1899 Hoffenheim vs. 1. FSV Mainz 05
Niederkomplexitätsphobie
Klasse unterliegt Effizienz
Würden wir hier eine in allen Belangen angemessene Analyse des Spiels wiedergeben wollen, dürfte hier gar nichts stehen. Auch die Trainer hatten auf der Pressekonferenz nach dem Spiel reichlich Mühe, die richtigen Worte zu finden und so blieben sie lediglich bei einer Beschreibung der Geschehnisse, ohne eine auch nur im Ansatz plausible Erklärung für dieses 2:4 anbieten zu wollen bzw., wie sie selbst einräumten, zu können.
Eine ganz interessante Situation eigentlich. Nach einem Spiel, wo es wahrlich einer Analyse eines Spiels bedurft hätte, war sie den Akteuren nicht möglich. Das lässt natürlich im Umkehrschluss die Frage zu, ob das, wofür man so schnell nach einem Geschehnis immer Worte der Erklärung findet, wirklich eine Analyse ist.
Und es erinnert an Wittgenstein. Auch wenn beide Spielleiter nach dem Spiel aufgrund des Wesens einer Pressekonferenz sein berühmtes „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ (dem Volke besser bekannt in der Übersetzung Dieter Nuhrs: „Wenn du keine Ahnung hast, einfach mal die Fresse halten.“) nicht 1:1 in die Tat umsetzen konnten, wurde doch die Allgemeingültigkeit seines „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ evident.
Dieses Spiel war nicht von dieser. Gefühlt.
Gefühlte 20:3 Torchancen, 11:1 Ecken, großartig gelaufen, gepasst, gekämpft, ja, richtig gespielt, ein wahrer Genuss, genau die richtige Reaktion nach dem Spiel der Vorwoche, kamen wir diesmal im Grunde von Anpfiff an im Zwei-Minuten-Takt zu Großchancen.
1. Aktion: Elfmeter. Volland wird im Strafraum gelegt und nach dem Pfiff des Schiedsrichters der Ball auf den Punkt. Klare Sache: Salihovic. Und was für ein Hammer: drüber. Das war ja schon mal ein Paukenschlag. In der Saison verwandelte er bisher alle seine Strafstöße, den achten leider nicht.
Aber am Spiel der Mannschaft änderte das nichts. Weiter lief der Ball gut und zügig in die Reihen und im Gegensatz zur Vorwoche auch mal in die Sturmreihen, wo Volland Chance um Chance hatte und vergab. Aber auch Modeste und alle anderen gelang das Tor nicht.
Das Angriffsspiel war sehr variantenreich: Mal wurde durch die Mitte kombiniert, mal kamen die Verteidiger mit Wucht über die Außen: Johnson über rechts, Beck über links, doch auch ihnen gelang es nicht, wie man im Fußball so sagt, „den Bock umzustoßen“, nur Letzterem den Kameramann von seinem.
Blackout.
Mitte der ersten Halbzeit kam Beck nach einem Ballgewinn an der Außenlinie ins Straucheln und knallte dabei gegen einen Sky-Mann, welcher dadurch so unglücklich auf den Hinterkopf fiel, dass jener bestenfalls nur noch die Sterne sah. Wahrscheinlicher ist ein kompletter Filmriss, denn der Mann wurde auf einer Bahre aus dem Stadion getragen und mit, Ferndiagnose: höchstberechtigtem, Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht.
Das sah schon schlimm, ging aber wohl gut aus und seitens unserer Mannschaft weiter, obwohl danach das Spiel doch merklich langsamer, dennoch jederzeit kontrolliert wurde, was noch zu weiteren Chancen führte, aber keinen Toren – und so ging es mit einem hochunterhaltsamen und zumindest aus Hoffenheimer Sicht grandiosen 0:0 in die Pause, in der natürlich die große Zeit der Pessimisten kam, die hier den ihnen innewohnenden Schopenhauer zum Besten gaben.
Jener deutsche Philosoph, den man aufgrund der Substanz seiner Erkenntnis in Relation zur Eloquenz ihrer Darbietung fairerweise auch „Showpenhauer“ nennen könnte, nutzt zwar nicht die Worte der Menschen aus der Region, aber er spricht doch ihre Sprache, was folgende Beispiele kurz belegen sollen:
Showpi: „Das Publikum sucht Wohlleben und Zeitvertreib, nicht Belehrung.“
Region: „Loss misch midd deim Scheiß in Ruh‘!“
Showpi: „Jeder hält die Grenzen des eigenen Gesichtsfelds für die Grenzen der Welt.“
Region: „Kenn isch nedd, braach isch nedd!“
Showpi: „Alles im Leben gibt kund, dass das irdische Glück bestimmt ist, vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden.“
Region: „Wenn sisch dess nedd nochemool räschdd …“
Zu den Kuriositäten des Spiels zählt, dass die Mannschaft sie eines Besseren belehrte – und sie dennoch Recht behielten.
Wieder startete die Mannschaft fulminant in den Durchgang – und wieder war es eine Standardsituation, wieder war es Wumms, aber statt eines Strafstoßes war es ein Eckball, statt Salihovic war es Polanski, der die Reißfestigkeit des Tornetzes testete. Er hämmerte den nach der Ecke abgewehrten Ball aus rund 20 Metern mit einer Vehemenz in die Maschen, die berechtigte Zweifel an der Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung aufkommen ließ. 96 km/h wurden für diesen Schuss angegeben. Ja, ein hoher Wert, aber auch im Nachgang in der x-ten Wiederholung schien der noch zu niedrig.
Und auch der Spielstand war alles andere als angemessen, zu deutlich war unsere Überlegenheit in der ersten und zu klar und strukturiert unsere Spielanlage bis zu diesem Zeitpunkt in der zweiten Halbzeit, was der zweite Treffer nur wenige Minuten später verdeutlichte: Abwurf Casteels auf Johnson, Pass von Johnson auf Firmino, Ballannahme Firmino und Abschluss.
Das 2:0 spiegelte zwar immer noch nicht die Überlegenheit unserer Mannschaft wider, aber es war okay, zumal es keinerlei Anzeichen gab, dass sich an dieser in absehbarer Zeit etwas ändern würde.
Vielleicht war es das, was Gisdol dazu bewog, Modeste aus- und Karaman einzuwechseln. Der Franzose war in der Tat einer der schwächeren Spieler in diesem sehr gut agierenden Ensemble. Selten nur konnte er sich durchsetzen und/oder den Ball behaupten, aber dafür stand er, und darauf hätte wohl niemand gewettet, kein einziges Mal im Abseits! Ein Novum …
Die Einwechslung sorgte anfangs auch dafür, den Gegner weiterhin, ja noch weiter vom eigenen Strafraum fernzuhalten. Karaman lief die Räume zu, so dass ihnen so recht kein Spielaufbau gelingen wollte oder gar konnte.
All das förderte wohl die, wie wir nun wissen, trügerische Sicherheit, in der sich Mannschaft, Stab und Stadion wähnte. Das Spiel geben wir nicht wieder her. Alles im Griff. Alles ist gut.
Am Ende hatten wir alles verloren. Mit drei Toren in acht Minuten drehten die Gäste das Spiel. War es wirklich die Einwechslung des jungen Türken, die das falsche psychologische Signal an die Mannschaft sandte, dass auch die Bank das Spiel schon gewonnen glaubte, da der Trainer einen so unerfahrenen Spieler einwechselte und nicht z. B. Herdling oder Hamad, die ja auch mal einen Ball halten können, weshalb die Spieler in Konzentration und Konsequenz nachließen?
Die Gegentore lassen den Schluss zu, denn vor dem 1:2 bremste der bis dahin sehr gut spielende Johnson leicht ab, so dass der Gegenspieler noch aus seinem Rücken nach vorne und an den im Grunde hilflos aus dem Halbfeld nach innen geschlagene Ball kommen konnte.
Und auch beim 2:3 kam der Gegner aus dem Rücken unseres Verteidigers, diesmal: Beck, per Kopf an den Ball, wo unser Kapitän doch eigentlich besser stand, er aber den letzten Schritt nicht machte.
Dieses Tor war aber letztlich nur die Folge des Ausgleiches. Waren wir nach dem Anschlusstreffer noch eher ruhig und recht konzentriert, auch wenn natürlich die Gäste nun Lunte gerochen haben und sich dessen gewahr waren, dass sie in den letzten Spielen schon so manches Spiel noch egalisieren oder gar drehen konnten, und entsprechend mehr Druck machten, war es halt jener unglückliche Abwehrversuch Süles, der den Ball wegdreschen wollte, dabei aber so unglücklich das Bein eines Gegners traf, dass der Ball in hohem Bogen von da aus zum 2:2 hinter Castels ins Tor fiel.
So ein gutes Spiel, so dominiert und dann so ein Pech, da hadert man natürlich, und kassiert auch prompt den Rückstand. So gesehen, ist das 2:3 leicht erklärt, das 2:2 einfach nur Pech, bleibt die Frage, wieso es überhaupt zum 2:1 kommen konnte. Warum ging Johnson den letzten Meter nicht mit? Warum kam der Gegner überhaupt zur Flanke?
All das wollten natürlich die Journalisten auf der Pressekonferenz nach dem Spiel auch wissen und wie eingangs erwähnt, war keiner der Trainer, wohl zu Recht, zu einer Analyse fähig. Also versuchen wir uns an einer …
Banalyse:
Beginnen möchten wir wieder mit Schopenhauer: „Den Menschen ausgenommen wundert sich kein Wesen über sein eigenes Dasein.“
Diesen globalen Ansatz reduzierte er später national: „Der eigentümliche Fehler der Deutschen ist, dass sie, was vor ihren Füßen liegt, in den Wolken suchen.“
Das ist wahrlich, wahrlich eigentümlich – und heute, 150 Jahre nach seinem Tod, wohl wahrer denn je. Glück wird hierzulande von nicht wenigen als Privileg der Dummen angesehen – und mit seinem bereits oben erwähnten „Alles im Leben gibt kund, dass das irdische Glück bestimmt ist, vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden.“ hat Schopenhauer ebenfalls zu dieser Ansicht beigetragen. Bei Kant ist Glück eine moralische Aufgabe und Adorno definiert es als „die Erlösung von der Partikularität als dem allgemeinen Prinzip, unversöhnlich mit dem einzelmenschlichen Glück jetzt und hier.“
Ganz anders da die Meinung der Franzosen. So meinte Rousseau zu diesem Thema: „Glück besteht aus einem hübschen Bankkonto, einer guten Köchin und einer tadellosen Verdauung.“
Die Meinung kann man teilen oder auch nicht, aber man kann sie auf jeden Fall verstehen. Dies aber ist hierzulande ja eh nie das primäre Ziel. Nicht das Verständnis scheint im Vordergrund der Kommunikation zu stehen, sondern die eigene Kompetenz. Fachsprachen allenthalben: So beschreibt ein Arzt seine fetten Patienten als „adipös“, der IT-Mensch bittet um ein „Rebooting“, wenn er möchte, dass man seinen Rechner noch einmal einschaltet und der Marketing-Fachmann will nicht, dass die Leute lieber für sein Angebot zahlen, als für das der Konkurrenz, sondern einen „share of wallet-increase“.
Nein, um Einfachheit geht es hierzulande einfach nicht. Das Wetter ist toll, man selbst und die Familie ist gesund, der Kühlschrank ist voll, aber der Winter war zu kurz.
Es gibt immer ein Problem und wenn es keines gibt, dann schaffe ich mir eines. Der Deutsche kann mit Glück nicht umgehen. Es macht ihn unsicher. Er muss nichts organisieren, nichts weiter machen, tun, als das, was ist. Das haben wir nicht gelernt. So wurden und werden wir nicht erzogen. Der Zweifel kennt keine Pause. Wohl angefeuert von der Angst des Versagens, welches nach unserem Verständnis just in dem Moment auftreten wird, wenn wir uns dem Gefühl des Glücks im Augenblick hingeben, während der Franzose sich dem hingibt, was ihm an Genüssen durch Bankkonto und Köchin möglich ist.
Natürlich bringt ein voller Bauch nichts, wenn Konten und Töpfe leer sind und bleiben, aber es bringt auch nichts, nervös zu werden, bloß weil es schön ist.
Nach fünf Spielen ohne Niederlagen folgten nun zwei. Aus einer souveränen 2:0-Führung wieder eine grundlose 2:4-Niederlage (Der letzte Treffer fiel mit dem Schlusspfiff, nachdem wenige Minuten zuvor Gisdol die Außenverteidiger vom Feld holte und Hamad und Elyounoussi auf selbiges schickte), und wir müssen uns nun wieder das Mittelfeld der Tabelle mit anderen Mannschaften teilen, die zu uns aufgeschlossen haben, während wir den Kontakt zur oberen Tabellenhälfte so nach und nach verlieren.
Wir schaffen uns Stress, den es nicht braucht. Aber andererseits sind wir Deutsche. Vielleicht brauchen wir das doch. Zum Glück …
A propos:
- Zum Glück geht es dem Kameramann wieder besser.
- Zum Glück hat Boris Vukcevic seinen schlimmen Unfall überlebt und kann heute bei vollem Bewusstsein seinen 24. Geburtstag feiern.
- Zum Glück geht es ja schon nächste Woche weiter und das gegen einen Gegner, gegen den es kein Problem mit der Motivation geben dürfte („Phantomtor“)
- Zum Glück gibt es auch dazu ein Zitat von Schopenhauer: „Hindernisse überwinden ist der Vollgenuss des Daseins.“
- Zum Glück gibt es das obige Werk auch in einer Orchesterfassung. 🙂 Und wer lieber Klavier mit Klang und Fußball mag, für den gibt es …
- … zum Glück morgen abend „Das einzig wahre Flügelspiel“ unseres CCEO und unseres COO, allerdings in offiziell unakademischer Mission … Ist aber auch egal, denn es gibt noch Menschen, die machen was …
- zum Glück zum Spaß!
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Reden kann man über Vieles, wahrscheinlich sogar Alles. Das wusste ganz sicher auch der Herr Wittgenstein, weswegen er im Tractatus aus gutem Grunde anstatt vom Gerede übers Sprechen sprach. Beziehungsweise schrieb (»Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«). Soviel ist evident.
Anbei in gesungener Form, zur Kenntnisnahme: http://youtu.be/1dGrwg63GAI
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