1899 Hoffenheim vs. Hamburger SV
Realität und Relativität
Hoffnung auf statt Tore
Die härteste Kritik stand auf dem Videotext von Eurosport: 1899 Mal Langeweile. Diese Überschrift ist umso schmerzlicher, nimmt sie sich doch der sehr schlechten Eigenwerbung unseres Vereins an, die ihre ohnehin nur in sehr geringem Maße originellen Werbemittel gerne mit 1899% Vollgas und ähnlich an Grenzdebilität grenzend inhaltsleeren Aussagen verziert. Zum Glück ist aber diese Quelle nicht derart frequentiert, dass diese Diktion Schule machen wird, lieber greifen die Journalisten hierzulande lieber zu gut abgehangenen Schlagworten: Nullnummer, Sommerfußball, müder Sommerkick etc.
Dazu kommt noch eine regionale Besonderheit, der wir uns hier und heute ebenfalls NICHT anschließen wollen: Pezza-bashing.
Zugegeben, das Spiel war, vor allem in der 2. Hälfte, alles andere als eine Offenbarung, aber es war vor allem in der 1. Halbzeit wieder Kombinationsfußball. Unsere Jungs spielten, ließen, um auch mal eine Phrase zu gebrauchen, Ball und Gegner laufen, das war alles sehr schön anzusehen. Es wirkte souveräner und viel sicherer als in den Spielen davor. Auch wenn er die ersten zehn Minuten eher unglücklich agierte, zeigte Firmino doch durchaus, dass er das Spielgerät nichts als Fremdkörper versteht.
Natürlich machte er noch einige Fehler, aber er ist jung, es war sein erstes Spiel von Anfang an, es war richtig, vom inzwischen so unbeliebten Trainer Pezzaiuoli, ihn zu bringen. Und auch die Variante, Ibertsberger vor der Abwehr spielen zu lassen, hatte was. Alaba kombinierte nicht nur im Internet gut mit Babel, das war schon alles sehr ansehnlich und um einiges besser, als das, was wir zu Anfang des Jahres uns bei Heimspielen haben bieten lassen müssen.
Der letzte Ball fehlte. Das war das Problem. Es ging bei allem schönen Kombinationsspiel kaum Gefahr fürs gegnerische Tor aus. Aber dennoch war es ein starkes Stück, dass zur Halbzeit derart gepfiffen wurde. Was wurde denn erwartet? Dass wir noch einmal einer Halbzeit gewahr werden, wie einst der Mutter aller Halbzeiten – gegen den HSV in unserer Premierensaison? — Womöglich. Aber wer das tut, leidet unter einer akuten Realitätsallergie – und darunter leidet letztlich die Mannschaft. Auch darunter …
Die Abgänge von Gustavo und Ba sowie der Holterdipolterabschied von Rangnick in der Winterpause hatten natürlich Wirkung. Das muss man auf Fanseite auch mal verstehen, andererseits muss man es vereinsseitig auch entsprechend kommunizieren. Hierzu reicht es nicht, dies gebetsmühlenhaft zu wiederholen. Hierfür wäre es auch sinnvoll, sich vor die zu stellen, die da sind. Aber ganz gleich ob Trainer oder auch die Lokalpresse, gerne nimmt man sich einzlener Spieler an und äußert sich wenig förderlich über sie: seien mit sich selbst beschäftigt, wären noch nicht so weit etc. Das mag ja so sein, aber das verlautbart man doch nicht. (Immer sinnvoll sich vorher zu fragen, bevor man so etwas sagt, wie man sich so fühlen würden, wenn der andere das über einen selbst sagen würde.)
Dazu kommt immer noch der Mangel am Verständnis wie Massenkommunikation funktioniert. Nebst der Information gilt es immer noch die Konnotation mitzubedenken. So ist es eine völlige Banalität, wenn Dietmar Hopp sagt, dass der Trainer zur Disposition steht, wenn er jetzt sieben Spiele verliert. Das würde jeder Trainer jeder Sportart in jeder Profi-Liga. Leider wird dieser Satz aber nicht als Banalität toleriert, sondern er wird interpretiert, dass der Trainer wackelt. Hat er nicht gesagt, kommt aber so an – und Wahrnehmung ist Wahrheit. Das mag keiner mehr als wir bedauerlich finden, aber man muss das so akzeptieren und entsprechend agieren.
Das hat auch seine Vorteile, dass dem so ist. Wie sonst ist es möglich, dass der Stadionsprecher bei der Vorstellung der eigenen Mannschaft über den Mittelstürmer der bosnischen Nationalmannschaft sagen kann: „Er hat im letzten Spiel für uns getroffen und am Mittwoch für Kroatien: Vedad …“ Das ist schon ein richtiger Klops und wäre für jeden Psycholinguisten ein gefundes Fressen, aber es ist ja Fastenzeit …
Wie gut Ruhe tun kann, sah man der Mannschaft an. Sie haben sich mal eine Weile nicht gesehen und es schien, als hätten sie mehr Lust am Spiel. Sie bewegten sich wesentlich besser, der Ball lief recht schnell und sicher, wir fanden die erste Halbzeit mit Abstrichen sehr ansehnlich. Klar, ein Tor, das wäre gut und auch verdient gewesen, aber das gehört zum Spiel. Wer solche Überraschungen nicht mag, muss doch ins richtige Theater. Dort ist, egal wie das Werk auch interpretiert wird, der Ausgang klar.
Wir waren uns zur Halbzeit sicher, dass wir gewinnen, aber diese Halbzeit tat niemandem gut. Der Spielfluss schien dahin und der Trainer verfiel seinem Faible unverständlicher Auswechslungen. Nach kaum mehr als zehn Minuten in der 2. Hälfte kam Vukcevic für Firmino. Hierbei überraschte nebst dem Wechsel an sich, vor allem der Zeitpunkt. Warum erst jetzt bzw. schon? Und überhaupt: Warum?
Besser spielte er nicht. Getoppt wurde diese unverständliche Auswechslungen dann duch die Verletzung Vukcevics nach wenige Minuten, der dann durch von den Fans geforderten Sigurdsson ersetzt wurde.
Was bietet dieser Spieler den Fans außer einer phonetisch interessanten ersten Silbe? „Sig – Sig – Sigurdsson“ mag sich gut anhören, aber das war es dann auch. Außer der Aussicht auf Freistöße gibt es keinen Grund für die Präsenz dieses Spielers auf dem Platz. Und für Freistöße braucht man Zweikämpfe und all das gab es in den zweiten 45 Minuten nicht.
An dieser Stelle eine kurze Bemerkung zum Schiedsrichter: Er hat sehr viel laufen lassen. Gerade zu Anfang des Spiels fühlten sich manche Spieler bemüßigt, ihr theatralisches Talent unter Mitwirkung der Gravitation darzubieten. Hier pfiff er genausowenig wie nach heftigeren Zusammenstößen, die in der Reihenfolge Ball – Mann erfolgten. Das wiederum veranlasste Teile des Publikums zu pfeifen, was man aber durchaus als Indiz einer latenten Depression werten kann. Nein, der Mann machte alles richtig. Nicht jeder Zweikampf ist ein Foul. Und nicht jeder Sturz verlangt nach einer gelben Karte. Interessanterweise nahm die Theatralik auch im Laufe des Spiels ab. Wir fanden den Mann richtig gut.
Dann der Schlusspfiff. Die Gäste-Fans jubelten und der Stadionsprecher plapperte gleich wieder darauf los (immerhin tat er die Zugauskünfte diesmal während eines Einwurfs kund). „Ein Punkt hilft uns ja auch in der Situation.“
In welcher Situation? Im Niemandland? Noch tiefer darin zu versinken? Was meint der Mann? Sieht er uns im Abstiegskampf, weil der Abstand zwischen Platz 1 und 2 sowie zwischen Platz 2 und 3 sowie der Abstand zwischen uns (Platz 9) und Platz 16 jeweils sieben Punkte beträgt? Was? Was will der Mann uns sagen? Weiß das wer? Weiß er’s?
Alles wird gut …
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