SV Werder Bremen vs. 1899 Hoffenheim
Der Star
Die Suche nach einem Helden, der keiner sein will.
Der Star, so gab einst Berti Vogts als Losung aus, ist die Mannschaft. Dieser Satz war vielleicht der Anfang einer Entwicklung, die in den Folgejahren mit konsequenter Nachwuchsförderung, Internaten und so weiter, zu diesem neuartigen Verständnis von Fußballern sorgte, das die Herzen von so mancher Schwiegermutter erfreute – ganz im Gegensatz zu dem Mehmet Scholls, der meinte:
„Wir verlieren die Basis. Die Kinder müssen abspielen, sie dürfen sich nicht mehr im Dribbeln ausprobieren. Sie bekommen auch nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass oder ein Dribbling nicht gelingt. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen.“ (Quelle)
Auch Mario Basler schlug bei seinem Auftritt letzte Woche beim Phrasenschweinetrog in dieselbe Kerbe, allerdings auf seine Art, …
…, weshalb seine Bestätigung der Scholl’schen Kritik gar nicht auffiel, wobei der ehemalige Bayernspieler Basler auch medienseitig mehr Toleranz genießt als der ehemalige Bayernspieler Scholl, obwohl Letzterer eindeutig lustiger ist. (Für eine komparatistische Analyse seien die Hobbysoziolinguisten und -gelotologen unserer Seite auf diese Seiten von Scholl-Zitaten respektive Basler-Zitaten verwiesen.)
Der Star, so man ihn also in anderen Bereichen kennt und will (u.a. Film, Funk, Fernsehen, aber auch immer mehr Politik, Kunst, (E-)Kultur), scheint zumindest hierzulande im Fußball auszusterben. Das war aber wohl nicht der Grund, warum der Star 2018 zu dem wurde, was er wurde, auch wenn die Ernennung nach der Gefährdung der Art oder ihres Lebensraumes durch den Menschen erfolgt. 2018 ist der Star der „Vogel des Jahres“.
(Überhaupt sind diese Auszeichnungen im Bereich Flora und Fauna einerseits sehr lustig, andererseits auch ganz überraschend – für Laien wie uns. So sind 2018 der „Große Fuchs“ und der „Langblättrige Ehrenpreis“ keine Auszeichnung für den schönsten Schwanz oder den herausragendsten Bedenkenträger, sondern … na? na? na? … genau: der „Schmetterling des Jahres“ bzw. die „Blume des Jahres“. (Gerade bei Letzterem plädieren wir ja seit Jahren für die „Pissnelke“, aber die ist ja alles andere als vom Aussterben bedroht – und zweitens, nur um keine Irritationen aufkommen zu lassen, keine wirkliche Blume.))
Der Gemeine Star in Europa ist je nach geographischer Lage ein Standvogel bis Mittelstreckenzieher. (Ja, wir reden hier immer noch vom sturnus vulgaris.) Ganz im Gegensatz zum Fußball, wo der gemeine Star ja eher ein Wandervogel zu sein scheint. Ohne Bindung zum Verein, ohne Loyalität zu den Fans, immer nur scharf auf das nächste gemachte Nest, in das er sich legen kann.
Auch das macht der sturnus vulgaris nicht. Sein Nest baut er selbst leicht unstrukturiert aus trockenen Blättern, Halmen, Wurzeln, Stroh, Haaren, Wolle und Federn in den unterschiedlichsten Arten von Höhlen. Er schmückt sich auch nicht mit fremden Federn oder irgendwelchem Tand. Das einzige, was er wirklich außergewöhnlich gut kann, ist das Spotten. Nein, das beziehen wir jetzt nicht auf uns. Wir sind weder Stars noch Stare, denn das Spotten im ornithologischen Sinne beschreibt seine Fähigkeit, Tierstimmen und Laute, auch die technischer Geräte wie Handyklingeltöne zu imitieren.
Nun hat die Mannschaft zwar immer noch einen Star – und das ist der Trainer. Dankenswerterweise sieht er das nur bedingt so und ist, wie er in dem sehr kurzweiligen Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung letzte Woche kundtat, sich auch seiner Bedeutung für den Spielausgang bewusst.
„Einerseits ist diese Personifizierung eine Riesenchance für mich gewesen, ich glaube, das gibt es bei keinem anderen Bundesligisten so extrem wie hier. (…) Diese Einflussfaktoren von außen und extremen Personifizierungen bergen schon auch Risiken. Im Falle des Misserfolgs ist es gut für die Spieler, weil sie in Ruhe arbeiten können und alles auf mich einprasselt. Im Falle des Erfolgs ist es manchmal etwas ungerecht, weil die Spieler schließlich den größeren Anteil daran haben, was passiert oder nicht passiert, was gelingt oder was nicht gelingt.“
Nun bekam nach dem 1:1 zum Rückrundenauftakt vor allem einer sein Fett weg – und das meinen wir jetzt nicht im Sinne einer nachweihnachtlichen Diät. Kramaric hätte zu dem Helden werden können, der er gerne wäre und den viele Fans in ihm gerne sähen, aber leider war er erneut zu wenig wollend beim Vollenden. Hätte er im Gegenzug nach dem regeltechnisch ungerechtfertigten Ausgleich durch die Bremer uns erneut in Führung gebracht, die ganze Hinrunde wäre vergessen gewesen. Hoffnung wäre gesprossen, dass er nun vielleicht nicht unbedingt der Star, aber doch die Leitfigur wird, die wir so unbedingt in dem für uns wichtigsten Mannschaftsteil brauchen.
Wagner weg. Uth auch bald und zumindest Stand heute auch Gnabry. Da wird es offensiv dünn. Szalai ist auch mehr Flamingo als Star. Hack? Braucht noch Zeit, aber hat er die noch in den immer veganer werdenden Zeiten?
Pardon für dieses Namenswortspiel. So etwas gehört sich nicht wirklich, aber es sollte auch mehr als Überleitung dienen, denn obwohl das Spiel allenthalben gelobt wurde, war es doch eigentlich weder Fisch noch Fleisch.
Natürlich kann man einwerfen, dass uns mit Akpoguma, Amiri und Demirbay sehr wichtige Spieler gerade in Sachen auch Spielgestaltung gefehlt haben, aber andererseits haben sich diese Spieler ja nicht erst beim Aufwärmen verletzt. Geiger und Grillitsch haben das zwar ordentlich gemacht, aber mehr auch nicht. Gnabry und vor allem Uth brachten vorne auch nichts zustande, so dass es eine chancenarme 1. Halbzeit war, bei der wir wenig überraschend nach einem Eckball durch Hübner in Führung und dann auch in die Pause gingen.
In der 2. Halbzeit war dann wieder die Attitüde zu erkennen, wie man sie in der Hinrunde, da allerdings eher in den EuropaLeague-Spielen kennenlernen musste, wo sich die Mannschaft trotz der sehr geringen Chancenerarbeitung und einer nur Eintoreführung sicher zu sein schien, die Partie bereits nach einer Stunde gewonnen zu haben. Alle Zuspiele, die in der 1. Halbzeit lasch und unpräzise waren, wurden noch lascher und unpräziser. Naja, und dann kam halt noch Pech dazu, als das Schiedsrichtergespann fälschlicherweise auf Eckball für Bremen entschied, aus dem dann in der Folge, weil wir nicht nur in der Szene, aber da ganz besonders blöd waren, den Ball einfach mal aus der Gefahrenzone zu dreschen, der Ausgleich resultierte.
Wie gesagt, wäre alles nicht so schlimm gewesen, wenn im Gegenzug Kramaric den Ball nicht dem bereits liegenden Torwart der Bremer an den Arm gespielt hätte. Aber wir müssen von Glück reden, dass es nicht noch schlimmer kam, denn mit zunehmender Spieldauer kamen wir immer weniger überhaupt in die gegnerische Hälfte. Statt dessen mussten wir hinten mit allem verteidigen, was nur ging. Baumann hatte zum wiederholten Male eine Top-Leistung abrufen können. Und als er einmal geschlagen war, stand Vogt auf der Linie, um den Ball abzuwehren, so dass wir letztendlich froh sein müssen, überhaupt einen Punkt mitgenommen zu haben und immer noch oben in der Tabelle mitspielen zu können. Also in den orangenen Leibchen nochmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Bleibt zu hoffen, dass das nur eine Art Generalprobe für die nächsten Wochen war, in denen ganz andere Kaliber auf unser Team warten. Beruhigend ist, dass Generalproben gerne schiefgehen. Dafür gelingen dann die Premieren. So gesehen könnte es gut sein, dass wir nächste Woche in den blauen Leibchen eine weiße Weste und Kramaric die Nerven behalten werden. Das wäre die erste richtige und wichtige Antwort auf DIE Frage der nächsten Wochen: Anschluss oder Abschuss. Genau die Drucksituation, die es braucht, um etwas Besonderes zu bekommen. Bei Kohlenstoff schafft Druck Diamanten. Mal sehen, was er aus unseren Perlen und Juwelen macht …
Zu viel BlingBling würde aber schaden, denn das zöge nur die Aufmerksamkeit von diebischen Elstern auf sich. Diese Rolle können WIR gerne in zwei Wochen in München einnehmen. Nächste Woche reicht uns die Rolle des Kleibers. Diese Vögel mauern den Eingang zu ihren Bruthöhlen mit einer Mischung aus Lehm und Speichel zu, um sie vor dem Zugriff Gegnern zu schützen, wobei sie selbst gerade noch so durchpassen. Der Winter ist für gefiedertes Volk immer schwierig, aber auch da muss man sich immer wieder aufschwingen und sammeln, was nur geht, um die zu vermeiden, die ohnehin immer auf einen warten, aber dabei wenig wählerisch sind, obwohl sie uns schon besonders gerne als Leckerbissen hätten: die Medien-Geier!
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Der Star hat noch eine wichtiger Besonderheit. Nach der Brutzeit liebt er die Ansammlung und wenn das Futterangebot, zum Beispiel Beerenplantage, gut ist, dann können sich bis zu 20.000 (sprich fünfzehn bis zwanzigtausend) Vögel in einem Schwarm vereinen und gewaltigen Schaden anrichten. Der Star als damit auch ein Massenphänomen, wo der einzelne nur noch ein kleines Glied ist.
Gruß Peter
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