Liverpool FC vs. 1899 Hoffenheim
Ein hermeneutisches Erlebnis
Ein Spiel mit vielen Siegern – außer unserer Mannschaft,
die sich aber dennoch zu den Gewinnern zählen darf.
(Lasst doch die anderen meckern und schreiben, was sie wollen.)
Manchmal sieht so manches aus wie eine Packung. Aber, wenn man genauer hinsieht, stellt es sich als Geschenk heraus. Nun sind wir nicht dankbar für das Ergebnis, was für den Verein ja nicht nur viel Renommee, sondern auch Geld gebracht hätte, welches jetzt – warum auch immer – die Bayern und Leipzig von der UEFA erhalten, sondern für so ziemlich alles andere:
- der gezeigte Sport
- die Schnelligkeit in den Aktionen
- die Präzision im Zuspiel
- der klare Plan und seine konsequente Umsetzung
Das trifft auf beide Mannschaften zu – nur leider auf die Gastgeber mehr, zum Teil sehr viel mehr. Und nichtsdestotrotz – auch wenn das der zweifachen 3-Tore-Führung geschuldet gewesen sein mag, die Bereitschaft unserer Mannschaft, das vielleicht und immer unmöglicher erscheinende Unmögliche vielleicht doch noch irgendwie möglich zu machen – und trotz aller Schelte, die sie nicht nur seitens des Trainers und der Medien erhielt, die Fans vor Ort waren mit der Leistung der Mannschaft bei weitem nicht so unzufrieden.
Denn, auch wenn weniger als im Hinspiel, war auch diesmal einiges möglich, auch 1:0 in Führung zu gehen, aber leider hatte Gnabry heute einfach Probleme bei der Winkelstellung seines Fußes zum Spielgerät – oder er las sich die Schilder in der Nachbarschaft zu genau durch:
Ganz im Gegensatz eben zu den Roten, bei denen die Präzision in den Zuspielen unabhängig davon, ob sie über einen Meter gingen oder über das halbe Spielfeld, nicht beängstigend, aber doch sehr beeindruckend, im Grunde verboten gut war.
Bereits nach zehn Minuten hatte die Partie ein Tempo sowie eine Fülle an Chancen, die eines Champions League-Spiels würdig war.
Bämm. Bämm. Bämm.
Die drei Tore, die dann doch leider in sehr kurzer Zeit hintereinander gegen uns fielen, waren fast schon die logische Konsequenz konsequent zu Ende gespielter Ballstafetten, gegen die wir zeitweilig machtlos schienen und man hätte befürchten können, dass es eine Klatsche gibt, die gewiss nicht wenige Hater gefreut hätte.
Aber erneut zeigte Nagelsmann und seine Elf, dass sie nicht nur Nehmer-, sondern auch Rückschlägerqualitäten hat, denn bei aller Überlegenheit der Hausherren, aufgegeben hat sich die Mannschaft nie.
Sehr früh in der Partie holte Nagelsmann die Brechstange und Nordtveit raus. Vielleicht merkte er aber einfach nur, dass sein Plan nicht hinhaute. Für ihn kam Uth, der dann den Anschlusstreffer noch vor der Pause markierte, so dass die Fans frohgemut anstimmten: „Nur noch 3! Nur noch 3!“
Das war kein Galgenhumor, das war wirklich als Support gedacht und gemeint, denn durch diese sehr frühe Einwechslung beendete Nagelsmann nicht nur das Problem im Zusammenspiel des Norwegers und unseres Emil Zatopeks auf unserer rechten Abwehrseite, er band auch die Liverpooler Verteidigung, da Uth – oder wie ihn die Engländer nannten: „Ooth“ – von der ersten Sekunde seiner Einwechslung für Geschwindigkeit und Gefahr sorgte – naja, und den Anschlusstreffer.
Zudem hatte er noch ein, zwei weitere Chancen, so dass die Hoffnung, dass wir vielleicht noch ein Tor näher rankommen, sooo unbegründet nicht war. Aber es war unwahrscheinlich, denn, das darf natürlich auch nicht verschwiegen werden, hätte Baumann seinerseits nicht noch die ein oder andere Hundertprozentige zunichte gemacht, es hätte wahrlich so übel ausgehen können, wie es zeitweilig aussah. #wehendeFahnen
In der zweiten Halbzeit wurde die Minimalchancenhoffnung durch ein eher konzentriertes als ein kamikazenhaftes Spiel nicht wirklich gedüngt, andererseits wurde sie durch die Gastgeber auch nicht samt und sonders mit Stumpf und Stil ausgerottet. Dazu bedurfte es dem ohnehin in dieser Partie reichlich indisponierten Demirbays, der mit einem erneut schwachen Zuspiel einen Mitspieler, in dem Falle Vogt, in Schwulitäten brachte, die zum Ballverlust und dem erneuten 3-Tore-Rückstand führte.
Das war dann auch der Moment, als auch Kramaric zeigte, welches Potenzial in ihm die vorangegange Stunde schlummerte. Auch er blieb gewiss hinter seinen eigenen Erwartungen zurück. Wahrscheinlich tat das jeder – bis auf unseren Keeper. Und unseren Youngster.
Selbstverständlich war die Leistung von Dennis Geiger gestern nicht mit der von vergangenem Samstag zu vergleichen. Dazu waren seine Gegenspieler auch ein ganz anderes Kaliber. Er wäre also der letzte, dem wir einen Vorwurf machen würden.
Das tun wir auch der Mannschaft nicht. Ihre Worte nach dem Spiel zu ihrem eigenen Spiel waren erstens hart genug, zweitens viel härter, als wir uns das zu sagen gewagt hätten. Wir hätten auch nicht gewusst, warum. Schließlich gehört es zum Sport, dass man mal auf einen Gegner trifft, der einfach einen Sahnetag erwischt hat, während bei einem selbst nichts klappt, zumindest nichts vom Plan, den man sich vor dem Spiel zurechtgelegt hatte. Das Vorfeld ist eines, das Spielfeld das Wichtige – und da trafen wir einfach an dem gestrigen Abend auf einen sehr starken Gegner.
Und die nächsten Hochkaräter warten ja schon: AC Mailand und Arsenal London sind in Topf A. Ajax Amsterdam in B und z. B. Sparta Prag in D. Und ausgeschlossen ist es ja nicht, dass wir die Gruppenphase in der Europa League überstehen. Und sollte der FC Liverpool ist seiner Gruppe „nur“ Dritter werden, ist ein Wiedersehen selbst in dieser Saison ebenso wenig ausgeschlossen wie der Verbleib Toljans.
Seine Einwechslung überraschte dann doch, war man doch auf der Tribüne der Meinung, dass er dadurch automatisch nicht mehr berechtigt sei, in dieser Saison für einen anderen Verein in der Champions League aufzulaufen. Wohl ein Fehler unsererseits …
Das war aber der einzige, der uns zumindest in den letzten Tagen unterlief. Wir hielten zu einem sehr, sehr hohen Prozentsatz unser Gelübde ein und waren beim ersten offiziellen Auswärtsspiel unserer TSG vor Ort.
Manche nahmen die Strapazen mit Bus und Schiff und Bus und überhaupt auf sich. Andere kamen mit dem Auto und machten einfach Urlaub in und um Liverpool. Motto: „Fliegen kann jeder!“
Das stimmt zwar, aber nicht jeder machte es. Einige flogen nach Manchester und nahmen von dort einen Shuttle und die besonders Kreativen flogen gestern Morgen nach Stansted, nahmen sich dort einen Mietwagen, schauten das Spiel, stiegen wieder in ihren Mietwagen und zurück nach Hahn, sodass sie heute wieder ab 11 Uhr werden arbeiten können. Nein, unter jenen war kein Chirurg.
Insgesamt waren 2.400 Hoffenheim-Fans in der Stadt am River Mersey – und im Stadion und machten da, auch wenn sie in der Live-Übertragung angeblich kaum zu hören waren, richtig viel Lärm. Und sie sangen und feuerten ihre Mannschaft an, als selbst The Kop, die Fan“kurve“ der eingefleischtesten aller eingefleischten Liverpool-Fans, selbst bei einer 3:0- und 3:1-Führung stille saß und schwieg.
Aber wehe, ihr Team kam an den Ball und schaltete ZackZackZackZackZackZack in den höchsten Gang. Sofort gab es eine die Angriffs- sowie eine diese extrem fördernde Schallwelle. Das war (fast schon) so beeindruckend wie dieses „You’ll never walk alone“ in seiner Wiegestatt zu hören. Ganz besonders schön dabei, war die Acapella-Version des Songs am Ende des orchestrierten Einspielers sowie nach dem Schlusspfiff.
Diesen Schlussakkord sowie der Applaus der Heimränge gegenüber den Gästen konnte man nicht nur, man musste ihn auch Dank der Kop an uns, die TSG (Mannschaft UND Fans) sehen:
Ihr wart gut. Ihr habt verloren, aber alles gegeben. Es hat nicht alles funktioniert, aber es kann alles besser werden. Kopf hoch. Macht weiter! Macht weiter! Ihr wart hier in Liverpool nicht allein – und ihr werdet es auch nicht in der Liga sein. Macht einfach weiter! Glaubt an euch! Wir tun es auch!
Das alles zusammen – gemeinsam mit den unzähligen Berichten über Zusammenkünfte, Gespräche bei gemeinsamen Bieren mit blauen und roten Fans, machte dies nicht nur für die Mannschaft samt Entourage zu mehr als einem Ausflug in die Heimatstadt der Beatles, zu dem es ja schon früher kommen kann als in dem (nach der heutigen Auslosung zugegebenermaßen eher unwahrscheinlichen) oben skizzierten Fall, dann nämlich, wenn uns morgen der FC Everton zugelost werden sollte.
Es war, zumindest auf Fanseite, ein hermeneutisches Erlebnis.
So kann Fußball nämlich auch sein – und so sollte er es auch: sportlich begeisternd, Menschen zusammenbringend, friedlich er- und gelebt.
Gerade Letzteres sollte zuletzt auch noch herausgestellt werden. „In England?“, wie fußballferne Schichten gleich Schnappatmung bekommend und fast schon hosennässend hasenfüßig „Hooligans!“ hauchend verwirrt fragen dürften.
„Ja! Genau da!“
Genau da zeigte sich, wie man Heterogenität und Harmonie nicht nur unter einen Hut, sondern auch sicher ins und wieder aus dem Stadion bekommen kann. Natürlich trugen auch die Hoffenheim-Fans dazu bei, die sich so ganz anders verhielten, als in dem bekannten Fan-Chant:
„(Hoffenheim) ist eine schöne Stadt,
da muss man sich benehmen.
Doch heut’ sind wir in (Liverpool),
da benehm’n wir uns daneben.“
Neben der dargelegten guten Kinderstube war auch die Masse nicht wenig imposant. Rund 1.000 Menschen aller Geschlechter, Größen, Alter, Augen-, Haut- und Haarfarbe nahmen daran teil.
Umrahmt wurde die Gruppe von ca. zwei Dutzend Bobbies, die nicht bis an die Zähne bewaffnet in paramilitärischem Outfit, sondern in ihren ganz normalen Uniformen präsent waren sowie zwei Damen zu Pferde am Ende der Parade.
Ja, es flogen ein paar Bierdosen. Und der ein oder andere konnte auch dem Zünden und Werfen von Rauchbomben nicht widerstehen. Dafür aber die Polizisten, dies zum Anlass für einen Angriff auf die Gruppe zu nehmen. Mehr als zwei, drei waren es auch nicht – und es reichte jeweils ein kleiner Kick an das qualmende Ding, und es lag im Rinnstein, wo es nicht weiter beachtet seinen Daseinszweck aushauchte.
Am Stadion war ein frohes Durcheinander von blau und rot. Polizei und Sicherheitsdienste waren präsent, aber nicht penetrant. Selbes galt auch für die zahlreichen Polizeihunde, die nicht wie wild und doof jeden Dahergelaufenen mit pfundweise Sabber in den Lefzen aus Maulkörben anbellten, sondern ganz brav und artig an der Leine ihres Herrchens bzw. Frauchens gingen und diskret an fast jedem Bein schnüffelten und schon nach kaum mehr als zwei Sekunden wohl aufgrund von Drogen- und/oder Sprengstoffmangel gelangweilt von den Käsemauken abließen. In dem Punkt agierte die Liverpooler Polizei wie die Liverpooler Mannschaft: extrem souverän und effizient.
Und davon könnte und sollte sich auch die deutsche Polizei etwas abschauen. Nagelsmann und sein Team werden das auf jeden Fall tun – ganz ohne Maulkorb, dafür mit ähnlicher Konsequenz wie sie Briten an den Tag legen, wenn die Regeln nicht eingehalten werden.
Da ist er ihnen nämlich sehr ähnlich: allgemein wegen des eigenen Humors und der innewohnenden Leichtigkeit geschätzt, kann sich das sehr schnell in eine re- und absolute Humorlosigkeit wandeln. Aber das tut man auch nur aus einem Grund: dass alle anderen ihren Spaß haben können.
Und das werden wir. Mit der Mannschaft. Auch in dieser Saison. Auch in der Europa League.
EU – ROPAPO – KAAL!
Aber jetzt freuen wir uns auch zu Hause auf das, was uns in der Fremde erfreute:
Gastfreundschaft, Toleranz, Lockerheit und noch so manches mehr …
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