Hertha BSC vs. 1899 Hoffenheim
Vom Trauerspiel zum Neuanfang
Eine kleine Reise aus der Klassik über die Physik in die Theologie
Ein Trauerspiel. Selten gesehen. Aber gehört halt zum Gesamtwerk Goethes: Egmont. Darin heißt es in Clärchens Lied im 3. Aufzug:
Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein;
Langen und bangen in schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt;
Glücklich allein ist die Seele, die liebt
Diese vier Zeilen beschreiben auf wunderschöne Art und Weise den Seelenzustand eines wohl jeden Fußballfans – und eigentlich auch die der TSG. Aber als solcher kann man nach einem solchen Spiel den Text, zumindest die letzten beiden Zeilen nicht so stehen lassen.
Höllentief strauchelnd, zu Tode bemüht;
Was für ein Dreckskick, was für ein Schiet!
Platz 18.
Nun, dass es auch dieses Jahr nichts mit dem Triple für die TSG 1899 Hoffenheim werden würde, war bereits vor dem Beginn der Saison klar. Bis wir so ein Triple schaffen, ist es also noch seeehr weit hin. Aber dass der Weg zu einem Punkt ähnlich weit weg scheint, hätte auch niemand gedacht. Umso interessanter, dass wir trotz unserer Distanz zu Triple und Punkt gestern so nah an so etwas wie dem Tripelpunkt des Fußballs waren.
Bei einem Tripelpunkt sind die drei Aggregatszustände eines Stoffes im Gleichgewicht, das heißt, in diesem Moment sind sie sowohl fest als auch flüssig wie auch gasförmig. Nun dürfte das einem schwer vorstellbar sein, es sei denn, man ist Christ.
Im Christentum gibt es das Modell, die Vorstellung Dreieinigkeit („Trinität“). Sie beschreibt die Wesenseinheit Gottes, die sich ebenfalls aus drei Dingen zusammensetzt: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die sogenannten Hypostasen.
Das Wort Hypostasen geht auf das griechische Verb hyphístēmi (auch: hypístēmi) zurück, welches „darunter stehen“ und allgemeiner „vorhanden sein“ oder „bestehen“, transitiv „darunter stellen/legen“ oder „stützen“ bedeutet, woraus sich dann im Hellenismus (ca. der Zeitraum von Alexander dem Großen bis zum Tode Julius Cäsars) abstrakte Bedeutungen ableiteten wie „Grundlage“ und „Gesamtplan“ oder auch „Grundkonzeption“.
Nun ist es in der Theologie per se nicht schwierig, ein solches Konstrukt zu entwickeln – aber es kann sich ziehen. (Diese Trinitätslehre wurde zwischen dem 1. Konzil von Nicäa und der Synode von Toledo (325-675), also über einen Zeitraum von 350 Jahren (!!!) entwickelt.) Ein weiterer Vorteil ist, man muss dieses Konstrukt nie beweisen, schließlich handelt es sich um Glauben (nicht: Wissen).
Beim Tripelpunkt ist es anders. Hier handelt es sich um Naturwissenschaft. Hier gibt es messbare Parameter, die zu zumindest auf dem Papier nachweisbaren Ergebnissen führen. Wesentlich hierfür sind Druck und Temperatur. Sie beschreiben exakt, wann am Beispiel Wasser die Mengenverhältnisse von Dampf, flüssigem Wasser und Eis identisch sind und bleiben, also Eis und Wasser zu Dampf werden, gleichzeitig Eis zu Wasser schmilzt und gleichzeitig Wasser gefriert, Wasserdampf kondensiert zu Wasser und direkt als Eis ausfriert.
Dieser Punkt liegt bei einem Druck von 611,657 (± 0,010) Pascal bei 0,01 °C. Das dürfte so ziemlich exakt die Temperatur gewesen sein, die gestern auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions herrschte. Dass wird dennoch nicht Zeugen dieser physikalischen Besonderheit wurden, lag an der Abwesenheit fast jeglichen Drucks.
Statt dessen wurden wir Zeugen eines Geschehnisses, für das der Tripelpunkt des Wasser ebenfalls eine sehr große Bedeutung hat und das definiert wird als der 273,16-te Teil seiner thermodynamischen Temperatur – exakt 0 K (Kelvin, nicht Kevin) – der absolute Nullpunkt.
Als was sonst soll man das Spiel in Berlin ansehen? Nicht nur aus Sicht unserer Mannschaft, sondern im Grunde des deutschen Fußballs, wenn zwei Mannschaften es in neunzig Minuten plus Nachspielzeit nicht schaffen, auch nur einen Ball aufs gegnerische Tor zu bringen, wobei unsere Elf dann noch das Kunststück fertigbrachte, das Spiel zu verlieren?
Es war ein verunglückter Abwehrversuch unseres Ausnahmsweisekapitäns Polanski, dem der Ball nach einem Freistoß der Berliner derart dämlich über den Scheitel strich, dass er, der Ball (nicht der Freistoß, Polanksi bzw. sein Scheitel), an den Innenpfosten klatschte und von dort dann gerade so in vollem Durchmesser die Linie überschritt, bevor Baumann ihn, den Ball (nicht den Freistoß, Polanski oder seinen Scheitel) mit der Hand nach vorne schlagen konnte.
Noch eine Premiere. Zumindest nehmen wir das an. Der erste Treffer, der dank Torlinientechnologie in der Bundesliga gegeben wurde. Ohne hätten wir vielleicht „Glück“ haben können, dass die Schiedsrichter das nicht so genau hätten sehen können, denn das Spielfeld brachte einem zu dem Zeitpunkt unweigerlich einen der schönsten Schnulzen von Roy Black in Erinnerung.
Ganz in Weiß war es da bereits, denn kurz nach Anpfiff der Partie fing es an aber mal so richtig zu schneien. Und was dem Schiedsrichter erlaubt war, um seine Arbeit zu erleichtern, war den Spielern vergönnt. Er unterbrach das Spiel, um rote Bälle ins Spiel zu bringen, während die Spieler in ihren auf diese Witterung nicht eingestellten Schuhen weiterspielen mussten.
Das soll keine Ausrede für das Gekicke unserer Mannschaft sein, schließlich hatten die Gastgeber ja mit denselben Witterungsbedingungen zu kämpfen. Aber es erklärt zumindest zum Teil, dass sich etwas auf dem Terrain abspielte, was mit Fußball nur sehr bedingt zu tun hatte und wobei unsere Mannschaft die wesentlich schlechtere Figur abgab.
Es wurde weiterhin flach gepasst, was an sich gut, aber auf schneeigem Untergrund aufgrund der physikalischen Gesetze des (Reibungs-)Widerstandes so ziemlich das Unguteste ist, was man tun kann. So stockte einem bei fast jeder der Hoffenheimer Standardsituation (Süle auf Baumann) ebenso sehr der Atem wie der Ball auf dem klebrigen Untergrund.
Dass unsere Spieler nicht in der Lage sind, sich auf eine solche Situation einzustellen und das wie auch immer geartete zuvor ausgegebene Konzept über den Haufen zu werfen, verwundert, erschreckt, entsetzt.
Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel sprach Huub Stevens von den Unwägbarkeiten, die ein Spiel mit sich bringen könne, weshalb man einen Plan A, aber auch einen Plan B oder C haben müsse. Einen Plan Schnee hatten sie offensichtlich nicht.
Statt dessen versuchten sie, „normal“ Fußball zu spielen, was bei den jungen Spielern auch immer was von PlayStation-Gekicke hat. Da wird immer noch lässig gespielt, locker und leicht mit dem Außenrist gepasst und der Aktivitätsmodus scheinbar auch nur dann in Gang (geschweige denn Trab oder gar Sprint) gesetzt, wenn der Ball in die Gegend des Spielers kam. Ein Spiel ohne Ball fand nicht statt – und damit auch kein Spiel.
Mit dem äußerst unglücklichen 1:0-Rückstand ging es dann in die Pause, die dann auch der weiße Niederschlag machte. Zum Glück konnten die Berliner Platzwarte in der Viertelstunde das Spielfeld wieder fast in Gänze in einer Grünanlage verwandeln und es fiel auch kein weiterer Schnee mehr vom Himmel – Inspiration aber auch nicht.
Zwar hatten wir mehr und mehr Spielanteile, aber keine Idee gegen die gut formierten Berliner. Man kann sagen, was man will, von Mauern verstehen sie was. Und wenn man die kläglichen wie erfolglosen Bemühungen unserer Spieler sah, dann war einem schon nach dem zumute, wovon wir in der Region auch einiges verstehen: Weinen.
Volland schoss aus einer halbwegs was versprechenden Situation sicher übers Gehäuse und es gab noch so ein, zwei halbwegs wohlwollend als Chance zu bezeichnende Situationen, aber de facto bekamen wir nichts zustande – und wie die Gastherren keinen einzigen Ball aufs Tor. Am knappsten war’s kurz vor Schluss, als ein Berliner Abwehrspieler den Ball gerade noch so abwehrte, dass er, der Ball (nicht der Abwehrspieler, nicht der Schluss) gerade noch so außen neben dem Pfosten landete.
Es wäre der Gipfel der Kuriositäten dieses Spiels (???) gewesen, wenn der Ball wenige Zentimeter weiter links die Grundlinie überschritten hätte, aber irgendwie auch gerecht, denn Berlin machte in der 2. Halbzeit gar nichts. Aber mussten sie auch nicht, denn wir machten einfach zu wenig Anstalten, doch noch den Ausgleichstreffer zu erzielen.
Und so endete dieser 0-Kelvinkick mit 0:1 und der Spieltag mit uns auf Platz 18, was jetzt nicht überrascht, dafür umso mehr Berlin auf Platz 4. Ein echter Hammer, denn im Grunde war die Hertha noch schlechter als wir, aber sie hat halt gewonnen und nunmehr 23 Punkte. Wir gerade mal acht.
Selbst in unserer bisherigen Grottensaison 2012/13 hatten wir nach 13 Spielen 50% mehr Punkte und waren zwei Plätze besser postiert. Hinter uns lagen damals die SpVgg Greuther Fürth mit 8 und der FC Augsburg mit 7 Punkten. Bekanntlich standen wir in jener Saison auch am 34. Spieltag auf dem 16. Tabellenplatz (mit 31 Punkten), während es der FC Augsburg mit 33 Punkten noch auf Platz 15 schaffte. Letzter in der Saison wurde die SpVgg Greuther Fürth mit nur 21 Punkten, die damals auch für ein Novum sorgte. Sie beendete die Saison ohne Heimsieg. Und dem stehen wir aktuell in nichts nach. Nächste Woche kommt Gladbach.
Tiefer können wir in der Tabelle nicht sinken und schlechter kann man nicht kicken. Das ist Fakt. Das ist Wissen. Es kann also wenn, nur aufwärts gehen. Das ist wahrscheinlich. Alles weitere ist Glauben, der ja, wie eingangs dargelegt, wiederum auf etwas basiert, was wir zur Genüge haben: Hypostasen.
Auf sie, unsere Grundlagen, müssen wir uns besinnen, die Kräfte bündeln, sie eins werden lassen, auf dass uns am Wochenende das widerfährt und in unsere Welt tritt, was man durchaus als die Trinität des Wettbewerbsfußballs nennen könnte, worum wir ebenfalls inständigst bitten, flehen, beten: einen Dreier!
Und da kein Glaube ohne Wunder auskommt, ist ein Sieg gegen Gladbach so unwahrscheinlich nicht. Außerdem war der letzte Sonntag (nach protestantischer Zählweise) der 24. Sonntag nach Trinitatis, d.h. er stellte das Ende des christlichen Kirchenjahres dar. So gesehen steht das nächste Wochenende ohnehin im Zeichen des Neuanfangs.
Na, wenn das mal keine positiven Vorzeichen sind … 🙂
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Göttlich! (nicht das Spiel, nicht das Ergebnis, nicht der Tabellenplatz)
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Der beschriebenen Trinität folgte in der Neuzeit, initiiert durch kluge Köpfe wie Newton, der Deismus: Ein göttlicher Ursprung in Verbindung mit einer überprüf- und beherrschbaren Weltordnung, die sich in Folge des göttlichen Anstoßes nach unveränderlichen Gesetzen bewegt. Der Mensch der Neuzeit ergibt sich nicht mehr im göttlichen Schicksal, sondern glaubt an die eigenen Stärken, und dass er selbst etwas bewegen kann. So fragt man sich gerade in dieser Saison, ob die Mannschaft schon in der Neuzeit angekommen ist.
So wünsche ich mir von der TSG (aber bitte noch vor Weihnachten): Ein Impuls, der die Mannschaft auf dem Platz wieder kämpferisch und kreativ werden lässt. Nur wo der Impuls momentan herkommen soll, erschließt sich mir noch nicht.
Vielleicht ist es am Ende einfach der Spaß am Spiel, am guten und erfolgreichen Spiel. Einen Impuls für Spaß? Ein konkreter Vorschlag: Alle Spieler, die noch keinen Bart haben, lassen sich einen wachsen. Alle, die bereits einen Bart haben, lassen sich eine Glatze schneiden. Das erste Zusammenkommen wird ein Brüller sein, auch für die Fans. Das Spielchen dann bis zum ersten Dreier… Aber vielleicht gibt es da bessere Vorschläge?!
Und noch etwas: Ich werde immer zur Mannschaft halten, auch wenn die Bärte wachsen und wachsen sollten …
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