FC Augsburg – 1899 Hoffenheim
Rheologie in Action.
Nicht alles im Fluss, aber drei Punkte im Sack.
- Kälter als das Wetter: TSG 1899 Hoffenheim.
- Die TSG 1899 Hoffenheim: 100% verlustpunktfrei in 2017.
- Der höchste TSG-Sieg des Jahres.
Es gibt zahlreiche Varianten, mit denen man den Sieg unserer TSG zum Abschluss der Hinrunde, boulevard(presse’)esk auch be- und überschreiben könnte, aber landauf landab belässt man es bei dem Fakt des „Immernochungeschlagenseins“. Wenngleich diese Tatsache an sich schon sehr beeindruckend ist, nicht zuletzt wenn man berücksichtigt, wo wir letztes Jahr standen, dass wir den jüngsten Trainer und einen der jüngsten Kader in der Liga haben und dass dies in dieser Saison keiner anderen Mannschaft in den fünf Top-Ligen Europas gelungen ist – und auch in der über 50jährigen Bundesligageschichte es erst das sechste Mal war, dass eine Mannschaft die Hinrunde ohne Niederlage abschloss (Bayern München (3x), HSV und Bayer Leverkusen (je 1x), ist es an sich nichtssagend, denn, wie bereits an anderer Stelle aufgeführt, kann man auch mit 34 ungeschlagenen Spielen absteigen, dann nämlich, wenn dieses Faktum ausschließlich auf Unentschieden beruht. Derer haben wir auch sehr viele auf dem Konto, sodass wir auch die einzige der vier niederlagenfreien Mannschaften sind, die am Ende der Hinrunde nicht auf Platz 1 stand.
Jetzt aber ein Sieg, der nach 90 Minuten auch überaus verdient war, obwohl in den ersten 45 Minuten alles nach einem meteorologisch passenden 0:0 aussah, immerhin fand das Spiel im an dem Tag kältesten Stadion des Spieltags statt.
Die -7 °C zum Zeitpunkt des Anpfiffs waren zwar nicht das kälteste Spiel, zu dem die TSG in der Bundesliga antreten musste, aber natürlich haben solche Witterungsverhältnisse einen großen Einfluss auf die Spieler. Muskulatur, Gewebe, Faszien sowie die diversen Flüssigkeiten im Körper mussten auf Temperatur gebracht und gehalten werden, was an sich geht, allerdings gibt es dabei ja noch ein Fußballspiel zu spielen, Taktik im Kopf und Gegenspieler im Auge zu behalten sowie die eigene Kondition intelligent auf die gesamte Spieldauer zu verteilen, schließlich ändert die Temperatur nichts an der Tatsache, dass 90 Minuten + X gespielt werden müssen.
So kann man sagen, dass es sehr klug war, dass die Mannschaft in der ersten Halbzeit es eher ruhig hat angehen lassen. So konnte zwar die Betriebstemperatur gehalten, andererseits halt der Gegner nicht unter Druck gesetzt werden. Außerdem gab es Umstellungen in der Mannschaft an für das System Hoffenheim entscheidenden Stellen. Kaderabek und Toljan, die variablen Außen mussten ersetzt werden. Zuber und Ochs übernahmen das, so dass es auch in dem Punkt klug war, nicht gleich unter Volllast zu fahren.
Andererseits, das muss man der Fairness halber dazusagen, machten es die Hausherren unserer Mannschaft mit ihrer aggressiven Spielweise einen kontrollierten Spielaufbau auch alles andere als einfach.
Viele kleine Fouls sowie der Schiedsrichter sorgten zudem dafür, dass das Spiel nicht so richtig in Fahrt kam. Sein energisches Einschreiten bei vielen Nickligkeiten sowie sein rigoroses Verwenden seiner Brusttaschenkarte, was man einerseits für übertrieben halten kann, andererseits aber auch für eine angemessene Maßnahme, um ein Spiel, zumal bei diesen potenziell verletzungsfördernden Umständen, nicht eskalieren zu lassen, hemmten den Spielfluss zusätzlich, so dass es in der ersten Halbzeit ein insgesamt doch eher zäher Kick war.
Jeder Mannschaft gelang im ersten Durchgang nur ein wirklicher Torschuss, was auch zeigt, dass beide Defensivreihen sehr gut arbeiteten. Dabei hatte die unsere weitaus mehr zu tun, aber sie agierte und reagierte in einer Art, die man nicht nur witterungsadäquat als „eiskalt“ bezeichnen kann. Was Süle, Vogt und Hübner da hinten veranstalteten, war schon ganz großes Abwehrkino.
Nur halt nach vorne ging wenig. Ochs und Zuber brachten nicht den Druck nach vorne wie die etatmäßigen Spieler auf diesen Positionen, Demirbay und Amiri verzettelten sich in vielen Zweikämpfen und verloren sehr viele Bälle bzw. spielten beim Versuch, Wagner und Uth in Szene zu setzen, den Ball zum Gegner, der aber auch sehr resolut, nicht unfair, nur halt konsequent gegen unsere Spitzen vorging. Rudy hatte von allen Akteuren unseres Mittelfelds immer noch die größte Ruhe, Übersicht und meist auch die beste Idee, was wann mit dem Ball zu tun ist – und sei es ein Rückpass. Obwohl er eher unspektakulär spielte, konnte man genau sehen, warum die Bayern sich seine Dienste ab der nächsten Saison sicherten.
Die Halbzeit bot den Fans reichlich Gelegenheit, sich zu echauffieren. Ein wunderbares Wort, das wir hier wörtlich meinen, obwohl es in Deutschland ja meist nur als Synonym für „aufregen“ benutzt wird. (Wie man unschwer erkennt, kommt es aus dem Französischen, das sich zusammensetzt aus der Vorsilbe „é“, die eine Verstärkung des Folgeverbes anzeigt, also so etwas wie „sehr“ bedeutet, und „chauffer“ („erwärmen“).)
Natürlich regte man sich auf, über den Schiedsrichter und da vor allem über die gelbe Karte gegen Süle (1,94 m), dessen Minischubser Koo (1,83 m) zu einer Flugeinlage nutzte, die in jedem Martial Arts-Film preisverdächtig gewesen wäre, aber auf dem Fußballplatz einfach grotesk war.
Naja – und das doch viskose Spiel unserer Mannschaft. (Viskose hat hier nichts mit dem Textilienstoff zu tun, sondern ist (Experten erkannten es schon an der Kleinschreibung) als Adjektiv eingesetzt, abgeleitet von dem Maß für „Zähflüssigkeit eines Fluids“.
Nun weiß jeder, dass Temperatur einen erheblichen Einfluss auf Fluide hat. Nicht nur, dass sie deren Fließfähigkeit verändert, sie kann sogar zu einer Veränderung ihrer Aggregatszustände führen – in „fest“ ab einer spezifischen niedrigen Temperatur (z. B. 0 °C bei Wasser) oder „gasförmig“ ab einer spezifischen hohen Temperatur (z. B.: 100 °C bei Wasser).
Was vielleicht nicht jeder weiß, ist, dass es im Grunde zwei Arten von Fluide gibt: Newton’sche Fluide (die sich in ihrem Verhalten linear verändern) und Nichtnewton’sche Fluide, die ein zeit- oder schergeschwindigkeitsabhängiges Verhalten aufweisen. Letzteres verweist auf die räumliche Veränderung der Flussgeschwindigkeit – und die zeigte sich, wenn man das mal in Fußball übersetzt, in Halbzeit 2 durch die Herausnahme von Ochs sowie die Hereinnahme von Kramaric: die räumliche Veränderung der Spielflussgeschwindigkeit veränderte sich deutlich zu unseren Gunsten.
Und haben sich Fans in der Halbzeitpause schon schön warm geredet, waren sie (und ihre Stimmbänder) zwei Minuten nach Wiederanpfiff heiß, weil auch unsere Spieler ihre Viskosität zwar noch nicht auf Null, aber doch deutlich reduziert haben, was sich auch sofort zeigte: Toooor!
Amiri nutzte den ersten Fehlpass der Hausherren, schickte Wagner steil, der sich dann mit Wucht gegen seinen Gegenspieler durchsetzte, um dann den Ball mit Technik ins lange Eck zu befördern. Es war seine erste Chance im Spiel und der beste deutsche Stürmer hat sie bei -8 °C mehr als eiskalt verwandelt.
Der Treffer war eine Initialzündung, denn nun wurde unser Team immer heißer, damit beweglicher, wusste Räume besser zu nutzen und überhaupt lief der Ball immer flüssiger in unseren Reihen.
Das machte das ganze Spiel zu einem fußball-rheologischen Lehrstück (nein: nicht „theologischen“ und auch nicht „geologischen“ (Die Rheologie befasst sich unter anderem mit dem Fließverhalten von Materie.)), das auch zeigte, dass die TSG, könnte man das wirklich 1:1 auf diese Wissenschaft übertragen, ein nichtnewton’sches Fluid wäre, weil sie eben variabel, dennoch berechenbar auf externe Einflüsse reagierte.
(Im Gegensatz zu den sich in Rotation abnormal verhaltenden Stoffen wie Honig, Teig, Ketchup. Wenn man beispielsweise etwas von Letzterem in ein Wasserglas füllt und diese Mischung dann mit einem Stab rührt, behält es seine glatte Struktur NICHT, sondern klettert den Stab hinauf. Dasselbe Verhalten kennst du, geneigte/r Leser/in auch noch von deinen Weihnachtsvorbereitungen – beim Teigmachen. Auch da klettert die Masse am Rührstab hoch. Und wenn du das nächste Mal beim Backen klugscheißen willst: Dieses Phänomen nennt man „Weissenberg-Effekt“.)
Die Hausherren wurden durch dieses Tor natürlich nicht nur metereologisch kalt erwischt – und entgegen dem gern via Mikrofonen verbreiteten „psychologisch wichtigen Zeitpunkt“, den Journalisten ja gerne kurz vor der Halbzeit wähnen, obgleich dies der vielleicht psychologisch unwichtigste Zeitpunkt überhaupt ist, weil man als Mannschaft, die getroffen hat, nicht sofort nachlegen kann, bzw. als die Mannschaft, die das Tor gefangen hat, sich in Ruhe auf die neue Situation einstellen kann. Jedes Tor hat einen psychologischen Effekt auf die Akteure, ganz egal, wann es fällt, aber wenn es denn einen Zeitpunkt gibt, der psychologisch wichtig ist, dann ist es direkt nach Wiederanpfiff, denn was auch immer der Plan der nun zurückliegenden Mannschaft ist, eine Umstellung auf den Rückstand ist nun in Ruhe nicht mehr möglich. (Zumindest aktuell, denn vielleicht kommen die Regelmacher der FIFA noch auf die Idee der Auszeit – die fehlte nämlich van Bastens Ideenwust.)
Sie muss nun anders agieren, während zum einen das Spiel weiterläuft, zum anderen der nun führende Gegner abwarten und reagieren kann.
Dabei spielte unsere Defensive weiterhin höchst souverän. Auch das Mittelfeld hatte nun mehr Ruhe, so dass die Kontrolle über den Kick mehr und mehr zunahm und sich auch immer mehr Chancen für die TSG ergaben, die aber wie bereits im letzten Jahr des Öfteren zu sehen, nicht konsequent zu Ende gespielt wurden.
Doch nicht alles aus 2016 wurde beibehalten: Kramaric traf.
Rund eine Viertelstunde nach dem Führungstreffer legte die TSG nach. Eine sehr fluide Passfolge brachte den Ball auf links zu Uth, der ihn wunderbar vors Tor passte, wo unser kroatischer Stürmer diesmal nicht den Torwart traf, sondern endlich, endlich mal wieder ins Netz. 2:0. Die Freude auf den spärlich besetzten Rängen im Gästeblock sowie in den eigenen Reihen war groß – das Spiel durch.
Das spürte wohl auch Julian Nagelsmann, der entgegen dem, was man sonst so von ihm kennt, nur noch defensiv einwechselte. Schär und Polanski machten in der 74. sowie der 87. Minute Platz für Demirbay bzw. Amiri. Kurz vor dem Polanski/Amiri-Wechsel hatte Augsburg seine größte Chance im Spiel, doch Baumann reagierte gewohnt souverän – gegen den Ex-Hoffenheimer Schmid.
Schlusspfiff.
1. Spiel in 2017.
1. Sieg
So kann’s weitergehen …
Und schon nächste Woche wartet ja der nächste Kracher – gegen den Tabellennachbarn aus Sachsen. Naja, mal sehen, was Julian Nagelsmann da anrührt. Wäre ja schon honigsüß, wenn wir – ganz im Sinne des Weissenberg-Effekts – punktemäßig weiter hochsteigen könnten.
Aber jetzt freuen wir uns erst mal über die super Hinrunde, den Top-Start ins neue Jahr und überprüfen das mit dem Ketchup … 🙂
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Hmmmm, hübsch. Und flüssig 🙂 Nur der Pass zum 2:0 kam von Uth und Pass zu Uth von Amiri.
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So ändern sich die Zeiten: vor knapp 2 Jahren freute sich Gisdol über die 52 saisonübegreifenden Punkte 42 in 2014 – und dann musste man nach Augsburg…
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