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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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1899 Hoffenheim vs. Bayer 04 Leverkusen

Geschichte und Geschichten

Ein paar Gründe, hysterisch historisch zu werden.

18. Januar. 30. Januar. 8. Mai. 17. Juni. 1. September. 3. Oktober. 9. November. Deutschland hat viele geschichtsträchtige Tage. Der 18. Oktober gehört dazu. Und das schon lange, lange Zeit vor diesem Spiel.

Aber mit der Zuordnung dieses Datums haben viele weit mehr Probleme als mit den anderen. Die anderen sind einfach:

– Proklamation des Deutschen Reiches 1871
– Hitlers Machtergreifung 1933
– Tag der Kapitulation Deutschlands 1945
– Aufstand der Bürger der DDR in Ost-Berlin 1953 (aka „Tag der deutschen Einheit“)
– Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939
– dem heutigen „Tag der Deutsche Einheit“
(ja, mit großem D; übrigens der einzige Feiertag, der keine Sache der Bundesländer ist)
– Ausruf der Republik 1919, der Reichspogromnacht 1939 sowie dem „Fall der Mauer“ 1989.

Fußball ist zwar viel Tagesgeschäft, aber die Tage selbst spielen kaum eine Rolle. Oder wer kann spontan was mit dem 18. Juni, 22. Juni, 30. Juni, 4. Juli, 7. Juli, 8. Juli etwas anfangen?

Das sind die Tage der Siege der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften. Die Jahreszahlen hingegen kennt wohl fast jeder.

(Kurioserweise – und dieses an sich nutzlose Wissen lässt sich bestimmt mal in einer Wette platzieren – wurden alle EM-Titel im Juni, alle WM-Titel im Juli gewonnen (1972, 1980, 1996 (auch ein sehr geschichtsträchtiges Finale; Schlagwort: Golden Goal) bzw. 1954, 1974, 1990. Äh … auch nicht unspannend (ist Ihnen beim Lesen, geneigter Leser, womöglich gar nicht so schnell aufgefallen): Die Finale fanden immer ein wenig später statt. Ob das aber als Grundlage für ein Argument für eine Winter-WM 2022 taugt? – Entschuldigung, zurück zum Thema)

Wie gesagt: Der 18. Oktober ist ein sehr geschichtsträchtiger Tag. Sein Ergebnis hatte Auswirkungen bis weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Gestern jährte sich zum 200. Male der letzte Tag der Völkerschlacht zu Leipzig, die mit dem großen Sieg der Koalition aus Preußen, Österreich, Schweden, Russland gegen die Truppen Frankreichs unter Napoleon Bonaparte endete, die sich dann hinter den Rhein zurückzogen.

200 Jahre später. Freitag. Flutlicht. Fahnenmeer. Diese Terminierung samt moderner Inszenierung schuf im Fan der Glaube, dass dies ein guter Tag war, Geschichte zu schreiben.

Denn auch wir standen einem eigentlich übermächtigen Gegner gegenüber. Auch hier galt es die Stärken der Einzelnen bar ihrer Herkunft zu einem starken Gesamten zu bündeln, um daraus zumindest gefühlt eine permanente Überzahl herzustellen. Genau diese war ja der Grund für den Sieg auf dem Schlachtfeld.

Und dies würde auch der Schlüssel für den Sieg in der Arena bedeuten gegen die Mannschaft, gegen die wir (gefühlt) die schlechteste Bilanz in unserer Bundesliga-Geschichte haben – und gegen die wir meist sehr besch … eiden aussahen.

Das wollte der Trainer ändern – und tat dies mit einer Formation und Strategie, pardon: Aufstellung und Taktik, die für Verwunderung sorgte, aber von Anfang an voll aufging.

Süle für Vestergaard in der Innenverteidigung, Toljan wieder auf links, im Mittelfeld war Salihovic wieder dabei, dafür blieb Elyounnussi erst mal auf der Bank, ebenso wie Rudy, für den Strobl spielte. Aaaaaha!
Da war man gespannt – und schon schnell begeistert. Der Ball lief, die Spieler liefen und beides fand angenehm oft und weit besser als bisher in der bisherigen Spielzeit zueinander, so dass auch der Gegner viel lief, aber meist hinterher. Selten so wenig Fehlpässe gesehen.

Der Ball wurde vor allem sicher gespielt. Wenn es nach vorne ging, dann ging’s auch nach vorne. Wenn nicht, wurde man nicht hektisch, spielte den Ball sicher auch mal nach hinten, baute das Spiel immer wieder neu und damit natürlich auch sich immer besser auf. Souveränität durch Ballbesitz.

Das ließ sich alles sehr gut an, wobei man natürlich auch feststellen muss, dass die Gäste ihrerseits eher passiv waren. So wurde unsere neuformierte Verteidigung beim Spielaufbau nie durch irgendwelche Pressingaktionen unter Druck gesetzt, sondern einfach an der Mittellinie empfangen.

Durch diesen Block fanden wir aber immer wieder einen Weg und erarbeiteten uns tolle Chancen, die wir aber allesamt vergaben, so dass man wieder dieses mulmige Gefühl bekam von wegen „Wenn du deine Chancen nicht nutzt …“

So kam es dann beim ersten Auftreten der Gäste vor unserem Tor auch fast zum Führungstreffer, doch Casteels behielt in der Ping Pong-Situation die Ruhe und hielt den Ball dann sicher in seinen Armen. Puuuh …

Das wäre schon sehr ärgerlich gewesen, wo wir doch wirklich so gut spielten. Wir erarbeiteten uns weitere Möglichkeiten, konnten diese aber auch nicht verwerten, nicht zuletzt, weil deren Torhüter wirklich toll hielt. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis wir in Führung gehen würden, aber dann schlug das Sprichwort wieder zu. Zweiter Schuss auf unseren Kasten, Casteels fiel, das Tor auch.

Doch selbst danach – und diese Aktion war wirklich die einzige im gesamten Spiel, wo die Defensive nicht aggressiv genug war und auch Casteels wahrlich schlecht aussah – spielte unser Team weiter nach vorn, auch wenn es dazu zumindest in den ersten Momenten intensiver Armrotationsbewegungen unseres Trainers am Seitenrand bedurfte.

Die Gäste griffen nun etwas früher an, aber, und das war gerade in der Situation nicht selbstverständlich, hatten damit keinen Erfolg. Der Spielaufbau blieb weiter überwiegend sehr sicher, es sei denn Salihovic war am Ball, der zwar ebenfalls sehr motiviert war, aber vielleicht ob der im Laufe der Woche erreichten Qualifikation Bosnien-Herzegowinas doch nicht so ganz fokussiert.

Doch während er beim rollenden Ball die gewohnte Stärke vermissen ließ, war sie beim ruhenden da. Sein wunderschöner Freistoß wurde allerdings von einem gerade rechtzeitig dort platzierten Spieler von der Linie geköpft. Der Torwart wäre chancenlos gewesen, diesen Treffer zu verhindern, der dann aber doch fiel – und das nach einer wunderbaren Aktion, bei der die Mannschaft die ganze Breite und Tiefe des Spielfeldes nutzte:

Pass in der Defensive von links nach rechts, halbrechts nach vorn, langer Ball nach vorn in den Sechzehner auf Ball auf halblinks, zurückgelegt in die Mitte, Volland Tor, Arme hoch, Fahne hoch, Abseits.

Dr. Felix Brych gab das Tor nicht. Selbstverständlich nicht. Er konnte ja nicht wissen, dass die Information, die er erhielt, leider nur dem Paradigma der Moderne entsprach: Wahrnehmung ist Wahrheit. Sein Assi hatte das halt so wahrgenommen, wahr war es nicht.

Dabei war nicht nur die terminliche, sondern auch diese Ansetzung durch die DFL eigentlich ein gutes Omen, denn auch wenn wir in der Bundesliga noch nicht gegen diesen Gegner gewonnen haben, vor rund zehn Jahren, genauer am 3. Dezember 2003 taten wir das, als Viertligist im DFB-Pokal Achtelfinale mit 3:2. Unser Trainer von damals, war auch im Stadion. Er saß neben seinem heutigen (Noch-)Chef: Jogi Löw. Der Schiedsrichter des Spiels war … Dr. Brych.

Und noch ein Akteur jenes Spiels trat im Verlauf dieses Spiels noch in Erscheinung, wenngleich nicht mehr nennenswert in Aktion: Kai Herdling. Er erzielte damals in der 77. Minute den Siegtreffer, nachdem die Gäste zuvor den Halbzeitrückstand von 0:2 hatten egalisieren können.

Einwurf: Traditionsverein.

So lagen wir zur Halbzeit zurück. 0:1. Aber die Art und Weise, wie unsere Mannschaft spielte, ließ uns ruhig bleiben. Die Dämonen der Erinnerungen an Spiele, in denen wir gegen den Gegner eine Handvoll Gegentore auch zu Hause bekamen – und das auch in unserer Sensationsaufstiegssaison – blieben stumm. Alle waren bass erstaunt, wie gut und cool unsere Mannschaft gegen den Champions League-Teilnehmer agierte, so dass der allgemeine Tenor war: Das wird schon.

Das Problem für die zweite Hälfte war natürlich der Rückstand unserer Mannschaft gegen eine eingespielte Mannschaft mit viel Erfahrung. Sie agierte ruhig und konzentriert und ließ uns kommen, was wir ja aufgrund des Rückstandes auch tun mussten.

Andererseits barg auch dies immer wieder die Gefahr, dass man mit einem unglücklichen Ballverlust den Gästen Konterchancen eröffnen würde, was bei der Qualität deren Offensive immer auch Torchancen bedeutet. Eine wehrte Casteels grandios ab. Wäre er doch auch in der ersten Halbzeit einmal so gesprungen und nicht nur gefallen, dachte man sich und hatte weiter Gefallen am Spiel unserer Mannschaft, die im Grunde bei dem Spiel der ersten Halbzeit blieb. Warum auch ändern? Steter Tropfen … Es bedurfte ja nur eines Tores für uns.

Doch statt eines 1:1 stand es plötzlich 0:2. Nach einem Kopfball des besten Angreifers der Gäste lag der Ball plötzlich im Netz. Da es nach allen Regeln der Physik nur eine Möglichkeit geben konnte, wie er da hinkommen konnte, konnte es für den Schiedsrichter auch nur eine Schlussfolgerung geben: Tor.

Das gab er dann auch – und massig Aufregung, wenngleich vor allem um das Spielfeld herum, denn die Spieler selbst konnten dies in der Schnelligkeit alles gar nicht erfassen, auch wenn alles seltsam anmutete. Kein Jubel des Torschützen, kein zeitexakter Jubel der Gästefans, keine situativ-korrekte Bewegung des Tornetzes, welches sich hätte ja ausbeulen müssen. Aber es beulte sich ein, denn der Kopfball ging ans Außennetz, rollte an dem entlang und erreichte dort die Stelle, wo ein Faden gerissen und dadurch ein Loch groß genug für einen Ball der Größe 5 entstanden war. Drin.

Aber es geht ja nicht darum, ob ein Ball „drin“ ist. Es geht darum, ob ein Ball die 7,32 m lange Torlinie auf einer Höhe bis maximal 2,44 m in vollem Durchmesser überschritten hat. Das Netz ist nur ein Hilfsmittel. Aber natürlich ein für die Wahrnehmung extrem wichtiges. (Und auch für den Spielfluss, wie alle die wissen, die ohne Netz und das womöglich noch an einem Fluss spielen.)

Interessanterweise ist das Tornetz selbst in den Regeln des DFB nicht definiert. Die Statuten erwähnen das Tornetz nur im Rahmen kommerzieller Werbung. Deren Mindestabstand muss laut einer Entscheidung des Football Association Boards „vom Betreten des Feldes zu Beginn des Spiels bis zur Halbzeitpause und vom Wiederbetreten des Feldes nach der Pause bis zum Spielende“ mindestens 1 Meter zur Spielfeldbegrenzung, „seiner Ausstattung, einschließlich des von den Tornetzen umschlossenen Raums und der Technischen Zone“ betragen. An Tornetzen ist „ebenso unzulässig … das Anbringen von Gegenständen, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Spiel haben (Kameras, Mikrofone usw.).“

Vorgeschrieben ist lediglich das Fußballtor mit freier Netzaufhängung nach DIN 7900, u.a. mit Standardbodenhülsen und Deckel, unverrottbaren Netzhaltern, aus besonders profiliertem Alu-Profil 120 x 100 mm, vielfach innenversteift und Doppelnut, bei der die Netzhalter den Profilradius nur geringfügig um wenige mm überragen, so dass sich ein Vor- bzw. Unfall wie am 20. September 1989 nicht wiederholt, als der Spieler Ditmar Jakobs nach einem Rettungsversuch ins Tor rutschte und sich dabei einen damals für die Netzbefestigung üblichen Karabinerhaken in seinen Oberschenkel bohrte, der vor Ort per Skalpell entfernt werden musste. Der Haken, nicht der Oberschenkel. (21 Minuten dauerte die ganze Szene. Sie bedeutete das Ende seiner Karriere.)

Es muss nicht einmal mit Netz gespielt werden. Im Regelwerk heißt es in Regel 1 („Das Spielfeld“): „Netze können“ (!!!) „an den Pfosten, an der Querlatte und am Boden hinter den Toren befestigt werden, sofern sie ausreichend gesichert sind und den Torwart nicht behindern.“

Das heißt, man kann auch ohne spielen, aber wenn, dann müssen sie ausreichend gesichert sein. Und genau das überprüfen die Schiedsrichter-Assistenten zu Beginn einer jeden Halbzeit, die Sicherung des Netzes, nicht den Zustand des Netzes an sich, also seiner Fäden und Knoten.

Ein solcher Faden ist an einem Knoten gerissen. Normalerweise wird der 4 mm dicke Faden alle 10 cm verknotet. Dadurch erhält das Tornetz eine quadratische Struktur. Diese Größe eines jeden einzelnen Quadrats gewährleistet, dass selbst bei maximaler Dehnung des Fadens durch einen festen Schuss exakt in eine solche Quadratmitte der Ball nicht durchrutschen kann, da sein Durchmesser zwischen 21,645 und 22,282 cm liegen muss. (Das steht zwar nicht in den Regeln. Aber da ist der Umfang mit 68-70 cm vorgeschrieben und da sich dieser mit der Formel 2πr berechnet, kann man sich das ja schnell mal ausrechnen.)

Wer aber nun sich die Zahlen genau anschaut stellt fest, dass sich durch einen gerissenen Faden die Länge einer Kante auf 20 cm verlängert, was sehr wohl, da die Fäden ja nicht straff gespannt sind, dazu führen kann, dass ein Ball hindurch passt.

Für die Hobby-Stochastiker: Die Oberkante des Tornetzes beträgt meist 80 cm, die Unterlänge 150 cm. Die Gesamtfläche des Außennetzes beträgt damit also 28410 cm2. Wenn man jetzt noch die Größe eines einzelnen Quadrates (100 cm2) sowie den Durchmesser des Balles (s.o.) miteinander in Bezug setzt, habt ihr eure Lösung.

Und sie ist so gering, dass man dem Schiedsrichter keinen Vorwurf machen kann, dass er so entschied, wie er entschied. In einem Interview nach dem Spiel sagte er, dass er Zweifel gehabt habe, aber da es keine Proteste gegeben habe und ihm auch der vermeintliche Torschütze nicht sagte, dass es kein Tor war, setzte er das Spiel fort, womit die Tatsachenentscheidung fix war.

Bis zum Anstoß hätte er seine Meinung noch ändern können, aber wenn er das Spiel fortsetzt, ist das Vergangene Geschichte – und nun eine Sache der Gerichte.

Und auch dem Torschützen gegenüber ist der Vorwurf nur schwer aufrechtzuerhalten, auch wenn man sich nur allzu leicht und allzu gern auf die Fernsehbilder bezieht, die ja zeigen, dass er nach seinem Kopfball die Hände vor sein Gesicht schlug und nicht in die Höhe reckte. Ja, er sah, dass der Ball nicht dahin ging, wo er es gerne gehabt hätte, aber andererseits jubelten alle anderen und der Ball war im Netz.

Hm, vielleicht ging der Ball doch irgendwie an den Pfosten, von da an den Rücken des Torwarts und doch noch rein. Hat es ja alles schon gegeben und wie hat man sich als Zuschauer über Torschützen amüsiert, die gar nicht gemerkt haben, dass ihr Ball doch noch zu einem regulären Treffer führte.

Also sagte er dem Schiedsrichter, dass er es nicht wisse – und das Spiel ging weiter. Und das auch relativ ruhig, denn bis auf die Hoffenheimer Einwechselspieler hatte ja im ersten Moment niemand etwas von dem Loch geahnt. Das kam erst so nach und nach, als Handys gezückt wurden. Anrufe und SMS von Bekannten zuhauf und nur aus einem Wort bestehend: Phantomtor.

Half in der Sekunde nichts. Das Spiel ging weiter – und unsere Mannschaft tat das auch. Nach vorn. 20 Minuten blieben ja noch. Wieder angetrieben von dem nun nicht nur mit den Armen rotierenden Trainer. Mit Elyounussi und Schipplock kamen zwei Offensivkräfte (für Salihovic und Polanski) ins Spiel, aber kein großer Schwung mehr auf.

Aber spätestens als der Trainer Beck gegen Herdling auswechselte, war jedem klar, dass der Verein Einspruch einlegen würde. Denn auch ein oder mehrere Gegentore der Gäste würden nichts mehr am Einspruch ändern. Sollte man allerdings doch noch zu einem Punktgewinn oder gar einen Dreier kommen, dann könnte man sich das sparen.

Wunderbarer Zug. Sehr logisch. Sehr mutig. Und fast wäre er ja auch belohnt worden, denn der Schiedsrichter gab nach einem Foul an Firmino einen nicht ganz glasklaren Elfmeter. Und der Gefoulte trat selbst an …

Dass er verschoss, das kann passieren. Der Gästetorwart war einfach gut. Aber dass der Ball in den Nachschüssen zwei Mal an das besonders profilierte Alu-Profil ging, aber nicht ins Tor, war schon sehr verhext.

Zwei Minuten später hätte es wieder Elfmeter geben müssen. Eine wesentlich deutlichere Aktion als in der Szene zuvor, aber der Pfiff blieb aus und, wenn man ehrlich und reflektierend ist, kann man das verstehen.
Wahrscheinlich wusste, zumindest ahnte der Schiedsrichter, dass das Tor, welches er zuletzt gab, nicht ganz koscher war. Eventuell hat er in der Halbzeitpause auch gesehen, dass er ein reguläres Tor nicht gegeben hat. Dann gerade eben der Elfmeter, bei dem es heftige Proteste der Gäste gab. Wenn er jetzt wieder pfiffe, sähe das dann nicht erst recht nach Konzessionsentscheidung aus? Was, wenn das auch falsch wäre? Natürlich hat man sich darüber geärgert, dass der Pfiff ausblieb. Aber der arme Spielleiter … er war in einer Situation, in der man selbst nie sein möchte. Für ihn lief ja auch alles äußerst beschissen.

Dass es trotzdem noch einmal spannend wurde, lag an Schippo, der unsere einzige Nichtchance des Spiels zum Anschlusstreffer nutzte. Ein hoher Ball im 16er, der das Gefühl vermittelte, er würde in hohem Bogen ins Aus fliegen, weshalb wohl keiner der Gäste reagierte. Der Ball aber plumpste runter, Schipplock auf den Schädel.

1:2 – und dabei blieb’s – trotz vier Minuten Nachspielzeit.

Was für ein wunderbares Spiel unserer Mannschaft. Unverständlich verloren, aber trotzdem … Zuversicht pur. Natürlich wollte man dem Gerücht, mehr war es ja für die Leute im Stadion ohne TV-Anschluss bisher nicht, nachgehen, ob es wirklich kein Tor war und wenn, dann legt man halt Einspruch ein. Gab’s ja schon mal. Helmer. Bayern. Nürnberg. 2:1. Wiederholungsspiel. 5:0. Haha. Aber geiles Spiel unserer Mannschaft … so war man am Reden und es war O. K., bis dann etwas geschah, was ebenfalls verständlich und nachvollziehbar ist, aber was man so nicht hätte machen dürfen.

In Ultra-Hochburgen hätte das gewiss zu einer riesigen Eskalation geführt, aber bis auf viel Gebrüll hatte es keine Auswirkungen, dass der Stadionsprecher wenige Sekunden nach Schlusspfiff, als noch alle Akteure auf dem Spielfeld waren, den Treffer zum 0:2 aus allen Perspektiven zeigte und darauf verwies, dass es kein reguläres Tor war. Dies immer und immer wieder, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit darauf verwies, dass der Verein gegen die Wertung des Spiels Einspruch einlegen wird.

Umgekehrt wäre besser gewesen – und ein bisschen Pause lassen. Auch wenn man mit der Leistung der Schiedsrichter nicht zufrieden war, sollte man warten, bis sie sicher sind. Und dann wäre es auch weiser gewesen, zuerst darauf zu verweisen, dass der Verein gegen die Wertung des Spiels Einspruch einlegen wird, da der Treffer nach der eigenen Überzeugung irregulär war – und dann erst die Szene zeigen. Wie gesagt, es ging ja gut, aber es war nicht das, was man eine deeskalierende Maßnahme nennt. Man stelle sich das bei zwei Ruhrgebietsvereinen vor … da würde es einen anderen Bezug zur „Völkerschlacht“ geben.

Aber auch aus diesem Faux pas wird man lernen und besser werden. Wie es überhaupt letztlich nur Gewinner geben wird aus diesem Spiel – natürlich unter der Voraussetzung, dass dieses Spiel wiederholt wird:

– Der Verein ist nun schon zum zweiten Mal in der Saison Opfer elementarer Fehlentscheidungen, was uns Sympathien bei den Neutralen und auch so etwas wie Patina gibt.
– Die Gäste haben die Chance, diese drei Punkte sauber einzufahren; sie werden den Makel der drei „schmutzigen“ Punkte los.
– Der Schiedsrichter erklärt, dass er ja mit allen gesprochen hat, ihm aber niemand die Zweifel, die er hatte, nehmen konnte und da Regel nun mal Regel ist, musste er halt so entscheiden, aber er bedauert das natürlich, wie er nach dem Spiel sagte, wobei er während des Spiels zu Polanski gesagt haben soll, der ihn auf den Netzfehler hinweisen wollte, dass er ihm die gelbe Karte zeigen würde, würde er ihn weiter bedrängen. (Oder so. Dritthandinformation.)
– Der Torschütze erklärt, dass er es nicht wusste, sich selbst plötzlich unsicher war, aber das so nie wollte.
– Die Freunde des Videobeweises.
– Die Medien, denn wenn sie was zu schreiben und besprechen haben (Gibt es morgen den ersten 5-Stunden-„Doppelpass“?)
– Die Fans, denn sie bekommen ein Bonus-Spiel. So hat es der Trainer ja schon vor der Partie deklariert, wenngleich er es ganz anders meinte.
– Die Hasser, weil sie ihren ganzen Scheiß loswerden können.
– Die Fairness.
– Alle, denn sie haben was, worüber sie reden können, wozu sie eine Meinung haben können, wozu es keine zwei Meinungen geben kann. Eigentlich …

Denn natürlich kann es sein, dass dem Einspruch aus welchem Grund auch immer nicht stattgegeben wird. Vielleicht weil der vermeintliche Präzedenzfall „Helmer“ nicht gilt, weil hier kein Materialfehler vorlag.

Nun, das würde nichts machen, denn schon lange vor dem vermeintlich ersten Phantomtor 1994 gab es eines, was sehr vergleichbar ist:

1978 – Borussia Neunkirchen gegen die Stuttgarter Kickers. Der Siegtreffer zum 4:3 war irregulär. Ein Ball fiel von der Stange, die das Netz hinter dem Tor fixiert, ins Tor. Nach Rücksprache mit dem Linienrichter gab der Schiedsrichter den Treffer, allerdings entschied der DFB nach Betrachten der TV-Bilder auf eine Neuansetzung der Partie, die im ersten Spiel unterlegene Mannschaft dann mit 1:0 gewann.

Gehen wir einfach davon aus, dass das Spiel wiederholt werden wird. Und auch wenn das zu frostigeren Temperaturen stattfinden wird, freuen wir uns darauf.

Es war einfach ein tolles Spiel – und, wieder mal, ein Riesenspektakel.

Geschichtsträchtig.

Ergänzung:

Inzwischen erreichte uns noch diese Information, die es möglich macht, dass das Spiel doch nicht wiederholt wird:

Um eine Spielwertung zu annullieren müsste bspw. ein Regelverstoß des Schiedsrichters nachzuweisen sein (Paragraph 17, 2c der DFB Rechts- und Verfahrensordnung). Da die Entscheidung, ob ein Treffer zählt oder nicht, alleinig dem Schiedsrichter obliegt, konnte dieser Paragraph bei den beiden oben genannten Beispielen herangezogen werden, da in beiden Fällen nicht der Schiedsrichter, sondern de facto der jeweilige Assistent entschied, was ein Regelverstoß sei. (Informationsquelle)

Haarspalterei für den einen, Rechtsprechung für den anderen.

Gestern entschied der Schiedsrichter aber alleinig. Daher war es ein Wahrnehmungsfehler, der aber selbstverständlich kein Regelverstoß des Schiedsrichters darstellt, sonst wäre ja jede Fehlentscheidung ein Regelverstoß.

So kann der Regelverstoß wohl nur die fehlerhafte Kontrolle des Tornetzes sein. Hier liegt aber der Fokus des Regelwerks auf der Verankerung. Darüber hinaus ist die Frage, ob das Tornetz zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme am Spieltag in einwandfreiem Zustand war. Falls nicht, könnte der Einspruch womöglich zu einem juristischen Eigentor werden.

Andererseits kann das Tornetz ja beim Warmschießen in Mitleidenschaft gezogen worden sein, so dass dann die Frage bleibt, wer für die Kontrolle des Gesamtzustands des Tornetzes von der Aufstellung des Tores bis zum Schlusspfiff des Spieles zuständig ist.

Ein schönes Beispiel dafür, wie kompliziert ein Sachverhalt juristisch sein kann, obwohl moralisch so einfach.

(Bildquelle: Uwe Grün, Kraichgaufoto)

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