1899 Hoffenheim vs. Hannover 96
Auf Nimmerwiedersehen?
Ein Gastbeitrag von einem, den keiner mag.
Liebe TSG,
ich verlasse euch jetzt. Natürlich könnte ich noch ein wenig länger bleiben, aber, ganz im Ernst, es muss nicht sein. Das hat nichts mit euch selbst tun. Im Gegenteil, gerade euretwegen wäre ich gerne länger geblieben, vor allem, weil es ja nicht wenige gibt, die mich genau darum baten (und das waren die Höflichen), ehrlich gesagt, haben das sogar sehr viele von mir gefordert.
Aber so wie ihr es müsst, müssen auch die anderen und nicht zuletzt auch muss ich den Tatsachen ins Auge sehen: Für mich gibt es nichts mehr für euch zu tun, auch wenn das nächste Spiel hochwahrscheinlich nicht so erfolgreich laufen wird wie die beiden letzten.
Ich wollte euch ja schon Anfang der Woche meinen Abgang verkünden, aber nach dem Spiel von gestern ist mir endgültig klar, dass ich bei euch nur meine Zeit verschwende.
Ich hatte schon zu Anfang des Spiels das äußerst ungute Gefühl, dass meine Zeit bei euch abgelaufen ist, nachdem es die von Firmino nicht ist. Just an seinem 100. Spiel gabt ihr bekannt, dass er seinen Vertrag um zwei Jahre bis 2017 verlängert hat.
Zugegeben, das war schon sehr clever von den Verantwortlichen gemacht – mit dem Timing und so.
Meine letzte Chance war, dass es vielleicht ein Zuviel des Guten ist, was zu einer Übermotivation führen könnte, so dass ich vielleicht doch nicht jetzt schon gehen muss – und es sah anfangs ja auch ein wenig danach aus.
Ihr wart in den letzten Wochen, ja, eigentlich die ganze Saison über herrlich unkonstant. Das hat mir und auch vielen Zuschauern, wenngleich nicht den euren, großen Spaß gemacht. In euren Spielen fallen die mit Abstand meisten Tore, das aber sehr ausgeglichen, so dass ihr immer schön in meiner Nähe wart und ihr mich auch nie aus den Augen verloren habt, auch wenn ihr mich immer ignoriert habt. Aber ich war da, die ganze Zeit, und ihr wusstet es.
Ihr wusstet es auch gestern. Ihr wusstet, dass der Sieg am Sonntag gar nichts wert ist, wenn ihr unter Flutlicht nicht punktet, hätte euch in dem Falle einer Niederlage sogar euer Gegner überholt. Dann wäre auch ich geblieben.
Und am Anfang des Spiels dachte ich sogar, dass ihr wollt, dass ich bleibe. Nach dem Spiel klang das natürlich anders. Da habt ihr euch und eure Leistung in einer Art selbst gelobt, die mich schwer verwundert hat, aber da am Ende nur das Ergebnis zählt, hattet ihr auch die richtigen Argumente: 20:4 Torschüsse, 3:1 Tore, jetzt 35 Punkte und die Vertragsverlängerung eurer 10 bis 17, da kümmert man sich nachvollziehbarerweise nicht so gerne um die Details, die das Ganze weniger rosa aussähen ließen.
Man nehme nur euren Spielaufbau. Das war doch kein Vergleich zu den Partien zuvor. Das war langweilig, plan- und ideenlos. Ein langer Ball nach dem anderen und damit einhergehend natürlich auch ein Ballverlust nach dem anderen.
Aber es sei euch in dem Spiel gar nicht um Ballbesitz gegangen, hieß es später. Ja, dann … Ihr wolltet aus einer gesicherten Abwehr kontrolliert kontern. So kann man es im Nachhinein auch nennen – und muss man wohl auch. Aber ich glaube euch kein Wort.
Ihr habt Fehlpässe produziert wie zu meinen besten Zeiten bei euch. Fehlpässe und immer wieder einen Schritt zu spät sein, ist kein Konzept, sondern ein deutliches Indiz von mangelnder Konzentration. Und das wiederum hat auch einen einfachen Grund: Ihr wart platt.
Außerdem ging euch der Gegner nicht in die Falle. Er spielte eigentlich recht ähnlich – bis auf die lang(weilig)en Bälle. Zugegeben, das Bollwerk (das eure) hat ganz gut funktioniert, während das der Gäste doch schon die ein oder andere Lücke aufwies, was euch Chancen gab, die ihr allesamt vergabt.
Andererseits fiel das erste Tor für die Gäste, als sie das erste Mal vor eurem Tor waren. Und so „bollig“ wirkte dabei euer Bollwerk nicht. Die Türme ums Tor standen zwar, aber so richtig solide miteinander verbunden waren sie nicht. Und der Torhüter selbst hatte auch keinen Bezug zu ihnen, wie er überhaupt mehr körperlich anwesend war als alles andere. Zahlreiche Bälle ließ er in seiner Nähe unerreicht.
Nichts war diesmal von seiner selbstbewussten Ausstrahlung zu spüren. Das, was Casteels in den letzten Wochen just in diesem Punkt dazugewann, schien Grahl abhanden gekommen zu sein. Auch seine Abschläge dienten meist dazu, den Gegner wieder in Ballbesitz zu bringen. Das war wohl auch Absicht, was? 🙂
Wie gesagt, ich bin euch nicht böse, dass ihr nach dem Spiel so flunkert, aber erlaubt mir meine Zweifel. Auch der fast postwendende Ausgleich war nun wahrlich kein Musterbeispiel für den Abschluss eines mustergültigen Spielzugs, er war vor allem das Resultat einer Verkettung glücklicher Umstände: Erst versucht die gegnerische Abwehr den Ball übers Stadion zu schießen, kriegt ihn da aber ebenso wenig raus, wie aus dem eigenen Sechzehner, wo dann, just als es dem Ball gelang, da doch rauszukommen, Polanski steht, sich perfekt zum Ball dreht und jenen schlicht zurückdrischt – durch die Masse in die Maschen.
Und nach dem Ausgleich? Schienen alle wetterfühlig zu werden, denn fast noch mehr, als die Temperaturen sanken, erstarrte das Spiel. O.K. wie ich ja auf der Pressekonferenz danach erfuhr, wolltet ihr ja nicht … und die anderen konnten nicht. Da hattet ihr Glück. Aber anderseits … ist das ja hier nur die Meinung von jemandem, der sich wegen euch nun ein neues Zuhause suchen muss.
Dass dies der Fall sein wird, wurde mir relativ schnell nach Wiederanpfiff klar, als einfach alles passte, nicht nur Firmino perfekt auf Modeste. Euer verlängerter Brasilianer hatte ja an sich keinen so guten Tag erwischt, aber in der entscheidenden Szene war er halt da und zeigte, warum er in der Bundesliga-Scorerliste trotz vieler, aber gar nicht mal sooo vieler Tore ganz oben steht: Seine Zuspiele haben schon eine ganz besondere Qualität (wenn sie denn mal ankommen). Und auch der Franzose überraschte: Erneut war er so gut wie nie im Abseits und erstmalig konnte er zahlreiche Bälle, die hoch und halbhoch auf ihn gespielt wurden, behaupten und/oder zum Mitspieler weiterleiten. Das hatte auch eine neue, mich eher ängstigende Qualität.
Allerdings war beides in der Szene ja auch nicht gefragt. Hier ging es nur ums Laufspiel, und da war er ja eigentlich immer gut, wenn er halt nicht im Abseits stand. Tat er nicht, er erlief den Ball, und spielte ihn ganz lässig vorbei am herauskommenden Torwart der Gäste millimetergenau neben den Pfosten ins Tor.
Als dann Modeste kurze Zeit knapp drauf auch noch einer Schienbeinfraktur entging und sein Gegenspieler dafür vom Platz gestellt wurde, wollte ich mich schon abwenden, denn der Gegner war an dem Abend einfach zu schwach, als dass ich noch große Hoffnung hätte hegen können, in Hoffenheim zu bleiben, wo er doch von da an in Unterzahl spielen musste.
Wehmütig schaute ich in das strahlende Stadion. Hat sich über die Jahre doch einiges getan. Schön ist es geworden – und irgendwie auch leerer. Aber das ist meine Schuld. Das ist ganz oft so. Wo ich bin, ist leer. Viele Menschen finden mich abstoßend. Sie meiden mich, wo es nur geht. Dabei will ich doch gar nichts von Ihnen persönlich – ganz im Gegensatz zu meinem Verwandten, dem ja niemand entkommen kann.
Doch irgendwie schien das der Mannschaft gar nicht zu gefallen, das mit der Überzahl, denn plötzlich spielte sie noch schlechter als zuvor. Klar, es war schon später und kälter geworden, aber ich war dann doch überrascht, dass ihr euch so gar nicht befreien konntet. Und der Vorsprung mit nur einem Tor ist ja nicht das, was man in Hoffenheim „sicher“ nennen kann.
Und da euer Torwart ja einen ganz und gar nicht guten Tag hatte, einfach so gefühlsmäßig, und, einfach so erfahrungsmäßig, eure Abwehr immer für einen Bock gut ist, blieb ich also. Vielleicht wollt ihr ja gar nicht, dass ich gehe, dachte ich mir.
Nur einer wollte mich definitiv nicht: Vestergaard. Obwohl Johnson, Beck und Strobl ihre Sache ganz gut machten, vor allem Johnson, der, seitdem klar ist, dass auch er euch verlässt, immer wichtiger für euch wird, war es letztlich der junge Däne, der da hinten fast alles alleine klärte, ganz gleich, ob vertikal in der Luft oder horizontal in der Luft, ob als Prellbock für Ball oder Gegenspieler.
Für mich war das hart, aber noch härter war die Häme, die mich traf, als Rudy traf.
Rudy spielt die Bälle ja so gut wie nie direkt aufs Tor. Lieber nochmal und nochmal zum Nebenmann und das auch gerne lasch. Aber auf einmal nimmt er zu Ende der Nachspielzeit den Ball, der plötzlich nach einem so schlechten wie unnötigen Befreiungsschlag vom Gästekeeper von dessen seitlicher Strafraumgrenze vor ihm lag und spielte ihn in hohem Bogen aus gefühlt 40 Meter oder mehr ins leere Tor. Das war schon in allen Facetten bemerkenswert – und das letzte Zeichen für mich, das vielleicht gar nicht mal so Weite zu suchen. Bisher habt ihr doch sonst immer Tore in den letzten Minuten kassiert, jetzt macht ihr sie. War ja in der Vorwoche schon so …
Selbst das ist also nicht mehr, wie es war. Und dummerweise (aus meiner Sicht) scheint das so zu bleiben.
Firmino bleibt, das hat natürlich Signalwirkung. Beck liegt ein Vertragsangebot vor, Volland schien sich auch schon wieder mehr zu freuen als bei der letzten Partie, und zudem werden die Spieler ja auch reifer und besser. Salihovic war zwar recht früh platt, aber da gibt es immer noch Herdling und nicht zu vergessen: Hamad.
Nein, nein, das klingt mir alles zu sehr nach solider, rosiger Zukunft. Man stelle sich nur mal vor, ihr gewinnt die übernächsten Spiele gegen die, die unmittelbar vor euch, sowie gegen die, die hinter euch stehen. Obwohl, dann könnte ich sogar schon nächstes Jahr wiederkommen.
Aber danach sieht es ja nicht aus. Da will ich mir auch keine Hoffnung machen. Vielmehr scheint es so zu sein, dass ihr zwar nicht die Deutsche Meisterschaft, aber immerhin euer Saisonziel bereits am 27. Spieltag erreicht habt. Ihr kommt entspannt durch die Saison. Also braucht ihr mich nicht mehr. Und irgendwie wollt ihr mich auch nicht.
O.K., dann gehe ich halt woanders hin. Da will man mich zwar auch nicht, aber meinereiner will ja auch seinen Spaß.
Ich komme auch gerne wieder. Falls ihr mich vermisst: Ihr habt ja in den letzten Jahren gezeigt, dass ihr wisst, was zu tun ist, wenn ihr mich wiederhaben wollt.
In diesem Sinne, verabschiede mich von euch mit einem ganz fair-neutralen „Tschüss“,
Das/Euer Abstiegsgespenst
Comments