RB Leipzig vs. 1899 Hoffenheim
Dämonen statt Buden
Ein Hesse für Hoffenheim
Fußball ist immer in Bewegung. Das zumindest kann man immer hören, schließlich sagen Trainer, Mannschaft, aber auch Spieler immer wieder gern, dass sie bereit seien, „den nächsten Schritt“ zu gehen. Und gestern ließ die Mannschaft Taten folgen. Laut offizieller Statistik legte sie insgesamt derer 136264 zurück – umgerechnet 124,6 Kilometer. So ihre Laufleistung. Das sind 7 Kilometer mehr, als die Mannschaft bisher pro Spiel im Durchschnitt lief – und auch sonst lief es für die Mannschaft gestern ziemlich gut, wenn man von der ersten wie der allerletzten Minute absieht.
„Es wird immer gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.“
Das war schon sehr fulminant, wie die Leipziger in die Partie starteten. Mit ihrem ersten Angriff machten sie ihrem Synonym alle Ehre. Diesen konnten wir gerade noch durch ein Foulspiel stoppen, den anschließenden Freistoß blocken und danach war eigentlich alles gut. Vielleicht erfolgte das Team- durch das Mauerbuilding, schließlich mussten da erstmals alle auch physisch zusammenrücken, jeder wusste dann, wo er zu stehen hat und wer sein Nebenmann ist. Und womöglich erwuchs aus dem Erfolg des Blocks der Bock auf den Erfolg, denn im Anschluss daran waren es nicht die Meisterschaftskandidaten, die das Spiel bestimmten.
„Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.“
Von einem Offensivfeuerwerk war unsere Mannschaft weit entfernt, dafür aber – was ja auch nicht schlecht ist – der Gegner von unserem Tor und – was noch wichtiger ist – unsere Spieler nicht von ihren Gegenspielern. So konnten Bälle in die Tiefe sowie raumgewinnende Flanken zu nahezu 100% vermieden werden – und damit die Wahrscheinlichkeit auf ein Gegentor, was immer eine gute Basis ist, um ein Spiel nicht zu verlieren und damit das zu holen, was wir erst ganz am Ende des letzten Spielkommentars machten: einen Punkt. Das liegt aber natürlich auch daran, dass diesmal der Einsatz seitens der Mannschaft stimmte, sie ganz klassisch Einsatzfreude zeigte. Das hat uns schon sehr gefreut.
„Wenn wir einen Menschen glücklicher und heiterer machen können, so sollten wir es auf jeden Fall tun, mag er uns darum bitten oder nicht.“
Nun wissen wir nie, ob uns das gelingt. Aber wir sehen es sportlich, d.h. wir sehen die Chance, also machen wir es. Und da wir immer glücklich sind, wenn wir uns irren, denn das heißt, dass wir einen Fehler gemacht haben, was wiederum heißt, dass wir klüger geworden sind, räumen wir gerne ein, dass wir eine solche Mannschaftsleistung in der Form nicht erwartet haben.
Wider Erwarten scheint der Trainer die Mannschaft doch noch zu erreichen und ihnen die richtige Einstellung vermitteln zu können – wenngleich, aber das hat auch was mit der Mentalität der Spieler zu tun, dies gegen vermeintlich starke Gegner eher der Fall zu sein scheint als gegen die vermeintlich schwächeren, gegen die wir ja auch exakt die Punkte gelassen haben, die uns jetzt fehlen. Und neben der Einstellung stimmte diesmal auch die Aufstellung, auch wenn sie vielleicht ohne Verletzte anders ausgesehen hätte. Aber dass Rudy nicht gespielt hat, tat unserem Spiel keinen Abbruch. Dass Skov endlich mal wieder rechts vorne spielte, war auch nicht zum Schaden des Ganzen. Rutters Startelfdebüt war gewiss auch ein Versuch, Nagelsmann zu übertölpeln, da er gewiss wie alle anderen auch, mit Bebou gerechnet hat, der wiederum leichter auszurechnen gewesen wäre. Und beim ersten Abschlag Baumanns in die Spitze war diese Idee auch sehr gut zu erkennen.
Leider konnte der junge Franzose sich da nicht gegen die Leipziger Abwehrbullen (kein Kosename) durchsetzen, was gewiss auch nicht nur an deren wegen des Plus an Selbstbewusstsein wesentlichen breiteren Brust lag. Gegen Konate oder Upamecano musste Rutter schon mehr als einen Schritt machen, um überhaupt von der linken an deren rechten Schulter vorbeizukommen. Es gelang ihm nie so richtig und folgerichtig wurde er auch zur Halbzeit ausgewechselt.
Auch dass Beyer wieder auf der Bank saß, war ja schon einmal ein nicht nur gutes Zeichen, sondern auch ein positives hinsichtlich der Attraktivität des Vereins für Nachwuchsspieler, so dass sich in deren Kreisen nicht der Eindruck verfestigt, dass man nur eine Chance bekommt, in den Kader zu rücken, wenn das Lazarett voll ist – und gute Leistungen in den Spielen selbst keine Rolle spielen.
„Die Praxis sollte das Ergebnis des Nachdenkens sein, nicht umgekehrt.“
Den wohl am wenigsten schnell einleuchtende Spruch unseres Co-Autors, den wir ja bereits in unserer Unterüberschrift erwähnt haben. Der „Hesse für Hoffenheim“ war also keine Bezugnahme auf einen möglichen neuen Trainer für Hoffenheim, sondern zielte auf den Schriftsteller, Dichter und Maler ab, der staatsrechtlich vieles war – zuerst Staatsbürger des Russischen Kaiserreichs (als Sohn einer württembergischen Missionarstochter und eines deutsch-baltischen Missionars), dann die Schweizer Bürgerrechte und zwischenzeitlich die württembergische Staatsbürgerschaft besaß, wo er am 2. Juli 1877 (genauer: in Calw) geboren wurde: Hesse, Hermann.
Der Nobelpreisträger (für Literatur, 1946) dürfte den meisten entweder aus der Schule oder so mancher Teeküche und dem Bibelkreis bestens bekannt sein: „Siddharta“ (s. o.), „Der Steppenwolf“, „Narziss und Goldmund“ (ein Titel wie gemalt für den Profifußball) sind wohl seine berühmtesten Werke, wobei sein wohl bekanntestes Zitat aus dem Gedicht „Stufen“ stammt:
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Und wie das so ist, mit solch bekannten Zitaten, kaum wer weiß, wie es weitergeht. In dem Falle ist es sehr schade, dass dies nicht so bekannt ist, denn gerade bei einem solchen Verein, in dem gerade auch aus den eigenen Reihen immer wieder magische Momente und sehr viele Toren erwartet werden, sollte man schon wissen, dass es um denjenigen geht, „der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
Es braucht also keinen „Budenzauber“, sondern das beste Mittel gegen das Abstiegsgespenst sind eben nicht Tore, sondern Punkte. Und man kann ja auch nicht sagen, dass es zwei 0:0 noch nie gab.
Vor fünfeinhalb Jahren, am 11.und 12. Spieltag der Saison 2015/16 – zugleich die ersten beiden Partien von Huub Stevens – spielten wir erst in Köln (6.), dann gegen die Eintracht (12.) torlos. Wir selbst lagen damals mit sechs Punkten auf Platz 17, ein Punkt hinter dem VfB und einen Punkt vor dem FC Augsburg. Am Ende der Saison standen wir – inzwischen trainiert von dem (Nagels-)Mann, der den gestrigen Gegner trainiert, auf Platz 15 – einen Punkt hinter Darmstadt, aber einen vor der Eintracht, vier Punkte vor dem VfB und einem satten Dutzend vor Hannover 96.
„Wahrlich, keiner ist weise, der das Dunkel nicht kennt.“
So ganz gebannt ist die Gefahr noch nicht, aber jeder Punkt macht es unwahrscheinlicher, dass unsere Profi-Mannschaft in dieser Saison noch in den Abstiegsstrudel gerissen wird.
Doch das sind ja nicht die einzigen Dämonen, die zumindest das Umfeld der TSG betreffen. Es gibt ja nicht nur die Profis und es geht auch um unsere Tradition, die die Zukunft ist – und das kann einem schon Angst machen, was man da liest und sieht. Natürlich auch in den Fanforen, aber die nimmt ja keiner wirklich ernst. Bedenklicher stimmt, was sonst so los ist …
Gerade in der Akademie ist einiges an Bewegung. So verlässt einer der beiden Leiter das vereinseigene Nachwuchsleistungszentrum, der U17-Trainer heuert bei den Bayern an und auch unsere Spieler machen nicht gerade den Eindruck der totalen Identifikation. Immer wieder ist auch von ihnen (s. o.) zu lesen, dass sie bereit sind für „den nächsten Schritt“, so dass man das Engagement gestern, dieses Mehr an Schritten und dieses Plus an Geschwindigkeit auch als Anlauf interpretieren könnte, weil sie „auf dem Sprung“ sind.
„Man hat nur Angst, wenn man mit sich selber nicht einig ist.“
Gestern zumindest, um wieder zum Spiel zu kommen, schien man sich sehr einig zu sein. Auch als in der zweiten Halbzeit der Druck der Hausherren zunahm, hielten wir als Einheit dagegen und stand. Und vielleicht sollte man jenen, die in der Tat drauf und dran sind, uns zu verlassen, die Erfolge aufzeigen, die die Spieler hatten, die uns verlassen haben, z. B. Eduardo, Obasi, Ba, Vestergaard, Amiri, Demirbay, Schulz, Süle und, ja, auch Rudy, und ihnen mit Hesse sagen:
„Das Paradies pflegt sich erst dann als Paradies zu erkennen zu geben, wenn wir daraus vertrieben wurden.“
Und so ähnlich ging es uns an den Bildschirmen ja auch, als erst das Täfelchen mit der Nachspielzeit hochgehoben wurde, denn es gab keinen Grund, vier Minuten nachspielen zu lassen, der Schiedsrichter dann nach unserem Angriff und 4:30 über der Zeit immer noch nicht abgepfiffen hat, sondern sowohl einen weiteren Angriff der Leipziger und im Anschluss auch noch einen Eckball zuließ, nach dessen Ausführung der Ball im Netz zappelte.
Der Treffer wurde bekanntlich regelkonform nicht gegeben. Das Zittern hat sich also – wie das Lesen dieses Beitrags – bis zum Schluss(pfiff) gelohnt. Denn wieder haben wir einiges gelernt – über und auch von Hesse:
„Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt. Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld, braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen.“
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