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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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VfL Wolfsburg vs. 1899 Hoffenheim

Mau Mau

Komplexitätsbanalität vs. Banalitätskomplexität

Die meisten Menschen machen ja den Fehler, dass sie die Komplexität des Banalen unterschätzen. Meist fehlt es an Geduld und/oder Weitsicht. Daher will man schnell Entscheidungen haben. Und was hat man dann? Oftmals gar nicht so sehr die gewünschte oder gedachte Klarheit, weil man eben die Komplexität des Banalen unterschätzt oder es mit der Banalität des Komplexen übertrieben hat.

Nehmen wir das bekannteste Beispiel aus der jüngsten Geschichte: der Brexit.

„Soll das Vereinigte Königreich und Nordirland in der Europäischen Union verbleiben?
Ja oder Nein.“

Eine wahrliche einfache Frage mit einer supereinfachen Antwort. Das Problem dabei eröffnete sich erst, als sich die Mehrheit zum Verlassen der Staatengemeinschaft entschied, denn das hieß ja für viele Menschen, dass sie plötzlich Zollgebühren zu zahlen hatten, dass sie nicht mehr einfach so woanders innerhalb der EU arbeiten konnten und dass sie sich an einem Flughafen in einem Mitgliedsstaat der EU in die Reihe derer aus Honduras, Kongo, Libyen, Jemen, Laos, Nordkorea, also im Grunde dem Rest der Welt einreihen durften, der nicht Bürger/in der EU oder eines anderen Staates ist, mit dem es Sonder- oder bilaterale Abkommen gibt, z. B. EWR oder die Schweiz, denn durch den Volksentscheid gab es keinerlei Abkommen mehr mit den Briten.

Der Klassiker ist ja „Ich lasse mich scheiden.“

Auch da ist es für beide Parteien ja ratsam, sich vorher darüber zu einigen, bevor ein/e Richter/in ein Urteil fällt. Das spart nicht nur Kosten in puncto Rechtsbeistand, sondern auch Nerven und Energie, die einem dann nach der Scheidung fehlen, denn auch da gilt der alte Stepanovic-Satz „Lebbe geht weiter!“ Nur, was für ein „Lebbe“ das ist, das kann man einvernehmlich klären – oder eben unversöhnlich klären lassen.

Da hat man vielleicht das bekommen, was man wollte („Leave!“), aber nicht das, was man dachte zu bekommen. So wünschen sich ja viele mehr Freiheit, weil die Ehe sie eingeengt habe. Gleichzeitig bestehen sie aber auf dem vollen Sorgerecht für die Kinder mit einem maximal 14-täglichen Besuchsrechts des anderen Elternteils. Freiheit? Freizeit? „Lebbe geht weiter!“

Nicht zu Unrecht gilt es (angeblich!) im Jüdischen als Fluch jemandem zu wünschen, dass alle seine/ihre Wünsche in Erfüllung gehen mögen. Hier sieht man das ja als nett an, aber nicht die Komplexität des Banalen.

Man muss die Dinge halt von vornherein zu Ende denken – oder eben vom Ende her.

„Hau doch dess Ding raus!“ ist ein oft gehörter Satz in Fußballstadien, der aber verkennt, dass ein solches Tun aus einem Ball meist einen Bumerang macht, schließlich ist es für den Gegner ein Leichtes, das Spielgerät anzunehmen und erneut in die für uns gefährliche Zone zu bringen. Zudem erhöht es den Adrenalinspiegel bei den angreifenden Spielern, die dadurch noch entschlossener handeln, während man sich als verteidigende Mannschaft stehend beweglich bleiben muss, denn es gilt ja nicht nur den Ball abzuwehren, sondern auch die gesamte Fläche, auch genannt: die Räume, abzudecken und dabei vorherzusehen, wohin der Ball gelangen könnte und welcher gegnerische Spieler dort steht oder in Kürze stehen könnte. Der Gegner muss sich also nur auf eine Sache konzentrieren, das Spielgerät, die verteidigende Mannschaft auf so viel mehr. Und sorgt zwar auch für Adrenalin, der aber kaum durch physische Agilität in Dynamik umgesetzt werden kann. Und zu alledem muss jeder Verteidiger darauf achten, wo sein Mitspieler ist, um eine Kollision mit einem solchen zu vermeiden und so dem Gegner erst recht eine Chance zu eröffnen, ein Tor zu erzielen.

Deshalb hat Herr Hoeneß der Mannschaft wohl beigebracht, den Spielaufbau spielerisch zu lösen. Das dauerte seine Zeit, denn dazu bedarf es einer hohen Laufintensität, schließlich muss immer ein Mitspieler anspielbar sein, Passpräzision, um Fehlpässe und unnötige Wege zu vermeiden sowie Schwung aufzunehmen für das Spiel durchs Mittelfeld, und eines Torwarts, der auch kicken kann. Den haben wir – und zum Entsetzen war der heute einer der mit dem Fuß ballsichersten Spieler in unseren Reihen. Zudem braucht er noch den Blick – und Kick – für den womöglich freien Mann an der Mittellinie.

Und den letzten Partien gelang dies recht gut, gegen Wolfsburg fast gar nicht. Zwar konnte unsere Mannschaft den Ball meist recht sicher vom Sechzehner weg nach vorne spielen, aber schon allein die Pässe aus der eigenen Defensive ins etwas offensivere Mittelfeld waren von einer solcher Mangelhaftigkeit, dass man geneigt war, einige der Akteure (Posch, Dabbur, aber auch Samassekou, Raum) bisweilen zu fragen, was sie so beruflich machen.

Eine gute halbe Stunde lang wartete man eigentlich auf den Start des Spiels. Ja, es gab eine Riesenchance von Bebou, aber sonst war das mit „mau“ sehr euphemistisch beschrieben.

Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass die Hausherren zwar ein optisches Übergewicht hatten, zumindest in der ersten Halbzeit, sie aber auch nicht wesentlich gefährlicher waren als wir. Öfter vor dem Tor ja, aber selten in Verbindung mit Ball.

Mau-Mau.

Nun war dies aber alles andere als das gleichnamige Kartenspiel für zwei oder mehr Parteien, bei dem es darum geht seine Karten möglichst schnell offen-, genauer: abzulegen. Es war mehr ein Fußballspiel, bei dem keine der Parteien während der Partie zeigen wollte, was sie (drauf) hatte, wobei die TSG dabei wesentlich zurückhaltender war. Also nach vorn ging gar nichts und hinten dann doch mal einiges schief. So war der Rückstand ja nicht nur die Verkettung von Inkompetenzen in der Defensive, schließlich wurde der Ball durch ein schlampiges Zuspiel in die Offensive verloren, während die Defensive schon aufgerückt war. Ganz so, als ob man nur noch eine Karte bei besagtem Kartenspiel auf der Hand hat und vergisst, darauf hinzuweisen. Das ist ähnlich überflüssig und dann muss man halt eine einstecken.

Es kam, wie es kommen musste, und nach der Halbzeit Dabbur nicht mehr. (Vor der Pause musste bereits Vogt verletzungsbedingt runter. Für ihn kam Nordtveit.) Kaderabek an seiner, Dabburs Statt, aber nicht an seiner Stell‘, was dringend nötig war, um unser linkslastiges Spiel weniger berechenbar zu machen.

Also gab es einige Umstellungen, mit denen sich unser Spiel jetzt nicht gleich wesentlich besserte, aber das der Gastgeber passte sich unserem Spiel an. Und je länger es dauerte, desto weniger kamen sie hinten raus. Das Problem dabei war nur, wir kamen immer noch nicht vorne rein. Und das lag nach wie vor an den sehr schlechten Zuspielen.

Fast eine halbe Stunde war in der zweiten Halbzeit gespielt, als Hoeneß zwei derer, die in dem Zusammenhang oben bereits erwähnt wurden, ersetzte: Rudy kam für Samassekou, was man noch als positionsgetreu werten kann, Bruun Larsen aber für Posch, was eine erneute Rotation innerhalb der Mannschaft zur Folge hatte – und die Zweitverschiebung brachte den zu dem Zeitpunkt noch völlig unrealistisch erscheinenden Sieg.

Übrigens: Das ist kein Schreibfehler. Aber „Zeitverschiebung“ ist auch so ein schönes Beispiel für die eingangs erwähnte Unterschätzung der Komplexität des Banalen.

Die EU ließ ja mal vor Jahren über die Abschaffung der Sommerzeit abstimmen. Online. Und erklärte vorab, dass sie sich an das Votum zu halten gedenke. Nun kann man sich fragen, inwieweit dies rechtens ist, eine Befragung zu einem Thema, das zwangsläufig alle Menschen betrifft, derart zu gestalten, dass nicht alle Menschen daran teilnehmen können, z. B. jene, die keinen Internetzugang haben (sei es technisch oder von ihrer inneren Einstellung), aber erstens gilt auch hier, dass wo kein Kläger, da kein Richter, zweitens verwundert es nicht, dass sich innerhalb der Staatengemeinschaft fast niemand an der Abstimmung beteiligt hat, außer den Deutschen, und drittens überhaupt nicht geklärt wurde, wann und vor allem wie.

Das waren dann alles Fragen, die aufkamen, als es eine Mehrheit für die Abschaffung gab. Gilt dann die MEZ oder die MESZ? Und ab wann? Und was ist mit den Ländern, die das innerhalb der EU nicht wollen? Kann man sie überstimmen? Übergehen? Und was mit denen, die nicht in der EU sind? Wie sieht es dann aus mit Zug- und Flugplänen? Ja, da hatte man schnell eine Entscheidung. Und sehr viele eine Meinung. Und Verwirrung. Aber Ahnung?

Zurück zum Spiel …

Fußball ist ja für uns ein gefundenes Fressen, weil es so herrlich viele Möglichkeiten bietet, andere Aspekte des Lebens damit assoziativ in Verbindung zu bringen. Das geht banal („Wo ist der Dosenöffner?“), das geht komplex (siehe unter anderem unsere Spielberichte). Allerdings darf man es mit der Komplexität nicht übertreiben – und schon gar nicht, wenn man über das Spiel spricht. (Das tun wir ja eigentlich nur so am Rande meist.)

Genau das aber tun sehr viele, die sich den Anschein von Ahnung geben möchten, indem sie von „Peckingrate“, „falscher 9“ oder „Matchplan“ etc. reden. Also ob just jene jenen erkennen würden.

Wie eingangs erwähnt:

„Die meisten Menschen machen ja den Fehler, dass sie die Komplexität des Banalen unterschätzen. Meist fehlt es an Geduld und/oder Weitsicht. Daher will man schnell Entscheidungen haben.“

Es gilt aber auch so:

„Nicht wenige Menschen nehmen das Banale vor lauter imaginärer Komplexität nicht wahr. Meist fehlt es dann an Demut und Durchblick. Sie wollen Angst und/oder Recht haben – meist beides.“

Hoeneß bewies Geduld und Durchblick. Mit nur noch rund einer Viertelstunde auf der Uhr, war es dann auch langsam mal Zeit, zu einer Entscheidung zu kommen. Es braucht im Fußball keine schnelle Entscheidung, es braucht die rechtzeitige. Und kurz vor Schluss schien doch ein eher später, aber doch sehr passender Zeitpunkt, um seine Karten auf den Tisch zu legen, denn bis dahin war das Spiel immer noch sehr mau-mau.

Er zog jedenfalls zwei Asse aus dem Ärmel. Und einer davon trug die Nummer 7.

Bruun Larsen schnappt sich den Ball und spielt ihn nach außen. Da landet er bei dem einen Ass, Rudy, der spielte ihn auf den ja zur Pause bereits eingewechselten Kaderabek (Ass), der dann dafür sorgte, dass er, Bruun Larsen, nochmal durfte. Die TSG setzte also die 7 ein und bei aller Vielfalt der Regeln, ist sie (zumindest laut wikipedia), die Karte, die dafür sorgt, dass der Gegner zwei kassiert – und just so kam es:

Erst durch ihn selbst und kurz darauf, erneut durch Bruun Larsen (Ass = nochmal!) eingeleitet, durch Kramaric, der völlig überraschend (und) ungedeckt den Ball aus fünf Metern über die Linie drückte. Was uns sehr entzückte. Und von der Welt entrückte. Wir waren im 7. Himmel, was auch mit der Nummerik dieses Tors zu tun hatte, ging doch der Ball von der 7 (Bruun Larsen) über die 17 (Raum) zum Tor und letztlich von der 27 (Kramaric) in Selbiges.

Mau Mau. Gewonnen.

Knapp, nicht unbedingt souverän, zumal die Hausherren vor und nach unseren zwei Toren zwei Riesenchancen hatten, von denen aber Baumann drei vereitelte und eine vergeigt wurde, aber unbedingt wichtig. Und sogar verzückend.

Und Freitag geht es weiter. Da werden die Karten neu gemischt. Das wird ein ganz anderes Spiel. Wir hoffen mal auf Skat und dass die vier Alten bei uns dabei sind. Oder dass Hoeneß genug Asse in der Hand hat, damit wir entsprechend auftrumpfen und aufspielen können.

Grand!

 

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