1899 Hoffenheim vs. FC Schalke 04
Das Ende eines Alptraums ?
quo vadis, equus oeconomicus?
Wir haben zwar tausend Theorien, und zehntausend Worte, um diese halbwegs plausibel darzustellen, aber an sich keine Ahnung von Fußball. So denken wir und das können wir auch faktisch belegen, indem man sich unsere Platzierungen im Tippspiel der TSG auf www.achtzehn99-tippspiel.de anschaut.
Das Gegenteil aber auch, wozu man sich einfach nur unseren ersten Spielbericht zur Saison anschauen muss. Unsere Nachbetrachtung zum Erstrundenaus im DFB-Pokal gegen den damals wie auch heute fast Drittligisten 1860 München überschrieben wir mit „Ein Alptraum“ und fragten danach „Warum mit einer Brandrede bis zum Ende der Saison warten?“ Dazu verwiesen wir in dem Musikbeitrag auf den Film „Inception“, der – Zufall? – morgen um 20.15 Uhr auf VOX laufen wird.
In dem Film geht es um die Frage: Traum oder Wirklichkeit? Und die Antwort ist der Tod. Stirbt man in einer Traumebene wacht man wieder auf. Wenn nicht, nicht.
Nun hat es die TSG einen Großteil der Saison in einer Traumwelt zugebracht, was den Vorteil hatte, dass sie im Laufe der Runde zwar viele, viele Tode gestorben ist, aber immer wieder aufwachte – und dann im Februar 2016 nach dem leblosen 0:2 gegen den SV Darmstadt plötzlich spürte, dass sie in der Wirklichkeit angekommen ist – und sie jetzt alles dafür tun muss, am Leben zu bleiben.
Ähnliches dachte sich wohl auch Huub Stevens. Ende Oktober 2015 übernahm er das Amt des lange Zeit als unkündbar geltenden Markus Gisdol am 10. Spieltag nach dem 0:1 gegen den HSV die nach nur einem Sieg, drei Unentschieden und bereits sechs Niederlagen auf Platz 17 und sowohl konzeptionell als auch konditionell am Boden liegende TSG. 10 Spieltage und einem Sieg, fünf Unterschieden und vier Niederlagen weiter hatte er zwar im gleichen Zeitraum zwei Punkte mehr als sein Vorgänger geholt, aber nichts an der Platzierung und schon gar nichts an der Perspektive für die Mannschaft, dafür umso mehr an des Niederländers Pumpe. Konsequenter- und nachvollziehbarerweise trat der „Knurrer von Kerkrade“ als der „Herzkranke von Hoffenheim“ zurück und der bereits als sein Nachfolger feststehende Julian Nagelsmann sein Amt an – und die Presse aufs Gas.
Schon als die „Doppelverpflichtung“ nach der Demission Gisdols bekanntgegeben wurde (Stevens bis zum Saisonende, dann Übergabe an den bisherigen U19-Trainer der TSG) war das Geschrei(be) groß: Aktionismus, Bauernopfer, Chaos … Da wurde nichts am ABC der Vorwürfe ausgelassen, um sich auf Kosten der Kraichgauer als Mahner, Warner und Reichsbedenkenträger am langen Band zu profilieren. Doch der einzige, der sich profilierte, war Julian Nagelsmann.
Dem jüngsten Trainer der Bundesliga gelang es zwar nicht, die erfolgreichste Rückrunde der TSG zu spielen, aber immerhin war er der in dieser Saison am längsten für unseren Verein tätige Trainer. In seinen 14 Spielen gab es sieben Siege, zwei Unentschieden und fünf Niederlagen und letztlich, und das ist das allerwichtigste: den Klassenerhalt.
Das ist zwar ein großer Grund zur Freude, aber wenn man sich die Leistung der beiden letzten Spiele anschaut und dann die (angeblichen) Kaderveränderungen mit ins Kalkül zieht, kein wahrer Anlass zur begründeten Hoffnung, dass die nächste Saison wesentlich besser laufen wird – wobei wir hier zur Relativierung dieser Aussage unsere anfänglich erwähnte Ahnungslosigkeit in Sachen Fußball ins Gedächtnis rufen möchten.
Gerade das gestrige 1:4 gegen Schalke 04 stimmt nicht wirklich zuversichtlich. Natürlich kann man hier das „equus oeconomicus“ ins Feld führen („Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss.“) und gewiss hätte die Mannschaft, wäre es noch um etwas gegangen, weniger apathisch gespielt. Doch zum einen war die Leistung in der Woche zuvor nicht wirklich besser, zum anderen spielte hier ein Team, das man durchaus als Kaderdurchschnitt bezeichnen kann.
Für die Um- in der Aufstellung gab es gute Gründe, aber keine für die fehlende Einstellung gerade derer, die sonst weniger spielten. Selbst wenn das mit dem „equus oeconomicus“ zutreffen sollte, gibt es einen Unterschied, ob man als Hengst auftritt oder als Wallach.
Dass Jens Grahl in dem Spiel den Vorzug vor Oliver Baumann bekam, war seinem feststehenden Abschied und seiner Vereinstreue geschuldet und einfach eine sehr schöne Geste des Trainers. Zudem ist er auch ganz faktisch ein Guter seines Faches und ihn trifft keine Schuld an der Niederlage, auch wenn er vor dem 0:2 nicht die glücklichste aller Figuren machte.
Die Fehler wurden vor ihm gemacht, was schon einmal einen Vorgeschmack auf das geben könnte, was uns nächste Saison erwartet, sollte sich bewahrheiten, dass Süle, der verletzungsbedingt seine ersten 90 Minuten der Saison verpasste, uns verlassen wird.
Die ganze Saison im Allgemeinen und eben dieses Spiel ganz im Besonderen lässt größte Zweifel aufkommen, ob der Schweizer Schär unsere Säule Süle jemals auch nur ansatzweise gleichwertig wird ersetzen können. Er offenbarte erneut, wo seine Stärken, aber leider auch und das wesentlich deutlicher, wo seine Schwächen liegen. Leider liegen letztere in all den Bereichen, die heute für einen Abwehrspieler relevant sind. Er krönte seine unterirdische Leistung mit einem völlig sinnlosen Eigentor.
Bicakcic hatte auch nicht gerade einen Sahnetag erwischt, so dass wir im Grunde ohne Innenverteidigung spielten, was es den Schalkern leicht machte, mit nur zwei Chancen in der Anfangsviertelstunde mit 0:2 in Führung zu gehen.
Wie Grahl wird auch Strobl die TSG verlassen und auch in seiner letzten Partie wurde er seinem Ruf als Allroundspieler gerecht. Er demonstrierte das auf der linken Verteidigerposition, wo er statt Toljan spielte und seine Sache ganz ordentlich machte, wohingegen auf der rechten Seite wenig zusammenging. Elyounoussi offenbarte seine Schwächen im Rückwärtsspiel, so dass sich Kaderabek oft einer Übermacht gegenübersah, gegen die er wenig überraschend die entscheidenden Duelle verlor.
Der Norweger konnte auch offensiv nicht wirklich überzeugen. Nach bereits fünf Minuten hatte er die beste Chance für die TSG, setzte den sehr schön herausgespielten Ball allerdings knapp neben das Tor. Ansonsten präsentierte er sich gewohnt wild, aber wenig effektiv, was leider auch für die anderen Mittelfeldspieler galt.
Rudy konnte wieder einmal keine Akzente im Spielaufbau setzen, Schwegler erst recht nicht. Auch wenn er nicht mehr so im Fokus der Nachrichten war und bei all dem Transfertohuwabohu etwas aus den Schlagzeilen geriet, kann es auch gut sein, dass wir unseren Kapitän zum letzten Mal im Trikot der TSG sahen, wenn denn stimmt, dass Nagelsmann ihm wohl schon vor Wochen laut SportBild sagte, dass er nicht für die nächste Saison mit ihm plane.
Bleibt der Sturm, der unter Nagelsmann auch wieder seinen Namen verdiente. Insbesondere Uth reifte unter ihm zu einer echten Konstante. Er war es auch, der diesmal den Treffer für die TSG zum zwischenzeitlichen 1:2 erzielte. Das war sein achter Treffer in der Saison, was ihn gemeinsam mit Volland zum besten Torschützen der TSG in dieser Saison machte, was auch viel sagt, aber wenig Gutes, denn damit schossen die beiden zusammen gerade mal ein Tor mehr als Modeste in dieser Saison.
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Volland den Verein (Gerüchten zufolge wieder einmal) möglicherweise verlässt und die Leihe des dritten im Offensivverbunde, Kramaric, der in der Halbserie immerhin fünfmal traf, offiziell ausläuft, sieht es in Sachen Sturm für die nächste Saison so flau aus, wie es in dieser Saison meist mau war.
Und wo wir die Saison mit einer Brandrede begannen, wollen wir auch mit einer solchen schließen – wenngleich kürzer. Hier ist sie:
Es wäre mehr als anständig gewesen, wenn die Mannschaft sich mehr bemüht hätte, das letzte Spiel der Saison mehr als anständig mit mehr Leidenschaft und Siegeswillen zu bestreiten und sich so wertvoller und nachhaltiger von den Fans zu verabschieden und „Vielen Dank für eure Unterstützung“ zu sagen als mit dem obligatorischen Saisonabschlussbanner.
Auch da waren die Fans, denen natürlich aufgrund des erneuten Klassenerhalts der eigenen Mannschaft und dem Abstieg des ungeliebten Nachbarn aus dem Schwabenland der Ausgang des Spiels herzlich egal war, schon wesentlich kreativer.
(„Gekommen, um zu bleiben“ – als Spruch nicht schlecht. Trotzdem bedauern wir es ein wenig, dass wir uns nicht mit unserem anderen Vorschlag „AUS TRADITION BUNDESLIGA“ durchsetzen konnten.)
Doch so schön es ist, dass wir die Klasse gehalten haben, mit einem Sieg wären wir auf Platz 12 gelandet, was nicht nur schöner, sondern auch wirtschaftlich besser für den Verein gewesen wäre. So aber haben wir nicht nur 1:4, sondern auch viele Millionen Euro an TV-Geldern verloren, was natürlich auch Auswirkungen auf den Kader der nächsten Saison haben wird.
So weit zum Gewesenen. Und nun?
Dem Kader werden neben den bereits angesprochenen Jens Grahl und Tobias Strobl auch Alexander Stolz, Kai Herdling und Kevin Kuranyi nicht mehr angehören. Allesamt große Sportsmänner, die aus ganz unterschiedlichen Gründen gehen und die, obwohl sie, aus ganz unterschiedlichen Gründen, nicht so oft spielten, wie sie es gerne gehabt hätten, sich stets in den Dienst der Mannschaft (und nicht der Medien) gestellt haben. Das muss man insbesondere Kevin Kuranyi hoch anrechnen. Da hatten wir schon andere Spieler auf dem Feld – und Wiese.
Kramaric kommt zwar gut bei den Fans an, aber warum sollte er bleiben? Sein Verein wurde englischer Meister – in dessen Kader wird es bestimmt ebenfalls Änderungen und damit für ihn eine neue Chance geben.
Niemand weiß „Stand heute“, was mit Süle, Volland, Schwegler sein wird. Amiri soll ja angeblich ja auch schon größte Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen wecken.
Was passiert mit Vargas? Was mit Rudy, wenn er eine gute EM spielen sollte? Was mit Elyounoussi? Hamad konnte sich erneut nicht durchsetzen. Zuber verdankte es vor allem seinem Schädelbasisbruch, dass er mal in die Schlagzeilen geriet. Kim spielte unter Nagelsmann nie und Schär überzeugte in keinem einzigen Spiel wirklich. Polanski ist auch nicht mehr der Jüngste und Schnellste. Schmid? Toljan?
Wenn man all die genannten Spieler abzieht bzw. all die genannten Spieler abzögen, wobei bezweifelt werden darf und muss, dass die Gesamtheit der Transfererlöse wesentlich über dem lägen, der durch den Firmino-Wechsel erzielt wurde, bleiben Baumann, Bicakcic, Kaderabek, Uth, Ochs, Gimber und Joelinton.
Auch wenn es Rückkehrer geben dürfte, wie Schwäbe vom VfL Osnabrück, der es sich als junger, hochtalentierter Torwart zweimal überlegen wird, ob er die Nr. 2 hinter Baumann werden möchte, sowie Janik Haberer vom VfL Bochum, Biteco sowie Aufrücker wie z. B. Canouse aus der 2. Mannschaft und vielleicht auch noch einen aus dem Kader der U19, sieht das „Stand heute“ eher nach einer weiteren Saison in der unteren Tabellenhälfte aus.
Aber – und das ist ein großes Aber, es bleibt ja noch einer – zum Glück: Julian Nagelsmann. Auf ihm ruhten die Hoffnungen Anfang Februar, auf ihm ruhen die Hoffnungen für die Zukunft.
Natürlich kann man sagen, dass dies bei Gisdol ähnlich war: Auch ihm gelang die Rettung, wenngleich um ein Vielfaches glücklicher als Nagelsmann, auch mit ihm waren größte Hoffnungen verbunden, die sich dann aber leider nicht bewahrheiteten, so dass man sich dann doch von seinem ehedemen Retter trennte. Nun ist Nagelsmann zweifelsfrei der aktuelle Retter, aber selbst wenn es ihm gelingt, eine junge, hochtalentierte und -motivierte Mannschaft zusammenstellen zu können, wenn der Erfolg ausbleibt, werden auch hier die Gesetze des Marktes greifen.
Aber er ist ein Mann, der bisher vieles anders und vieles sehr viel besser gemacht hat. Zudem hat er nun die Chance, (s)eine Mannschaft sowohl zusammenzustellen als auch in seiner ersten Vorbereitung zusammenzuschweißen. Diese Chance wird er nicht ungenutzt lassen, denn er ist ja nicht blöd.
Man sieht ja, wie schnell der Markt im Falle des Misserfolgs reagiert. Denn so selbstverständlich es ist, dass man mal als Trainer mit einer Mannschaft scheitern kann und freigestellt wird, so klar wird jedem in der Analyse dann auch, ob es an der Konstellation mit der Mannschaft oder an der Kompetenz des Trainers lag. Dies wiederum zeigt sich an der Anschlussverpflichtung. Kriegt einer einen Folgejob, gilt er als Guter. Wenn nicht, nicht.
Nagelsmann ist zu jung, um das zu riskieren, was wohl einem Magath egal sein dürfte, einem Schaaf droht und auch bei Gisdol nicht ausgeschlossen ist: Kein Verein will ihn mehr verpflichten. (Gisdol wähnte man früh bei RB Leipzig. Da ist er nicht – trotz bester Beziehungen. In Frankfurt war er auch mal im Gespräch. Da landete er auch nicht. Und ob er wie Stanislawski einen REWE übernehmen würde, ist auch zu bezweifeln.)
Vertrauen wir einfach darauf, dass es nächstes Jahr besser laufen wird. Und schon in drei Monaten und einer Woche wissen wir mehr, dann nämlich, wenn wir die erste Runde im DFB-Pokal überstanden haben sollten:
1860 München hat sich wieder dafür qualifiziert. Der Berliner AK nicht. Dafür könnten wir auf Astoria Walldorf oder die SpVgg Neckarelz treffen, was für einen prall gefüllten Gästeblock sorgen dürfte, was ja schon mal ein Novum für die TSG wäre.
Ansonsten könnten Auswärtsfahrten anstehen zu den bereits qualifizierten
SV Drochtersen/Assel
1. FC Germania Egestorf-Langreder
oder:
ETSV Weiche Flensburg
SG Niederroßbach/Emmerichenhain
SC Hauenstein
falls letztere drei ihre Landespokalfinalspiele am 28. Mai 2016 gewinnen. (Die ARD überträgt diese und alle anderen live!)
Und tags drauf, am 29. Mai ab 13 Uhr, kann man eventuell vor Ort den möglichen nächsten Star der 1. Mannschaft aus dem eigenen Stall bewundern (neben Philipp Ochs), dann nämlich, wenn unsere U19 ihr morgiges Finaleinzugsqualifikationsrückspiel gegen den SV Werder Bremen schlechtestenfalls mit einem Tor Unterschied verliert. (Wer morgen live dabei sein will, bitte hier klicken!!!)
Würde ihr das gelingen, stünde die zu Beginn der Saison noch von Julian Nagelsmann trainierte U19 zum 3. Mal in Folge im Finale um die Deutsche A-Jugendmeisterschaft – entweder gegen 1860 München oder Borussia Dortmund entweder im Dietmar-Hopp-Stadion oder in der RHEINECKARENA.
Immerhin dürften wir sowohl morgen als auch im Erfolgsfalle am 29. Mai 100%ig eine motiviertere TSG-Mannschaft sehen als gestern.
Das wäre dann wohl doch schon so eine Art Beweis für die Richtigkeit der Theorie des „equus oeconomicus“ und würde uns auch wieder mehr Mut machen in puncto kommende Saison.
Das aber hieße, dass man folgerichtig den alten Spruch „Vor dem Können kommt das Wollen“ weiterspinnen müsste in ein „Vor dem Müssen kommt das Sollen.“
Naja, jetzt sollen sie erst mal alle Pause machen, sich sortieren, ihre Entscheidungen pro (oder contra) TSG fällen und dann ihr Bestes geben. Dann wird auch mit Sicherheit etwas Gutes dabei rauskommen.
Auch wieder so ein Traum bzw. eine Theorie … 🙂
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Zu guter Letzt noch ein Wort an dich, liebe/r Leser/in:
DANKE!
Fürs Lesen, Kritisieren, Kommentieren, Verweilen, Teilen unseres Geschwurbels. Wir hatten zwar unsere Momente in der Saison, wo wir dazu mal so gar keine Lust hatten, aber wenn man so etwas anfängt, dann muss man das halt auch durchziehen. Außerdem hat es ja auch etwas Therapeutisches, sich seinen Frust von der Seele bzw. seine Lust in die Welt hinaus zu schreiben. Und wenn Leute wie du uns dazu motivieren, umso mehr, denn, wie es bereits in unserer Prämbel steht,
So bleibt auch mit der nötigen Reflexion die noch nötigere Obsession erhalten.
Für den Sport. Und den Spaß. Am Fußball. Am Leben. Am Siegen.
vivere vincere est
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Diesem geistigen Stuhlgang ist nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen – außer: Macht weiter so!
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