1899 Hoffenheim vs. Bayern München
Die Ignoranz der Evidenz
Die Fragen nach der Antwort
Mehr Tore erzielt als der Gegner und trotzdem nicht gewonnen – so einfach und bitter lässt sich das 1. Spiel in Saison 2 zusammenfassen. Wie bereits in der letzten Saison endete das Spiel ohne Sieger, doch war es vor wenigen Monaten noch ein gefühlter Sieg, war es diesmal nichts weiter als das, was es war: ein Unentschieden.
Dabei hatte alles so schön begonnen:
Hoffenheim setzte Bayern von Anfang an unter Druck. Das Spiel war den Münchnern zu schnell. Mit zahlreiche kleinen Fouls versuchten sie, den Spielfluss immer und immer wieder zu unterbrechen. Leider ließ sie der Schiedsrichter gewähren. Es ist an sich ja löblich, dass der Unparteiische sich nicht mit virtuosem Kartenspiel in Szene setzen will (obwohl das „Doppelgelb“ aus der letztjährigen Zweitligasaison schon was für sich hatte) oder sich selbst zu sehr unter Druck setzt, dennoch hätte man sich in der ein oder anderen Szene mehr Vehemenz und Konsequenz gewünscht – insbesondere in der 12. Minute – und das war nicht der Schultercrosscheck des Kapitäns der Bayern gegen Vorsah, es war eine Szene, die, hätte sie 30 Spieltage später stattgefunden, gewiss mit dem Attribut „meisterschaftsentscheidend“ versehen worden wäre:
Freistoß Salihovic, Kopfball Simunic, der Keeper der Bayern, der schon mit beiden beiden hinter der Linie steht, greift hinter sich und schlägt den sich noch in der Luft befindlichen Ball nach vorne, die Fahne des Linienrichters aka Schiedsrichter-Assistenten, in dem Falle besser: -praktikanten, blieb trotz freier Sicht aufs Tor unten. Für die einen ein Rätsel, für den Fachmann ein Skandal, für die Mannschaft dankenswerterweise kein Grund auszuflippen.
Sie spielte weiter ihr schnelles, flexibles und sicheres Kombinationsspiel nach vorne. Dabei gab es auch einisge Chancen, aber der Erfolg blieb aus. Anders bei den Bayern: Als sie das 1. Mal im Spielaufbau nicht gestört wurden, sie das 1. Mal den Ball in ihren Reihen ungestört laufen lassen konnten, als sie im Grunde das 1. Mal gefährlich vor Hildebrandt auftauchten, da pfiff der Schiedsrichter auch das 1. Mal Tor.
Das war sehr ärgerlich. Verwunderlich hingegen dann die Reaktion unserer Mannschaft. Sie schaltete sofort mindestens drei Gänge zurück. Auf einmal hatte das Spiel was von Ribbeck und nichts mehr von Rangnick. Hatte sie etwa Angst vor den Bayern? Das musste man an diesem Spieltag nicht haben. Und das nicht nur, weil sie ohne vermeintliche Superstars aufliefen, bei uns fehlten mit Gustavo und Ba ebenfalls wichtige Spieler, sondern weil Bayern riesigen Respekt hatte. Nach dem Tor änderte sich das leider …
In der zweiten Halbzeit setzte sich das fort und paarte sich mit Kräfteverschleiß. Zum Glück waren die Bayern an diesem Abend aber auch nicht mehr das, was sie (wann eigentlich) mal waren und so endete das Spiel un-, aber leistungsgerecht 1:1, denn kurz vor der Halbzeit blitzte die Hoffenheimer Spielkunst („ars ludens hoffenheimensis“?) noch einmal auf: ein langer Ball aus der Abwehr auf Weiß, der von der Seitenlinie schön über zwei Abwehrspieler der Bayern direkt auf Ibisevic flankte, der auf Obasi ablegte, der das tat, was er nur noch tun musste: den Ball ins Tor schießen/schieben.
Das wäre unser Vorschlag fürs Training nächste Woche, vor allem erneute für Eduardo und auch Salihovic: Schüsse aufs Tor auch außerhalb des Strafraums und einfach nur so, ohne dass man zuvor sechs gegnerische Spieler hat um- und/oder ausspielen wollen.
Das war es also dann: das erste Spiel der Saion. Ein Unentschieden – und irgendwie ist man es selbst, denn:
Waren die Bayern so gut, dass nicht mehr drin war?
Waren die Bayern schlecht und bei uns war nicht mehr drin?
Wann wird Maicosuel von Anfang an spielen?
Es gibt nstürlich noch eine ganz andere Frage: Wie ging das Spiel wirklich aus? Diese Frage beantwortete der Bayern-Gast des Akademikerfanclubs in seinem Blog.
—— Und dann erreichte uns ein weiterer Gastbeitrag, den Sie hier lesen können: ——
Erste Hälfte für van Gaal eine Qual, „Hoffe“ mit Fußball total
Beim hinreißenden 1 : 1 dominierte die TSG 1899 vor, der FC Bayern nach der Pause
30 Jahre auf der Bank. Da hält „Mister FC Bayern“ den Platz auf der Tribüne natürlich für „gewöhnungsbedürftig“. Doch Uli unterm Dach ist weit davon entfernt, auf dem Weg zum Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG zum Diplomaten zu mutieren. Seine Meinung zum Spiel: „Wir hätten den Sieg verdient gehabt. In der zweiten Halbzeit war unsere Überlegenheit eklatant. Die Hoffenheimer hatten ja nur noch Krämpfe.“ Dabei hat der langjäh-rige Abteilungsleiter Attacke offenbar „vergessen“, wie Trainer Louis van Gaal sich für das Ge-burtstagsgeschenk von Schiedsrichter Babak Rafati bedankte: „Das Spiel läuft ganz anders, wenn das Tor zählt und Hoffenheim in Führung geht.“
Torkamera hin, Videobeweis her: Der Schiedsrichter und/oder sein Assistent hätten in der 10. Minute sehen müssen, dass der Kopfball von Hoffenheims neuem Verteidigungsminister Josip Simunic nach einem drallen Freistoß von TSG-Kapitän Sejad Salihovic vom Innenpfosten gut einen halben Meter hinter die Linie prallte. Vielleicht hätte sich dann für den zunächst blassen Rekordmeister der Titel des bayerischen Spielfilms bestätigt: „Wer früher stirbt, ist länger tot.“
So legen „in unserer stärksten Phase“ nicht Ralf Rangnicks rasende Blaumänner das verdiente Tor vor. Sondern die bis dahin kaum positiv in Erscheinung getretenen Bayern. 25. Minute: Nach ihrem ersten, allerdings grandiosen Spielzug über nicht weniger als 16 Stationen passt Hamit Altintop wunderbar in die linke Blöße der TSG-Abwehr. Der kroatische Neuzugang Danijel Pran-jic, frischer Wirbelwind auf der linken Außenbahn, passt scharf vor die Hoffenheimer Bezie-hungskiste. Dort vollendet Landsmann Ivica Olic unhaltbar für den bis dahin ungeprüften 1899-Keeper Timo Hildebrand.
Die zu diesem Zeitpunkt überraschende Bayern-Führung – u. a. nach dem gefährlichen Premie-re-Kopfball von Vedad Ibisevic in der Rhein-Neckar-Arena – konnte nicht darüber hinweg täu-schen, dass das neue System von Bayern-Coach Louis van Gaal noch nicht in den Köpfen seiner Spieler verankert ist. Was Ersatzkapitän Philipp Lahm stellvertretend für den Trainer im ZDF-Sportstudio über das 4-4-2-System mit der Raute erklärte, funktionierte im ersten Durchgang überhaupt nicht. Die Gaal’schen Dreiecke, die der holländische Meistercoach sich ausgedacht hatte, wirkten alles andere als magisch, agierten mehr ohne als miteinander.
Ganz anders die jüngste Mannschaft der Bundesliga. Sie nährt die Hoffnung, dass die Hoffen-heim neben den modischsten Trikots auch den schönsten Fußball in der Bundesliga zeigen kann. Die Abwehr vermittelte, angeführt von dem mit buddhistischer Ruhe agierenden Josip Simunic vor einem souveränen Torwächter Timo Hildebrand, einen wesentlich stabileren Eindruck als in der vergangenen Runde. Im Mittelfeld überragt das Lauf-, Dribbel- und Regiewunder Carlos Eduardo als begnadeter Zehner. Und im Angriff sind Vedad Inisevic und Chinedu Obasi auf dem Weg zur einstigen Mannheimer Meisterklasse.
Im Gegensatz zu den Bayern, die es mit Sicherheitspässen und langen Bällen auf Mario Gomez versuchten, zog die TSG ihr inspiriertes Hochfrequenz-Rasenschachspiel auf. Und wurde noch vor der Halbzeit für ihren Hightech-Fußball mit dem Ausgleich belohnt. 41. Minute: Fast an der eigenen Eckfahne erobert Carlos Eduardo sich den Ball und bedient den auf der rechten Außen-bahn durchgestarteten Tobias Weis. Der kleine Mittelfeld-Porsche flankt haarscharf über die – mit Daniel van Buyten und Holger Badstuber hoch gebaute – FCB-Abwehr. Dort stoppt Vedad Ibisevic, dessen Comeback mit Liebesgesängen gefeiert wurde, den Ball cool wie eine Hunde-schnauze in den vollen Lauf von Chinedu Obasi. Der Nigerianer, der die wunderbare Leichfüßig-keit des Jahres 2008 wieder gewonnen hat, vollstreckt unhaltbar für den machtlosen Bayern-Keeper Michael Rensing ins rechte Eck.
Auch nach der Pause bedient die Begegnung die Sehnsüchte der 30.150 Zuschauer in der Rhein-Neckar-Arena und der vielen Millionen an den Bildschirmen in 170 Ländern nach der Kunst des Unberechenbaren im Fußball. Und erneut hätte eine Fehlentscheidung des schwachen FIFA-Schiedsrichters Babak Rafati dem Gastgeber fast Unglück gebracht.
61. Minute: Mark van Bommel, Bayerns Chef de Police, reitet eine seiner berühmt-berüchtigen Körperattacken und fällt seinen Kapitänskollegen Sehad Salihovic bei dessen unaufhaltsamen Marsch Richtung Bayernkasten. Während Salihovic sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmt, starten die Bayern einen erbarmungslosen Konter. Doch Hoffenheims Timo Hildebrand beweist nicht nur in dieser Szene seine einstige Premium-Klasse und pflückt dem abgetriebenen Empor-kömmling Alexander Baumjohann die Kugel vom einschussbereiten Fuß.
Die Bayern gewinnen nun immer mehr die Kontrolle über das nun vor allem von der Spannung zehrende Spielgeschehen. Davon profitiert auch der bis dahin vernachlässigte Mario Gomez. Aber der 30-Millionenmann der vergibt einmal mit Pech (64., Außenpfosten) und einmal mit Unvermögen (81., Rohrkrepierer Richtung Nordtribüne). Die Rhein-Neckar-Arena war an diesem denkwürdigen Fußballabend kein Gomezuela für den designierten FCB-Leuchtturm im Angriff.
Es spricht für den Ex-Stuttgarter, dass er mit seiner Leistung unzufrieden war und dies auch offen eingstand: Was Gomez nicht sagte, aber vielleicht denkt: Ohne Frank Ribèrys geniale Zuspiele hänge ich total in der Luft. In der Tat: Nur mit Controller-Fußball – ohne den durchaus narzisstischen Esprit des kleinen Franzosen – kann der FC Bayern nicht Deutscher Meiszer wer-den – und schon gar nicht im Alleingang an der Zugspitze der Bundesliga.
Louis van Gaal lag an seinem 58. Geburtstag in seiner Analyse richtig. Doch bei seiner Meinung zur Leistung des Unparteiischen Bebak Rafati hatte auch er die rote Bayern-Brille auf: „Der Schiedsrichter hat sehr gut entschieden heute.“ Mit diesem leichten Knick in der Optik war er aber nicht allein an diesem Samstag – siehe Uli Hoeneß, siehe Schiedsrichter (und sein Assistent).
Was die TSG 1899 Hoffenheim vor allem in der ersten Halbzeit gegen den Topfavoriten ablieferte, war wie eine Verheißung. Man darf sehr gespannt sein, ob aus dieser viel versprechenden Ouvertüre auch eine vielversprechende Saison wird.
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