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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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Hertha BSC vs. 1899 Hoffenheim

Gleichnis und Theorie

Oder: Warum die TSG mehr werden sollte als eine Tuningbude

Angenommen, du, geneigte/r Leser/in, müsstest ab sofort jeden Tag nur halb so lange arbeiten, dafür mindestens sechs Tage die Woche. Dein Chef dürfte dir aber jederzeit sagen, wann du kommen musst und was du zu tun hast. Auch das, was du essen und trinken darfst, wird dir vorgegeben. Dafür bekämest du, sagen wir mal für fünf, vielleicht zehn Jahre lang, jedes Jahr eine Million Euro. Wenn du es besonders gut machst, auch Jahr für Jahr 10% mehr. Was würde sich ändern – außer deinen Ess-, Trink- und Ausgehgewohnheiten? Würdest du dir ein neues Auto kaufen, eine Immobilie, neue Klamotten? Vielleicht. Würdest du klüger? Würdest du besser in dem, was du tust? Würde sich dein Freundeskreis verändern? Dein Charakter? Und wenn das, was du tust, auch ein anderer macht, du aber immer besser sein musst als eben dieser andere, damit du überhaupt das tun kannst, was du tun willst, wie würde sich das auf deine Motivation auswirken? Wärest du offener gegenüber dem anderen? Würdest du ihm helfen? Und was, wenn du denkst, dass du viel besser bist, wenn dir gar dein Chef sagt, dass du besser bist, er aber trotzdem den anderen agieren lässt, weil er sich besser mit dem Kollegen aus der anderen Abteilung versteht, könntest du damit gut leben? Geld bekommst du ja trotzdem nicht wenig. Oder wärest du sauer? Würdest dich gemobbt fühlen? Du bist so gut, dein Chef sagt, dass du gut bist, aber außer nach seiner Pfeife tanzen, ganz gleich, was sie pfeift, darfst du sonst nichts tun, wäre dir das egal? Und stell dir vor, du darfst immer zeigen, was du kannst, immer, immer – und alle loben dich dafür, aber dein Chef sagt dir, dass du trotzdem nicht mehr bekommst als die anderen. Wärest du dann sauer? Würdest du dich dann gemobbt fühlen? Nein? Sehr biblisch.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg

Ein Gutsbesitzer ging früh am Morgen hinaus, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder hinaus und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde noch einmal hinausging, traf er wieder einige, die dort standen. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!

Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten! Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar.

Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denar. Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn und sagten: „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen.“

Da erwiderte er einem von ihnen: „Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin?“

Diese Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium (Mt, 20,1-16)  endet mit dem berühmten Satz „So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte!“

Oder würdest du alles hinwerfen und zurück in dein altes Leben wollen? Oder lieber weitermachen, aber halt woanders, wo dir wer verspricht, dass du zeigen darfst, was du kannst, oder du für das, was du kannst, mehr Geld bekommst? Nicht sehr biblisch, aber wohl sehr menschlich.

Dieses Verhalten haben Henri Tajfel und John C. Turner untersucht und dabei 1986 die „Theorie der sozialen Identität“ entwickelt, und du, geneigte/r Leser/in fragst dich natürlich, was „soziale Identität“ anderes sein kann als du selbst.

Die beiden Sozialforscher definierten sie jedenfalls als Teil eines Selbstkonzeptes eines Individuums, „der sich aus seinem Wissen um seine Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und aus dem Wert und der emotionalen Bedeutung ableitet, mit der diese Mitgliedschaft besetzt ist“, womit klar ist, dass nicht Du Du bist, sondern deine dich umgebende Gruppe dein Du-Sein bestimmt.

Was also passiert mit dir und deinem Selbst(wert)gefühl, wenn du ab sofort jeden Tag nur halb so lange, dafür mindestens sechs Tage die Woche arbeiten müsstest; dein Chef dir jederzeit sagen dürfte, wann du kommen musst und was du zu tun hast, was du essen und trinken darfst, wofür du für fünf, vielleicht zehn Jahre lang, jedes Jahr eine Million Euro bekämest.

Wie würde sich das auf deinen Freundeskreis auswirken? Wie sähen sie dich? Wie du sie? Tajfel und Turner legten ihrer Theorie drei logische Prinzipen zugrunde:

  1. Individuen streben danach, eine positive soziale Identität zu erhalten, beziehungsweise zu verbessern.
  2. Eine positive soziale Identität erhält man durch Vergleiche mit relevanten out-groups. Der Vergleich dient der Stärkung der sozialen Identität, wenn sich die eigene Gruppe positiv von der out-group abhebt.
  3. Sollte dieser Vergleich negativ ausfallen, versuchen Individuen, die eigene Gruppe zu verlassen und einer anderen Gruppe beizutreten oder ihre eigene Gruppe aufzuwerten.

Nach ihrer Theorie würdest du sie also hochwahrscheinlich verlassen. Spätestens jetzt fragst du dich, geneigte/r Leser/in nicht mehr, was das alles mit der TSG zu tun hat, oder?

Es geht um … nein, weder darum, noch um Geld, sondern die Attraktivität, die Anziehungs- und Ausstrahlungskraft unseres Vereins und der Mannschaft sowohl extern als auch intern.

Wir sind Teil der TSG-Gruppe. Das ist unsere „in-group“. Jetzt gibt es also den Druck, sich von der „out-group“ positiv zu unterscheiden. Das ist aber gar nicht mal so einfach, schließlich geht es „nur“ um Fußball, um als Gruppe überhaupt eine Einheit zu sein, müssen die Individuen ihre Mitgliedschaft internalisiert haben. Die Mitgliedschaft muss situativ bedeutsam („salient“) sein. Das heißt übertragen auf sowohl die Ränge als auch den Platz:

„Ich gebe 100% für die anderen, weil wir nur so 100% erreichen können!“

Klar, 99% sind auch nicht schlecht, aber wenn jeder in so einem Team – und das sind während eines Spiels gut und gerne 30-35 Personen (Spieler, Trainer, Betreuer, Ärzte) – 99% gibt, kommt man als Ganzes nicht einmal auf 75% seines Optimums. Und selbst, wenn man nur die elf Spieler auf dem Platz rechnet, erreicht man mit elf Mal 99% gerade mal 90.

Natürlich kann man erwarten, dass unsere Spieler sich 100% auf das Spiel konzentrieren und 100% alles für ihren Verein aka Arbeitgeber tun, aber tun sie das? Wobei wir mit der Frage nicht in Abrede stellen wollen, dass sie es nicht tun wollen, die Frage ist nur, ob sie das überhaupt psychisch können.

Gewiss hast du bei den obigen Fragen das ein oder andere heute sicherlich anders beantwortet als nach der Schule, als du noch jünger warst, so jung wie unsere Spieler es zum Großteil sind. Sie sind jung, sehr jung, und die letzten Wochen waren alles anderer als leicht. Die Gruppe wurde nicht gut bewertet und auch der Chef hat angeblich schwer gemeckert. Außerdem ließ er diesmal auch mal die ran, die sonst nicht ran dürfen, und die wissen natürlich, dass sie jetzt ihre Chance haben, zu zeigen, was sie können. Wie würdest du agieren? Und wie würdest du reagieren, wenn dir alle Welt vor Augen hält, dass du für so wenig Zeit so viel Geld verdienst? Was dir einerseits bewusst – in Relation zu deinen ehemaligen Klassenkameraden (‚out-group‘) -, aber auch – in Relation zu deinen Arbeitskollegen (‚in-group) – egal ist egal. Außerdem weißt du, dass von denen manche noch mehr bekommen als du. Also: Wie würdest du reagieren? Bockig? Oder würdest du es jetzt allen zeigen wollen? Egal, wie du (re-)agieren würdest, du könntest nicht 100% für das Team geben, weil du zum Gutteil mit dir beschäftigt bist, weil du es vielleicht allen anderen zeigen wolltest, dass du gut bist, dass du zu Recht so viel Geld verdienst – und dir ggfs. sogar mehr zustünde. Vielleicht würdet du, wie so mancher der Arbeiter auf dem Weinberg, murren.

Die Kunst der herausragenden Fußballer ist zumindest temporäre Ignoranz. Sie können das ausblenden. Sie sehen nur das Spiel und die Mitspieler. Sie wissen natürlich, dass sie aufgrund ihrer individuellen Klasse ein Spiel entscheiden können, aber sie wissen halt auch, dass sie das nur mit den anderen können. Deshalb versuchen sie, die anderen mitzureißen. Sofern sie das Gruppenzugehörigkeitsgefühl internalisiert haben und es für sie salient ist. Aber genau das ist ja die Frage, ob es das noch ist. Auch wenn bislang (Stand heute) nur sicher ist, dass Uth und Gnabry die TSG zum Ende der Saison verlassen, so sind das nicht die einzigen, von denen gemunkelt wird, dass sie gerade ihre blau-weiße Abschiedstournee geben.

Natürlich sind die Summen, die da genannt werden, beeindruckend, und es spricht für die Qualität der Arbeit bei der TSG, dass solche Wertsteigerungen erzielt werden können. Allerdings ist die Frage, ob das eine „Soziale Identität“ schafft. Natürlich ist ein AMG Mercedes ein grandioses Werk deutscher Tuningkompetenz, aber sind wir wirklich gut damit beraten, eine, vielleicht sogar die beste Tuning-Werkstatt der Bundesliga zu werden? Wie attraktiv, welche Anziehungs- und Ausstrahlungskraft hätte ein AMG Lada? Opel? Ford? Skodia? Und wenn wer die Chance hätte, entweder in einem Team zu arbeiten, wo man Dacias tunt, oder wo man die nächste Generation Teslas entwickelt, wo würde er oder sie wohl hingehen? Wir müssen aufhören, uns als Tuningwerkstatt zu sehen, sondern zu uns als Autobauer stehen, dabei allerdings etwas mehr am Chassis arbeiten, das Interieur aufwerten, und vor allem die Übersetzung optimieren, damit wir endlich wieder die PS auf die Straße bringen, die wir unter Laborbedingungen ja erreichen können.

Nach den Unfällen der letzten Wochen war es wenig überraschend, dass es mehrere Modifikationen geben würde. Und statt einige ramponierte Bestandteile zu reparieren entschloss man sich, einige neue Teile einzubauen, bei denen mehr Wert auf Stabilität gelegt wurde als Agilität.

Und dann gab es doch wieder einen Unfall, der aber gewiss einiges Gutes hatte. Zwar fällt Demirbay nun für einige Wochen aus, aber halt keine Monate. Es ist auch nichts gebrochen. Weder bei ihm, noch im Team. Im Gegenteil, so seltsam es anmutet, aber nach seiner verletzungsbedingten Auswechslung war mehr Team auf dem Platz als zuvor.

Zwar wurde das Spiel nicht wesentlich besser, aber die Mannschaft agierte geschlossener, gezielter und ging dann auch völlig zu Recht durch einen regeltechnisch interessanten, letztlich gerechtfertigten, aber hundsmiserabel geschossenen Elfmeter mit 1:0 in Führung.

Allerdings zeigte das Theater vor dem Strafstoß, dass es mit dem Gruppengefühl im Team noch nicht so weit her ist. Da gab es doch einiges an Diskussionen. Kramaric setzte sich durch – und es ging gerade noch mal gut.

Im Anschluss erarbeiteten wir uns richtig gute Chancen, aber leider haben wir sie wieder einmal vergeigt. Und auch in der zweiten Halbzeit, die insgesamt spielerisch besser war, wenngleich nicht wirklich auf hohem Niveau, gingen wir meist fahrlässig mit unseren Chancen um bzw. unseren Chancenchancen, denn oft wurde einfach in aussichtsreichen Situationen zu ungenau gepasst bzw. zu egoistisch agiert.

Das wiederum eröffnete den Berlinern viele, oft beste Konterchancen, die diese aber noch kläglicher vergaben. Bis eben auf eine, die zum wohl einzigen gefährlichen Ball auf Baumanns Tor in der 2. Halbzeit und damit leider auch sofort zum Ausgleich führte.

Das Tor nahm sein Unheil, als Hübner an der Mittellinie ins Leere grätschte. Die Folge war Unordnung in der Abwehr und wieder eine einfache Flanke in die Mitte, wo wir in Überzahl nicht an den Ball kamen. Wieder mal schlecht verteidigt, obwohl wir das ansonsten ganz gut machten – als Team. Akpoguma konnte nicht wirklich überzeugen, auch Vogt hatte schon bessere Spiele, aber dank des in zwei, drei entscheidenden Situationen defensiv überraschend starken Gnabry ist nicht wirklich was passiert.

Am Ende hätte Geiger eine solide Leistung fast mit einem Hammertor gekrönt, doch der Torwart der Gastgeber lenkte den Ball gerade noch so über die Latte. So blieb es bei dem einen Punkt, dem erst zweiten 2018. Wieder auswärts. Wieder 1:1 nach 1:0-Halbzeitführung. Wieder kein gutes Spiel, wobei nicht uninteressant ist, dass wir bei den beiden Niederlagen deutlich besser spielten, aber halt wieder mal einen Punkt, der uns immerhin gerade noch so in der oberen Hälfte der Tabelle hielt.

Psychologisch ist es ja immer erstrebenswert, maximal ausgeglichen zu sein. So gesehen müsste es uns ja gut gehen mit unseren 7 Siegen, 7 Unentschieden, 7 Niederlagen. Aber tut es nicht. Damit sind wir gerade mal Mittelmaß. (In der Gesamtsicht. Nur auf die Rückrunde bezogen (Stand heute) Platz 18.) Für unsere Attraktivität, Ausstrahlungs- und Anziehungskraft ist das zu wenig. Und auch für die Ansprüche der Fans und der Region. Sie will mehr. Und Julian Nagelsmann auch. Vielleicht stellt der kicker ihn in seiner aktuellen Ausgabe auch deshalb auf seinem Titel als „Der Getriebene“ vor. Ob du, geneigte/r Leser/in, das jetzt gut findest, ist deine Sache. Aber es ist allemal besser als „Der Vertriebene“.

Jetzt liegt es an ihm, dem Verein, allen, die Spieler mit seinem Siegeswillen zu infizieren. Obwohl die Spieler den von sich aus haben müssten. Und das hat, wie eingangs dargelegt, wenig mit dem Geld zu tun, das sie manchmal bekommen, manchmal sogar verdienen. Vielmehr geht es darum, dass sie sich mit der Gruppe identifizieren – aber auch identifizieren können. Und das gilt sowohl für die Spieler, die noch da sind, als auch die, die wir als Verstärkung holen werden. Die braucht es. Und eine Siegermentalität mir allem Drumherum. Denn auch wenn wir wahrscheinlich nie die Ersten sein werden, die Letzten wollen wir auch nicht sein – und auch nicht Mittelmaß.

Aber jetzt machen wir es mal wie die Mannschaft gestern …

Jetzt machen wir mal n

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