VfB Stuttgart vs. 1899 Hoffenheim
Best of 2023
Willkommen im Geistreich:
Der Weg zur Übermannschaft
Um es kurz zu machen:
Wenn es einen Grund gibt, an der Glaubwürdigkeit des Christentums zu zweifeln, dann ist das jetzt. Denn gefeiert wird, dass Gott am 50. Tag der Osterzeit, daher der Name „Pfingsten“ (von griechisch πεντηκοστὴ ἡμέρα („pentēkostē hēméra“, dt. 50. Tag) ), den Geist an die Menschen sandte.
Es gibt berechtigte Zweifel – und diese finden sich nicht nur in den Nachrichten, Posts und Tweets in den verschiedensten Medien und Portalen wieder. Ein sehr valides Indiz dafür, dass das mit der Ausgießung des gar heiligen Geistes über die Menschen nicht so ganz geklappt hat, könnte sein, dass dieses Fest kein gesetzlicher Feiertag im Vatikan ist.
Andererseits, da sieht man mal, wie irreführend es ist, wenn man die Dinge, z. B. (Denk-)Prozesse kurz macht, sollte dieser Geist über die Jünger Jesu kommen, so dann die Einheit der Gläubigen schaffen, weshalb dieses Fest oft auch als die Geburtsstunde der Kirche gilt.
Aber wenn man sich jetzt die Anzahl der Kirchenaustritte anschaut, passt das schon besser.
Jene Menschen glauben nicht an (einen) Gott oder das Wort Gottes – oder sie tun es nicht mehr (wenn man andere, ganz irdische Gründe wie „Kein Bock auf Kirchensteuer“ außer Acht lässt), sondern glauben nunmehr eher an das Wort Friedrichs, genauer die drei Worte, die zum ganz wesentlichen Teil zur Bekanntheit Friedrich Nietzsches beigetragen haben:
„Gott ist tot!“
Dass er dies nicht wortwörtlich gemeint haben kann, ergibt sich aus der inhärenten Logik, dass er zuvor gelebt haben muss, es ihn also gab, was aber Atheisten per se bezweifeln. Außerdem zeigte dieser Spieltag, wie lebendig er ist, wie geistreich, wie gewitzt – und wie schwarz sein Humor, was wiederum passt, denn mischt man alle Farben in voller Intensität und gleichen Anteilen zusammen, erhält man … schwarz.
Und wen hat er am Ende der Saison verschont?
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- Da sitzt einer am letzten Spieltag bei den Roten in verantwortlicher Position auf der Bank und überholt die Schwarzgelben, wo einer in verantwortlicher Position auf der Tribüne sitzt, der ihn vor Jahren nach dem letzten Spiel der Saison (Sieg im DFB-Pokal) entließ, weil sie gegen die Mannschaft nicht gewannen, wo jener Mann seine Trainerlaufbahn ebenso begann wie der Mann, mit dem sie als Trainer mit die erfolgreichste Zeit überhaupt hatten.
- Da steigt der große blaue Club mit dem großen Geld aus Deutschlands größter Stadt ab, während der kleine rote sich für den Olymp im europäischen Fußball qualifiziert hat und dort nun das große Geld machen kann.
- Da verpasst ein kleiner blau-weißer Verein aus einer Malocherstadt mit großer Kneipenkultur der schwarz-roten Fußballabteilung eines Big Players der Wirtschaft begünstigt durch einen frühen Arschtritt einen Arschtritt bei dessen Bemühungen, sich ebenfalls für den kleinsten aller Olympe zu qualifizieren, wodurch er seinerseits nicht den Hades überqueren musste, dafür aber ihr Trainer, mit dem sie in die Saison starteten, mit dessen königsblauen Verein, während der Big Pharma-Club trotz Niederlage sein Ziel erreichte, weil der bereits als Absteiger feststehenden Big City-Club den Verein des größten Automobilkonzerns der Welt auf dessen Platz in der 2. Halbzeit ein paar Gänge höher schaltete, so dass die grellgrüne Heimmannschaft jetzt nicht wirklich unter die Räder kam, aber die Fahrt gen Europa jäh beendete.
- Da wollte ein feiner, kleiner blauer Dorfverein aus dem Kraichgau auch hin, der aber kaum, dass er richtig Fahrt aufgenommen hatte, obwohl sein Turbo zum Start nicht zur Verfügung stand, stark ins Stocken geriet – nicht zuletzt dadurch, dass die Nockenwelle überdrehte und einen temporären Totalschaden des Motors verursachte –, so dass man dieses Ziel Europa schnell aus den Augen und auch die Geduld mit dem Chefmechaniker verlor, der einfach keine Alternative in Sachen Antrieb fand, weshalb man sich gezwungen sah, ihn auszutauschen – und dabei fast einen in der Szene weithin Unbekannten aus der Türkei zurückgegriffen hätte (ungefähr so wie – um im Bild der Automobilität zu bleiben – Mehmet Gürcan Karakaş von TOGG – ja, fast TSG, aber – trotz E-Auto – passt nicht) – gegen einen, der mehr Kompetenz beim Reparieren zu haben schien als mit dem Entwickeln, der anpacken und sich die Hände schmutzig machen konnte, was aber weder für ihn ein glückliches Endchen nahm als auch für seine Schwabengarage, weshalb er nach einem Saisonstotterstart mit neun sieglosen Spielen und Platz 17 als sportlich Verantwortlicher des rot-weißen Traditionsvereins aus der Traditionsautostadt entlassen wurde, aber er hatte Stallgeruch, was ja ganz gut zum Dorfverein passte, ebenso wie, dass es scheiße weiterging, denn zwischenzeitlich wurde dieser feine, kleine blaue Dorfverein aus dem Kraichgau von allen anderen überholt, so dass es bis kurz vor Schluss ganz danach aussah, dass es an jenem letzten Spieltag zum „Styx-Spiel in Stuttgart“ kommen würde, wo er mit seinem neuen (dem feinen, kleinen blauen Dorf-) Verein am letzten Spieltag in der Begegnung bei seinem alten Verein, der ihn nach dem 9. Spieltag entließ und der inzwischen von dem Mann trainiert wurde, der wiederum nach dem Ende der letzten Saison von just jener Position bei dem feinen, kleinen blauen Dorfverein aus dem Kraichgau wegen Antriebsausfall auf den letzten Runden, was aber nicht der Fall ward, denn plötzlich war das Aggregat wieder da, die Aggressivität, was die Aggravation (med. „Verschlimmerung“) stoppte und zu einem, um zum theologischen Anfang zurückzukehren, Aggiornamento führte, wie man in der katholischen Kirche die Anpassung der Lehre an das moderne Leben nennt, d.h. wir fuhren im Vorfeld die nötigen Punkte ein.
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Und da sage einer „Gott ist tot!“
Wir sagen:
„Gott sei Dank!“
Die Saison war also für uns schon im Vorfeld entschieden. Auf dem Feld sah es lange Zeit auch so aus, als ob das für uns auch so bleiben sollte. Und das war nicht nur gut so, sondern auch fair.
Wir schenkten den Schwaben nichts, aber auch nichts ein. Wir agierten mit „kontrollierter Defensive“, was ja auch korrekt war, denn wir mussten nur verhindern, mit 24:0 zu verlieren – und das gelang natürlich dadurch am besten, dass wir den Gegner vom Tor weghielten. Das gelang in der 1. Halbzeit hervorragend, so dass sich ein, wie man so sagt, „taktisch geprägtes Spiel“ entwickelte. Im Grunde sah es aus wie ein Spiel um die goldene Ananas.
Die Herkunft dieser Redewendung ist ungeklärt. Vermeintlich geht sie zurück auf Walfänger:
Die Kapitäne dieser Schiffe brachten diese damals ungewöhnliche Frucht mit und spießten sie auf dem Dorn ihres Eisentores auf als Zeichen dafür, dass sie wohlbehalten zurück sind – und/oder der Gastfreundschaft. Man muss halt ein wenig um die Ecke denken. Die Leute waren damals weniger vegan. Ihnen ging es um alles, was sie aus einem Wal machen konnten – und das war viel: Das Fleisch wurde gegessen, aus dem Tran wurden allerlei Sachen hergestellt von Margarine über Reinigungsmitteln inkl. Seifen bis hin zu Lampenöl, aus den inneren Organen gewann man Vitamine und die Barten machten Mieder und Büstenhalter geschmeidig. Die Ananas, bei aller Exotik, war völlig fürn … uninteressant.
Diese Erklärung muss nicht stimmen. Interessant ist aber, dass diese Redewendung für Tennisspieler eine ganz andere Bedeutung hat, denn…
… wer das „Spiel um die goldene Ananas“ gewinnt, ist Wimbledon-Sieger, den just eine solche ziert den Pokal der Herren.
Das passt zu der etymologischen Erklärung: Die Ananas war nur mit großem Aufwand zu besorgen und entsprechend galt sie im 18. und 19. Jahrhundert als wertvoll im Sinne eines Symbols für Reichtum. Wer sie seinen Gästen servierte, brachte ihnen also eine Wertschätzung entgegen.
Unsere Wertschätzung war der Kampf. Aber man muss auch ehrlichweise sagen: Wäre diese Partie so wenige Wochen zuvor so verlaufen, man hätte die Nerven verloren, denn eigentlich reagierten wir nur gut. Wenn wir agierten, taten wir das schlampig. Entsprechend nie kamen wir in der ersten Halbzeit in Strafraumnähe.
Das hatte natürlich auch mit den Gastgebern zu tun, die ja gewinnen mussten, um uns in der Tabelle zu überholen, aber auf gar keinen Fall verlieren durften, um nicht Gefahr zu laufen, auf Platz 17 zu landen. Das gab uns einerseits wenig Räume nach vorn, machte aber viel im Kopf der Gastgeber, wenn sie mal eine Chance hatten, die sie anfangs kläglich vergaben, denn auch von diesen brachten sie keine aufs Tor.
Das verbesserte sich zwar optisch mit der Zeit, immerhin landeten zwei Schüsse an der Umrandung unseres Gehäuses, aber halt nicht drin, was den Faktor „Verzweiflung“ bei den Hausherren noch größer werden ließ, zumal die Ergebnisse auf den anderen Plätzen nicht in ihrem Sinne liefen. Außerdem gibt es ja da diesen Satz von wegen „wenn du sie vorne nicht machst …“ – und so war es dann auch: (eine bei uns so maximal verhasste) Halbfeldflanke Angelinos, perfekt platziert und erlaufen von Bebou, der den Ball recht frei und super souverän per Kopf zur 1:0-Führung einnetzt.
Spätestens jetzt war klar, dass wir diese Saison nicht absteigen würden, denn offiziell war nur noch eine Viertelstunde zu spielen.
Die Gastgeber hätten wahrscheinlich noch ewig weiterspielen können, ohne ein regelgerechtes Tor zu erzielen, aber auf Dr. Brych et al. war Verlass. Fünf Minuten später gelang den Gästen dann aber doch der Ausgleich – nach einem niemals beabsichtigten, aber dennoch klaren Foulspiel an Skov.
Diese Szene wäre im Mittelfeld oder in jeder anderen Situation definitiv zu unseren Gunsten als Freistoß zu unseren Gunsten oder – in umgekehrter Konstellation als Elfmeter zu unseren Ungunsten gewertet worden. Wir hatten einfach großes Glück, dass wir zu diesem Zeitpunkt sicher gerettet waren. Außerdem ging zeitgleich die Heimmannschaft in Köpenick in Führung. Weder dort noch in der Landeshauptstadt passierte noch weiteres Zählbares, so dass wir die Saison 2022/23 mit unserer besten Platzierung des Jahres abschließen.
Wie gesagt, Gott einen herrlichen Humor.
Und er war uns wieder einmal gnädig.
Möge uns endlich sein Geist erreichen. Und wer es damit nicht so hat, sei’s drum: Wendet euch Nietzsche zu. Die beiden sind sich ähnlicher, als viele denken.
Die TSG will ja angeblich die große Analyse durchführen. Wir helfen gern, geistreich – und ganz gar untheologisch – eben mit Nietzsche.
In „Also sprach Zarathustra“ beschreibt er drei wesentliche Stadien, die der menschliche Geist im Laufe des schweren Prozesses der Wahrheits- und Selbstfindung durchläuft – und das täte der TSG wahrlich gut.
„Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele wird, und zum Löwen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der Löwe.“
Die erste Verwandlung des Geistes zum Kamel steht für den „demütigen Geist“. Seine Werte sind Demut, Selbstverleugnung, Genügsamkeit, Folgsamkeit und Anpassungsvermögen [vgl. Aggiornamento] an widrige Umstände, d. h. Leidensfähigkeit:
„Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde. Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten?“
Die zweite Verwandlung ist die des Kamels zum Löwen, dessen Ziele Macht durch eine erkämpfte hierarchische Ordnung, Freiheit im Sinne von Souveränität der Stärksten und Selbstbestimmung sind.
„Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine Brüder, bedarf es des Löwen. Recht sich nehmen zu neuen Werthen – das ist das furchtbarste Nehmen für einen tragsamen und ehrfürchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und eines raubenden Thieres Sache.“
Da der Löwe aber nicht konstruktiv, sondern nur destruktiv wirken kann, ist eine dritte Verwandlung nötig (zur Neuerschaffung der moralistischen Wertewelt). Das Kind steht für einen Neubeginn in ursprünglicher Unschuld – der Mensch wird so zum Schaffenden, nachdem die alten Werte überwunden, d. h. abgelegt sind:
„Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-Sagens.“
Dahinter verbirgt sich dann schon Nietzsches Idee der ewigen Wiederkehr. Das Bild des Kindes als Ausgangs- und schließlich wieder Endpunkt der ewigen im großen Bogen verlaufenden Entwicklung des Individuums. Diese Vorstellung führt dann irgendwann zum fast schon utopisch zu nennenden Übermenschen, der alle menschlichen Schwächen, d.h. bei Nietzsche Krankheiten und Abhängigkeiten, überwunden hat.
Es ist also noch ein sehr langer Weg zur Übermannschaft. Das muss aber das Ziel sein – und sei es nur, um Abstand vor dem Abgrund zu nehmen, an dem wir wieder einmal standen. Und der Weg ist ja offensichtlich: sei demütig, kämpfe und kehre zurück zum Spiel.
Das war’s.
P.S.:
Geneigte/r Leser/in,
danke fürs Ertragen – auch unserer Ergüsse. Wir wissen, naja: zumindest ahnen wir, dass es oft anstrengend war, unseren Gedankenspaziergängen zu folgen. Aber wir wollen Sie ja bereichern und nicht selten in der Spielzeit auch mal ablenken von dem, was auf dem Platz und/oder der Presse passierte.
Fußball ist nur eine Nebensache. Die Hauptsache ist die eigene Gesundheit, die eigene Verfasstheit, das eigene Wohlfühlen … wenn Fußball im Allgemeinen und die TSG dazu beitragen kann, ist das gut und schön. Wenn aber weder Spiel noch Ergebnis weder gut noch schön ist, dann braucht es davon Abstand. (Und auch Anstand, liebe Foren-Fans 🙂 ) – Und spätestens dann kommen wir ins Spiel.
Wir laden ein auf einen Gedankenspazierganz, frische Luft und Infos für die grauen Zellen, auf dass sich das positiv auf dein Wohlfühlen, deine Verfasstheit, deine Gesundheit auswirken möge. Ganz im Sinne von
mens sana in corpere sano
was übrigens NICHT zu wörtlich zu verstehen ist, also dass es einen gesunden Geist nur in einem gesunden Körper geben könne (wie übrigens auch der Terminus „Übermensch“ bei Nietzsche NICHTS mit dem zu tun, hat wie Nazis dies missbrauchten).
Auch das hat man halt davon, wenn man es zu kurz macht. Dem römischen Dichter Juvenal, aus einer Satiren dieser bekannte Satz stammt, geht es vielmehr um die Sinnhaftigkeit von vor allem Gebeten mit materialistischen Inhalten und törichten Fürbitten, gerne auch zum Nachteil anderer. Vielmehr sollte man darum beten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.
„[…] orandum est ut sit mens sana in corpore sano.“
(Satire 10, 356)
Eigentlich das perfekte (Stoß-)Gebet – nicht nur Pfingsten. 🙂
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