VfB Stuttgart vs. 1899 Hoffenheim
Büchse statt Buden
Und: Spricht Nietzsche (TSG-)Fans aus der Seele?
Gelb.
Chance.
Gelb.
Chance.
Großchance.
Riesenchance.
Riesenpech. Ohne Gegenwirkung des Gegners verdrehte sich Lukas Rupp das Knie auf eine hoch unschöne Art und Weise. Er war bis dahin der vielleicht bissigste Spieler einer sehr bissigen Mannschaft. Man merkte dem Team um Julian Nagelsmann an, dass sie allen Ausfällen zum Trotz (Geiger, Demirbay, Gnabry, Hübner, Kaderabek) seine Spielphilosophie eines variablen Offensivfußballs umsetzen und (natürlich auch temperaturbedingt) sehr schnell ein Tor erzielen wollten.
Und da war’s.
1:0. Für Stuttgart.
Fußballbinsenweisheit: Wenn du Dinger vorne nicht machst, fängst du sie dir hinten.
Mit dem 1. Schuss auf unser Tor. Nach einem sinnlosen Ballverlust, weil der mittelalterliche Verwaltungsbeamte, auf den Beruf geht der Nachname unseres Kevin mit der 22 zurück, nicht richtig zum Kopfball ging und die anschließende Flanke von unserem Kevin mit der 25 nicht richtig eingeschätzt wurde.
Was! Für! Eine! Scheiße!
Was! Für! Ein! Glück!
Bremen lag zu Hause nicht zurück, dafür Dortmund. Naja – und wir.
Rupp raus.
Luft raus.
Rückstand.
Abpfiff.
Halbzeit.
Anpfiff.
Ballzeit.
Noch mehr Ballzeit.
Noch viel mehr Ballzeit.
„Jetzt wär’s dann mal bald Zeit, den Ausgleich zu erzielen. Bei der U19 hat es ja kurz zuvor auch geklappt. Auch sie lag zur Halbzeit im heimischen Dietmar-Hopp-Stadion mit 1:0 gegen den VfB hinten und brauchte unbedingt einen Punkt sowie die Schützenhilfe der U19 des FC Augsburg, auf dass sie ihr Heimspiel gegen den Tabellenführer Bayern München gewinnen – und so kam es ja auch für das Ex-Team von Nagelsmann: Die U19 der TSG 1899 Hoffenheim ist wieder Süddeutscher Meister – und hat damit erneut die Chance, Deutscher Meister zu werden. Wie! Geil! Ist! Das! Denn!!! Und es wäre doch zu schön, wenn das auch seinem Jetzt-Team gelänge. Und verdient. Zumindest der Ausgleich erstmal. Schützenhilfe war ja da.“
Fangedanken – und in Gedanken nicht nur im Hier – und jetzt …
Gelb–Rot!
Für den VfB. Für? Eher „gegen“ … Oder? Gegen zehn Mann, also. Also war klar, was kommen wird – und der VfB würde es nicht sein. Sein Bollwerk war so dicht, dass man, obwohl man zwar wusste, dass sie einen Mann weniger auf dem Platz hatten, dafür selbst das Gefühl, es wären immer noch über mindestens 44 Füße und Beine im und um den Stuttgarter Strafraum.
Chancen? Mangelware. Fehlerfrei die Defensive der Hausherren. Unsere offensiv. Sogar der mittelalterliche Verwaltungsbeamtennachkomme kam mehr und mehr nach vorn. Fehlpass. Steilpass. Und wieder hatte nach einem Fehler unseres Kevin mit der 22 erst unser Kevin mit der 25 und dann leider halt auch unsere 1 gegen Gomez das Nachsehen.
Was! Für! Eine! Scheiße!
Was! Für! Ein! Glück!
Bremen lag zu Hause nicht zurück, dafür Dortmund. Naja – und wir. Wir wussten, dass auf uns heute noch eine Fußballbinsenweisheit zutrifft: Wir hätten noch stundenlang weiterspielen können, wir hätten kein Tor erzielt.
Einmal war der Ball sogar drin, aber Szalai im Abseits. Einmal war es nicht, aber da landete der Ball nur am Pfosten.
Wie konnte diese sinnlose Niederlage nur passieren, die sich, das wollen wir fairerweise sofort festhalten, nicht in der Schwäche des Schiedsrichters manifestierte? Es war aber auch nicht die Stärke der Schwaben. Also gibt es nur einen logischen Schluss: Es lag an uns.
An den Verletzungen? Der Qualität der Spieler? Der Taktik? Nein, denn mit uns ist hier nicht die Mannschaft gemeint, sondern uns alle: Trainer, Mannschaft, Fans. Kismet.
Wie schon zu Beginn der Saison, als alle als Gegner für die UEFA Champions League nur den FC Liverpool wollten – und bekamen. Diesmal wollten alle am letzten Spieltag ein „Finale dahääm“ um die Champions League – und jetzt haben wir es. Und zeitgleich noch eines. Dort ist deren Kevin gesperrt, bei uns trotz der Patzer heute zum Glück keiner unserer Kevins – bei unserem Gegner hingegen Sokratis Papastathopoulos …
Aber all das bräuchte es nicht, hätten wir Fans nicht das Geschenk geöffnet, das Zeus den Menschen zu schenken der ersten Frau der Welt aus Anlass ihrer Heirat befahl, die wiederum auf Geheiß von Zeus von Hephaistos aus Lehm geschaffen wurde. Dieses Geschenk sei, so wurde ihr vom Göttervater mitgeteilt, den Menschen mitzuteilen, unter gar keinen Umständen von ihnen zu öffnen. Das taten die Menschen auch nicht. Sie tat es gleich nach ihrer Hochzeit. Die Frau hieß nicht Eva, schließlich wurde sie aus einer Rippe des aus Staub geschaffenen Adams geschaffen, sondern Pandora, und ihr Geschenk war auch kein Apfel, sondern eine Büchse. Aber so wie nach dem von Gott verbotenen Verzehr vom Baum der Erkenntnis kam auch durch das Öffnen der Büchse der Pandora das Übel in die Welt. Alle Laster, alle Untugenden. Von diesem Zeitpunkt an eroberte das Schlechte die Welt. Zuvor hatte die Menschheit keine Übel, Mühen oder Krankheiten und auch den Tod nicht gekannt. Die Büchse enthielt auch die Hoffnung, aber bevor sie entweichen konnte, wurde die Büchse wieder von Pandora geschlossen. Ist das nun schlimm, dass die Hoffnung nicht entwich? Die Menschen haben sie jetzt ja. So wie nun Trainer, Mannschaft, Fans, dass das nächsten Samstag gut ausgeht.
In seiner „Geschichte der moralischen Empfindungen“ stellt nun Friedrich Nietzsche fest, dass der Mensch nun denkt, er habe ein „Glücksfass im Hause und meint Wunder was für einen Schatz er in ihm habe; es steht ihm zu Diensten, er greift darnach: wenn es ihn gelüstet; denn er weiß nicht, dass jenes Fass, welches Pandora brachte, das Fass der Übel war, und hält das zurückgebliebene Übel für das größte Glücksgut, — es ist die Hoffnung. — Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“
Nietzsche – klingt wie ein leidgeprüfter Fußballfan. Immer leicht verbittert. Dafür spricht auch dieses Zitat seinerseits:
Im Grunde nämlich gibt es nur Heiterkeit, wo es Sieg gibt.
Deshalb schließen aber auch wir diesen vorletzten Bericht ganz ohne Heiterkeit, und vielleicht auch ohne Hoffnung, aber dafür mit sehr viel Zuversicht. Das wird schon.
Dazu sieht das alles doch viel zu sehr inszeniert aus.
Wir wähnen, dass hinter dem heutigen Spielverlauf und den -ausgängen nur einer stecken kann:
der Fußballgott!
Und da er eh nicht so gut auf Nietzsche zu sprechen sein dürfte – und unser Team heute an sich alles richtig gemacht hat, gekämpft hat, alles versucht hat, nie aufgab, gibt es für uns allen Grund zur Zuversicht. Das kann natürlich auch völlig daneben gehen. Aber das ist gut – nach Nietzsche auch:
Ein Herz voll Tapferkeit und guter Dinge braucht von Zeit zu Zeit etwas Gefahr, sonst wird ihm die Welt unausstehlich.
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