1899 Hoffenheim vs. Borussia Dortmund
Die Ästhetik der Simplizität
… und die Vorteile der Fehler
Schon vor dem Anpfiff nahm der Druck merklich für jeden spürbar zu. Hatte noch am Morgen „Volker“ graue Wolken aufziehen lassen, verzogen sie sich, denn je mehr die Massen ins Stadion strömten, strömten die Luftmassen nach unten. Ein unbekanntes und unbenanntes Hoch verjagte das Tief um Hoffenheim, das sich hier schon lange breit machte – und das sorgte lang für eitel Sonnenschein. Doch wenden wir uns ab von der Metereologie hin zum Spiel
Im Grunde war es nur der Fehlpass in der 1. Minute, der wirklich Grund zur Sorge gab. Doch zum Glück konnte der Gegner diesen in keinem Nachbericht erwähnten Angriff nicht in seiner gewohnten Manier nutzen. Dabei war es genau diese Situation, die die Psychologie dieses Spiels einleitete.
Danach gab es lange, lange Zeit keinen Ballverlust mehr. Die Mannschaft spielte sauber und hochkonzentriert und hatte wahrscheinlich weniger Angst vor dem Gegner als dem eigenen Trainer …
Was für eine Freude, einen Menschen zu sehen, der Engagement predigt – und lebt. Aktuell erfreuen sich ja Laufleistungen von Spielern und Mannschaften in den Medien größter Beliebtheit. Sogar die Torhüter werden da gelistet und deren Werte kommentiert. Holger Stanislawski dürfte ebenfalls auf einen nahezu zweistelligen Kilometerwert gekommen sein – und das in einer Zone (irgendwie ein befremdliches Wort am 50. Jahrestag des Mauerbaus), die weit, weit kleiner ist als der Fünfmeterraum.
Nun werden wir hier nicht dem hier grassierenden Trainerfankult erliegen. Unser Lob basiert nicht auf Wunsch und Hoffnung, sondern auf das, was einen Akademiker eben auch anmacht: Fakten.
Und die sind im Falle Holger Stanislawskis so und so lesbar. Um eine Metapher als der Küche zu bringen: Es gibt keine Garantie, das der beste Frikadellenbrater der Welt ein Filet zubereiten kann. Und bei Hoffenheim gibt es einige Filetstückchen, denen es aber gewiss auch nicht schaden kann, wenn man sie mal etwas schärfer anmacht. Und das hat, Ende der Metapher, der Trainer wohl getan. Und so wurde dem Publikum etwas serviert, was einfach Appetit auf mehr macht. (Jetzt ist diese Metapher aber endgültig gegessen.)
Und wie der Trainer unsere Jungs dazu gebracht hat, die Spannung hoch zu halten, das war schon was. Weder sein Engagement noch das der Mannschaft war mit der Leistung der Vorwoche vergleichbar. Vielleicht ist es das, was der Mannschaft fehlte – ein Mann an der Außenlinie, der sie auch im Spiel coacht und sie nicht einer Art Prüfung unterzieht, in der der Trainer sehen will, ob die Spieler das auch richtig machen, was er ihnen im Laufe der Woche beigebracht hat. Er erwartet nicht, dass etwas passiert. Er will, dass etwas passiert und ist sich auch nicht zu schade dafür, was genau dafür zu tun.
Die Hauptarbeit verrichtete aber die Mannschaft und das größtenteils mit Bravour – als Kollektiv, denn wirklich überzeugt hat keiner. Im Gegenteil, jeder Einzelne gab Anlass zu Kritik. Aber als Team war es einfach eine richtig gute Leistung mit einfach richtig schönem Fußball. Ganz nach der Vorgabe des Trainers vor der Saison: „Es werden nicht die besten Elf spielen. Es wird die beste Elf spielen.“ (wobei es wohl diesmal in Ermangelung von Alternativen deckungsgleich gewesen sein dürfte)
Vierte/Fünfte Minute Lattenkracher Firmino. Das war der letztlich entscheidende Moment des Spiels. Den ersten Bock gebaut, ausgemerzt, Gegenzug und fast in Führung. Das hatten die Gäste (und, ein gerüttelt Maß an Ehrlichkeit vorausgesetzt, auch die meisten Zuschauer) nicht gedacht.
Hoffenheim – das war doch drauf und dran, selbst in seiner Heimat inzwischen als „graue Maus“ zu stehen, weshalb wohl der „bunte Hund“ so gut passt – und in der nationalen Berichterstattung einer Art „One Hit Wonder“ zu verkommen. Aber dann kam der Meister und der kam gerade recht.
Keine fünf Minuten später ein Freistoß für den Saisonrückblick. Die Führung. Und danach? Die Kontrolle.
Dass die Kommentatoren unisono die Gastmannschaft als die überlegene sahen, ist durch den Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt. Grundrechte sind Rechte ohne Pflichten. Man darf alles sagen, aber es muss ja nicht alles stimmen. So auch in dem Falle. Der Deutsche Meister hatte zwar oft den Ball, aber keine Ahnung, was er damit anfangen soll, denn unsere Abwehr stand meist sehr gut im Raum. Nur ganz selten gelang dem Gegner mal eine Kombination, die ihn in Straufraumnähe und/oder unseren Torwart in Bedrängnis brachte.
Überhaupt gebührt Tom Starke ein Sonderlob. Nicht wegen der Bälle, die er parierte, da reichte Tipp-Kick-Können, sondern für seine Spieleröffnung. Seine Abwürfe und Abstöße hatten sehr oft ein sehr gutes Timing. Gerade die weitgeschlagenen Bälle waren sehr sauber gespielt, gerade, präzise und konnten von Babel weiterverwertet werden. Das alles geht bestimmt noch viel besser, aber das alles war auch schon viel schlechter.
Auch das Zusammenspiel von Babel, Firmino, Obasi – wenngleich noch ein gutes Stück davon entfernt, den Journalistenstempel „magisches Dreieck“ zu erhalten – hat ein Potenzial, das einen wieder hoffen lässt. Stark am Ball, gute Verteiler, was fehlt sind die Vollstrecker.
Schipplock schien übereifrig und nervös und Mlapa ängstlich und nervös. Dabei hat er ja einmal sehr beeindruckend gezeigt, was sein Spiel ist, als er im 1:1-Duell dem Dortmunder Innenverteidiger (seines Zeichens Nationalspieler) auf 15 Metern 10 abnahm.
Aber was für ein Zeichen des Trainers, nicht erst in der Nachspielzeit dreimal zu wechseln (obwohl er seinem Faible treu blieb, möglichst vielen Spielern ihre Auflaufprämie zukommen zu lassen, denn bereits im Vorjahr hat er als einer von zwei Trainern in jedem Spiel immer das Komplettkontingent aus-/eingewechselt), sondern statt dessen erst den Torschützen und dann den „Stadionwecker“ (= Schütze des Lattenkrachers) gegen die oben genannten Offensivkräfte auszuwechseln und zum Schluss auch noch mit Kaiser einen Jungspieler so „früh“ zu bringen, dass der noch eine Chance hat, an den Ball zu kommen. Er hatte sogar eine Chance zum Torschuss, aber auch der ward leider verzogen.
Hurra, keine Perfektion.
Viele Fehler. (Aber keine so schlimmen wie in der Vorsaison, die doch so manchen Punkt kosteten.)
Grund zur Freude.
Schließlich sind sie, die Fehler, sprichwörtlich Grundvoraussetzung, um klug, sprich: besser zu werden …
Und das wird …. und das ist einfach schön.
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