1899 Hoffenheim vs. 1. FC Kaiserslautern
veritas vs. vanitas?
Ein 1:1 auf dem Platz, das es so schon öfter 1:1 neben dem Platz gab
Die Frage aller Fragen eines Akademikers ist die Frage nach der Wahrheit. Doch dabei interessiert ihn nicht nur, was Wahrheit ist, sondern auch ihr Warum.
Im Fußball hat man es sich damit im Land der Dichter und Denker in der Vergangenheit recht leicht gemacht. Was immer auch Kant, Nietzsche, Schopenhauer, Fichte, Leibniz, Hegel, Heidegger, Adorno, Wittgenstein, Gadamer, gegebenenfalls auch Habermas oder Sloterdijk dazu meinten, es wurde und wird heute noch übertrumpft von der conclusio Herbergers: Die Wahrheit liegt auf dem Platz.
Wir bezweifeln das, auch wenn scheint, als ob die Unumstößlichkeit der Richtigkeit dieses Theorems, denn nichts anderes ist es, von Spiel zu Spiel weiter manifestiert wird. Dazu werden durch den vermehrten Einsatz nahezu unzähliger Medien und Maßnahmen unzählige Daten erhoben, aber fälschlicherweise auch der Anspruch auf Beweiskraft.
Dies ist allein deshalb falsch, dass datentechnisch vergleichbare Konstellationen auch zu anderen Ergebnissen führen können. Auf einfach: Eine Mannschaft kann auch dann ein Spiel gewinnen, wenn sie weniger Zweikämpfe gewinnt, weniger rennt, weniger im Ballbesitz ist. So gesehen liegt die Wahrheit also nicht auf dem Platz, sondern sie steht an der Anzeigetafel.
Alles, was diese Daten erfassen, ist die Wirklichkeit. Im Nachhinein. Sobald diese Daten erfasst sind, sind sie Geschichte ohne Perspektive. (Nichts anderes steht in der Fußnote einer jeden Kapitalanlage, wonach die Ergebnisse der Vergangenheit keinen Rückschluss auf die Entwicklung in der Zukunft zulassen.)
Um zur Wahrheit zu gelangen, muss man abstrahieren können. Tun wir das an unserem Lieblingsbeispiel: unserer 1899 Hoffenheim.
Nach dem Spiel waren die meisten Zuschauer recht enttäuscht, wobei man sagen muss, dass sie weitaus weniger ge- und entnervt wirkten als Holger Stanislawski. Im zweiten Spiel in Folge brachte er seine nicht geringe Enttäuschung über das Spiel der eigenen Mannschaft zum Ausdruck.
Zur letztlich korrekten Analyse fehlen uns entscheidende Kenntnisparameter. Wir wissen nicht, was der Plan im Ganzen und die Aufgabe eines Einzelnen war. Wir wissen nicht, ob auch wirklich jeder wusste, was er hätte wissen sollen, aber nehmen wir all das einmal als gegeben an. Wenn dies der Fall ist, dann ist die Enttäuschung nachvollziehbar.
Enttäuschung entsteht aus der Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Je weiter die beiden Letztgenannten auseinanderliegen, desto größer ist Ersteres. Sollte dabei der Wunsch auch noch explizit und erfolgreich kommuniziert worden sein, also hat der Empfänger der Botschaft die Botschaft auch so verstanden, wie der Sender der Botschaft die Botschaft auch verstanden haben wollte (Jeder Mensch, der in einer Beziehung lebt, weiß, wie selten das ist. :-)), dann ist die Enttäuschung noch größer, man neigt dazu zu sagen, verständlich – und kommen da zu einem sehr elementaren Faktor auf der Suche nach der Wahrheit, auch wenn der letztlich keine Rolle spielen darf: die Perzeption.
Wahrheit sollte objektiv sein, Perzeption kann das nicht. Dabei aber gerade sie in unserem Fall besonders interessant: Wir haben hier einen Spielleiter, der nun über mehrere Spiele hinweg mit der Leistung der von ihm trainierten Spieler in der von ihm bestimmten Aufstellung nicht zufrieden war.
Das mag nun an Blasphemie grenzen und bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, dennoch muss man darauf verweisen, dass es diese Parameter schon früher gab. Sowohl unter Rangnick und insbesondere unter Pezzaiouli war es so, dass der Trainer seine medialen Möglichkeiten, er ist immerhin derjenige, der die größte Aufmerksamkeit nach dem Spiel genießt, nach schlechten Spielen der Mannschaft nutzte, um den Pontius zu machen.
Kein Wort der Selbstkritik. Warum kein früherer Wechsel der Spieler, bei denen früh erkennbar war, dass sie das vor 15.30 Uhr Besprochene höchstens mental, aber gewiss nicht physisch abrufen können? Warum einen Ibertsberger von Anfang an bringen, obwohl ihm jegliche Spielpraxis fehlt? Johnson hatte mehr Spielpraxis und hätte das gewiss ebenfalls spielen können. Dafür wäre dann Platz für Firmino gewesen, der diesen dafür für uns als Betrachter unverständlich auf der Bank einnahm.
Ging es hier um Exempel? Das Pokalspiel wurde von einer jungen, unbekümmerten Truppe gespielt, gedreht, gewonnen. Stammspieler wurden geschont. Diese Spieler versagten. Konsequenzen wurden angedroht und wie das so ist mit Drohungen, wenn man sie nicht wahrmacht, verliert man seine Glaubwürdigkeit und diese Maßnahme ihre Wirkung. Also musste es Umstellungen geben. Die Frage war dann, welche, denn so üppig sind die Alternativen ab einem gewissen Niveau, das genau jene Spieler, die die Verärgerung hervorriefen, zweifelsohne besitzen, nicht.
Mit einer fast schon an nordkoreanische Zufälligkeit erinnernde Verletzung löste sich das „Problem“ Beck von allein. Compper und Vorsah erhielten medial durch den Manager Rückendeckung, blieben also nur Firmino, Sigurdsson, Babel, von denen es den Brasilianer und den Isländer traf, die durch die wiedergenesenen Salihovic und Rudy ersetzt wurden.
Insbesondere die Aufstellung des Bosniers überraschte, weil doch Stanislawski früher immer wieder betonte, wie wichtig eine nur schrittweise Heranführung länger verletzter Spieler sei. Was bei Obasi galt, galt bei Salihovic nicht. Er spielte von Anfang an, und er spielte schlecht.
A propos Obasi: Warum wurde zuerst er ausgewechselt, dann Ibertsberger? Als der Österreicher ausgewechselt wurde, hätte man, wäre man nur nach der Akustik gegangen, glauben können, hier verlässt der Mann das Spielfeld, der durch einen lupenreinen Doppelhattrick das Spiel nach einem 0:5-Rückstand im Alleingang gedreht hat. Dem war aber ganz und gar nicht so und so war der Applaus wahrlich nur als Erleichterung zu interpretieren.
Als dann Firmino kam, kam auch so etwas wie ein Schwüngchen ins Spiel der Mannschaft, dann war es aber schon zu spät. Da hatte es Kaiserslautern doch geschafft, nach einem guten halben Dutzend weitaus besserer Chancen, den Ausgleich zu erzielen.
Man kann froh sein, Fan von Hoffenheim an diesem Nachmittag gewesen zu sein. 100% Chancenverwertung. Das war so schlecht nicht. Das war eigentlich das Beste an dem ganzen Spiel unserer Mannschaft, die ansonsten Fußball rumpelte, auch wenn man eigentlich nie das Gefühl hatte, dass der Gegner ein Tor erzielen würde. Aber so ist das halt mit Gefühlen. Bisweilen trügen sie. Und zur Heranziehung von Wahrheit taugen sie nicht wirklich viel.
Aber was ist dann die Wahrheit? Ist das, wie man so sagt, das wahre Gesicht der Mannschaft? Ist unseren Spielern das Gegendenballtreten wichtiger als das Denballinstorschießen?
Es fehle die Gier, sagte Stanislawski, und er erhält dafür Beifall. Rangnick wurde als fanatischer Ehrgeizling betrachtet – und erhielt dafür spätestens jetzt von seinem Körper die Quittung.
Aber jetzt erhalten mal alle etwas, was in solchen Stresssituationen allen Beteiligten gut tut: Abstand – und machen das, was auch Stani vorhat: alles mal sacken lassen.
Und in zwei Wochen geht es dann weiter mit der Suche nach der Wahrheit – auf und neben dem Platz.
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