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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. VfL Wolfsburg

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Libretto und Narrativ

Es war der viertletzte Spieltag – und die TSG hatte vor dem Spiel gegen die Wolfsburger nur noch vier Punkte Rückstand auf Platz 4, kassierte aber vier Tore, schoss nur eins, so dass sich jetzt was genau geändert hat? Schließlich sind es immer noch vier Punkte auf Platz 4.

Ja, wir haben einen Platz verloren. Ja … und?

Es ist ein Spiel weniger, unser Torverhältnis ist jetzt um zwei Tore schlechter als das der aktuell noch auf dem letzten zur Teilnahme an der Champions League berechtigenden Platz stehenden Eintracht, die aber bereits nächste Woche Sonntag nach einem schweren Europa League-Halbfinalspiel gegen den FC Chelsea bei den einen Punkt vor uns liegenden Leverkusenern antreten muss, während wir bei der ebenfalls nur einen Punkt vor uns und nur wegen des Torverhältnisses vor der Werkself liegenden Borussen aus Mönchengladbach spielen und mit einem Sieg zumindest sie ganz sicher wieder überholen. Sollten die anderen beiden Teams unentschieden spielen, sprängen wir in dem Falle sogar auf Platz 5 und hätten dann zwei Spieltage vor Schluss nur noch zwei Punkte Rückstand auf die Frankfurter, die am letzten Spieltag bei den Münchner Bayern antreten müssen, die sich nach dem gestrigen Ergebnis auch keinen weiteren Ausrutscher leisten können und siegen müssen, wenn sie die vierhundertquadrillionste Meisterschaft haben wollen – und die wiederum spielen am vorletzten Spieltag in der Liga beim Gegner im DFB-Pokalfinale (und künftigen Arbeitgeber von Julian Nagelsmann), wo ja ein Dreier alles andere als sicher ist, so dass wiederum die Frankfurter sicher sein können, dass sie in München ein Fight erwartet, den sie sicherlich 110% werden angehen wollen, sollten sie im Halbfinale der Europa League ausscheiden. Die Frage ist halt nur, ob sie das dann mental können – oder auch im Falle einer Finalteilnahme, denn schließlich würden sie sich auch direkt für die Champions League qualifizieren, gewännen sie dieses dann gegen Valencia oder Arsenal.

In der Tat, einige Konjunktive, aber vor allem: Fakten, wobei das wichtigste Faktum ist: Wir können es trotz dieser Niederlage selbst schaffen. Wir müssen nur nächste Woche gewinnen (und dann natürlich auch die beiden letzten Spiele), dann wären wir sicher im dritten Jahr hintereinander für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert.

Es ist also noch alles drin und umso unverständlicher ist es, dass nach dem 1:3 so viele Besucher des Spiels raus sind. Da ist es für uns aufgrund der Faktenlage in Sachen Herkunft (zuletzt vier deutliche Siege in Folge) als auch in Sachen Zukunft (s. o.), dass dieser Groll auch mal bei Julian Nagelsmann raus muss.

Allerdings – auch das gehört zur Fairness, muss man eine Bewertung stets ganzheitlich und vollumfänglich faktenbasiert angehen. Nur dann überhaupt darf man das Modewort „Analyse“ benutzen.

(In solchen Bewertungen haben Sätze wie „Es ist zu erwarten, …“, „Es ist davon auszugehen, …“, „Das könnte dazu führen, …“ bestenfalls was im Appendix (deutsch: „Anhang“) unter dem Punkt „Perspektive“ (deutsch: „Ausblick“, besser: „Glaskugel“) zu suchen, denn eine Analyse ist allein ihres Wesens wegen ausschließlich rückwärtsgewandt.

Das mag man persönlich als „Fan“, „Experte“, „Börsenhändler“ ablehnen, weil man sich gerne im Gewande des Fortschritts als Seher, Prophet, Allwissender präsentieren möchte. Aber hier wollen und müssen wir ganz genau sein und darauf verweisen, dass es „Weissager“ heißt – nicht: „Weißsager“. (Ein sehr gefährliches Homophon. Dass es das Wort offiziell nicht gibt, ist kein Trost, denn im Deutschen können wir Wörter auch im wahrsten Sinne des Wortes regelgerecht basteln, es klingt so wissend, ist aber, wie so vieles, was „klingt“, schlicht (und) falsch). Vielleicht hielt ja eine kleine Eselsbrücke: Wer sagt, was er weiß, ist nicht weise. (vgl. Volksmund: „Wisse immer, was du sagst, aber sage nie alles, was du weißt.“)))

In allererster Linie hat Nagelsmann die Mannschaft kritisiert.

„Deshalb geht es drum, a) der Mannschaft das mal zuzugestehen, dass sie nach vielen guten Wochen auch mal ne schlechte Leistung abrufen, aber b) auch uns darauf zu besinnen und zu fokussieren, dass weiter der Schlüssel in der Defensive liegt.“

Die Kritik am Publikum kam erst auf Nachfrage eines Journalisten der Rhein-Neckar-Zeitung – und schon jetzt kannst du dich, geneigte/r Leser/in fragen, wie objektiv du bist, denn hast du gerade gedacht: „Äh, die scheiß Rhein-Neckar-Zeitung. Die macht eh immer alles schlecht!“?

Gewiss nicht, denn du hast, im Gegensatz zu nicht wenigen, erkannt, dass dieser Mann nur seinen Job gemacht und eine ganz normale Frage gestellt hat, als er von Julian Nagelsmann wissen wollte, wie er das Verhalten der Zuschauer nach der 50. Minute empfand.

Darauf antwortete unser Trainer – in Gänze:

„Erstmal Kompliment an unsere Fans – das sind die, die hinterm Tor sitzen (…) Ich habe vor ein paar Wochen schon mal gesagt, dass wir da Steigerungspotenzial haben, dass da Anspruchsdenken und die Wirklichkeit anscheinend bei einigen, die hier sind, relativ weit auseinander gehen. (kurze Pause) Vielleicht ist da der Opernbesuch doch besser. (längere Pause) Obwohl, da gibt es auch mal schiefe Töne, vielleicht pfeifen sie da auch. Weiß man nicht. Aber ich glaube, wenn ich hier als Zuschauer die letzten drei Jahre im Stadion bin, würde ich mir zuhause erstmal drei Kreuzzeichen machen und sagen: Schön, dass in der Region so ein Fußball gespielt wird. Schönen Gruß an alle, die schon daheim sind und das nicht mehr sehen. Und „Ja!“, das macht mich sauer und auch traurig für die Jungs. Aber ich kann es ihnen ja nicht mehr persönlich sagen, denn sie sind ja nicht mehr da. Sind ja schon zuhause.“

Und wir sind der Meinung, dass er sogar noch freundlich war, was aber auch der Frage geschuldet war, denn eigentlich war das Verhalten von erschreckend vielen schon vor der Pause erschreckend.

Zudem dürfte er sich im Genre vertan haben: Er meinte Musical.

Sie sind gefälliger, die Musik besitzt mehr Dur als Moll, sie besitzen mehr einzelne Liedtexte denn ein wirkliches Libretto, die gerne auch in einer wenig komplizierten Sprache, gerne auch angepasst an die Sprache des Ortes der Aufführung, vorgetragen werden. Zudem ist Inszenierung im Sinne optischer Schönheit wichtig. Sie sind von Anfang an überraschungsfrei. Bei einer Oper ist das nicht so. Und da müssen es nicht einmal „schiefe Töne“ sein, die die Zuschauer zum Pfeifen (genauer: Buhen) bringen. Gerade die Inszenierung ist es, die hier insbesondere die Abonnenten dazu bringt, die Aufführung vorzeitig zu verlassen, weil sie nicht den Erwartungen entspricht.

Beispielsweise wird angeboten „Don Giovanni“ von Mozart. „Oh“, freuen sich da Anton Abo und Hannelore Habsgernschön in voller Vorfreude auf die schöne Musik, in Erwartung, dass dies auch orchestral wie stimmlich, also letztlich: technisch das bringt, was man je nach Aufführungsort erwarten darf. Dazu kommt die Erwartungshaltung an die Inszenierung, Kostüme, große Bilder, leicht opulente Dekadenz (oder dekadente Opulenz, das geht auch). Und dann hört man vielleicht sogar, dass die Intendanz eine besonders interessante Interpretation für eine Neuinszenierung suchte, die eine Deutung dieser Oper in alle möglichen Richtungen zulassen konnte, wie am Nationaltheater Mannheim geschehen. Das steigert die Vorfreude noch mehr, weil man eben denkt (will), dass es alles übertrifft, was man sich selbst so ausmalt. Für Schwarz-Weiß-Denker sind Farben allerdings befremdlich. Und sollte hier allerdings die Optik nicht gefallen, oder es in den Bereich „surreale Dekadenz“ gehen, wie in der Inszenierung am Mannheimer Nationaltheater nach Meinung des Mannheimer Morgen, dann kommt es halt zur Spaltung des Publikums, wie die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete: „Es wurde laut gebuht, andere riefen bravo.“

All das passiert in einer Oper, in einem Musical nicht. Ein Musical ist komplett erwartbar durchinszeniert überraschungsfrei. Es ist maximal affirmativ aka „so, wie es sein soll.“ Oder, um es wieder aufs Spiel umzumünzen, wie die erste Spielminute:

In den ersten 60 Sekunden des Spiels hatten wir 100% Ballbesitz. Hätte Schulz den Ball am Ende dieser minutenlangen Stafette fester getroffen, es hätte sogar direkt der Führungstreffer herausspringen können. Doch direkt im Gegenzug war zu erkennen, dass die Wölfe hungrig waren und sehr bissig ins Spiel gingen, denn die nächsten beiden Großchancen gehörten ihnen, wovon die zweite nach einer Glanztat von Oliver Baumann sogar an der Latte landete. Da waren gerade einmal drei Minuten ebbes gespielt.

Die erste resultierte aus einer Kopfballabwehr von Nuhu, die zu mittig war, zu kurz und genau auf dem Fuß eines Wolfsburgers landete. Auch die hatte Baumann grandios pariert. Womit wir erneut auf den Mann zu sprechen kommen wollen, der nicht nur Fragen beantwortete, sondern aufwarf, also nicht Nuhu, sondern Nagelsmann, denn eine Antwort auf der Nachspielpressekonferenz ging in der Nachspielberichterstattung total unter:

„Habe erst heute Mittag erfahren, dass er Rückenprobleme hat.“

Dabei ging es um den Mann, der noch eine Stunde zuvor in der Aufstellung stand und dessen Rückkehr in die Mannschaft die Abwehr allgemein und Vogt besonders verstärkte: Benjamin Hübner.

Nun gut, wenn er plötzlich Rückenprobleme gehabt hat, dann ist das so, aber warum steht er dann in der Startelf? Wenn er sich die Verletzung beim Warmmachen zugezogen haben sollte, dann ergibt die Antwort keinen Sinn. Sollte er, Hübner, die Verletzung schon zuvor gespürt haben, warum kontaktiert er dann nicht seinen Trainer, so dass er ihn erst gar nicht nominiert? Aber auf der Bank saß er. Alles sehr seltsam.

Und Nuhu merkte man die fehlende Spielpraxis an, interessanterweise umso mehr, je länger das Spiel dauerte. Aber auch das kann durchaus auch am Verhalten von den Rängen festgemacht werden. Was macht das mit einem, der wenig Spielpraxis hat, dem (aufgrund auch dessen) einige kleinere Fehler unterlaufen und ab dem dritten oder vierten Fehlpass fast schon gellend ausgepfiffen wird. Ja, man kann sich fragen, ob Fans mit ihrer lautstarken Anfeuerung wirklich die Leistung einer Mannschaft positiv beeinflussen können, was sie aber sicherlich können, ist einzelne Spieler runterziehen. Natürlich war es nicht gut, was bzw. wie er spielte, aber das Gepfeife schon in der ersten Halbzeit gerade ihm gegenüber, war erbärmlich, gnaden- und herzlos.

Auch Kramaric, immerhin Rekordtorschütze der TSG, wurde regelmäßig akustisch alles andere als aufgebaut – und dies, obwohl er in einem Interview den schön klingenden Satz sagte, dass er sich vorstellen könne, lange bei der TSG bleiben und sogar seine Karriere hier beenden zu wollen. Die Fans, die da pfeifen, dürften auch zu den ersten zählen, die von den Profis Solidarität und Identifikation wünschen, doch deren Identifikation mit dem Team lässt weit mehr als zu wünschen übrigen. Warum sollte ein Spieler willens sein, alles zu geben, wenn alles, was die Fans ihm geben, ihre maximale Abneigung bei nicht-maximaler Leistung kundzutun?

Das tun natürlich nicht alle, aber das ist alles, was er wahrnimmt.

Ganz anders war das Gott sei Dank seitens der Südkurve, die Oliver Baumann nach dem Schlusspfiff mit Applaus in die Kabine verabschiedete, obwohl er mit seinen 1,85 Patzern den Sieg der Wölfe mehr ermöglicht hat als Kramaric, der den Elfmeter nach rund einer Viertelstunde an den Außenpfosten platzierte.

Gott sei Dank pfiffen da die Deppen noch nicht. Vielleicht hatte er da noch Kredit dafür, dass er kurz zuvor mit einem klugen, verzögerten Pass auf Schulz, der zuvor noch im Abseits gestanden hätte, der seinerseits in die Mitte passte, wo sein Bro’ Adam nur noch den Fuß zur 1:0-Führung reinhalten musste, eine von Kaderabek eingeleitete super Kombination zum perfekten Ende führte.

Großer Jubel allenthalben. Oder wie es im Libretto von Wagners (Richards, nicht Sandros) „Tannhäuser“ lautet:

Dir töne Lob! Die Wunder sei’n gepriesen,
die deine Macht mir Glücklichem erschuf!
Die Wonnen süß, die deiner Huld entsprießen,
erheb’ mein Lied in lautem Jubelruf!
Nach Freude, ach! nach herrlichem Genießen
verlangt’ mein Herz, es dürstete mein Sinn:
da, was nur Göttern einstens du erwiesen,
gab deine Gunst mir Sterblichem dahin.

Dieses Tor hätte einen Assist für die ganze Mannschaft verdient gehabt, so großartig war der herausgespielt. Und es konnte auch als Beleg dafür herhalten, dass man auch mal anderes sehen und erleben muss, um selbst besser zu werden.

So war die Mannschaft am vergangenen Freitag Zeuge der 8. Meisterschaft der Mannheimer Adler. Auch da war ein Team gewillt, kurz vor dem großen Ziel alles dafür zu tun, es zu erreichen, aber fast noch näher dran, es zu verspielen. Und viele Tore werden im Eishockey gerade dadurch erzielt, dass ein Stürmer seinen Schläger in eine scharfe Hereingabe stellt – und im Grunde war das 1:0 durch Szalai genau so ein Tor.

Penalties hingegen sind im Eishockey schon lange keine Torgarantie mehr. Das ist im Fußball anders, aber dennoch war dieser Fehlschuss nicht der Anfang vom Ende, denn die Mannschaft spielte auch im Anschluss daran noch gut und mutig nach vorne.

Das Problem war eher die Konfrontation mit der Wirklichkeit in dieser Phase. Die Spieler der TSG schienen sich plötzlich gewahr zu werden, dass der Gegner im Gegensatz zu den letzten trotz der Stärke und teilweisen Dominanz der TSG nicht bereit war, in Ehrfurcht zu erstarren. Statt dessen eroberten sie immer häufiger das Spielgerät, tauchten immer häufiger mit hochkarätigen Chancen vor dem Gehäuse der Heimmannschaft auf und erzielten plötzlich den Ausgleich.

Auch hier sind die Parallelen zum Finalspiel der Mannheimer Adler unverkennbar. Sie führten die Serie bereits mit 3:1, brauchten als nur noch einen Sieg zur Meisterschaft, und führten souverän mit 4:1, bis die Gäste im Schlussdrittel (= letzte Viertelstunde der ersten Halbzeit) auf- und das Spiel fast drehten. Plötzlich stand es 4:4 und das Spiel damit auf Messers Schneide.

Was aber taten die mehr als vorfreudigen Fans der Adler? Natürlich waren sie enttäuscht, aber sie waren nicht sauer. Natürlich hatten sie Sorge, dass es nicht klappen und man das Spiel noch verlieren könnte, aber sie pfiffen nicht. Natürlich fehlte der eigenen Mannschaft in vielen entscheidenden Momenten der Biss, aber dann wurde ihnen halt Druck in Form von motivierenden Gesängen statt demotivierendem Gejohle gemacht.

Selbst als die Adler das erste Finalspiel zuhause in Overtime nach 1:0-Führung noch mit 1:2 gegen den Meister der letzten drei Jahre verloren, war da Zuversicht zu spüren. Sofort wurde der Blick nach vorne gerichtet. Da ist einfach der Glaube der Fans mit ihrem Willen das Schicksal zu ihren Gunsten beeinflussen zu können. Und es hat geklappt. Wie auch bei diesen TSG-Fans. Das Ergebnis entsprach exakt deren Karma.

Nach einem – erneut: im wahrsten Sinne des Wortes: Sonntagsschuss erzielten die Wolfsburger den verdienten Ausgleich am Ende einer richtig klasse ersten Halbzeit. Der Sport, der den Zuschauern da geboten wurde, war wahrlich vom Allerfeinsten. Ein super Spiel bei tollem Wetter. Da passte eigentlich alles. Und das 1:1 zur Halbzeit war ein gerechtes Ergebnis zweier gegeneinander spielenden Mannschaften. Und hätte Nagelsmanns Empfehlung (die mit dem Opernbesuch) Recht, hätten nach diesen ersten 45 Minuten alle TSG-, aber auch VfL-Fans die Worte des Chors der Pilger – denn was anderes sind die Fans im Stadion am Spieltag anderes? – aus oben besagtem „Tannhäuser“ über den Kraichgau erschallen lassen:

Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schaun
Und grüßen froh deine lieblichen Auen;
Nun lass’ ich ruhn den Wanderstab,
Weil Gott getreu ich gepilgert hab.
Durch Sühn und Buß hab ich versöhnt
Den Herren, dem mein Herze fröhnt,
Der meine Reu mit Segen krönt,
| :  Den Herren, dem mein Lied ertönt.  : |
Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden,
Er geht einst ein in der Seligen Frieden,
Vor Höll‘ und Tod ist ihm nicht bang,
Drum preis‘ ich Gott mein Lebelang.
Halleluja! Halleluja in Ewigkeit!
In Ewigkeit!

(Obiges Video zum Mitsingen.)

Der „Tannhäuser“ thematisiert übrigens den Zwiespalt zwischen heiliger und profaner Liebe sowie die Erlösung durch Liebe. Aber Erlösung, die gibt es ganz zum Schluss, am Ende eines langen und nicht selten Irr-Weges.

Diese Irrwege waren zwar auch im Spiel der TSG zu erkennen, denn immer seltener kamen Ball und Mitspieler in der Form zusammen, wie man sich das dachte oder erhoffte. Immer seltener waren wir Herr des Geschehens, was aber auch durchaus gewünscht war, denn es war offensichtlich, dass beide Trainer genau wussten, was der andere wollte. Die einen wollten (uns aus der Defensive) locken, die anderen wollten sich nicht locken lassen, sondern erobern (den Ball) und überfall(artig vor deren Tor aufkreuz)en.

So erschien das Spiel zu Beginn der 2. Halbzeit wie ein animiertes Standbild des ersten Durchgangs. Jedoch waren Chancen hüben wie (vor allem) drüben Mangelware. Wir bekamen einfach keinen Zugriff mehr, was erst in dem Moment wirklich schlecht war, als Oliver Baumann zwar Zugriff bekam, aber den Ball nicht unter Kontrolle und ihn sich selbst einnetzte.

Das war sehr schade für uns und ihn, der uns schon mit so vielen Paraden so viele Punkte rettete (gerade auch gegen diesen Gegner wie ehedem bei dem Spiel mit den meisten Torschüssen in einem Spiel aller Zeiten, das fast schon ein Privatduell zwischen Baumann und Gomez mutierte, das unser Keeper mit 0:0 für sich entscheiden konnte) und dem wir es auch in der Partie zu verdanken hatten, dass wir nicht in Rückstand gerieten. Jetzt war es so weit – und der Frust der Fans oder besser der Wahn brach sich akustisch Bahn. Zur Stärkung des Selbstbewusstseins war dies natürlich nicht zuträglich – und auch Nagelsmann trug plötzlich seinen Teil dazu bei.

Schon die Einwechslung rund zehn Minuten zuvor von Bittencourt für Amiri schmeckte nicht nur Letzterem sichtbar so gar nicht, zumal Ersterer, Nagelsmanns Lieblingsspieler, den er unbedingt verpflichtet haben wollte, deutlich machte, warum er nicht zur Startfünfzehn zählt.

Als dann Bicakcic für Nelson weichen musste, mag das symbolisch nach einer Stärkung der Offensive gewirkt haben, doch da er den jungen Briten nach links setzte, musste er Schulz (da ja mit unserer Nummer 4 auch ein Defensiver den Platz verließ) weiter zurück- und damit auch Wucht aus unserem Spiel nehmen. Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Reiss kaum etwas reißen konnte. Dazu kam er viel zu selten an den Ball. Die Mannschaft konnte sich auch nach dem Rückstand nicht befreien, sie bekam keinen geordneten Spielaufbau mehr hin und genau das bekam sie dann auch von den Rängen zu hören.

Als dann Baumann einen knallharten Schuss zu 85% auf sich nicht abwehren konnte, bekamen sie das auch zu sehen. In einer Art Massenpanik ließen sich die faltbaren Sitzkissen von ihren Herrchen nach Hause tragen, was immerhin den Vorteil hatte, dass man als Fan auf einmal nicht mehr wusste, auf wessen Darbietung man wütender sein soll.

Die Südkurve entschied sich schnell und begleitete den Abgang jener Zuschauer mit einem herzlichen

„Und ihr … wollt wirklich Hoffe sein? Und ihr … wollt wirklich Hoffe sein? “

Es dürfte nichts bei ihnen bewirkt haben. Immerhin wurden sie von Nagelsmanns Kritik (s.o.) ausdrücklich ausgenommen. Zu Recht!

Natürlich war es unwahrscheinlich, dass wir auf Basis der bis zu 85. Minute gezeigten Leistung noch mindestens zwei Tore würden schießen müssen, schließlich sind im Fußball fünf Minuten wesentlich schneller als im Eishockey, aber es bestand die Möglichkeit – doch jene Besucher bestanden auf ihrem Recht, früher zu gehen. Das Recht wollen wir ihnen auf gar keinen Fall nehmen, aber es wäre natürlich schöner, sie müssten es gar nicht – entweder weil das Team besser spielt oder weil sie erst gar nicht ins Stadion kommen. Naja, noch besser wäre natürlich beides.

So ist es nur nachvollziehbar, dass Nagelsmann diesen „Fans“ einen Opernbesuch empfiehlt. Im Libretto des „Tannhäuser“ findet man durchaus auch die passenden Worte der Reue:

Da sank ich in Vernichtung dumpf darnieder,
die Sinne schwanden mir. – Als ich erwacht,
auf ödem Platze lagerte die Nacht, –
von fern her tönten frohe Gnadenlieder. –
Da ekelte mich der holde Sang, –
von der Verheißung lügnerischem Klang,
der eiseskalt mir durch die Seele schnitt,
trieb Grausen mich hinweg mit wildem Schritt.

Natürlich kann man das anders lesen, es ist eine Sache der eigenen Interpretation. Das darf und soll bei Kultur ja auch so sein. Aber auch sie sollte selbst in einem privaten Gespräch auf einem Konsens basieren, z. B. Tatsachen – in dem Falle das Libretto.

Bei einem veröffentlichten Text wäre es noch wichtiger, sich an die Fakten zu halten, allerdings ist es für uns bedauerlicherweise heutzutage so, dass Fakten nur noch was für Fetischisten sind, nichts für Otto und Othilde Normalverbraucher*in und schon gar nicht Journalist*innen. Sie versuchen inzwischen längst wie Politiker*innen und andere Interessensgrupp*innen das Gefühl zu einer Geschichte vorzugeben, so dass die Fakten niemanden mehr interessieren. Wenn man dies lang genug macht, reicht eine Überschrift, um Menschen entsprechend zu triggern, also die gewünschte Emotion*innen auszulösen.

Wenn also RP Online titelt:

„Nagelsmann rät kritischen Fans zu Opernbesuch“

so verschiebt er den oben original wiedergegebenen Satz von einer „Empfehlung“ zu einem „Rat“, was nicht wirklich dasselbe ist. Zudem erhöht das Adjektiv „kritisch“ das Gehabe derer. Ist Pfeifen und Buhen kritisch? Was ist dann beispielsweise „jubeln“ und „tanzen“? Wir halten uns beispielsweise für sehr kritisch, jubeln aber gern.

Diese Verschiebungen gehen langsam, aber bedenklich stetig vonstatten. Begrifflichkeiten werden umgedeutet, verlieren an Präzision, weil ja angeblich klar sei, was gemeint ist.

Donald Trump spricht angesichts einer vieltausend Kilometer entfernten Menschenmenge, die zu Fuß und unbewaffnet auf dem Weg an die Südgrenze der USA ist, von einer „Invasion“ und begründet dies damit, dass es für ihn eine sei. Er kann das ja unschön finden und überhaupt, Einwanderung als nachteilig für sein Land ansehen, aber von einer „Invasion“ zu sprechen, dient nur der Emotionalisierung, da der Terminus natürlich als Angriff gewertet wird und Verteidigungsreflexe auslöst. Gegenüber Menschen, die unbewaffnet viele hundert Meilen zu Fuß unterwegs sind, um dann legal an der Grenze um Asyl zu bitten?

Wenn plötzlich fehlende Gleichberechtigung gesagt, aber fehlende Gleichheit gemeint ist. Ist aber nicht dasselbe …

Wenn man aufgrund irgendwelcher Erkenntnisse über Privatpersonen deren Werke als Künstler nicht mehr konsumieren sollte, ist das auch bedenklich. Kevin Spacey, Michael Jackson, um nur mal zwei aktueller Beispiele zu nennen. Auch der hier bereits mehrfach erwähnte Wagner wird von nicht wenigen kategorisch abgelehnt, weil ihn die Nazis mochten. Ja, er war auch Antisemit, aber das war Luther auch – und er wurde gefeiert. Zweierlei Maß? Das ist nicht neu: Tierwohl steht hoch im Kurs. Aber niemand käme auf die Idee, das Verspeisen von Tieren zur Pflicht zu machen, weil Hitler Vegetarier war.

Es ist auch schwierig in einer öffentlichen Diskussion, wo es um die Frage geht, warum es Frauen immer noch so schwer haben in unserer Gesellschaft und warum viele Männer immer noch denken, die Welt müsse ihnen zu Füßen liegen, die Gegenfrage, wer denn für die Erziehung zuständig war, zumal angeblich die Väter sich fast nicht darum kümmern.

Nein, das Narrativ der heutigen Zeit geht um das Opfermonopol – und wenn es nicht ausreicht, sich selbst als Opfer darzustellen, dann muss zumindest wer dämonisiert werden. Fakten? Wie gesagt: was für Fetischisten. Es braucht immer Schuldige.

Dabei braucht es viel mehr Erkenntnis. Die Schuldfrage löst nichts. Es regnet durchs Dach, weil der Wind Ziegel abgetragen hat. Und nun? Die Schuldfrage ist geklärt. Aber so unbefriedigend. Es muss ein anderer Mensch sein, damit ich mich als Mensch besser fühlen kann. Also ist es der Dachdecker. Oder sein Nachfolger. Der soll das reparieren. Das geht jetzt noch ewig so weiter. Währenddessen sind die Decken und Wände am Arsch, weil irgendein/e Trottel/ine sich nicht darum gekümmert hat, das Loch im Dach zu schließen.

Und so tut es dann nicht wunder, dass wir noch ein Tor kassierten. Da kam dann einfach alles zusammen: die Verärgerung über sich selbst, die Verärgerung über die Fans, die Verärgerung auf Platz 7 abgerutscht zu sein. Da gab es halt so manches Loch in der Abwehr – und drin.

Vorbei. Das Spiel. Das Ziel … immer noch vor Augen …

Wie eingangs dargelegt: Es ist noch gar nichts verloren. Drei Siege und wir sind sicher der Europa- und mit ein bisschen Glück sogar in der UEFA Champions League.

In diesem Sinne ein letztes Mal „Tannhäuser“, denn sein Libretto gibt auch klare Anweisungen pro TSG :

Zu ihr! Zu ihr! O, führet mich zu ihr!
Ha, jetzt erkenne ich sie wieder,
die schöne Welt, der ich entrückt!
Der Himmel blickt auf mich hernieder,
die Fluren prangen reich geschmückt.
Der Lenz mit tausend holden Klängen
zog jubelnd in die Seele mir;
in süßem, ungestümem Drängen
ruft laut mein Herz: zu ihr, zu ihr!

Wie gesagt: Im „Tannhäuser“ wird erlöst, wer liebt. Zum Schluss. Und Schluss … ist jetzt! 🙂

P.S. Nicht meckern, dass zu lange … Wagner-Opern sind viel länger …

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