1899 Hoffenheim vs. Bayer 04 Leverkusen
Die Remutation des Siegergens
Über ein Spiel von „!Nie wieder“ bis „Bitte, bitte mehr davon!“
Vorspiel: „Das Erbe“
Es war ein weiter Weg – und er begann mit einer Lüge. Wir alle haben ihn als Helden kennengelernt, genauer: kennenlernen müssen, aber er war ein Betrüger. Eigentlich hätte man selbst daraufkommen können, aber als Teenager ist man halt einfach noch nicht so reflektiert, um zu verstehen, dass das so ja gar nicht sein kann, weil man die Zusammenhänge nicht erkennt oder sich halt gewisse Fragen nicht stellt, die das ganze Konstrukt in Frage stellen.
Gregor Mendel war der Erste, der anhand seiner Beobachtungen bei der Kreuzung von Erbsen feststellte, dass es Faktoren geben muss, die von Eltern auf deren Nachkommen übertragen werden.
Vielleicht erinnerst du dich, geneigte/r Leser/in noch an deinen Biologie-Unterricht und deine Kreuztabellen der grünen oder gelben sowie runden oder runzligen Erbsensamen, und wie sich diese Merkmale je nach Kreuzung in der F1-Generation und der F2-Generation dargestellt haben, woraus man schlussfolgern konnte, welcher Faktor dominant und welcher rezessiv sei.
Diese Beobachtungen waren beeindruckend. Seine Zahlen, mit denen er das belegte, bewiesen die Richtigkeit seiner Untersuchungen. Doof nur, dass sie „geschönt“ waren. (Auch das ein ganz, ganz wichtiger Grund, geneigte/r Leser/in, immer kritisch zu sein bei „Erbsenzählern“!!! (har, har) – Das Schummeln bei selbst erstellten Ergebnissen liegt sozusagen (und um im Bild zu bleiben) in ihrer DNA. (noch mal: har, har))
Außerdem konnte es ihm 1854, als er damit anfing, gar nicht möglich gewesen sein, von jeder Art absolut unverfälschte Erbsensamen zu haben, da diese Erbsen diese Faktoren bereits lange vor ihrer Entdeckung hatten, schließlich zählen Erbsen zu den ältesten sogenannten Kulturpflanzen. Sie werden seit etwa 8000 v. Chr. angebaut. Dass also diese Samen, die er zur Untersuchung nahm, in ihrer 10000-jährigen Geschichte stets immer nur „unter sich“ blieben, ist schlicht nicht möglich.
Nichtsdestotrotz stellten sich seine Schlussfolgerung als wegweisend dar. Sie sind der Ausgangspunkt der Genforschung, die wie folgt voranschritt:
- Rund ein halbes Jahrhundert später (1900) kam der Begriff der „Erbanlage“ auf. Der Botaniker Carl Correns prägte ihn, nachdem er (und andere) sich mit den Mendelschen Regeln befasste.
- 1902 erinnerte der britische Naturforscher William Bateson daran, dass es zwei Varianten der Erbfaktoren in jeder Zelle gibt. Das, wie er es nannte, „Allelomorph“ kennt vielleicht noch der ein oder andere, die Bio nicht frühzeitig abgewählt hat, unter dem Namen „Allel“ (abgeleitet vom Altgriechischen αλλήλων (allélon): „einander, gegenseitig“). Allele können dafür sorgen, dass sich Merkmale bei unterschiedlichen Individuen trotz gleicher Gene unterschiedlich ausprägen und damit anders aussehen.
- 1906 schuf Mr. Bateson auch – nach dem griechischen Adjektiv γεννητικός (gennetikos): „hervorbringend“ – den Begriff „Genetik“ für die Wissenschaft von der Vererbung. Das Gen selbst gab es als Begriff erst drei Jahre später.
- 1909 nannte der dänische Botaniker Wilhelm Johannsen die Objekte, mit denen sich die Vererbungslehre beschäftigen „Gene“ (nach dem griechischen Substantiv γένος (genos): „Nachkommenschaft“). Damit meinte er aber nicht das, was wir heute darunter verstehen, sondern nutzte diesen Begriff nur als abstrakte Maß-/Rechnungseinheit.
- 1910 erbrachten die Forschungen des US-amerikanischen Zoologen Thomas Hunt Morgan den endgültigen Beweis, dass Gene auf Chromosomen liegen, also nicht abstrakt, sondern materiellen Ursprungs sind.
- 1927 entdeckte der US-amerikanische Biologe Hermann Muller bei Experimenten mit Röntgenstrahlen, dass die Bestrahlung von Fliegen deren Mutationsrate stark erhöht. Das war der Beweis dafür, dass Gene physikalische Objekte sind, die sich von außerhalb beeinflussen lassen.
- Parallel dazu wurde seit 1869 so nach und nach Nukleine und deren Zusammenhang entdeckt, die Desoxyribonukleinsäure, besser bekannt unter ihrem anglistizierten Kürzel: DNA.
- 1944 zeigten die nordamerikanischen Forscher Oswald Avery, Colin MacLeod und Maclyn McCarty, dass die DNA die genetische Information enthält.
- 1952 konnte dann durch die US-Amerikaner Alfred Hershy und Martha Chase der endgültige Beweis erbracht werden, dass die DNA der alleinige Träger der Erbinformationen sind. Bis dahin dachte man, dass die Erbinformationen in Proteinen verankert seien. Und was ein Gen genau ist, weiß man immer noch nicht abschließend 100% sicher. Immer wieder neue Forschungen ergeben immer wieder Modifikationen der Definition. Aktuell gilt die aus dem Jahre
- 2007: „Ein Gen ist eine Vereinigung genomischer Sequenzen, die einen zusammenhängenden Satz von eventuell überlappenden funktionellen Produkten codieren.“
Was aber sicher ist (so sicher Wissenschaft sich eben sein kann, also nie so ganz sicher):
Gene tragen die Erbinformation und sie liegen auf der DNA, die im Normalfall in Form einer Doppel-Helix aufgebaut ist. („Helix“ ist ebenfalls griechischen Ursprungs und heißt „Spirale“, „Windung“, „Schraube“.)
Gewiss hast du, geneigte/r Leser/in, den Begriff „Doppel-Helix“ im Biologie-Unterricht oder später mal gehört bzw. gelesen und weißt, was damit gemeint ist. Weißt du aber, dass der menschliche Körper auch eine Helix hat, genauer: zwei? „Helix“ ist der medizinische Fachausdruck für den wulstartig verdickten Rand oben an der Ohrmuschel. (Da, wo man reinknicken kann.) Aber genug jetzt: Wir wollen ja nicht ausufernd werden. Kommen wir zur TSG …
Gedankenspiel: „Die Hybris“
Die TSG hat wie jedes Unternehmen ein relativ großes Problem: Es ist, was es ist – in ihrem Fall ein Fußballverein. Jeder versteht das. Es ist ja auch ganz einfach. Einfachheit aber ist in diesen Zeiten nicht gut. Synonyme für Einfachheit sind Simplizität oder Primitivität – und kein Unternehmen will damit assoziiert werden. Also schmückt man sich – und benennt einfache Dinge mit groß klingenden Namen.
So hat heutzutage fast jedes Unternehmen eine „Philosophie“ – und meint damit ein „Selbstverständnis“, was aber wiederum zu einfach oder altbacken wird – und das will man ja – selbstverständlich – nicht. Wer sich diese „Philosophien“ aber einmal durchliest, findet kaum mehr als Selbstverständlichkeiten, Phrasen, Allgemeinplätze (und die meisten davon führen in Sackgassen, um im Straßenbild zu bleiben), wie „Bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt.“ (Wo denn sonst? Im Abseits?) Dieser Mittelpunkt ist aber ein recht großes Feld, denn nicht selten finden sich in diesem „Zentrum des Denkens und Handelns“ auch „unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, „Innovationen“ respektive „innovative Produkte und Services“. (Auch hier: „Was denn sonst? Völlig überholter Scheiß?“)
Manchmal parallel, ergänzend oder darüber sprechen Unternehmen auch von ihrer DNA. Auch das ist nichts anderes als Suggestion von Verlässlichkeit, Solidität, Kontinuität, ewiger Gültigkeit. Ist natürlich Kokolores, denn jede DNA kann jederzeit mutieren – und das ist auch wichtig, denn so ist sie in der Lage, sich neuen Lebensbedingungen anzupassen. Man meint wohl „Haltung“.
(Dieses Aufplustern machen aber auch Menschen. Heute besitzt ja kaum wer noch „Anstand“, sondern „Empathie“. Gerne wird das dann als Maßstab bzw. Kriterium, Nonplusultra gar zur Überlegenheit gegenüber anderen dargestellt; Stichwort „emotionale Intelligenz“. (Gemeint ist ganz einfach „Mitgefühl“, aber das klingt den meisten wohl zu primitiv. Außerdem suggeriert „Mitgefühl“ nicht die Überlegenheit des Instinkts (emotio) gegenüber dem Intellekt (ratio).)
Auf der Internetseite der TSG findet man zur Nukleinsäure, die sich als Polynukleotid aus einer Kette von vielen Nukleotiden zusammensetzt, folgenden Satz:
„Das Bekenntnis zum Hochleistungssport gehört ebenso zur DNA der TSG Hoffenheim wie Innovationen und eine Verpflichtung zur gesellschaftlichen Verantwortung.“
Weiter:
„Diese Haltung sowie seine vielfältigen Initiativen, Projekte und Engagements verknüpft der Klub unter dem Leitmotiv „TSG ist Bewegung“ mit sämtlichen Wertschöpfungsebenen. Diese Zukunftsstrategie sorgt dafür, dass die eigene Entwicklung und gesellschaftliche Mehrwerte eine Einheit bilden.“
Zum wohl besseren Verständnis dieses Satzes wird danach erläutert, dass dieses Leitmotiv in fünf zentralen Handlungsfeldern Anwendung findet: „Innovationen“, „Mitarbeiter und Spieler“, „Jugend und Fans“, „Ökologie“ und „Afrika“.
Die dezentralen werden nicht erwähnt und auch DNA selbst wird nicht mehr definiert. Vor zwei Jahren wurde diese noch kommuniziert mit den – passend zur Anzahl der aus der Doppel-Helix bekannten Aminosäuren Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin – vier Leitbildern
- „Innovation“
- „Mit“
- „Bodenständigkeit“
- „Stabilität“.
Begrifflichkeiten, die auch von den Fans verinnerlicht wurden, mit denen sie sich identifizieren konnten und die bei ihnen immer noch verankert zu sein scheinen, wenn man sich die Reaktionen auf die letzten Auftritte der Mannschaft anschaut.
Drei der Begrifflichkeiten sind aber verschwunden. Da fand wohl eine Mutation statt, also eine „spontane oder künstlich erzeugte Veränderung im Erbbild.“ Immerhin passte die Spielweise zuletzt zu den neuen Termini – sie waren gleich blutleer, aber halt auch in Zahlen erfolgreich.
Allerdings sind Gene (wie oben ausgeführt) nicht mehr wie ehedem 1909 eine abstrakte Recheneinheit, sondern real in jedem Zellkern in artverschiedener Anzahl und Gestalt vorhandene, das Erbgut eines Lebewesens tragende Gebilde (= Chromosom).
Gedankenspiel: „Die Theorie“
Gott sei Danke mutierte die Mannschaft gestern wieder zu alter Stärke. Vielleicht werden elementare Informationen nicht nur via Gen vererbt, sondern auch via Mem.
Ein Mem bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, der durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden kann und der so soziokulturell auf ähnliche Weise vererbbar ist wie Gene auf biologischem Wege.
1976 stellte der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins hierfür die englische Bezeichnung meme vor, ein Kunstwort, basierend auf dem griechischen Terminus μίμημα (mimema): „etwas Nachgemachtes“.
Die Memtheorie ist auch ein Erklärungsversuch für die unterschiedlichen Kompetenzen verschiedener Menschen und/oder (Kultur-)Völker, z. B. die Mathematik und IT-Kompetenzen von Indern, der Hang zum Maschinenbau bei Deutschen, die Fähigkeit, fünfe gerade sein zu lassen bei u.a. Südeuropäern, der Humor der Briten etc.
Diese Theorie wird allerdings, gelinde gesagt, sehr angezweifelt: Einerseits seien die Begriffe (Replikator, Einheit der Selektion usw.) zu unscharf definiert, um überhaupt empirisch bestätigt oder widerlegt werden zu können – bzw. wären Versuchsaufbauten nur schwer zu realisieren (Kleinstkinder müssten in großer Zahl in ihnen fremden Umfeldern aufwachsen, um zu sehen, ob sie auch dort entsprechende Kompetenzen – also ohne die kulturellen Einflüsse ihrer Umgebung – entwickeln). Andererseits ignoriere die Memtheorie schlicht die Ergebnisse der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung – nämlich genau der Einfluss der persönlichen Umgebung auf die Entwicklung des Individuums.
Zur Umstrittenheit der Memtheorie trage darüber hinaus bei, dass der Erkenntnisgewinn der Theorie unklar sei. Das kann man allerdings zu den unterschiedlichsten Theorien sagen, die dennoch weit weniger Widerstand erfahren, z. B. die Stringtheorie.
(Das Max-Planck-Institut findet:
„Die Stringtheorie ist eine aussichtsreiche Lösung für ein tiefgreifendes Problem: wie verhält sich die alltägliche Gravitation bei geringen Abständen, in denen sich die Phänomene der Quantenphysik bemerkbar machen?
Im grundlegenden Ansatz der Stringtheorie sind die fundamentalen Objekte der Physik keine Punktteilchen mehr, sondern eindimensionale Objekte, so genannte Strings (englisch für Saiten). Es hat sich gezeigt, dass sich die Strings durch eine zehndimensionale Raum-Zeit bewegen und dort supersymmetrisch sein müssen. Diese Annahme hat viele Konsequenzen, zum Beispiel, dass neben den Strings auch höher-dimensionale Objekte, so genannte D-Branen, vorhanden sind.
Eine zentrale Frage ist, wie sich unsere gewohnte vierdimensionale Raumzeit mit der uns bekannten Physik aus dieser höherdimensionalen Theorie ableiten lässt.“ (Quelle)
Der US-amerikanische Nobelpreisträger und Festkörperphysiker Robert Laughin hingegen meint:
„Weit entfernt von einer wunderbaren technologischen Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist die Stringtheorie die tragische Konsequenz eines überholten Glaubenssystems.“ (Quelle)
Vereinfacht gesagt, sagt er: „Man kann es auch übertreiben.“
Meint er etwa uns?
Nun, wie man auch immer zu dieser Memtheorie steht, es gibt durchaus noch einen Aspekt neben der Tendenz, wozu auch immer etwas zur Erleichterung und/oder Beschleunigung von Arbeit(sprozess)en zu entwickeln (sei es der Buchdruck, der Computer, das Fahrrad, das Auto, das Düsenflugzeug, eine Weltraumrakete, die Chipkarte, das Format MP3 und (lustigerweise (sehr passend) auch) besitzen die Deutschen in großer Mehrheit das Gefühl, dass sich so etwas wie der Holocaust nicht mehr wiederholen darf – und wir Deutschen eben aufgrund unserer in diesem Punkt grausamen Schuld aus der Vergangenheit eine ganz besondere Verantwortung dafür tragen, dass es nie wieder dazu kommen darf, dass Menschen aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder sexuellen Ausrichtung verfolgt, völlig von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt oder gar getötet werden.
!NIE WIEDER
„!NIE WIEDER“ war die Botschaft der Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Diese haben Fußballfreunde 2004 aufgegriffen und den „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ ins Leben gerufen, der alljährlich am Spieltag nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee stattfindet.
Passend dazu gab es vor dem Spiel im Rahmen des diesjährigen Aktionstages auf den Leinwänden einen Einspieler, in dem sich Verein, Spieler und Fans zusammen deutlich gegen jedwede Form der Diskriminierung wandten. Mit großem Stolz nahmen wir die Einladung an, an diesem Einspieler mitzuwirken.
Auch haben wir aus diesem Anlass das erste Mal seit fast 200 Spieltagen nicht unsere Fahne vor dem Spiel getragen, sondern die der Organisatoren des Aktionstages. Zum einen selbstverständlich, weil wir wissen, dass es unsere jüdischen Mitbürger waren, die den Fußball in Deutschland groß gemacht haben (Alle Details zu den großen Persönlichkeiten gibt es hier.), zum anderen, weil wir damit ein Zeichen gegen Hass und Gewalt in jedweder Form heute und in Zukunft setzen wollen.
Selbstverständlich können wir das auch einfacher ausdrücken:
„Wir haben die Schauze voll von dem Scheiß! Wir wollen einfach nur schönen Fußball genießen!“
Irgendwie war das aber auch der Gedanke, die Stimmung, die innerhalb der TSG-Fanszene gärte. Vielleicht wurde dadurch auch ein Mem kreiert, was nach Ansicht des Wissenschaftlers Mihály Csíkszentmihályi (wir erwähnen ihn hier eigentlich nur wegen der Schreibweise) immer dann passiert, „wenn das menschliche Nervensystem auf eine Erfahrung reagiert“.
Das Spiel: Die Praxis
Die akustischen Dreingaben sowie die Besucher- der letzten Partien und die Vorverkaufszahlen zu dieser durften eine (bittere) Erfahrung gewesen sein. Die TSG-Fans brachten schließlich ihren Unmut im Laufe der Saison mehr und mehr zum Ausdruck, sei es eben durch Pfiffe oder gleich ganz wegbleiben.
Die Erfahrung dieser Partie jetzt löste definitiv ein Mem aus, das hoffentlich zur endgültigen Abtrennung sorgte, denn endlich sahen wir keinen Memmen mehr kicken, sondern das erste richtige Fußballspiel der Saison, wo ein/e jede/r vielleicht ein „Mem“ im Organismus hatte, die TSG fokussierte „men“ auf dem Platz.
Verhalten war die Freude nach der Bekanntgabe der Aufstellung. Sie sah super aus, aber das tat sie auch zuletzt, wobei das Spiel in Bremen eigentlich nur vom Ergebnis her ansehnlich war. Das allerdings sehr.
Auch die bisherige Punkteausbeute ließ nichts zu wünschen übrig: 30 Punkte waren zu Beginn der Saison nicht zu erwarten, aber die Mannschaft gewann/verlor halt die falschen Spiele. Gegen Bayern, Schalke, Dortmund bzw. Freiburg, Mainz, Augsburg. Unterm Strich alles bestens, aber darüber und vor allem in der Wahrnehmung mutierte Hoffenheim halt weg vom „Fußball-Spektakel“ zum spielerischen Debakel. Selbst bei den Siegen hörte man nicht selten Sätze wie
- „Hoffenheim erschreckend schwach nach vorn.“
- „Von Hoffenheim nichts zu sehen!“
- „Hoffenheim kam einfach nicht ins letzte Drittel.“
- „Hoffenheim fand nach wie vor nicht statt.“
- „Offensiv kam nichts von Hoffenheim.“
All das … vorbei, vergessen, denn sowohl nach 90+ Sekunden wie auch nach 90+ Minuten genoss man
Mem & men statt Memmen!
Endlich saß das Geld nicht mehr auf der Bank, sondern stand auf dem Platz: Samassékou – zudem Havertz die ganze Zeit auf den Füßen – und Dabbur gleich im Mittelpunkt, nachdem wir den ersten Ballbesitz auch gleich konsequent und schnörkellos und direkt nach vorne spielten.
Schade, dass unser Neuzugang das Balancebein des Gästekeepers anschoss, aber sofort sprang der Funke auf die Fans über.
In der Folgezeit hielt die Mannschaft dem Druck des sehr guten Gegners stand, aber dann, wenn im Ballbesitz, sich nicht mit Rückpässen auf. Zwar hatten die Gegner mehr Spielanteile, aber auch nicht wesentlich mehr echte Chancen als wir. Und sie hätten noch weniger Chancen haben können, wenn Rudy sich der Körperlichkeit und Robustheit seiner Mitspieler angeschlossen und sich weniger der Eleganz und Ästhetik verschrieben hätte. Aber auch mit zehn Mann und Rudy boten wir dem zuletzt sehr souverän auftretenden Gegner die Stirn und ein insgesamt großartiges Spiel.
Auch der Gegentreffer tat der Euphorie auf den Rängen keinen Abbruch, zumal Akpoguma es durch den Manuel-Neuer-Gedächtnis-Reklamierarm geschafft hat, die TSG-Fans in Sicherheit zu wiegen, dass das Tor nicht zählen würde. Tat es dann halt doch, weil es nach der Regel doch kein Abseits war. Wobei diese Regel aktuell – und nicht erst des Treffers, der Thomas Müllers am letzten Spieltag unter Zuhilfenahme allerlei Hilfslinien aberkannt wurde – bekanntlich Quatsch ist.
Unser Gegenvorschlag zur Beurteilung, ob ein Spieler im Abseits steht:
Es zählt bei der Beurteilung nur noch das Schien-/Fersenbein.
(Ja, Kopf und Schulter wären dann ebenso wie die Schuhgröße des einzelnen Spielers egal.)
Als der sehr gute Schiedsrichter Aytekin dann das Spiel doch mit Anstoß aus dem Mittelkreis fortsetzen ließ, nahm man das halt hin, weil durch die Spielweise auch unserer Mannschaft nicht das Ergebnis in dem Moment im Vordergrund stand, sondern, so wie es sein sollte, das Spiel selbst.
Und unsere Mannschaft spielte. Sie reagierte nicht nur, sie agierte auch, sie kam über die Flügel, sie kam ins letzte Drittel, sie kam in den Strafraum, sie kam zu Chancen und sie kam dann auch hochverdient zum Ausgleich.
Schon zu dem Zeitpunkt ein großartiges Fußballspiel unserer Mannschaft mit einem großartigen Torhüter, der, was immer auf seinen Kasten kam, hielt, über die Latte lenkte, wegfaustete.
In der 2. Hälfte ging es dann gerade so weiter. Noch nicht mal eine Minute war da gespielt, als Baumgartner sich im Laufduell mit Ball gegen die gesamte Bayer-Abwehr versuchte, gewann und zum Abschluss kam. Leider kam der Gästekeeper auch da gerade noch so an den Ball, dafür das Spiel Fußballgott sei Dank nie zur Ruhe.
Doch unsere Mannschaft behielt den Überblick. Sie stand (überwiegend) stabil hinten drin und in den nicht wenigen, aber nie unfairen Zweikämpfen ihren Mann.
Auch an dieser Stelle nochmals ein Lob an den Schiedsrichter, der wirklich sehr, sehr viel laufen ließ. Leider musste er aufgrund seiner jetzt Regel gewordenen realen Existenz eine Riesenchance von uns abpfeifen, da er beim Zuspiel in die Tiefe auf Skov den Ball berührte.
Doch Skov kam kurz darauf wieder an den Ball und hämmerte ihn (mit Glück gerade noch so) unter die Latte ins Netz, nachdem zuvor der eingewechselte Adamyan die komplette linke Leverkusener Abwehrreihe überspielte, perfekt in die Mitte flankte, wo unsere Spieler dann den Ball per Brust- und Passpiel zum Dänen brachte, der uns die Tränen brachte – die der Freude.
Weniger gut gelaunt klangen dann die Gesänge des Leverkusener Anhangs. Nachdem auch sie sehr kurzzeitig Herrn Hopps Herkunft falsch darstellten (Vielleicht sollte die Süd einfach mal korrigierend dagegen skandieren: „Dietmar Hopp – Sohn einer Hausfrau“), kam es dann zu allgemeinen Diffamierungen („Scheiß Hoffenheim“). Das ist jetzt nicht gravierend schlimm in Sachen Aussage an sich, aber vielleicht in puncto Reflektionskompetenz, wenn man be- bzw. an Volland, Demirbay, Amiri, Özcan und auch Rotthaus denkt.
Doch das Spiel auf dem Rasen war viel zu gut, um sich mit dem nicht nur intellektuell schlechten Niveau der Gästefans länger zu beschäftigen. Die Spieler zeigten sich weitaus kreativer. Es dauerte bis wenige Minuten vor Schluss, dass auch ihre Vorgehensweise plump wurde, doch was ihnen zuvor mit ihrem beeindruckenden Passspiel nicht gelang, wollte auch mit der Brechstange nicht gelingen. Unsere Abwehr und allen voran unser Torhüter war unüberwindbar. Pentke hielt alles – mit allem.
Doch auch wir hatten unsere (Groß-)Chancen in der Schlussphase, die jeweils Kramaric vergab: Erst schoss er zu kunstvoll in Richtung Lattenkreuz und traf dieses nur von außen, dann einen zentralen Freistoß, den Demirbay verursachte und wofür er die Ampelkarte sah, den er besser platzierte, aber leider nicht hart genug. Vielleicht wäre Hammer-Skov in der Position die bessere Wahl gewesen, vielleicht nicht, vielleicht, nein: mit Sicherheit sind solche Gedanken überflüssig, denn es hat gereicht. Die TSG gewann ein „herausragendes“ (ARD Sportschau), „überragendes“ (ARD Sportschau), „sehr, sehr gutes Fußballspiel“ (ARD Sportschau) nicht unverdient mit 2:1.
Nachspiel: Kein Aufsteiger
Nach dem Spiel skandierte die Süd „Philipp auf den Zaun. Philipp auf den Zaun. Philipp, Philipp, Philipp auf den Zaun.“ Doch Pentke hielt sie seine Gefühle im Zaum. Er blieb in der hüpfenden 18er-Kette nach dem Spiel. Statt also auf den Zaun zu klettern bewies er auf diese Art nach Schlusspfiff, dass die alte DNA doch noch nicht tot ist:
- Innovation. (Aufstellung)
- Mut. (Spielweise)
- Stabilität. (Abwehr) – und zu guter Letzt dann
- Bodenständigkeit. (Pentke)
Und auch der Humor der Süd lebte wieder auf, denn die Fans verabschiedeten ihre „men“ mit einem Befehl, einem Auftrag, von dem wir hoffen, dass es ein „Mem“ wird – und sei es nur am Mittwoch:
„Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“
Das war schon alles sehr ausgelassen. Und Schreuder kann das jetzt toppen. Sollte ihm der 2. Sieg in München in einer Saison gelingen, das wäre schon ein riesen Coup. Aber er hat uns in dieser Saison schon mehrfach überrascht, warum nicht also auch in dem DFB-Pokalspiel, z. B. mit Zuber links hinten und Skov … nicht. Außerdem dürfte, sollte Adamyan wieder fit werden, Boateng kleinere Schritte machen.
Doch wie auch immer er am Mittwoch spielen lässt, hoffen wir einfach, dass dieses Spiel keine Ephemeroptera war (Eintagsfliege) und genau die notwendige Mutation, die nötig war, um das dominant weiterzuvererben, was hier gefühlt jede/r hat: das Siegergen!
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