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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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50+1 – Die überbewertete Regel

50+1 – Die überbewertete Regel

2.050 + 1 Worte zu …

Information und Agitation

Was dem Inder die Kuh, ist den Traditionalisten die 50+1-Regel, über die heute bei der DFL entschieden und in den diversesten Medien und Foren seit Tagen immer hitziger diskutiert wird. Doch dieser Regel geht es wie so ziemlich allen Heiligtümern: Sie nutzen sich ab.

Gut, es gibt Ausnahmen wie die Kaaba in Mekka, die Klagemauer in Jerusalem oder der thailändische König, obwohl Letzteres ja seit dem 13. Oktober 2016, dem Tod von König Bhumibol auch nicht mehr vom gesamten Volk unwidersprochen hingenommen wird. Nun ist das noch nicht evident, da eine einjährige Staatstrauer verordnet wurde, und vielleicht gelingt es dem Thronfolger doch noch, die Liebe seines Volkes zu gewinnen, ohne dass die in dem beliebten Reiseziel alles entscheidende Macht, das Militär, für die Aufrechterhaltung dieses Heiligtums sorgen muss. Aber auch bei der Klagemauer gibt es erste Anzeichen des eher Irdischen:

Nun also geht es „wirklich um alles“, wie Manuel Gaber in einem Interview auf Spiegel Online sagt. Er ist der Initiator einer Petition, die das Ziel hat, die 50+1-Regel aufrechtzuerhalten. Stolz verweist man darauf, dass mehrere tausend Fanclubs diese Petition unterschrieben haben. Gewiss ist dies ein Erfolg und zeigt, wie groß das Interesse an dem Thema ist.

Aber: Online-Petitionen sind vieles, nur nicht repräsentativ. Aussagekräftig sind sie auch nicht, da sie außer Masse nichts zu bieten haben. Es fand kein Diskurs statt, niemand weiß, warum diese Entscheidung gefallen ist. War man einfach dagegen? Will man, dass alles so bleibt, wie es ist? Oder weniger? Oder ist man einfach nur der Meinung, dass der Fußball als solches zu kommerziell wurde? All das sagt die Zahl nicht.

Die Wandfarbentöpfe des Teufels, die warnenden Beispiele der Traditionalisten, was alles passieren kann, wenn Investoren das Sagen haben, sind so bekannt wie unglücklich, denn sie passen einfach nicht.

TSG 1899 Hoffenheim – Natürlich konnte das Magazin „11 Freunde“ nicht umhin, unseren kleinen Dorfklub als mahnendes Beispiel heranzuziehen, der „von Gönner Dietmar Hopp mit abgerundeten 350 Millionen Euro in die Bundesliga gewuchtet wurde, die bis aufs erste und vergangene Jahr vorwiegend in den Kasematten der Tabelle herumgeisterte und allein in ihrer kurzen Bundesligazeit ab 2008 beeindruckende neun Trainer beschäftigt hat?“

Dieser Satz ist zuerst einmal aufgrund seiner Rhetorik zu loben. Er lässt alles weg, was dem eigenen Ansinnen abträglich ist, verdreht das Gute ins Negative, fast schon Lächerliche und nennt zusammenhanglos Zahlen, wobei man dem Chefredakteur zugute halten muss, dass er wohl so fair war, Interimstrainer Kramer nicht zu zählen. Dafür wurde unterschlagen, dass z. B. Ralf Rangnick und die TSG sich genau deshalb trennten, weil Dietmar Hopp nicht länger Financier der feuchten Fußballträume von Herrn Rangnick sein wollte, dass Pezzaiouli ohnehin nur eine Notgeburt war und Huub Stevens nur als Übergangslösung engagiert wurde, sein Engagement aber bekanntlich aus gesundheitlichen Gründen früher beenden musste.

Aber belassen wir es bei der genannten Zahl und ordnen sie ein: Danach haben wir laut der Auflistung der Trainer seit 2007 auf ran.de zwar 200% mehr Trainer gehabt als der SC Freiburg, aber halt nur 50% des HSV und genau so viele wie der FC Bayern. Der VfB Stuttgart und Schalke 04 hatten ihrerseits wiederum im gleichen Zeitraum 50% mehr Trainer als wir. Was also hat das mit der 50+1-Regel zu tun?

Liegt das nicht eher an den Ambitionen des Vereins, der Fans und nicht zwangsläufig eines Investors? Kommen die Trainer-Raus-Rufe sowie XY muss weg-Suaden jetzt mehr aus den Logen oder von den (Steh-)Rängen, um nicht böse zu sagen, den billigen Plätzen, die den Verein, wenn er ihnen nachkommt, teuer zu stehen kommen (können)?

Die nächste Zahl: 350.000.000,00 €. So, wie es Herr Köster darstellt, floss alles in Beine. Zugegeben, einiges davon wurde in fast schon extremer Weise in jene und vor allem die falschen Extremitäten sowohl trainer- als auch spielerseitig gesteckt, aber ein Gutteil des Betrags wurde in Beton investiert: Stadionneubau, Trainingszentren, Nachwuchszentren – und davon profitiert die ganze Liga, die sich gerne aus unserer Quelle der Qualität bedient: sowohl in Sachen Trainern als auch (Nachwuchs-)Spielern und auch im Umfeld von Nachwuchsleitung bis Greenkeeper.

Wir verstehen schon, dass Herr Köster all das in seinem Beitrag nicht erwähnt hat. Er nennt ihn ja „Plädoyer“, also einseitige Darstellung, in dem er ja darlegen möchte, warum es sich lohne „für 50+1 zu kämpfen“. Er hätte es natürlich auch erwähnen können und als löbliche Ausnahme aufführen können, aber in einem „Plädoyer“ geht es ja mehr um Agitation denn Information.

Hier wäre es auch der Diskussion zuträglich gewesen, hätte er erwähnt, was auch Fakt ist: Was im „modernen Fußball“ schief lief, lief schief während der 50+1-Regel. Wo will man anfangen?

Aachen? Osnabrück? Kaiserslautern?
Alles klassische „Traditionsvereine“, die sich allesamt verkalkuliert oder gar verzockt haben, wofür nicht nur der Verein büßen muss, sondern vor allem die Steuerzahler, also die Gemeinschaft. Hätte hier ein Investor das Zepter in der Hand gehabt, hätte es nicht wirklich schlechter laufen können, nur wäre es eben das Geld aus seinem Säckel gewesen – und nicht das der Öffentlichen Hand.

1860 München? HSV? Ja, auch der BVB?
Alles Vereine, die sich zahlungskräftige Unterstützung geholt haben und bis auf Letzteren sportlich, wirtschaftlich und auch perspektivisch ziemlich in der Krise stecken. Und die Dortmunder, immerhin der einzig börsennotierte Verein der Bundesliga, hatten auch nur riesen Dusel ehedem, dass sie sich in der Liga halten konnten und von DFL/DFB aufgrund gewisser Ungereimheiten nicht belangt wurden. (Die Chronologie zum Nachlesen)

Und auch wenn sich die jetzigen Vereinsoberen zum großen Fürsprecher des status quo aufspielen, es waren nicht zuletzt sie sowie der FC Bayern, die Anfang dieses Jahrtausends mit spanischen Verhältnissen, also Eigenvermarktung gedroht haben. Nur so zur Einordnung, wie das mit dem „modernen Fußball“ begann. Die Hopps und Mateschitzens dieser Welt hatten damit nichts zu tun. Vielmehr wurde daraufhin die DFL gegründet, was den 36 Mitgliedsvereinen allesamt satte Einnahmen in nie dagewesener Höhe sicherten – insbesondere durch Trikotwerbung, weitere Werbe-/Sponsoren und vor allem Fernsehgelder.

Es ging fast ein Jahrzehnt ins Land, in dem sich im Wesentlichen immer dieselben Mannschaften aus den immer größeren werdenden Trögen der TV-Anstalten bedient wurden.

2007 gelang es der TSG als erstem Verein, diese Phalanx der Etablierten zu durchbrechen. Natürlich wäre das ohne die sieben-, acht-, neunstelligen Zuwendungen durch Herrn Hopp nicht möglich gewesen. Aber er war nicht schuld daran, dass es nötig wurde. Das war im Grunde das Kicker-Kartell der DFL.

Und trotz all der Jahre Vorsprung bei der Alimentierung durch Sponsoren und Fernsehsender via DFL konnten sich zahlreiche Mannschaften nicht in den beiden Oberhäusern halten. Was hat das mit der 50+1-Regel zu tun? Ist das nicht alles viel einfacher? Lässt sich das Ganze nicht auf den einfachen Nenner bringen:

Hast du gute Leute an der Spitze, läuft’s spitze.

Hast du Pfeifen an der Spitze, geht’s meist in den höchsten Tönen los,
aber letztlich geht ihnen die Luft aus.

Englische Verhältnisse sind auch ein gern genommenes „Argument“, das für den Erhalt der 50+1-Regel heran- und mit Nasenring durch die Manege der Meinungsmacher geführt wird, wobei es eigentlich nichts zu sehen gibt, denn das eine hat mit dem anderen wenig bis nichts zu tun.

In England war der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht bereit, jede Summe im Wettbieten um Übertragungsrechte zu zahlen. Also bekamen es Privatanbieter, denen es ihrerseits wiederum gelang, genug Käufer/innen für ihr Angebot zu finden. Wenn das bei uns mit Sky und Eurosport so schlecht läuft mit unterschiedlichen Techniken, Decodern etc., dann hat das einerseits mit Kartellrecht zu tun, andererseits mit einer schlecht formulierten Ausschreibung seitens der DFL. Sie hätte das zur Bedingung machen können. Hat sie nicht. Und hat nichts mit der 50+1-Regel zu tun.

Dass auf der Insel die Ticketpreise exorbitant hoch sind, hat was mit Angebot und Nachfrage zu tun – und die Nachfrage dort ist eben riesig. Aber dazu kommen auch sehr spezifische Rahmenbedingungen, die noch aus der Hoch-Zeit der Hooligans rühren. Ein anonymer Ticketkauf ist nicht überall möglich. Und natürlich dienen die hohen Preise auch dazu, gewisse Menschen von der Teilhabe im Stadion auszuschließen. Damit wollen wir nicht sagen, alle Hools seien arm, was und weil es ja bekanntlich falsch ist, aber die Vereinsoberen nutzen ganz offensichtlich diese Möglichkeit, die Stadien friedlicher – und friedfertiger zu machen. Das Alkoholverbot im und rund ums Stadion ist eine weitere Maßnahme, die der Verein gemeinsam mit der jeweiligen Stadtverwaltung nutzt, um dieses Ziel zu erreichen. Warum sollte es in Deutschland so werden, wenn die 50+1-Regel nicht mehr bestünde? Auch jetzt gibt es schon bei manchen Spielen nur alkoholfreies Bier. Und warum sollten in Deutschland die Eintrittspreise steigen, wenn Fußballabteilungen der Clubs von einem Investor geführt werden? Weil die Nachfrage so hoch ist? Weil jeder Preis bezahlt würde?

Würde er nicht. Nicht bei uns – und damit ist jetzt nicht nur Hoffenheim, sondern ganz Deutschland gemeint. Und wenn die Stadien dann mal leer bleiben, dann kommt es einem Investor auch nicht auf das wenigere Geld durch Ticketverkauf an, das bei den meisten Clubs in deren Bilanz sowieso eine eher untergeordnete Rolle spielt, sondern auf den Wert seiner Investition: geringere Resonanz im Stadion, geringere Relevanz vor Ort, geringere Akzeptanz bei den Menschen, geringere Sympathiewerte, geringere Chancen, einen richtig guten Coup in Sachen Sponsoren und/oder Marketing zu finden, also weniger Einnahmen, hochwahrscheinlich weniger gute Spieler, weniger gute Spiele, weniger sportlichen Erfolg, weniger wirtschaftlichen Erfolg, d.h. sein Investment würde immer weniger wert.

Es sei denn, er spielt financially unfair. Aber auch das ist nicht die Sache der 50+1-Regel, sondern der Verbände, auf die Einhaltung ihrer Vorgaben zu achten sowie die dafür vorgesehenen Strafen auch konsequent durchzusetzen. Dass sie das nicht tun, ist sehr beklagenswert – und erschüttert das Spiel weit mehr als die Sponsoren jeden Firlefanzes, Kiss-Cams und alkoholfreies Bier – wobei die FIFA da mit Budweiser schon grenzwertig agiert hat.

Es geht nicht um die 50+1-Regel. Es geht darum, dass kein Schindluder mit dem Sport getrieben wird – und es wäre auch schön, wenn die Öffentliche Hand sich von der Haftung für Idioten fernhielte. Welches Land / welche Kommune hat schon wirklich Geld für einen Stadionum- oder gar -neubau? Und wenn sie es hat, warum investiert sie es nicht lieber in Schulen und Pflegeeinrichtungen sowie deren Personal?

Also geht es bei der ganzen Diskussion doch eigentlich nur um eines: die Vermeidung potenzieller Katastrophen durch Egomanen.

Ob das nun irgendwelche Vereinsmeier sind, die sich irgendwie um ihren Klub verdient gemacht haben, oder fadenscheinige Investoren, die weder Ahnung noch Gespür weder vom Sport noch von den Fans haben, Scheiße können sie alle bauen. Braucht es halt eine Aufsicht.

Hallo, DFL. Die DFL hat die Macht, derartige Probleme zu vermeiden, indem sie beispielweise ein Engagement komplett zulässt, allerdings Bedingungen daran knüpft. Das könnten sein:

  • das Verbot, Vereinsfarben und –logo innerhalb der nächsten zehn Jahre gravierend zu verändern. Ein Antrag auf Veränderung muss beispielsweise drei bzw. fünf Jahre vorher angemeldet werden.
  • Die Höhe des Engagements muss in gleicher Summe bei der DFL hinterlegt werden.
  • Zinserträge hieraus lässt die DFL dem DFB zur Förderung von wemauchimmer/wasauchimmer zukommen.
    Sollte wer eine börsennotierte AG daraus machen wollen, ließe sich bestimmt auch etwas Ähnliches für mögliche Dividendenzahlungen finden.
  • Diese Bürgschaft muss von einem Käufer mit übernommen werden.
  • Zieht sich ein Investor zurück, ohne seine Verpflichtungen nachzukommen, haftet er gesamtschuldnerisch bis zum jeweiligen Ende der Spielzeit, wird dann enteignet – und seine Bürgschaft geht zu 50% an seinen dann Ex-Verein – und die anderen 50% ebenfalls an den DFB zur Förderung von ebbes.
  • Oder man nimmt die Regel auf, wonach ein Verein, dessen Sponsor den Spielort eines Vereins verlagern möchte, was ja in den USA nicht unüblich ist, seine Lizenz verliert und dort in der untersten Regionalklasse neu beginnen muss. (Angeblich ist das in Schweden so.)

Solche Regeln ließen sich doch machen. Müssen ja nicht exakt so sein, aber wenn dem Verband wirklich was daran liegt, dass die Vereine international wettbewerbsfähiger werden und es sehr gute Spieler innerhalb Deutschlands nicht immer nur zu den Bayern zieht, dann kann er sich mal nicht nur als Interessensverteter der Vereine sehen, sondern auch des Sports und damit all jene Vereine in die Pflicht nehmen, die ihrerseits nur geld- und scheinwerfergeil sind.

Mit der heiligen Kuh der 50+1-Regel hat all das nichts zu tun. Aber es ist halt eine so ist es ja mit den Religionen: Sie haben wenig mit Fakten zu tun und viel mit Glauben – und wenn es einen Glauben gibt, den traditionelle Fußball-Fans, gerade wenn es um Veränderungen jedweder Art geht, vereint, dann den:

Das Ende ist nah!

Fakt ist: Der Fußball war noch nie weiter davon entfernt …

 

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