SV Darmstadt 98 vs. 1899 Hoffenheim
Karma
Ursache und Wirkung(slosigkeit)
Es war das mit Abstand schönste Spiel des Jahres. Jeder Fußballfan konnte gar nicht anders als begeistert sein. Man musste es einfach live erlebt haben, denn auf dem Rasen sowie den Tribünen ging es heiß her, sehr heiß. Das war Karma.
Das darf man jetzt aber nicht falsch verstehen. Für gewöhnlich versteht man ja unter Karma dieses Konzept von Ursache und Wirkung, das sich in vielen fernöstliche Religionen wiederfindet (Hindusimus, Buddhismus, Janaismus) und das darauf basiert, dass jedwede physische wie geistige Handlung eine Folge hat, wobei diese Folge nicht unmittelbar erfolgen muss, sondern sich auch erst in einem zukünftigen Leben zeigen kann. (Also ganz im Gegensatz zu dem hier üblichen Glauben insbesondere von Müttern, wonach der Herr kleine Sünden immer sofort bestrafe. Ohnehin gehen diese Religionen generell nicht von einem strafenden Gott aus. Das liegt daran, dass es im Buddhismus keinen, im Hinduismus unzählige gibt.)
Unsere Einleitung ist aber nicht spirituell, sondern meteorologisch zu verstehen. „Karma“ ist nämlich der Name, den das Institut für Meteorologie der FU Berlin dem herrschenden Sommerhoch verliehen hat ( – für 299,– €; das kostet eine so genannte Wetterpatenschaft für ein Hoch. – Der Vollständigkeit halber: Eine Patenschaft für ein Tief gibt es bereits für 199,– €)
In keinem der Kommentare wurde aber dieses Karma erwähnt, was bei den Verantwortlichen und den Akteuren wohl in der Angst begründet gewesen sein dürfte, sich dem Vorwurf auszusetzen, abzulenken und eine Ausrede für eine schwache Leistung finden zu wollen.
Das aber wäre nicht fair, denn im Gegensatz zum religiösen Karma kannte das so genannte Hoch absolut keine Gnade. Die Sonne brannte wahrlich erbarmungslos auf das Grün und Grau des altehrwürdigen Stadions hernieder und da es nur auf der Haupttribüne so etwas wie eine Überdachung und damit in dem Falle Schatten gab, konnten die meisten Zuschauer sich problemlos vorstellen, wie es denn denen gehen muss, die bei den Temperaturen auch noch rennen müssen.
Und die Zuschauer litten schon sehr an den Temperaturen, was in der Halbzeit nicht besser wurde, da es für den gesamten Gästeblock gerade einmal zwei Getränkeständchen gab, bei denen dann auch noch einige der Flüssigkeiten ausgingen.
Da schwand dann doch die anfängliche Euphorie über den Charme dieser anachronistischen Spielstätte, allerdings war man zumindest aus egoistischen Gründen froh, dass dieses Spiel am wohl letzten Sommersamstagnachmittag 2015 stattfand – und nicht an einem stürmisch-nasskalten Herbstfreitagabend.
Aus spielästhetischen Gründen wäre es umgekehrt gewiss besser gewesen, denn dann hätten wir bestimmt nicht nur wenige gute Minuten unserer Mannschaft gesehen, wie es ab der 70. Minute der Fall war.
Zuvor war schlicht nix los. Es gab zwar den ein oder anderen Ball in den Strafraum oder auch mal ein Schuss in Richtung Tor, aber in Erinnerung musste keiner der Torhüter in der ersten Halbzeit auch nur einen Ball halten.
Natürlich war klar, dass die Gastgeber unsere Mannschaft das Spiel würde machen lassen wollen – und auf Fehler warten. Ergo war es logisch, dass wir sehr darauf bedacht waren, gerade im Spielaufbau keine Fehler zu machen und alles dafür zu tun, Ballverluste zu vermeiden. Entsprechend oft wurde immer wieder nach hinten und/oder quer gespielt, wenn es nur der Ballsicherung diente.
Dieses Konzept ging auf und führte zu beeindruckenden Zahlen, wie wir sie bislang nicht erreicht haben: 70% Ballbesitz sowie eine Passquote von 80% ermittelte der kicker – was nur unmerklich schlechter ist, als die Zahlen, die die Bayern letzte Woche gegen uns erzielten.
Sieht gut aus. Aber sagt nichts. So schön es ist, dass von den 465 gespielten Pässen (Letzte Woche passten die Bayern rund 50% mehr.) 372 beim Mitspieler ankamen, müsste man schon analysieren, wie hoch der Anteil an sowie die Quote bei Offensivpässen war.
Wie gesagt, am Ende war es um einiges besser, was ein wenig versöhnlich stimmte, aber halt doch nicht den Erwartungen entsprach, die man nach den beiden ersten Ligaspielen haben durfte.
„Das war das Maximum, was wir aktuell spielen können“, sagte Markus Gisdol nach dem Spiel letzte Woche – und uns schwante da schon vielleicht nicht gerade Übles, aber doch, dass wir keinen Auftritt unserer Mannschaft sehen würden, der an die Leistung jenes Spieles heranreichen dürfte. Karma tat ihr Übriges.
Denn nach wie vor krankt unser Spiel nach vorne. Zwar wurde erfreulicherweise auf den Vorsah-Gedächtnispass als Mittel des Spielaufbaus verzichtet, allerdings fehlte auch eine valide Alternative gegen eine völlig defensiv eingestellte Mannschaft – und wenn es so etwas ansatzweise gab, fehlte wie schon seit langem die Präzision im Zuspiel.
Vielleicht war die Taktik von Anfang an auf ein Geduldsspiel ausgelegt und vielleicht würde man das heute alles anders bewerten, hätte sich Kuranyi frei vorm Tor für den anderen Fuß entschieden, Schmid nicht direkt auf den Torwart gezielt oder kurz darauf es selbst gemacht statt auf Kuranyi abzulegen, der den Ball dann nicht mehr voll traf.
Aber Kuranyi schoss vorbei, deren Keeper konnte dem Ball nicht ausweichen und ein Darmstädter Verteidiger konnte den kullernden Ball sowohl faktisch als auch im übertragenen Sinne in letzter Sekunde mit einer fast schon an eine ans Bodenturnen erinnernden Figur noch von der Linie kratzen.
0:0 – wobei wir sogar noch Glück hatten, denn im Gegenzug schossen die Gastgeber das erste Mal wirklich gefährlich aufs Tor, doch Baumann konnte den Ball gerade noch um den Pfosten lenken.
So gesehen kann man mit dem Punkt noch zufrieden sein, sofern man live dabei war. Wer das Spiel aber in seinem wohltemperierten Heim sah, kann es wohl nur bedingt, denn er spürte nicht, wie alle Akteure unter Karma litten, er sah nur, auch wenn das wohl kaum einer so sagen würde, dass die Mannschaft Probleme mit ihrem Karma hat. Es läuft nicht …
Nun nutzt man in den oben genannten Religionen auch das Element der heiligen Silbe bzw. eines heiligen Verses, dem man eine spirituelle Kraft zuweist, die sich im repetitiven Rezitieren im Diesseits manifestieren soll. Dieses Element wird auch in unserer Kultur gerne eingesetzt, allerdings – zumindest „offiziell“ – ganz ohne religiösen Bezug, wenngleich es ebenfalls eine beschwörende Wirkung hat, wonach Wiederholung Wahrheit schaffen kann.
Das mag sogar in dem ein oder anderen Fall funktionieren, z. B. im Falle der Eigenmotivation (Das reicht von „Ich schaff’ das. Ich schaff’ das. Ich schaff’ das.“ bis „Morgen fange ich meine Diät an.“), im Falle von Fakten bringt es aber gar nichts, so ein Mantra zu bemühen
Ein solches gern genommenes Mantra ist die Lücke, die der Verkauf Firminos im Spiel hinterlassen habe. Kokolores, denn dieser Verkauf in keinster Weise ursächlich für die Wirkungslosigkeit unserer Offensive, die sich ja nicht erst seit dieser Saison, sondern spätestens seit der Rückrunde zeigt.
In 2015 haben wir bisher inklusive DFB-Pokal
nur ganze sechs von 23 Spielen gewonnen
und insgesamt gerade mal 26 Tore geschossen.
Ein weiteres Mantra ist gerade zu Beginn einer Saison das Mantra der sich noch finden müssenden Mannschaft.
Das stimmt bedingt, weil es ja möglich ist, im bereits laufenden Ligabetrieb noch Transfers zu tätigen. (Eine unverständliche, weil auch selbst verschuldete Unsitte, die die DFL, wie alle anderen Ligen auch, ohne Grund ermöglicht. Was spricht dagegen zu sagen, sobald das erste Spiel einer Saison angepfiffen wird, ist damit zumindest bis zum Ende einer Runde Schluss?)
Im Wesentlichen aber ist es falsch, denn erstens kann man Transfers, so wie wir es ja bis auf (aktuell) eine Ausnahme gemacht haben, vorher tätigen und hat dann ja eine entsprechende Saisonvorbereitung, die ja genau dazu dient bzw. dienen soll, dass sich eine Mannschaft findet, einspielt.
Warum lässt sich dann aber dieses Ziel erst im Ligabetrieb erreichen? Wegen des Wettbewerbs an sich? Er kann doch nur zu einer Optimierung all dessen führen, was man im Trainingslager einstudiert hat, nicht aber zu einem Finden der Mannschaft.
Nun hatten wir zwei eher außergewöhnliche Trainingslager: Südafrika und Norwegen. Und beide liefen, wie man danach unisono hörte, super. Nur lief danach dann gerade im Wettbewerb immer weniger.
War es also so klug, sich so etwas auszusuchen? Gewiss gibt es Vorteile des isolierten Arbeitens. (In den schon erwähnten Religionen drückt sich das in der Meditation aus. Im Christentum gibt es das auch, hier geht man „in Klausur“, wobei der Begriff »Klausur« auf das lateinische »clausura« zurückgeht, was „Verschluss“ bedeutet und womit ursprünglich der abgeschlossene Teil eines Klosters gemeint war, zu dem nur die Ordensbrüder und -schwestern Zutritt hatten, und in dem bestimmte Regeln galten.)
Aber es gibt auch Nachteile, z. B. dass man den Kontakt zur Wirklichkeit verliert. Bei spirituellen Menschen, bei Philosophen mag das passend sein, aber es gibt Berufe, bei denen ist es eher abträglich: z. B. Chefs, Politiker, Rockmusiker. Wenn sie aus was für Gründen auch immer (übereifrige Assistenten, Staatssekretäre, Manager) den Kontakt zu ihrer Basis verlieren, verlieren sie nicht nur sie, sondern letztlich und schließlich auch sich selbst. (Das reicht von Burn-out bis Alkoholsucht.)
Deshalb ist es für sie sinnvoller, mit weniger Isolation mehr Erfolg zu haben. Und was für Popstars gilt, kann heutzutage für Fußballer nicht falsch sein.
Hoffenheim ist an sich ja schon in gewisser Weise isoliert, der Ort selbst ist eher ab vom Schuss und das Trainingszentrum in Zuzenhausen hat durchaus etwas von einer clausura; es gibt keine wirkliche Medienlandschaft, die Druck macht, dafür sehr angenehme, gebildete, reflektierende Fans, die auch keinen Druck machen, da sie zu einem angenehmen, gebildeten und reflektierenden Handeln fähig sind, und finanzielle Sorgen muss man sich auch nicht wirklich machen.
Das hat schon etwas von Wolkenkuckucksheim, was sich zum Arbeiten gewiss positiv auswirken kann. Aber zum Fußballspielen???
Von daher ist es nur zu begrüßen, dass jetzt mehr und mehr Spieler nach Heidelberg ziehen, auch wenn das auch nicht groß was anderes ist als Wolkenkuckucksheim in Sandstein, ab er es ist kein isoliertes Leben. Es ist Integration. Es ist Kontakt mit und zu vielen Menschen, die einen im Wesentlichen in Ruhe lassen, aber die da sind, die einem Spieler das Gefühl geben, zu Hause zu sein.
So etwas ist sehr wichtig für seine innere Balance als soziales Wesen, in der hier angeschlagenen Terminologie: seinen eigenen dharma, den es zu erfüllen gilt.
Die Erfüllung ist ausschlaggebend dafür, ob Taten gutes oder schlechtes Karma bewirken. Zudem muss man das korrekte Maß finden zwischen pravritti („Werktätigkeit“) und nivritti (Nichttätigkeit“), wobei auch hier die Absicht die Ursache und damit entscheidend für das Karma ist. So geht es bei pravritti nicht um Arbeit um ihrer selbst Willen, sondern darum, dass man etwas tut, um eine im Sinne von Recht, Sitte, Ethik und Moral gute Wirkung zu erzielen. Aber wie gesagt: Die Absicht allein reicht nicht, die Wirkung, die Erfüllung ist ausschlaggebend dafür, ob es ein gutes oder schlechtes Karma bewirkt.
Und bisher sieht es um unser Karma nicht so gut bestellt aus. Im Hinduismus etc. wäre das halb so schlimm, denn da kann sich das möglicherweise ja erst im nächsten Leben auswirken. Im Fußball aber geht das viel schneller – und man wird es so schnell auch nicht wieder los.
Zugegeben, noch ist nichts Schlimmes passiert. Nach den drei Spielen nur einen Punkt zu haben, ist kein klassischer Fehlstart. (Aber dass er jazzig ist, macht ihn auch nur unwesentlich besser. Und vom Jazz zum Blues ist es nicht weit.) Aber es kann ganz schnell einer werden – und dann wird es gewiss nicht leichter, ein positives Karma zu entwickeln und damit einen besseren Tabellenplatz als den jetzigen zu erreichen.
Aber bleiben wir frohgemut und hoffen darauf, dass unsere Spieler die Länderspielpause für ihr ganz persönliches positives Karma-Update nutzen, so dass wir nach das nächste Spiel mit den Worten einleiten können:
Es war das mit Abstand schönste Spiel des Jahres. Jeder Fußballfan konnte gar nicht anders als begeistert sein. Man musste es einfach live erlebt haben, denn auf dem Rasen sowie den Tribünen ging es heiß her, sehr heiß. Das war Karma.
🙂
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