1899 Hoffenheim vs. Liverpool FC
Mut? Los!
Des Wunders Erster Teil
Verloren. Verloren? Ein Spiel. Ja. Das Spiel. Das HINSpiel. Das WURDE verloren. Präteritum. Verloren aber IST nichts! Präsens. Denn noch haben wir die Chance zum Weiterkommen, auch wenn wir in einer Woche mehr als eine brauchen – und die auch besser verwerten müssen als die gestern Abend.
Gestern Abend. Was war das für ein Gefühl!? Was war das für ein Spiel!? Ein Hammer! Ein Kracher!! TSG Hoffenheim gegen Liverpool FC!!! Allein schon, wie das (immer noch) in unseren Ohren klingt!!!??? Wenn man sich hingegen die anderen Paarungen anschaut …
Nikosia – Prag. Bern – Moskau. Lissabon – Bukarest. Chrrr …
Aber das ist nun einmal Karma. Kaum war die Saison rum und klar, dass es möglicherweise gegen die Reds gehen könnte, sprach jede/r und alle/s nur noch von dieser einen Partie. Nicht, dass wir etwas gegen dieses Duell gehabt hätten, aber (zumindest dem ein oder anderen von uns) wäre Oktober oder November der bevorzugtere Termin gewesen.
Nun sollte es halt Mariä Himmelfahrt sein.
Kommando: Attacke.
„Scheiß dir nix, dann feit dir nix!“ – Das Motto, das Julian Nagelsmann aus seiner Heimat mit- und vor dem Spiel in der letzten Saison gegen die Bayern auch in der unseren bekannt machte, schien auch diesmal Pate für sein Spielkonzept gestanden zu haben.
Es bedurfte zwar einiger Minuten, bis wir nach dem Anpfiff wieder an den Ball kamen – und Oliver Baumann bereits einmal eine gute Chance der Gäste hatte parieren müssen, aber dann waren wir nicht nur im Spiel, wir dominierten es.
Natürlich machten es uns die Gäste insofern leicht, als dass sie uns weder sehr hoch angriffen, noch besonders tief standen, aber dennoch muss man erst einmal die Chuzpe haben, so selbstbewusst gegen einen solchen Gegner in einer solchen Situation anzutreten.
Immerhin war es #DasErsteMal – und wir alle wissen, dass dies eine Situation war, die wir zwar immer herbeigesehnt hatten, aber uns dann, als es so weit war, nicht nur die Knie weich wurden. Und letztlich gelang es uns allen erst Jahre später, mit einem Lächeln an die an sich peinliche Situation zu denken oder gar darüber zu reden, denn eigentlich dürften die meisten (Männer) im entscheidenden Moment kläglich versagt haben.
Vielleicht hilft diese Erinnerung, die du, geneigte/r Leser/in jetzt in deinem Kopfkino haben dürftest, mehr Nachsicht mit Kramaric zu haben.
Alles war vorbereitet, nachdem der Schiedsrichter sich nach langem Überlegen dazu entschied, nicht Altersschwäche als Ursache für Gnabrys Sturz im Strafraum zu sehen, sondern eben Fremdeinwirkung durch einen Gegenspieler. So lag das Ziel offen und breit vor ihm, er hatte freie Bahn, er nahm etwas Anlauf, kam zum Schuss, aber – und spätestens jetzt ist Schluss mit dieser profanen Analogie – hätte er es nicht auf die sanfte Tour in die Mitte versuchen sollen, sondern das Ding ganz unromantisch schlicht reinhämmern.
Tat er nicht. Der Schuss war mehr was zum Kuscheln, und so wurde aus dem vermeintlichen Höhepunkt in der 12. Minute ein Rohrkrepierer.
Es war Wagner, der das „Mach-dir-nichts-draus-das-kann-jedem-mal-passieren!“ übernahm und hernach die Mannschaft noch mehr das Spiel.
Die Ballstafetten aus der Abwehr übers Mittelfeld in den Sturm waren wahrlich herrlich anzuschauen. Es hatte fast schon was von einem Konsolenkick, was die TSG da aufs championsleagueblau umrandete Grün, ja, man muss fast schon sagen: zauberte.
Das Dumme an all diesen Tricksereien: Sie müssen funktionieren, denn wenn nicht… scheiße. Zumal jeder weiß, dass das das Spiel des Jürgen Klopp ist: Balleroberung bzw. das Warten auf Fehler des Gegners inkl. Ballgewinn und dann so schnell und direkt wie möglich vors und den Ball ins Tor. So ward es auch geschehen, nachdem wir tief in der Liverpooler Hälfte, Vogt stand am „offensiven Ende“ des Mittelkreises als letzter Mann, im Spielaufbau den Ball verloren, der dann direkt in die Tiefe gespielt wurde, so dass der Gegner sehr frei auf Baumann zulaufen konnte. Er kam auch zum Abschluss, denn so ganz gelang es Vogt nicht, seine nahezu 20 Meter Rückstand auf den Stürmer auf den verbleibenden 60 Metern abzunehmen. Aber eben fast, so dass der Ball auch nur fast im Tor landete.
Das war schon sehr beeindruckend – sowohl wie schnell Liverpool umschalten kann als auch welche Fahrt Vogt aufnahm. Überhaupt war er eine Bank, der unserer Abwehr gerade im Zentrum viel Stabilität verlieh, während es um ihn rum, wenn es denn mal schnell wurde, auch sehr schnell gefährlich ward.
Nach etwas mehr als einer halben Stunde Spielzeit hatte Bicakcic erneut im Sprintduell gegen seinen Gegenspieler das Nachsehen – und das seinerseitige Nachfassen wurde korrekt mit Freistoß und Gelb bestraft.
Dass dieser dann genau zu dem führte, was wir so gar nicht gebrauchen konnten, nämlich ein Tor der Gäste, lag zum einen natürlich an dem klasse platzierten Schuss. Allerdings wäre gar nichts passiert, wäre Rupp hochgesprungen oder hätte Baumann die Mauer wie die Orgelpfeifen aufgestellt mit den langen auf der linken Seite. War nicht, dafür der Ball drin.
Bis dahin: ein schönes Spiel.
Jetzt: schöne Scheiße!
Und eine Steilvorlage für den typischen Pessimismus in unserer Heimat, denn plötzlich ward die Stimmung, die bis dahin gut, zum Teil sogar sehr gut war, dahin. Und wäre da nicht Wagner gewesen, der sich so, wie er sich rund zwanzig Minuten zuvor um Kramaric kümmerte, nun um die akustische Gunst des Publikums buhlte, sie wäre wohl völlig in den Keller gerasselt, denn derjenige, den das ganze Champions League-Theater am nervösesten machte, war der profane TSG-Fan.
Schon im Vorfeld sprach so gut wie niemand von einem Sieg. (Wir hingegen mit einem Liverpooler Fußballblog. Was? Kann man hier nachlesen!) „Ohne Gegentor“ war das höchste Begehr, das man sich zu äußern wagte. Wer 2 oder gar 3:0 tippte, lief Gefahr, von seinem Umfeld der Geisteskrankheit („Du bisch jo wahnsinnisch!“) gescholten und zeitnah eingeliefert zu werden.
Dieser Wunsch hatte sich durch den Freistoß nun nicht erfüllt und nun schien klar, dass es jetzt nur noch bergab würde gehen können. Wirklich optimistisch oder gar resilient ist der Hoffe-Fan an sich nicht.
Der Hoffe-Fan, der stehend in der Südkurve saß, sei hiervon explizit ausgenommen. Das begann schon mit der Anfangschoreografie (die auf einem sehr schönen Motto für das Play-Off-Spiel basierte: GEMEINSAM NACH DEN STERNEN GREIFEN!) …
… und ging in den Anfangsminuten und selbst nach dem Rückstand weiter. Es war wirklich großartig, wie sie alles versuchte, Mannschaft und Ränge zu motivieren, weiter an sich und eine mögliche Wende zu glauben. Bei der Mannschaft hat es sogar einigermaßen geklappt, denn, obgleich der Schock natürlich tief saß, gab sie sich nicht auf, sondern weiter Vollgas, auch wenn sie bis zum Halbzeitpfiff nicht mehr in den höchsten Gang schaltete.
Nachvollziehbar, denn noch mehr als das 1:1 zu erzielen, wollte unsere Elf ein 0:2 vor der Pause vermeiden – was gelang.
Und danach noch mehr noch besser. Auch wenn sich die Gäste inzwischen besser auf die Kombinationen insbesondere durch die Mitte mit Demirbay, Wagner, Gnabry eingestellt hatten, konnten sich nur Kaderabek und Zuber etwas mehr in Szene setzen. Wir erzielten sogar ein Tor, was aber wegen Abseits nicht gegeben wurde.
Doch des ungeachtet lief unsere Mannschaft weiter an – und den Gästen ins Messer. Ein langer Ball auf deren linken Seite, eine akzeptable Flanke sowie ein kleines bisschen zu viel Brustumfang des inzwischen eingewechselten Nordtveit genügten, und wir, die TSG, lagen 0:2 zurück, und wir, die wir so mannstark wie selten zuvor unserer Europa-Premiere beiwohnten, mit dem ebenfalls kurz zuvor eingewechselten Amiri im Hader.
Selbst wenn er anderer Meinung als der Schiedsrichter ist, hat er sich weniger um ihn als um den Ball zu kümmern. Sich darüber zu echauffieren, dass der Freistoß rund fünf Meter vom Tatort entfernt ausgeführt wurde und der Ball bei der Ausführung nicht ruhte, ist ein Privileg für die Mannschaft, um die Frustration bei wem abzulassen, aber eigentlich ist das Kindergarten. Natürlich war das Tor, so gesehen, irregulär, aber es war vor allem unnötig und noch ärgerlicher eben, dass es nicht von einem derer verursacht wurde, die sich schon seit über einer Stunde die Seele aus dem Leib lief, sondern recht frisch auf dem Platz war.
Diese Frische war mit dem 0:2 natürlich dahin. Selbst bei Wagner, der nun nicht mehr in der Lage war, seine Enttäuschung zu kompensieren. Zwar stand er schnell wieder am Anstoßkreis, aber Körperspannung war weg – und das Publikum darf sich jetzt mal gefälligst um sich selbst kümmern.
Nun war die RHEINECKARENA in der letzten Saison eine uneingenommene „Festung“, ein eine große Bedrängnis verursachendes, Gefahr bergendes, unüberschaubares und unentwirrbares, laut lärmendes Durcheinander herrschender Ort, wie der Duden „Hexenkessel“ definiert, war sie leider, leider, leider, leider, leider – leider, leider, leider ohne Klatschpappen nie.
Das war schon recht trostlos, was da zu spüren war. Natürlich wäre es schöner gewesen, die Fans hätten sich just in dem Moment als viele 1000 John McCains herausgestellt, die wissen, dass es eigentlich nur ein Motto in einer ausweglosen Situation gegen eine super organisierte Truppe geben kann: Jetzt erst recht! Aber so sind wir halt noch nicht. Eine neue Situation für die Fans und mit der kamen sie gar nicht zurecht. So fühlte sich die letzte Viertelstunde mehr an nach „mimimimi“ und „Hülf, es reicht!“
Doch es gibt zehn Gründe zur Hoffnung, denn …
- Die Mannschaft gab sich auch nach dem 0:2 nicht auf.
- Die Mannschaft spielte weiter mutig nach vorn.
- Uth erzielte noch das 1:2.
- Hübner hätte in der Nachspielzeit fast noch den Ausgleich erzielt.
- Der Fußballgott kann nicht zweimal hintereinander so grausam sein.
- Julian Nagelsmann sagte, dass wir auch in Liverpool ein gutes Spiel abliefern werden.
- Die Fans, die mitfahren, sind keine Eventfans.
- Julian Nagelsmann sagte, dass wir auch in Liverpool ein gutes Spiel abliefern werden.
- Die Fans kennen diese Mitdemrückenzurwandsituationen schon und werden entsprechend geschlossener und (laut)stärker die Mannschaft unterstützen.
- Julian Nagelsmann sagte, dass wir auch in Liverpool ein gutes Spiel abliefern werden.
Dass wir dort selbst in doppelter Teamstäke auflaufen werden und (fast) jeder von uns sein Gelübde, beim ersten offiziellen Auswärtsspiel der TSG beizuwohnen, erfüllen kann, mag den Fußballgott (hoffentlich) ebenfalls gnädig stimmen, aber welchen Einfluss hat schon unsere Präsenz jenseits handfester Energetik?
Da sind wir ganz das, was wir auch bleiben: realistisch.
„Entschuldigen Sie bitte, wie komme ich am schnellsten ins Olimpijskyi-Stadion nach Kiew*?“
„Geradeaus durch die Anfield Road.“
* Dort wird am 26. Mai 2018 das Finale der UEFA Champions League 2017/18 ausgetragen werden.
In diesem Sinne:
1:3
🙂
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