kam nicht ran – und Oli leider auch nicht.

Das war auch in der 89. Minute der Fall, als die Unioner aus einer identischen Situation die Führung erzielten. Das lag zum einen daran, dass Oli in der Situation übermotiviert war, zum anderen Kabak nicht mehr auf dem Platz, denn auch er musste (zehn Minuten zuvor) verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Damit spielten wir ab der 77. Minute ohne unsere „etatmäßige“ Dreierkette …

… und hätten es trotzdem fast geschafft, zumindest einen Punkt aus der Alten Försterei mitzunehmen, der viel mehr wert gewesen wäre als 3.557 Mark und 45 Pfennige (lt. Statistischem Bundesbank hätte Voigts Beute heute eine Kaufkraft von etwas über 27.000 Euro. (Wer selbst rechnen möchte: hier klicken.))

Erst dann schien wieder so etwas wie Leben in unsere Elf zu kommen. Völlig korrekt warf sie dann alles nach vorn und ging in der Hoffnung auf den Ausgleich das Risiko eines weiteren Gegentores ein.

Leider geschah in der 7. Minute der Nachspielzeit Letzteres, womit Breitenreiter rein faktisch gesehen auf Hoeneß Spuren wandelt, denn das war das sechste Ligaspiel in Folge ohne Sieg. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Serie Bestand hat: Kabak gesperrt, Akpoguma (wohl) verletzt und was mit Vogt ist, weiß man gerade auch nicht.

Und so hatte die Aufführung kein Happy End – und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Hinrunde noch dramatischer endet. Das Gegenteil ist es aber auch nicht.

Von daher gibt es auch keinen Grund das Theater mitzumachen, das in den einschlägigen TSG-Fan(?)-Foren stattfindet, denn mit einem Sieg könnten wir die Hinrunde sogar auf Platz 10 abschließen. Das wäre zwar auch irgendwie ein Klassiker, dass die TSG in eine Runde märchengleich startet, aber am Ende hinter den Erwartungen zurückbleibt. Aber liegt das an der TSG – oder den Erwartungen? Oder aktuell an den Verletzungen?

Aber es ist ja noch Hinrunde und vieles möglich. Das ist ja das Schöne am Fußball – und am Leben: Egal, wie es aussieht, man weiß nie, wie es ausgeht.

Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten.

Vorhang.

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