1899 Hoffenheim vs. Borussia Mönchengladbach
Das Schweigen der Lämmer
Eine Publikumsbeschimpfung?
„Wir sind Papst!“ So titelte die Bild-Zeitung vor Jahren, nachdem der Konklave aus Josef Ratzinger Benedikt XVI. machte, und schuf damit ein Stück deutscher Sprachgeschichte. Ganz so gelungen war das Wortspiel im Vorfeld dieses Spiels gegen den bisherigen Tabellenzweiten und bisher nebst der eigenen einzigen Mannschaft, gegen die der deutsche Rekordmeister in dieser Saison nicht gewann, nicht. Angeblich forderte der Trainer, sofern man dieser Gazette Glauben schenken darf, die Fans zu mehr Anteilnahme auf. Aus dem Kraichgau solle mehr „Kreischgau“ werden.
So nachvollziehbar und wünschenswert dieser Wunsch auch ist bzw. war, es blieb einer. Im Gegenteil, das Publikum schien noch weniger gewillt zu sein, die eigene Mannschaft in, wie man so sagt, „kritischen Phasen“ zu unterstützen. Jeder, auch der erste, Fehler wurden sofort mit Missachtung und Ablehnung gewertet – und das auch akustisch wohl vernehmbar.
Nun wäre es wahrlich vermessen, würden wir uns als die Laut-Sprecher der Hoffenheimer Anhängerschaft hervortun wollen. Das sind wir nicht. Dazu wären wir zu wenige, dazu finden wir einiges, was da skandiert wird, nicht nachahmenswert, aber das heißt nicht, dass wir bis zum 6:0 warten, bis wir uns freudig erheben und durch rhythmisches Aufeinandertreffen der Handinnenflächen unser Wohlwollen zur dargebotenen Leistung dokumentieren wollen.
Sehr zum Missfallen unserer Hintermänner und -frauen tun wir das auch während des Spieles, auch ohne den unmittelbaren Erfolg. Und sollte etwas mal nicht klappen, setzt auch schon einmal das Hirn ein, um zu wissen, dass, wenn eine Aktion missriet, man gewiss nicht zur Besserung beiträgt, wenn man seinen Unmutsbekundungen freien Lauf lässt.
Bei uns.
Dieses Maß an Reflektion scheint aber den meisten im Stadion nicht wirklich geläufig zu sein. Man schien geradezu darauf versessen, seinen Unmut deutlich kundzutun. Fühlte man sich gar von dem Trainer, den man ja bis jetzt aufgrund seiner Sprüche, seiner Strafenstringenz (zu spät zum Essen = Bank) und seiner Lockerheit im Umgang mit den Fans gelobt, ihm fast schon gehuldigt hat, plötzlich in die Pflicht genommen?
Es gab schon andere Heimspiele in dieser Saison, in denen unsere Mannschaft zumindest zu Anfang nicht brillierte, aber selbst da war es im Verhältnis zu diesem Spiel gelassen. Oder waren es die drei Sieglosspiele im Vorfeld? Irgendetwas sorgte bei den meisten für einen Rückfall in die eigene Sozialisation, wo die meisten Besucher des Spiels als Knaben und junge Männer eine Pädagogik erfuhren, die heute teilweise Bestandteil des Strafrechts ist.
Natürlich war das Spiel nicht gut. Wer hatte das erwartet? Unsere Mannschaft spielte zuletzt wenig überzeugend. Sie bekam extern, aber gewiss auch intern einiges zu hören. Und dann kamen noch ein paar Ausfälle von Spielern dazu, die sonst Garanten auf dem Platz waren: Starke, Rudy sowie seit geraumer Zeit Salihovic. Zudem erhielt Obasi erneut eine erzieherische Maßnahme, so dass da eine Mannschaft auf dem Platz stand, die so noch nie in einem Punktspiel zusammenspielte – und das eben gegen den Tabellenzweiten.
All das schien niemanden zu interessieren. Haas im Tor wurde beim ersten Abschlag, der ins Aus ging, ausgepfiffen. Starke unterläuft das mehrfach pro Spiel. Da kommt nichts. Aber bei einem Mann, der weiß, dass er als Unsicherheitsfaktor gerade bei Ecken und hohen Bällen gilt und der seit langer Zeit mal wieder von Anfang an spielen muss, gleich zu pfeifen, wirft kein gutes Bild auf den Charakter der Menschen, die auf die Beleidigungen gegen Herrn Hopp mit großer Empörung reagieren und auch Aktionen bar jeglicher Rechtmäßigkeit gutheißen, die diese Schmähungen unterbinden sollen.
Während sie sich mit dem Gönner ganz und gar identifizieren können, scheinen sie das mit der Mannschaft nicht zu können. Ihn unterstützen sie voll und ganz, sie unterstützen sie so gar nicht.
Vorsah machte kein gutes Spiel, sobald er mit Spielaufbauaufgaben betreut war. Über die Woche scheint er den Nord-Ost-Diagonalball in bester Tipp-Kick-Manier trainiert zu haben. Die Idee war immer gut, die Ausführung die ersten Male war es nie. Reaktion: Pfiffe. Frage: Was soll der Mann nun tun, wenn er das nächste Mal an den Ball kommt? Ihn wieder zum Torwart zurückspielen, der dann seinerseits ausgepfiffen wird? Ja, es war ein Heimspiel.
In der Tat fand unser Mittelfeld nicht statt. Es fehlte einfach eine Anspielstation wie Rudy. Johnson und Williams spielen einfach anders. Sigurdsson war noch nie ein Spielgestalter. Und Firmino und Babel wurden meist gut gedeckt. Da gab es halt wenig gelungene Kombinationen. Ja, es gab viele Fehlpässe. Aber die gab es beim Gegner auch. Fehlpässe sind nicht immer Ausdruck von mangelnder Technik, sondern auch sehr guten Abwehrverhaltens. Für Reflektionsallergiker zu komplex.
Und dennoch gelangen uns nicht wenige Torchancen. Zwar dauerte das wieder bis zur 20. Minute, aber dann ging es und es ging auch immer besser. Ibisevic hatte zwei, drei gute Chancen, konnte sie aber nicht verwerten, was aber nicht an seiner Unfähigkeit lag, sondern an Umständen wie Gegenspieler sowie einem Torwart bei der Gästemannschaft, der anerkanntermaßen nicht der schlechteste seiner Zunft ist. Zudem spielte er nach Monaten mal wieder von Anfang an, doch auch er bekam für die erste vergebene Chance wenig aufmunternden Applaus oder Zurufe, sondern Pfiffe. „Typisch“, hörte man die Menschen um uns rum rufen und man fragte sich „für wen?“
Und auf den Halbzeitpfiff des Schiedsrichters folgten weitere des Publikums. Das Spiel war nicht gut, aber keine Katastrophe. Man lag nicht zurück. Man hatte die besseren Chancen, aber scheinbar keinen Kredit mehr bei der eigenen Anhängerschaft, sofern dieses Wort hier überhaupt angebracht ist.
(Wer ruft hier „Eventpublikumdrecksschnöselpack?“ Bitte wahren Sie Contenance!)
Nach der Halbzeit hatten die Gäste wieder die erste, eine richtig gute, sogar ihre beste Chance. Daniel Haas war da und hielt den Ball sicher. Da blieb es still. Dabei war das gar nicht mal sooo einfach. Überhaupt war er ruhiger als sonst, er ließ keinen Ball abtropfen, faustete nie ins Nirgendwo, sondern hielt jeden Ball, der zu halten war, und den dann auch noch fest. Das war richtig gut.
Braafheid arbeitete nach vorn und hinten, spielte kampfbetont, technisch teilweise zum Zungeschnalzen, Szenenapplaus? Nichts mitbekommen.
Beck arbeitete nach vorn und hinten. Spielte unsicher, stand meist zwei Meter hinter Compper, was natürlich doof ist, wenn man den Gegner abseits stellen will, gestikulierte viel und brachte außer zwei Bällen in den Strafraum wenig zustande. Da ward das Grummeln schon vernehmbarer.
Compper, auch nicht gerade der Inbegriff der Sicherheit in der letzten Saison, spielte einwandfrei und auch Vorsah machte seine Sache (und die ist der Spielaufbau ja nicht) wirklich gut. Außer dem Trainer lobte das aber keiner.
Was wirklich schlecht war, das waren die Freistöße. Da schienen komplexe Tricks einstudiert worden zu sein, aber nicht verstanden. So wurde zwei, drei prima Chancen vergeben. Vielleicht hätte doch Sigurdsson schießen sollen, dann hätte man auch verstanden, was sein Rolle auf dem Platz war. So schoss meist Babel und das – wie nach rund einer Stunde – in die Mauer.
Daraus entstand aber das Siegtor, nachdem der Ball von Braafheid von links nach innen über die komplette Abwehr der Gastmannschaft geflankt und von Johnson nicht getroffen, dafür gestoppt wurde, den dann Ibisevic über die Linie spitzkickte.
Die Freude war so groß wie kurz. Schnell beruhigte sich das Stadion wieder. Erst wenige Minuten vor Schluss, als die Südkurve zur Erhebung von Körper und Stimme einlud (was wiederum unseren Hintermenschen missfiel – sie verweisen dabei gerne darauf, dass sie einen Sitzplatz hätten. Als ob man ihnen das Sitzen streitig machen wolle? Ts, ts, ts …), war dann das Stadion da, also die, die noch da waren, denn wie immer, auch bei dieser knappen Führung, begann rund 10 Minuten vor Schluss der offensichtliche Niedergang der Zuschauer, die sich aus ihren hohen Plätzen hinunter zum Ausgang begaben.
Der Trainer(stab) hat hier wirklich schon viel erreicht; das Stadionpublikum noch nicht.
Nach dem Schlusspfiff gab es dann nach dem Spielerkreis am Mittelkreis (Obasi inklusive) eine kleine Runde der Mannschaft übers Grün, aber kein Humpta-Tätärää, kein „XXXX auf den Zaun“, kein gar nichts.
Und so dachte man um 17.30h, wenn man vom Stadion hinaus auf die hügelige Landschaft der Region schaute, kurz nach dem Sieg gegen den bisherigen Tabellenzweiten, der uns auf drei Punkte an den neuen Tabellenzweiten ranbrachte, weniger an den von Stani geforderten „Kreischgau“ als an Goethes „Wanderers Nachtlied“:
Auch wenn es wirklich kein schönes Spiel war: Schade!
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