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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. Borussia Mönchengladbach

Framing statt Blaming

Schwarmintelligenz ist kein Synonym für Rudelbildung

Wir könnten es vulgärer ausdrücken, aber das braucht es nicht. Wir könnten es an großen Beispielen episch ausführen, aber auch das braucht es nicht. Es braucht eigentlich nur Klaus Kinski und George Michael.

Und wer, glaubst du, geehrte/r Leser/in, steht wofür? Genau: Klaus Kinski steht für die Poesie, George Michael fürs Plumpe. Zumindest in dem Beispiel, wo es um ihre Interpretationen geht.

Kinskis Rezitation des bekanntesten Gedichts „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ aus Zechs Büchlein „Die lasterhaften Lieder und Balladen des François Villon“ aus dem Jahre 1930 sagt im Wesentlichen dasselbe wie der Text des Liedes „I want your sex“ aus dem Jahre 1987, das es in Deutschland im Juni jenen Jahres immerhin auf Platz 3 in den Charts schaffte.

Die Botschaft ist bei beiden inhaltlich – nur ganz anders formuliert – selbstredend mit der Absicht, das Verhalten des Empfängers/der Empfängerin zu lenken – der eine eher in die poetische Richtung, der andere mehr in … eine profane.

Dieses unterschiedliche Formulieren einer identischen Botschaft, um Verhalten auf der Empfangsebene zu steuern, nennt man neudeutsch „Framing“. Man könnte es auch schlicht „Schönsprech“ nennen, aber das trifft zwar oft, …

  • „Negativwachstum“ ist so eine Vokabel, die so viel besser klingt als „Verlust“/“Rückgang“.
  • „entsorgen“ wirkt ganz anders als „wegwerfen“.
  • „verhaltensauffällig“ meint nie einen besonders gütigen Menschen

… aber nicht immer zu:

  • „Flüchtlingswelle“ klingt bedrohlich nach etwas, was einen sowie sein Eigentum zerstört, wegspült.
  • „sozial schwach“ ist gewiss nett gemeint, um arme Menschen nicht als solche zu stigmatisieren, aber eigentlich ist das viel schlimmer, denn es impliziert, Wirtschaftskraft und Empathie eines Menschen seien zwangsläufig auf demselben Niveau.

Irreführend zumindest ist der Begriff der „erneuerbaren Energien“, denn es klingt, als ob eine Energie verloren gehen könnte, was physikalisch nicht so ist. Zudem sind Energiequellen gemeint, für deren Wiederherstellung es aber keinerlei Mitwirkung des Menschen benötigt. Diese Quellen (Sonnenlicht, Luft, z. T. Wasser) sind einfach da.

Ja, das mag etwas dibbelschisserisch sein, aber wenn etwas 1,99 € kostet, dann kostet es 1,99 €. Der Person an der Kasse reichen 1,98€ nicht, und wer würde nicht ein entrüstetes „Entschuldigung?“ von sich geben, wenn jene Person einem auf 2,00 € nicht rausgäbe? (Trinkgeld ist ein faszinierendes psychologisches Feld.)

A propos Psychologie:

Ein anderes Wort, das heutzutage gerne die Runde macht, um diversen Portalen im Internet eine Art Plausibilität oder gar Relevanz zu geben, ist der Terminus der „Schwarmintelligenz“.

Nun ist der Begriff nicht an sich falsch. Es gibt sie durchaus, aber das halt im Tierreich, wo Schwärme halt auch natürlich vorkommen (Vögel, Fische). Hier gilt diese Oberbezeichnung auch für alle anderen Tierkollektive, die es so gibt, z. B. Rudel (Hunde, Löwen), Herde (Pferden, Kühe, Emus etc.), Sippe (Ratten, Mäuse), Kolonie (Ameisen, Biber), Schoof (Enten, Gänse) und Schule (Delfine, Wale). Und obwohl naheliegend, nein: Rudelbildung ist kein Synoym für Schwarmintelligenz.

Weder auf dem Spielfeld noch im Digitalhabitat einer ganz besonderen Spezie Mensch, bei denen es zuvörderst um Schuldzuweisung geht („blaming“).

Diese Spezie rottet sich gerne mit ihre Unartgenossen in (meist geschlossenen) Echokammern zusammen, wo man sich gegenseitig immer mehr in Rage bringt, was zu hochinfektiösen Wortauskotzungen führt.

Innerhalb dieser Gruppe ist dies nicht zu beanstanden, solange dies dort verbleibt. In der Vergangenheit haben sich solche Isolationen als für die Betroffenen nicht schön, aber für das Überleben der anderen als extrem hilfreich erwiesen, z. B. Leprastationen.

Diese Gruppen sind aber nicht so isoliert. Es sind Keimzellen mit semipermeablen Membranen, durch die die Erreger dieser logorrhoe vulgaris sich auf anderen, offenen Portalen und Medien epidemisch ausbreiten können, während Rationalität, Hirn, Verstand nicht in sie eindringen können.

Man kann und muss froh sein, dass unser Verein sich wohl optimal dagegen geimpft hat, denn bislang scheint er immun dagegen zu sein. Und es gelingt ihm, dass diese Erreger bei anderen potenziellen Muliplikatoren (noch) nicht zum Ausbruch kommen.

Dort weiß man, dass Alfred Schreuder den schwersten Job der Bundesliga hat (hier nachzulesen). Vielleicht sieht er das gar nicht so, rein beruflich. Menschlich gewiss, aber das bekommt er noch weniger mit, was vor allem daran liegt, dass er sich nach eigenen Aussagen nicht auf diesen „Sozialen“ Medien tummelt, denn was dort zu lesen ist, ist orthografisch, grammatikalisch, menschlich schwerst bis nicht verständlich.

Verärgerung? Selbstverständlich.
Wut, gar Hass? Selbstverständlich nicht.

Nur ein Sieg nach sechs Spielen, nur vier Tore (kein Team schoss weniger) – das kennt man anders, das will man anders – und es ist die Aufgabe Schreuders sowie die aller Verantwortlichen um die Mannschaft rum, dass dies besser wird. Natürlich muss einem das nicht gefallen, aber muss ja auch anerkennen, dass der Mann sein Bestes tut und die –schaft schafft.

Ohne jetzt auf die Abgänge sowie die Verletztenliste abheben zu wollen (Samassekou, Kramaric, Vogt, Belfodil, Zuber) spielte die Mannschaft in jedem Spiel nicht wirklich ideenreich, aber doch immer eine Idee besser. Als Team.

Im Team gibt es leider starke Schwankungen – auch von Spieltag zu Spieltag, aber als Entität machten sie es sehr ordentlich und besser als zuletzt.

So lief gegen Borussia Mönchengladbach der Ball nicht nur wie gewohnt in den eigenen Reihen, sondern er lief auch nach vorn, die Spieler liefen, und beides durchaus mit Speed. Das sah wirklich toll aus. Eigentlich hatten wir die gesamte erste Halbzeit Ball und Gegner kontrolliert. Naja, fast, denn kurz vor Pfiff hatte dummerweise nur erst Skov, der kurz zuvor noch selbst eine super Chance herausgearbeitet hatte, einen Zweikampf an der Mittellinie und im Zuge des Angriffs der Gäste unsere Defensive den Überblick verloren.

Auch zu Beginn der zweiten Halbzeit sah das alles sehr gut und gefällig aus, aber dann hatte halt Baumann geglaubt, er könnte mit seinem Wegdreschbein einen filigranen Eingriff einleiten. Sein Zuspiel auf Skov taugte allerdings nur als Vorlage für die Gäste, die im Gegensatz zu unserem Team nicht so zögerlich in deren Akzeptanz war.

Dankenswerterweise waren sie dann auch sehr spendabel, was das Auslassen von Größtchancen angeht, denn die Gäste hatten im Zuge der verstärkten Offensivbemühungen unseres Teams, insbesondere nach der Herausnahme von Posch, noch mehrere Hundertprozentige, von denen sie keine nutzten.

Dass wir dann doch noch den dritten Gegentreffer kassierten, war natürlich auch im Abwehrverhalten begründet, aber halt vor allem den Anstrengungen nach vorne – und mehr als anstrengen kann sich die Mannschaft nicht. Kein Spieler kann besser spielen, als er ist, aber jeder kann und vor allem das Team kann besser werden – und tut es auch, auch wenn die Ergebnisse das aktuell nicht hergeben.

Und das ist jetzt kein „Framing“, gewiss kein „Schönsprech“. Das Ergebnis ist nicht das, was wir uns wünschten, aber es ist wahrscheinlich das Beste, was derzeit mit dem Kader möglich ist – und der Kader ist nicht das Werk des Trainers. Im Gegenteil, er hätte ja noch gerne ein paar Spieler weniger …

Das Problem ist, dass der Verein die Erfolge Nagelsmanns nicht persönlich genug genommen hat. Man sah in ihnen eine Bestätigung des eigenen Weges, die eigenen Systematik etc., schließlich hat der Erfolg im Gegensatz zum Misserfolg angeblich immer viele Väter.

Fakt aber ist – und das wird aktuell gerade sehr deutlich –, dass gewiss alle ihren Anteil am Erfolg hatten, aber einer halt wesentlich mehr dazu beitrug, als alle anderen. Und als er nicht mehr so gut funktionierte, funktionierte das Ganze nicht mehr so gut. Und es drängte sich auch niemand mehr auf, einen Vaterschaftstest abzulegen, als die Bilanz auf dem Platz bereits in der letzten Saison nicht mehr so 100% stimmte. Vielmehr stimmte fröhlich, dass es die außerhalb des Platzes, die in den Büchern tat – und diese sogar besser denn je.

Geld ist ein sehr wichtiger Faktor – und natürlich ist es auch gut, dass sich der Verein seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist und so ökologisch wie möglich handeln möchte, ist aller Ehren wert, aber man hat nicht den Eindruck, dass der Fokus vollumfänglich auf dem Fußball liegt. Bei Schreuder tut er das mit Sicherheit.

Er scheint ein sehr netter, fast (schon zu) harmoniesüchtiger Mensch zu sein, der Wert auf das Menschliche und den Dialog legt, was auch im geographischen Umfeld der TSG weitaus weniger ausgeprägt ist als z. B. in den Niederlanden. Schon von Huub Stevens ward ja übermittelt, dass er ein eher kommunikativer Mensch war, dessen Art viele vor Ort befremdlich anmutete.

Nun kann man den Vulgärlogorrhoe-Infizierten im Internet (oder auf den Rängen) nicht absprechen, dass sie nicht kommunikativ wären, aber ihre Form ist mehr die des Monologs, die in der Erwartung des Widerhalls abgegeben wird („Echokammer“) nicht der des Widerspruchs. Dies würde ja zur Reflexion zwingen; es führt jedoch eher zur Eskalation.

Eine sachliche Analyse ist mit diesen doch humanoiden Lebensformen nicht möglich, zum Glück aber mit der Mannschaft und ihrem Spiel. Sie ist auch nötig.

Bislang wurden einzelne Bestandteile besser. Sie passen nur noch nicht so recht zusammen (und wohl deshalb die Spieler oft ins Nichts), aber das kann nur besser werden – … weiterlesen, sooo war es nicht gemeint – … also dies kann nur dadurch besser werden, indem die Mannschaft mehr und mehr Routine bekommt. Dazu gehören Spiele, dazu gehören Niederlagen, dazu gehören Fehler.

Diese scheinen die Menschen in diesen Medien nicht zu machen. Wir zum Glück schon. Zum Glück, denn wie der Volksmund weiß, wird man aus Fehlern das, was Intelligenzallergikern ganz und gar nicht gefällt. Dann können wir auch mehr erkennen, auch was schlechter wird. Damit geht es uns dann auch einfach besser. Oder, um es in Fan-Framing-Deutsch zu sagen:

„Positivismus und Geduld sind alternativlos!“

P.S.: Sollte wer weniger Toleranz oder Eloquenz gegenüber diesen Menschen in diesen „Sozialen Medien“ aufbringen und auch gar keine Lust darauf haben, sich lang und breit mit ihnen auseinanderzusetzen, ist das nachvollziehbar. Aber auch hier helfen wir – wieder mit Klaus Kinski und George Michael … in ihren eher klassischen Rollen …
TSGBMG_2019 2019_TSGBMG

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