1899 Hoffenheim vs. SC Freiburg
Premierenfeuer
Spektakel in Blau und Weiß
Es war sein erstes Mal. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Mal? Nein, nicht das. Nicht nur. All die anderen ersten Male nebst dem ersten Kuss. Ihr erster Job? Ihr erster Rausch? Ihr erster Urlaub ohne Eltern? Ihr erstes Auto? Ihre erste Million? (Falls es zu letzterer noch nicht gereicht hat, keine Sorge, angeblich sei die immer die schwerste. Zumindest beruhigt sich damit der Schreiber dieser Zeilen.)
Wie gesagt, es war auch seine Premiere. (Wie uns danach mitgeteilt wurde, ist diese Information falsch. Es war aber immerhin seine Saisonpremiere als Schiedsrichter. Dennoch bedauern wir diesen Fehler. P.S.: Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass der Schiedsrichter zu seiner Bundesligapremiere tatsächlich ein Hoffenheim-Spiel pfiff: Es war die Spiel gegen den 1. FSV Mainz 05 am 17.02.2012.) Und auch er wird sie nie vergessen. Der Schiedsrichter pfiff noch nie zuvor ein Bundesligaspiel und während des Spiels selbst waren viele der Meinung, dass nicht viele dazukommen würden. Denn er schien der Verantwortliche für ein Spiel zu sein, das es so noch nicht gab: 3 Tore für die Heimmannschaft, 3 Tore für die Gäste, 3 Platzverweise für Spieler sowie einen für den Gästetrainer , einen Elfmeter, einen Mann, der binnen von zehn Sekunden im Handstreich vom Torschützen zum Schütze Tor wurde. Der Reihe nach …
In den vergangenen Spielen haderte die TSG zu Recht mit dem Schiedsrichter. Im ersten Spiel wurde ein reguläres Tor sowie, wie im zweiten Spiel auch, ein eigentlich fälliger Strafstoß für uns nicht gegeben, so dass man dachte: „Endlich!“, als der Schiedsrichter nach nicht einmal zehn Minuten berechtigterweise Strafstoß für unsere Mannschaft pfiff, nachdem Volland im Strafraum gefoult wurde.
Salihovic legte sich den Ball zurecht, hämmerte ihn westfalenstadionsicher zum 1:0 (Saisontrefferpremiere für ihn) in bester Neeskens-Manier mit aufwirbelnder Kreide in des Tores Mitte. Mit einer solchen Wucht, dass der Ball ihm direkt wieder in die Arme sprang. In diesen, nicht den seinen, sondern den ihren lagen sich die Fans, ob des Führungstreffers, und dann im Hader mit der Spielleitung.
Die Anzeigetafel verkündete, was keiner verstand: Rot für Salihovic. Verwirrung allenthalben. Kaum wer im Stadion sah, was geschah – nur eben der Schiedsrichter und der konnte nicht anders.
Genau vor seinen Augen landete Salihovics linke flache Hand, wenngleich mehr evident als vehement, auf des Gegners rechter Wange. Und wer die Bilder dann im Fernsehen sah, verstand immer noch nicht, wie es dazu kommen konnte, da der getroffene Spieler zuvor, als man seitens der Gästespieler versuchte, das Spielgerät Salihovics Händen zu entnehmen, kaum in Erscheinung getreten war.
Zumindest nicht physisch, es schien jedoch in einer Zeitlupe so zu sein, dass es seitens des Gegenspielers eine verbale Äußerung gab, die zu dieser Spontandümmlichkeit Salihovics führte. Man kann nur mutmaßen..
Wir wollen niemandem etwas Böses unterstellen. Vielleicht sagte der Gegner etwas, was bei Salihovis falsch verstanden wurde: Vielleicht weil es zu undeutlich artikuliert, das Drumherum (Stadion) zu laut – nicht zu vergessen: Er schoss uns gerade in Führung –, oder ihm eine einwandfreie akustische Perzeption aufgrund der ihn umarmenden Mitspieler nicht möglich war, zumindest ist es denkbar, dass hier ein Missverständnis vorlag, was zur Missetat führte.
Die Gastmannschaft zählt ja auch zu den Besser-Erzogenen, was in einem solchen Umfeld nicht unbedingt erwartet wird und ja auch dazu führen kann, dass der eine „Gib’ den Ball, bitte!“ sagt, der andere aber „Ziegenhirte!“ versteht.
Wenn der andere dann eh eher ein Heißsporn ist, dessen Gefühle sich immer wieder spontan manifestieren, ist die Folge keine Überraschung: ZACK batsch! Und klar: … Rot!
So schnell wurde noch nie aus einem 1:0 ein 10:11. Noch eine Premiere.
Nur wenige Minuten später gelang durch den Mann, der zuvor Volland foulte, und ein bisschen Glück, da sein Schuss durch Firminos Hände, die er wohl vermeintlich sicherheitshalber hinter seinem Rücken hielt, als er sich dem Schuss entgegenstellte, sich dabei aber zum Schutz seiner Gesichtspartie abkehrte, so dass sie dann doch mit dem Ball in Berührung kamen, zwar nur leicht, aber doch entscheidend abgefälscht wurde, den Gästen der Ausgleich (auch dieser Treffer war für den Schützen Saisonpremiere), aber sonst gelang ihnen nichts.
Unsere Mannschaft suchte die Ordnung und die Gäste Orientierung. Sie waren plötzlich in der Situation, auf die sie nicht vorbereitet waren: Sie mussten das Spiel machen, denn es war klar, dass die numerisch unterlegene Mannschaft nur noch ein sehr kontrolliertes Offensivspiel anbieten wird.
Gisdol stellte um und die Mannschaft sich neu auf. Nun ließ man die Gäste kommen und spielte deren Spiel: eng stehen, Ball gewinnen, schnell und lang nach vorn – und das gelang. In Unterzahl erhöhte unsere Mannschaft auf 2:1 durch einen sensationell schönen Heber von Volland gegen zwei gegnerische Abwehrspieler über den Gästegoalie ins lange Eck.
Doch auch diesmal gelang es unserer Mannschaft nicht, die Führung länger als fünf Minuten zu halten. Diesmal war es ein Freistoß, aus dem der Ausgleich resultierte. Casteels konnte den Freistoß selbst zwar noch abwehren, allerdings genau zum Gegenspieler, der dann seinem Mitspieler seine Saisontrefferpremiere ermöglichte.
Klar war die Zuordnung nach dem Freistoß nicht gut, die Mauer löste sich zu langsam auf, weshalb das Zuspiel dann erfolgen konnte, aber das Problem war ein ganz anderes: Es hätte diesen Freistoß erst gar nicht geben dürfen.
Der Schiedsrichter ahndete viel und kleinlich. Ballverluste mit Körpereinsatz wurden von ihm fast immer als Foul gewertet, vor allem dann, aber das mag der Subjektivität des Moments geschuldet sein, wenn der Ballverlust die Gäste betraf und der Körpereinsatz nicht absolut von vorne kam.
Kurz vor der Halbzeit wendete sich das, als der Abwehrspieler der Gäste unserem Spieler, der einen hohen Ball annehmen wollte, an der Mittellinie in einer Art in den Rücken sprang, die weniger an ein Kopfballduell denn als Grundlagen des Fosbury-Flops erinnerten. Doch da er den Spieler weder übersprang noch riss, gab es auch kein weißes oder rotes Fähnchen, sondern die gelbe Karte.
Kaum 30 Sekunden später 30 Meter ostwärts trat derselbe Verteidiger wieder in Aktion – auf den Ball und dann auch gegen das Bein Vollands, der statt des Balles weiterrollte. Der Schiedsrichter pfiff und das tat auch jeder Zuschauer, dessen Herz für Hoffenheim schlägt.
Sie witterten wohl, dass hier die Chance bestand, nicht nur in Sachen Toren Gleichstand herzustellen. Der Schiedsrichter beruhigte die heraneilenden Hoffenheimer Spieler, schaute auf den am Boden liegenden und griff dann erneut in die Brusttasche – und anschließend konsequenterweise zur Arschkarte. 10:10.
Dieses Verhältnis entsprach nicht im geringsten dem Blutdruck des Freiburger Trainers in diesem Moment. O.K., 10:10 wäre im Grunde tot, aber der geschätzte Wert von 280:200 ist auch nicht viel gesünder.
Er regte sich gegenüber dem 4. Offiziellen sehr deutlich über die Entscheidung (Foul) und vor allem deren Folge (gelb-rot) auf. Auch das wer seitens der Hoffenheimer Bank eine Verwarnung und damit auch einen Platzverweis forderte, erzürnte den Gästetrainer, der sich daraufhin einen Platz auf der Tribüne suchen durfte.
Hier war halt doch sehr die Unerfahrenheit des Schiedsrichters zu spüren. Durch seine zahlreichen Pfiffe sowie denen des Publikums befand er sich nun in einer Situation, in der er Sklave seiner eigenen Autorität war. Er konnte gar nicht mehr anders, ohne sein Tun der vierzig Minuten zuvor zu konterkarieren. In keiner Phase zuvor schaffte er es, beispielweise durch ein Vorleben von Ruhe, seinerseits dazu beizutragen, dass das Spiel nichts an Intensität, aber eben an Hitzigkeit verliert.
Sein Halbzeitpfiff rettete ihn – und wahrscheinlich auch das Spiel, denn auch die Mannschaften konnten sich nun neu auf die Gesamtsituation einstellen.
So begann zur 2. Halbzeit ein neues Spiel. Man versuchte es mit Ballkontrolle. Die langen Zuspiele in die Spitze nahmen ab und so verlagerte sich das Spiel ins Spielfeldzentrum. Dies sorgte für Gewöhnung und damit für einen Verlust der Vorsicht. Das Spiel nahm wieder an Fahrt auf – und die besseren Chancen hatten die Gäste.
Casteels machte eine Hundertprozentige durch einen sagenhaften Reflex zunichte, was jedem Heimfan verdeutlichte, dass die Gäste mit dem status quo zufrieden sind – und kurz darauf gelang ihnen das aus ihrer Sicht 3:2.
Eine Direktabnahme eines langen Eckballs, die unter dem Motto stand „Autobahn oder Torwinkel“, und dessen zweiter Teil bedauerlicherweise wahr wurde, sorgte dafür, dass der Süden Badens gegenüber dem Norden erstmals in diesem Spiel in Führung lag.
Doch auch ihnen gelang es nicht, diese Führung lange zu halten. Strobl nutzte das perfekte Deckungsverhalten der Gäste, die konsequent an ihren Gegenspielern blieben. Da diese alle an die Außen zogen, tat sich vor ihm eine Lücke auf, die er sofort und auch seine Chance erkannte. Er legte sich dann den Ball noch mal ein wenig vor, nahm Maß und zog dann auch aus x-undzwanzig Metern ab.
Ein fulminanter Schuss führte zu einem fulminanten Tor. Der erneute Ausgleich in einem Spiel, das spätestens jetzt den Begriff „Spektakel“ verdient hat – und ihn sich auch in der verbleibenden Zeit verdiente.
Der Ursprung des Wortes geht auf den lateinischen Terminus „spectaculum“ zurück, was laut wikipedia soviel heißt wie Schauspiel, Augenweide, Anblick, auch Krach, Lärm.
Darüber hinaus sagt das Lexikon der Schwarmintelligenz über den Begriff, dass er für Ereignisse mit seichtem oder befremdlichem Charakter negativ besetzt, aber für bemerkenswert unterhaltsame Ereignisse durchaus auch positiv sei.
Und da dieses Spiel alles war bloß nicht seicht oder befremdlich, sondern höchst bemerkenswert und unterhaltsam, war das auch ein äußerst positives Spektakel.
Auch das Ergebnis passte dazu, das es mehr als ein Spiel war, was den viel zu wenigen Zuschauern an diesem Samstagnachmittag dargeboten wurde.
Bei einem Spiel geht es ums Gewinnen, am Ende steht der Sieger im Fokus. Bei einem Spektakel steht die Veranstaltung selbst im Rampenlicht. Gewinner sind in dem Falle die Zuschauer – und diese erlebten Spannung bis weit über die 90. Minute hinaus.
Zu dem Zeitpunkt, wo bei einem „normalen“ Spiel der Schlusspfiff kommt, kam bei diesem Fest des Fußballs noch einmal Farbe ins Spiel. War es Anfang des Spiels ein Handstreich ins Gesicht eines Gegenspielers, war es jetzt ein Fingerzeig an die eigene Stirn, die den Schiedsrichter wieder ans Gesäß greifen ließ.
Auch das womöglich so eindeutig wie der Folge eines Missverständnisses, denn heißt die Geste in der Heimat des Spielers der Gäste dasselbe wie bei uns? Bei uns bringt sie eine negative Wertung zu einer intellektuellen Leistung einer Entscheidung oder Aktion zum Ausdruck – und da sagte sich der Premierenmann wohl: „Zeigst du mir den Vogel, zeige ich dir rot!“ – und so war’s dann und plötzlich lagen wir nach 10:11 Rückstand plötzlich mit 10:9 vorn. Spielern, versteht sich.
Vielleicht war es das, was unseren Trainer in den Stimmen nach dem Spiel sowie auf der Pressekonferenz dazu verleitete davon zu sprechen, dass wir zweimal zurückkamen. Im Spiel selbst taten wir das ja „nur“ einmal – zum 3:3 – und fast hätten wir es dann wieder gedreht, doch leider landete der Ball von Modeste in der 93. Minute nur am Innenpfosten.
Wieder waren wir also knapp dran, aber wieder hat es nicht zum 1. Heimsieg der Saison gereicht. Soll man sagen zum Glück? Man stelle sich vor, der Ball wäre drin und der gegen Nürnberg wäre gegeben worden. Wir wären Tabellenführer.
Dafür sind wir das, was wir zum gleichen Zeitpunkt auch in der Vorsaison waren: die Schießbude der Liga – diesmal allerdings auf der anderen, der richtigen Seite des Doppelpunkts. Kein Team hat bisher mehr Tore erzielt als wir.
Das macht alles Spaß – und Lust auf noch mehr …
Dabei darf man nicht vergessen, dass es immer noch auf dem Feld und dem Drumherum viel zu tun gibt. Stichwort: Trainingsgruppe 2. Derdiyok klagt seine Teilnahme an der Trainingsgruppe 1 vor dem Arbeitsgericht ein.
Um eine dezidierte Meinung dazu zu haben, sollte man über detailliertes Wissen verfügen. Dies ist nicht der Fall, dennoch wäre es spannend zu sehen, ob daraus nicht ein zweites „Bosman-Urteil“ entstehen kann, für das uns alle Fans und Vereine lieben würden.
Denn so sehr die Spieler der zweiten Gruppe (Arbeitnehmer) Zuspruch erfahren, u.a. mit dem Verweis auf den bestehenden Vertrag, ist doch auch die Frage interessant, welche Rechte den Vereinen (Arbeitgeber) zustehen, wenn die Spieler die Erwartungen nicht erfüllen.
Niemand, der diese Zeilen liest, wäre gewillt 100% Geld für 50% Leistung zu bezahlen. (Handwerker, Urlaub, etc.) Doch das, was normal im Alltag ist, ist im Alltag der Vereine zumindest bislang kaum möglich. Vereine müssen zahlen. 100%. Wer weiß, wie lange noch … schließlich gibt es für alles ein erstes Mal.
Naja, außerdem ist das Transferfenster ja noch eine Woche geöffnet. Hoffen wir also auch da aufs Beste für die Spieler ohne Chance bei uns, aber mit Zukunft woauchimmer im Allgemeinen und 1899 Hoffenheim im Besonderen.
(Bildquelle: Uwe Grün, Kraichgaufoto)
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