1899 Hoffenheim vs. VfL Wolfsburg
Sieg des Sports
Im Spiel der Ritter entscheidet eine Figur aus dem Taekwondo.
Es war wohl ein Twio Yop Chagi, der zuerst ihm den Muskel hat reißen lassen und uns metaphorisch gesprochen das Genick zumindest anbrach. Denn bis zu diesem ausnahmsweise zur Verteidigung genutzte gesprungene Seitwärtstritt, für gewöhnlich ein Angriffpoomse aus dem Taekwondo, von Ermin Bičakčić sah es sehr, sehr gut aus für die TSG. Hinten standen wir zumeist sehr sicher und lagen bis dahin völlig verdient 1:0 in Führung – dann aber Bičakčić am Boden.
Kurz zuvor musste unsere Trainer den dritten Wechsel vornehmen, weil unser Neu-Nationalspieler Sebastian Rudy der Bank signalisierte, dass er verletzt sei. Und nur wenige Minuten später kam es dann zu der letztlich spielentscheidenden Szene, die eigentlich gar keine hätte sein müssen, denn Chancen hatten wir genug, aber halt nicht das nötige Glück.
Es ging gut los – und wahnsinnig schnell. Es war beeindruckend zu sehen, was unser Trainer und sein Team da wieder für eine Mannschaft hingestellt hat, ja: Mannschaft – und kein Team, denn zum einen wurde da wirklich gekämpft, gelaufen und kombiniert, dass es eine wahre Freude war und man geneigt war, zwischendurch ähnlich künstlerisch gewerteten Sportarten wie Turmspringen oder Eiskunstlaufen, Wertungspunkte für Ästhetik zu vergeben. Zum anderen setzte sich da wirklich einer für den anderen ein – ganz im Gegensatz zur Verballhornung des Terminus „Team“, der ja gerade in Büros gerne als Akronym des Satzes „Toll, ein anderer macht’s!“ verstanden wird.
Das besonders Lobenswerte war bei aller Fokussierung auf die Offensive die Nichtvernachlässigung der Defensive, denn der Gegner war alles anderer als ein schlechter. Der VfL Wolfsburg verfügt ja über eine nicht nur nominell sehr starke Truppe. Auch taktisch, läuferisch, kämpferisch und eben auch technisch gehört die 11 aus dem ehemaligen Zonenrandgebiet gewiss zu den Besten der Liga. Daher war es von höchster Wichtigkeit, sein Passspiel vor allem präzise zu präsentieren, um dem Gegner erst gar keine Konterchance zu eröffnen – und auf nichts anderes lauerten die Gäste zu Beginn des Spiels.
Die ersten 20 Minuten waren einfach zum Zungeschnalzen und hätten auch mit dem 1:0 gekrönt werden können, ja fast schon müssen, aber bereits in der 7. Minute vergab Salihovic seine 1:1-Chance gegen den Gästekeeper.
Nach jenen 20 Tempominuten verflachte das Spiel, was aber nur derjenige den Spielern krumm nehmen konnte, der den Unterschied zwischen Fußball auf dem Rasen oder auf der PlayStation verkennt. Bei letzterem scheint den Akteuren auf dem digitalen Grün ja nie die Luft auszugehen. Unsere Jungs hatten da ja noch nominell 70 Minuten vor sich.
Und bevor man so weitermacht – und dann wie am vergangenen Spieltag gegen Bremen fast die komplette 2. Hälfte nur noch reagieren und hoffen kann, dass man sich und den Punkt irgendwie über die Zeit rettet -, ist es doch weiser, etwas Geschwindigkeit rauszunehmen, dafür aber, um nun, wo wir hier schon so viele andere Sportarten genannt haben, noch eine Formel 1-Analogie zu verwenden, auf der Schlussrunde noch über genug Kraftstoff zu verfügen, um einen Angriff zu starten, um vielleicht doch noch in der letzten Schikane den Gegner zu überholen.
Vielleicht waren es aber auch die Gäste, die ihrerseits mehr für die aktive Gestaltung des Spiels taten. Oder es war der Schiedsrichter. Denn es fiel auf, dass es in den ersten zwanzig Minuten so gut wie keine Spielunterbrechung gab. Plötzlich wurde mehr und mehr gepfiffen, auch Situationen, die zuvor ungeahndet blieben, und auf einmal war es „nur noch“ ein ganz normales Fußballspiel, wobei man nicht müde darf festzustellen: auf einem Top-Niveau.
Was für ein Unterschied zur Vor-Gisdol-Ära und was für eine Steigerung selbst zu deren Anfang – und damit nehmen wir lediglich Bezug auf die „schlechtere“ 2. Hälfte der 1. Hälfte. So viele Hüte kann man gar nicht tragen, wie man da vor ihm und seinem Team ziehen möchte – und muss.
Wirkliche Chancen blieben in der Phase Mangelware. Nicht, dass es unspannend war, aber packende Szenen gab es vor keinem der Tore, so dass auch keine im ersten Abschnitt fielen. So ging es mit 0:0 in die Pause, aber mir einer klaren Führung der TSG in Sachen A- und B-Note. (Die es ja nicht mehr gibt, aber den meisten unserer doch älteren Leserschaft durchaus noch ein Begriff ist.)
In der Halbzeit wurde natürlich das getan, was getan werden muss in so einem Spiel – außer Nahrungszufuhr und Austausch von Flüssigkeiten: Es wurde gefachsimpelt – und geschimpft. Dabei gab es gleich mehrere Spieler, die die Fans auf dem Kieker hatten, wobei es alles gab, bloß keine einhellige Meinung.
Das war sehr turbulent, denn da es wenig gibt, wo sich der Fußballfan so wenig von Lehrern und Journalisten unterscheidet wie der Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Ansicht, war der Hauptvorwurf dann doch der, dass der andere keine Ahnung habe.
Insbesondere an Modeste schieden sich Geister. Hat er nun die Bälle gut behauptet und viel, viel sicherer als in der Vorsaison oder hat er sie alle vertändelt? War Firmino wieder viel zu eigensinnig oder hat ihm der Raum nach vorne gefehlt? War Salihovic der ruhende Pol oder unfähig, das Tempo der anderen mitzugehen?
Jedenfalls blieb letzterer verletzt in der Kabine, was natürlich auch wiederum für Kommentare dergestalt sorgten, dass das ja klar sei, da es nächste Woche gegen den VfB gehe und er ja noch nie gegen den VfB gespielt habe, seit Ibisevic bei den Schwaben kickt. (Doch ein Mal, aber da war unser ehemaliger Mittelstürmer gesperrt. Ansonsten ein gerade bei einer Risswunde intellektuell wenig überzeugender Vorwurf.)
Für ihn spielte Elyounoussi, der keinerlei Eingewöhnungszeit brauchte, was wir auch schon wieder toll fanden, dass wir auch auf der Bank immer besser aufgestellt sind, so dass es immer besser möglich ist, personelle Veränderungen vorzunehmen, aber die Qualität unseres Spiels beizubehalten und gegebenenfalls zu steigern.
Zumindest war es unser Eindruck, dass unser Angriffsspiel variantenreicher wurde, wir mehr Räume hatten und dadurch zwangsläufig bessere Chancen. Schon bei der ersten Ecke in der zweiten Halbzeit für Hoffenheim war der Gästekeeper geschlagen, aber der Wolfsburger Verteidiger Jung klärte auf der Linie.
Doch unsere Mannschaft (s.o.) kämpfte weiter und diesmal wurden wir und einer der größten Kämpfer gestern auf dem Platz auch belohnt: Nach einem abgefälschten Schuss von Beck von links, erkannte Modeste als erster, dass da was gehen könnte, ging vor, und streifte mit seinem Stutzen den Ball, was danach auf der Anzeigetafel mit 30 km/h angegeben wurde (gefühlt war das ein „k“ zu viel“), und erzielte so das hochverdiente 1:0.
Sicherlich hatte er seine Aufstellung nur der Verletzung Vollands zu verdanken, aber er hatte sie genutzt, diese eine und eben seine Chance.
Mit der Führung war klar, dass das Spiel jetzt noch an Dramatik gewinnen wird, denn die Gäste haben hohe Ansprüche an sich selbst. Es war klar, dass sie nun ihrerseits versuchen werden, den Ausgleich zu erzielen, was uns wiederum Konterchancen eröffnen dürfte – und so kam es auch.
Die Wolfsburger verstärkten ihre Angriffe, unsere Abwehr wurde mehr und mehr gefordert, aber überfordert war sie nie. Im Gegenteil: Immer wieder gelangen kontrollierte Befreiungsaktionen, die zu Chancen führten, die aber leider allesamt vergeben wurden.
Dann kam es zu der eingangs beschriebenen Szene: Bičakčić und sein Twio Yop Chagi. Er landete sehr unglücklich und blieb minutenlang am Boden. Das sah nicht nur nicht gut aus, das war es auch nicht, weder für ihn, denn wie sich in der Zwischenzeit herausstellte, hat er sich dabei keine Zerrung, sondern einen Muskelfaserriss zugezogen, und zudem kamen zuvor Volland für Modeste und Zuber für Rudy, das hieß für die Trainer: Sie mussten umstellen, denn wenngleich nicht nummerisch, so spielten wir doch faktisch nur noch zu zehnt.
Anfänglich blieb Bičakčić noch hinten, aber schon beim ersten Tritt sah man, dass das gar nichts bringt, also stellte man ihn an die Mittellinie, Polanski in die Innenverteidigung und die beiden Stürmer auf die 6. Und genau in dieser Phase genügte den Gästen ein recht banaler Angriff über deren rechten Seite, ein simpler Pass nach innen, wo Olič nicht viel mehr machen musste, als seinen Fuß hinhalten. Eine Minute vor Schluss – der Ausgleich.
Danach schien es kurzzeitig so, als ob die Wolfsburger auf Sieg gingen, doch da stand dann die Abwehr wieder und das Spiel trödelte so auf das Ende der regulären Spielzeit hin, bis der Schiedsrichter nachvollziehbarerweise fünf Minuten Nachspielzeit anzeigte, was das Fanlager wieder spaltete:
Verlieren wir jetzt noch den einen Punkt (und die Dämonen der Vergangenheit wurden in Erinnerung gerufen, was auf der anschließenden Pressekonferenz auch von einer der anwesenden Journalistinnen versucht wurde, was Markus Gisdol aber sehr freundlich und bestimmt in das Land der Fabeln verwies (Auch wenn es danach klang, „Quatsch!“ und „Dummes Zeug“, sagte er nicht.)) oder haben wir noch die Chance auf den Sieg?
Die Optimisten sollten Recht behalten, wenngleich es aufgrund der zweiten Rettungstat eines Gästeverteidigers auf der Linie eben nicht zu einem Sieg reichte. Nachdem ein erst in der 2. Halbzeit eingewechselter Spieler (Er musste Gustavo ersetzen, dessen Spielfeldpräsenz von einem Bodycheck von Volland beendet wurde.) in der dann 94. Minute mit Gelb-Rot vom Platz flog, gab es noch einen Freistoß – und alle Langen waren vorne.
Daraus resultierte ein Eckstoß – und alle Langen blieben vorn. Doch es war weder Szalais noch Süles Kopf, der den Ball perfekt und wuchtig traf, sondern der von Andreas Beck, der das aber auch perfekt machte. Hart, flach, wuchtig ging das Spielgerät in Richtung Tor, die Fäuste waren schon wie die Stimmbänder gespannt, der Torwart geschlagen, aber dann schnellte eben wieder Jungs Bein vor.
Somit blieb es dann beim 1:1.
Ja, in Ordnung geht das Ergebnis schon, aber dennoch: Man hätte das im Duell der beiden Ritter-Mannschaften durchaus gewinnen können. (Ritter deshalb, denn es gibt in der Bundesliga keine anderen Trikots, die in ihrer eigenwilligen Gestaltung so sehr an die ehedeme Emblematik erinnern wie die von Hoffenheim und Wolfsburg.)
Aber es hat nicht sollen sein, und ungeschlagen sowie mit nur zwei Punkten zur Tabellenspitze und nicht zuletzt aufgrund der tabellarischen sowie landsmannschaftlichen Konstellation (8 vs. 18 bzw. Baden vs. Schwaben) gewiss auch bestens motiviert, halt den nächsten Gegner aus dem Sattel zu stoßen und weiter nach vorne zu galoppieren.
Somit heißt es nun, wie man im Taekwondo sagt:
準備
(chunbi – sich auf die nächste Übung vorbereiten)
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