Image Image Image Image Image Image Image Image Image Image

Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

Scroll to top

Top

No Comments

1899 Hoffenheim vs. Hannover 96

Geschockte Sieger

oder: In Gedanken verloren …

„Mann, Mann, Mann!“ grummelte er. „Mann, Mann, Mann!“

Kopfschüttelnd nahm er das Bier entgegen. Den üblichen großen Schluck, den er sich nach einem Sieg gönnt, er hat ihn sich verkniffen. Er nippte mehr daran. Einmal, zweimal, es sah eher aus, als wolle er die Schaumkrone küssen. Traute er dem Ganzen nicht? Oder befürchtete er, das Bier habe einen unangenehmen Beigeschmack, wie der Sieg selbst.

4:3. Wie im letzten Heimspiel. Nur diesmal für seine Mannschaft. Hoffenheim. Was für ein starkes Team. Was für ein eigentlich starkes Spiel. Es wurde gepresst, dagegengehalten, gespielt und phasenweise toll kombiniert. 7:0 hätte es ausgehen können, 5:0 müssen. Statt dessen das. 4:3. Immerhin gewonnen. Zum ersten Mal mit dem Ergebnis, wenn er sich recht erinnerte. Immerhin gewonnen. So gesehen … jetzt glitt der Gerstensaft in nennenswerter Menge an seinen Gaumen. Immerhin …

Er war bei weitem nicht der einzige, der sich mit dem Genuss schwertat. Natürlich war es wichtig, dass seine Mannschaft nach drei Niederlagen am Stück wieder einmal einen Sieg einfährt – und auch und gerade gegen diesen Gegner, der ja in der Tabelle zwei Punkte Vorsprung hatte. Und das ist ja gelungen.

„Jaaaaa!“, schrie er sich innerlich an, natürlich hätte er vor dem Spiel alles gutgeheißen, hätte man ihm dafür versprochen, dass die Mannschaft letztlich gewinnen wird. Und wahrscheinlich denkt er das in zwei, drei Tagen auch wieder, aber jetzt, so kurz nach dem Schlusspfiff, „so doch nicht!“

Unfähig selbst einen klaren Gedanken zu fassen, schaute er in die Leere, die ebenfalls trinkend vor ihm stand.

„Ist ja noch mal gut gegangen.“
„Was’ n Dusel!“
„De Baumann.“
„De Beck.“
„De Schiri.“
„De Kim.“
„Kaddastroof.“
„In de letztsche Joore hädde ma noch ääns gfange!“
„Hamma awwa nedd!“
„Jetzt kenne se wenigschdns widda vumm „Spektakel“ schwettze!“
„Warum nimmt’n de Gisdol den Schwegler raus?“
„20 Punkte. Jetz’ schunn! Is doch nedd schlecht!?“

Und so weiter und so fort. Und er konnte jeden einzelnen dieser Sprachfetzen, die er da aufschnappte bestens verstehen. Er will ja, dass die Mannschaft gut dasteht in der Tabelle. Und das tut sie ja auch.

Könnte aber noch viel besser sein,
täten wir die Dinger rein!

reimt er sich in seinem Kopf zusammen und muss das erste Mal grinsen. Flüchtig. Aber es reicht, um das Glas nun mit einem Schluck zu leeren. „Mann, Mann, Mann! Ja, danke, noch eines, bitte!“

Es muss kein Spektakel sein. Und auch nicht immer schön. Gegen einen schmutzigen Sieg hat er auch gar nichts einzuwenden, wie überhaupt er gegen keinen Sieg etwas einzuwenden hat, aber so ein dummer Sieg, der nagt dann schon.

Gleich am Anfang hämmert der Schipplock den Ball gegen die Latte, dass es keinen überrascht hätte, wenn sie geborsten wäre. „Aber warum knallt er das Ding so hoch und nicht einfach in die Maschen?“ Müßige Frage. Einfache Antwort. Warum leckt sich ein Hund die Eier? Weil er’s kann. Und warum machen unsere Stürmer aus den 100%igen keine Treffer? Weil sie es eben nicht können.

Eigentlich hatte er ein gutes Gefühl gehabt. Bis dahin. Sollte es jetzt wieder so sein wie den vorangegangenen Partien, wo sich die Mannschaft selbst um den Lohn ihrer Arbeit gebracht hat?

Hannover war ja nicht ungefährlich, wobei das meiste aus Abspielfehlern unsererseits resultierte und aus einem harten, aber nicht unfairen Einsteigen der Gäste. Zwar haben wir die Zweikämpfe nicht gescheut, aber gefühlt 4 von 5 verloren.

Das lag gewiss auch am Schiedsrichter, der wirklich zum Teil seltsam pfiff, aber der Freistoß war ja das Mindeste, eigentlich war es ja eher ein Elfer. Aber er vertraute darauf, dass der Schiri näher dran war als er. (Abends sah er dann, dass er es besser sah, was sein Gefühl, was den Schiri anging, bestätigte.) Salihovic? Auf der Bank. Rudy? Auch. Vestergaard? Ebenso. Schwegler und Volland stehen da am Ball. Nicht schlecht. Ein Rechts- und ein Linksfuß. Das macht es dem Torwart nicht so leicht, zu erahnen, wohin der Ball geht. Dass er dann unmittelbar neben ihm im Tor landete, war die unwahrscheinlichste aller Möglichkeiten, aber so war es: Schwegler nimmt ein paar Schritte Anlauf und zielt direkt aufs lange Eck, an der Mauer vorbei: 1:0.

Sein erstes Tor für seine neue Mannschaft. Ein Schuss. Sehr schnörkelfrei, dafür erfolgreich. Firmino und er sollten genau darüber manchmal reden.

Die Gäste agierten dann noch aggressiver, aber natürlich auch etwas unpräziser. So gewannen wir mehr und mehr Zweikämpfe – gerade auch im Mittelfeld. Ball erobern, Ball sichern, schnell nach vorne und/oder außen spielen, nach innen passen, einer lautert am kurzen, einer am langen Pfosten. Das klassische Spiel – und fast in Perfektion von uns gezeigt.

Und als der Ball dann nach außen und vorne auf Kim gespielt wurde, ging es richtig, richtig schnell. Niemand aber am kurzen Pfosten. Nur von ganz hinten, von zwei Abwehrspielern der Hannoveraner geblockt, kommt Volland angedampft. Kim timte den Pass nach innen perfekt in Vollands Lauf, Fuß dagegen halten und fertig war die sichere, souveräne und auch verdiente Halbzeitführung.

Dachte er so bei sich. Er packte gerade seine Jacke und wollte los, um sich seine Bratwurst zu holen, bevor es wieder ewige Schlangen gibt, als es ein heilloses Durcheinander gab. Erst köpft Bicakcic den Ball nach hinten statt weg und dann hüpft Beck hoch statt zu einem Kopfball zu gehen, wird übersprungen und was der Baumann da draußen macht, versteht auch keiner, ebenso wie den Anschlusstreffer.

Aber so beschissen hier die Abwehr war, eigentlich hätte es wenige Sekunden zuvor mindestens Gelb für einen der Hannoveraner Spieler geben müssen, der bei einem Konter Firmino fast umriss, der aber noch passen konnte, der Ball kam allerdings nicht gut bei Volland an, so dass der den nicht weiter verarbeiten konnte, wie man das so nennt. Doch Dr. Brych hatte auch da eine Exklusivmeinung, die wohl „Vorteil“ lautete, warum auch immer – und dann eben das.

Und dass es noch schlimmer hätte kommen können, glaubte er nicht. So ein Bock kann passieren, zumal wenn man noch sauer auf den Schiri ist, dass er da nicht zuminimindest Freistoß für uns gibt, und er war eigentlich die logische Konsequenz, gab es doch schon in den Minuten davor manch stark optimierbaren Rückpass.

Aber gleich nach der Halbzeit der nächste Abspielbock – und der Ausgleich. Der dem Ganzen vorausgehende Fehlpass ist nur durch eines zu erklären: Protanopie. Anders ist das nicht denkbar. Es muss daran liegen, dass unser Spieler (Volland?) Probleme hat Rot vor allem mit grünem Hintergrund zu sehen.

Zugegeben, die Gäste haben den Angrif dann sehr gut gespielt, aber … der Ball war zum Zeitpunkt des Fehlpasses noch nicht drin. Da gab es schon noch Chancen, den noch abzuwehren, aber auch das … klappte nicht. Beck…. Er mochte Beck. Er hat die Kritik an ihm nie verstanden. Sie war immer zu heftig, zu substanzlos, sie wirkte auf ihn abstoßend. Da sieht einer etwas anders aus, ist halt der Kapitän, kann denken und klug reden, aber dann ist er, der immer viel rennt, immer den Schritt zu spät, zu weit, zu weit vorne, zu weit hinten. Die Räume läuft er gut zu. Zweikämpfe gewinnt er selten – und wenn ergibt sich daraus selten mehr als eine Abwehr. Auch diesmal versuchte er, den Ball vor dem Gegenspieler abzuwehren – und eigentlich stand er gut dazu, aber hat ihn auch nicht noch abwehren können. Er hätte es ihm so sehr gewünscht. Weil er ihn mag. Aber so – und bei der wachsenden Qualität des Kaders wird er in Zukunft seinen Stammplatz wohl nicht mehr sooo sicher haben.

Naja, aber andererseits war es halt wieder so eine Situation, wo man als Abwehrspieler nur schlecht aussehen kann, vor allem, wenn man wie er so nah dran ist.

Mann, Mann, Mann. 2:2. Und warum? Und wollte Gisdol die Abwehr nicht stabilisieren? In den letzten Spielen haben wir doch sehr, sehr viele Tore erhalten, auch wenn diese, wie da gleich erklärend hinzugefügt wurde, außergewöhnlich selten waren, weil eben Fernschüsse.

Aber andererseits, was die anderen können, kann ich wohl auch – dachte sich Polanski, der kurze Zeit darauf mit einem so verzweifelten wie schönen Spannstoß den Ball aus rund 20 Metern über den Keeper hinweg ins Tor knallte. Ein wunderbares Tor! Wunderschön. Super wichtig.

Dann ist es wieder Kim, der links durch ist. Er provoziert einen Freistoß, den wieder Schwegler schießt, diesmal aber hoch als Bogenlampe, wo unser Leuchtturm Süle den Ball endlich mal wieder richtig traf – und traf.

Das war seine Mannschaft. Sie kämpfte, sie wollte, sie setzte nach – und so war kurz nach dem Ausgleich der alte Abstand wiederhergestellt. Sich selbst an den Haaren aus dem Wasser ziehen. Lange Zeit glaubte er, Baron von Münchhausen hätte die Geschichte nur erfunden, aber diesmal erlebte er es ja live. Die TSG hat genau das gemacht, mit 1 a spielerischen Mitteln, mit Willen und Mut – 4:2.

Das sah doch schon ganz gut aus. Bis auf einen: Baumann. Der Vielgelobte. Der Beliebte.  Ja, schon in den letzten Spielen hatte man so das Gefühl, dass er nicht mehr die Sicherheit ausstrahlte wie zu Beginn der Runde. Aber Kritik? Nein. Die vielen Fernschusstore? Immer erklärt, aber nie fiel sein Name. Nie laut. Doch in dem Spiel? Nach dem Spiel kann man nur hoffen, dass das alle Böcke waren, die ihm in der Saison unterlaufen.

Sein Abwurf zum Gegner zum erneuten Anschlusstreffer? Was für ein Bock. Dabei war die Idee auf den in dem Spiel einfach grandios spielenden Kim sehr gut, nur viel, sehr viel zu spät. Und spätestens damit: doof. Oder litt auch er unter Protanopie? Die Fans litten jedenfalls an dem Trauma der verlorenen Punkte in den letzten Minuten.

Noch zehn Minuten. Eine Ewigkeit. Und die Nerven spielten Kastagnetten. Nicht nur auf den Rängen. Dort hörte man aber etwas, was dem wehklagenden Gesang einer Flamenco-Darbietung in nichts nachstand: „Ai, Ai, Ai, Aiaiaiiiii …“

Dann der Schlusspfiff – und selbst da war es mehr Flamenco denn Fußball, denn es wurde weniger frenetisch gejubelt als erleichtert geklatscht.

Immerhin. Früher hätten wir solche Spiele tatsächlich noch aus der Hand gegeben. So aber gibt es zumindest die verdienten drei Punkte – und noch sooo viel zu tun.

„Naja“, sagte er sich, begann breit zu grinsen und schüttete sich das fast noch volle Glas Bier in die Kehle, „spielen wir halt nächsten Freitag den Tabellenletzten an seine gelbe Wand.“

Mann, Mann, Mann!

Fußball …

Submit a Comment