Hamburger SV vs. 1899 Hoffenheim
Swinger und Freuden
Die einen schießen Böcke, die anderen Tore.
„Es gibt einen Weg, sicher zu spielen, es gibt einen Weg, Tricks zu benutzen, und es gibt den Weg, wie ich spiele: der gefährliche Weg, auf dem du Fehler riskierst, um etwas zu schaffen, was du nie vorher geschaffen hast.“
Auch wenn es ein wenig danach klingt, dieser Satz stammt nicht von dem Mann, der gestern seinen 44. Geburtstag, seinen höchsten Sieg als Trainer der TSG in einem Bundesligaspiel und den ersten Sieg der Mannschaft in Hamburg feierte.
Markus Gisdol klang auch nach diesem Spiel moderater als Dave Brubeck. „Der Johann Sebastian Bach des Jazz“ nannte „Die Zeit“ den im letzten Dezember einen Tag vor seinem 92. Geburtstag verstorbenen Komponisten in ihrem Nachruf, dessen bekanntestes Werk 1959 erschien und dessen Titel perfekt zum gestrigen Spielausgang passt: „Take Five“.
5:1 gewannen unsere Mannen. Ein hoher Sieg im hohen Norden – mit einem hohen Maß an Dusel.
Natürlich gibt das Ergebnis Anlass zur Freude, aber das Spiel gibt keinen Anlass zur Euphorie. Denn das, was da gelang, wird es so schnell nicht wieder geben. Dabei geht es nicht um die vermeintlich schlechte Chancenverwertung, auch wenn in der offiziellen Statistik 18 Torschüsse für Hoffenheim angegeben werden. (In derselben Statistik stehen auch acht für die Heimmannschaft, was einen fast vermuten lässt, auch Rückpässe kämen in diese Wertung.)
Auch 41% Ballbesitz müssen einen nicht schrecken, schließlich geht es ja wie im richtigen Leben darum, was man aus seinem Besitz macht. In unserem Fall: 5 Tore. Klingt doch prima. Aber ist es das – bei nur 75% Passgenauigkeit? Jeder 4. Pass also ein Fehlpass – und gemeint ist wirklich jeder Pass, also auch all die, die man sich hinten hin- und herschiebt.
Diese Statistik rührt aus dem Mangel an Spielaufbau. Agiert wurde meist mit langen Bällen. Erreicht wurde damit nichts und niemand.
Vielleicht war es Kalkül aka Taktik? Die Hamburger griffen sehr früh sehr weit vorn an und da können solche Bälle ein sehr probates Mittel sein, wie wir ja selbst letzte Woche zu unserem Nachteil erfahren mussten. Aber dazu waren sie viel zu unpräzise gespielt.
Aber vielleicht musste man auch nicht mehr tun, weil die Mannschaft schon sehr früh spürte, dass sie eine Premiere in der Namen-wechsel-dich-Arena würde feiern können, denn es ging ja sehr gut los.
Schon nach etwas mehr als eine Minute nahm Firmino im Laufduell seinem Gegner auf drei Metern fünf ab, den Ball an und war schon so gut wie im Strafraum, als ein Tritt an den Oberschenkel ihn (er)legte.
Kein Strafstoß, was nach der dritten Wiederholung in Ordnung war, aber nicht mal eine gelbe Karte, wo die rote zumindest aus Sicht der TSG-Anhänger alternativlos schien. Und schon war wieder ein Thema Thema, das kein Thema sein sollte: der Schiedsrichter.
Bei ihnen sagt man ja immer, dass sie eine Linie haben und dieser treu bleiben sollten. Und nimmt man die Leistung dieses Spielleiters und vergleicht man sie mit der des Spielleiters der Begegnung der letzten Woche, stellt man sogar eine gemeinsame Linie fest, ein Motto gar, das einen allerdings eher an Swinger-Clubs erinnert denn an Profi-Schiedsrichtertum: „Alles kann, nichts muss!“
Neben der einen Szene gleich zu Beginn gab es gegen uns noch ein weiteres Handspiel der Hanseaten im Strafraum, ein gestrecktes Bein gegen unseren Stürmer im Strafraum, wo man jedes Mal hätte Elfmeter geben können (ja, wenn nicht müssen) sowie eine Abseitsentscheidung gegen uns, die man nicht hätte pfeifen müssen.
Dagegen pfiff der Schiedsrichter einen Elfmeter gegen uns, weil Elyounoussi den Ball mit dem Oberarm berührte und das an einer Stelle, wo der Arm nicht nur angelehnt war, sondern auch angewachsen ist. Eine Ballkontaktvermeidung wäre ihm hier nur durch eine Ad-hoc-Amputation möglich gewesen, was ihm dann allerdings als „unnatürliche Armbewegung“ ausgelegt und ebenfalls bestraft worden wäre. (Für unser Verständnis wäre Letzteres nachvollziehbarer.)
Es war, wie es war, und so kam die Heimmannschaft kurz vor der Halbzeit mit ihrem 2. Torschuss zum 1:1-Ausgleich.
Ja, wir führten – zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht den Gegner vor, aber immerhin im Spiel. Das Tor erzielte der letztlich an allen fünf Toren beteiligte Firmino fünf Minuten, nachdem er fünf Zentimeter vor dem Strafraum von den Beinen geholt wurde, mit dem Kopf.
Es war das Ergebnis der ersten schnellen Ballstafette im Mittelfeld. Balleroberung, Ballsicherung, schnelles Umschaltspiel, Ball auf die Außen, von Johnson nach innen, von Firmino ins Tor.
Auch wenn es der eine oder andere Traditionsfundamentalist (hiermit beantragen wir Titelschutz für den Begriff „Talifan“) nicht gerne hört: Das ist moderner Fußball!
Einfach. Schön. Erfolgreich.
Zugegeben, das ist geschrieben in Kenntnis des Spielausgangs. Im Moment des Spielgeschehens sah das anders aus: wieder so eine „blöde Szene“ kurz vor der Halbzeit. Wieder dieses Gefühl der Unsicherheit, ob sich die Mannschaft wieder wird fangen können.
Wieder und wieder diskutierten wir, ob man dem DFB nicht etwas zu Weihnachten schenken soll, was hilft, das Regelwerk den Realitäten anzupassen. Wir dachten da an den „Prometheus LernAtlas der Anatomie“ (Thieme, Stuttgart 2011; 3., überarbeitete und erweiterte Auflage.)
Aber wieder waren kaum mehr als fünf Minuten gespielt, da waren diese Sorgen verschwunden und wir uns sicher, dass wir uns die 75 € fürs das Weihnachtsgeschenk würden sparen können. Außerdem sah es so aus, als ob wir die für Wichtigeres benötigen: Beta-Blocker, z. B. – und dies diesmal nicht wegen eines Swingers in Schwarz.
Die Entstehungsgeschichte zum 3:1 macht am deutlichsten, warum das Ergebnis täuscht, dass es weniger die Stärke unseres Teams war, die zu diesem deutlichen Sieg führte, als die Schwäche des Gegners.
Freistoß an der Mittellinie. Vestergaard will ausführen, denkt an links, an rechts, an nach hinten spielen, drischt ihn dann aber wieder nach vorn und übersieht dabei den vor ihm stehenden Gegenspieler, der den Ball abblockt, aber zum Glück sofort wieder (unnötigerweise) verliert. Erst jetzt kommt der Ball auf unsere rechte Seite, wo er dann letztlich von Firmino nach innen und Modeste über die Linie gebracht wird. (Und das so, dass man am Fernsehen erst dachte: Außennetz.)
War das 2:1 schon toll von Firmino vorbereitet (ein gerader Ball in den Lauf von Volland, der aus demselben denselbigen ins lange Eck drosch), war das 3:1 am Ende einfach großartig gespielt, auch wenn die Szene einen Anfang nahm, die eher nach einem 2:2 aussah.
Das 4:1 toppte das Ganze dann. Wieder über rechts (diesmal mit maximal fünf Ballberührungen von der eigenen Grundlinie bis fast auf die des Gegners), wieder Firmino, wieder nach innen, wieder Modeste, wieder über die Linie – ganz ohne optische Unsicherheit.
Beim 5:1 kam dann auch die Lichtgestalt des deutschen Fußballs ins Spiel. Als Firmino halbrechts im Strafraum der Hanseaten stand und nicht wusste, wohin mit dem Ball, schoss er ihn halt – und wie das dann in solchen Spielen so ist – ins Tor.
Dann kam Schipplock, der auch sofort nach seiner Einwechslung aufs Tor schoss, was einen hoffen ließ, dass Hoffenheim zum ersten Mal in seiner Zeit als Bundesligist in einem Ligaspiel ein halbes Dutzend Tore erzielt. Aber dazu kam es nicht, was gut ist, da jeder weitere Treffer noch gefährlicher hätte werden können, weil man dann vielleicht doch zu der Überzeugung gelangt wäre, man war so überlegen.
War die Mannschaft nicht. Sie war gut – und das auch nicht über die kompletten 90 Minuten. Aber es muss ja nicht immer alles rund sein, um perfekt zu sein. Bestes Beispiel hierfür neben unsrer gestrigen 11: Dave Brubecks im 5/4-Takt verfassten und niemals gestrigen
„Take Five“.
(Bildquelle: Uwe Grün, Kraichgaufoto)
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