Borussia Mönchengladbach vs. 1899 Hoffenheim
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Aus Prinzip wird Hoffnung
Es war das drittletzte Spiel der Saison. Mit einem Dreier hätten wir beste Chancen gehabt, auch in der kommenden Saison an einem europäischen Wettbewerb teilzunehmen. Statt dessen reichte es nur zu einem Punkt. Und nun liegen wir einen Platz hinter diesen „Europa-Rängen“, aber eben immer nur noch drei Punkte hinter einem Champions League-Platz – mit einer um aktuell drei Treffer besseren Tordifferenz. Also ist doch alles, wie das Spiel selbst, gar nicht mal so schlecht …
Wenn wir das Spiel rückbetrachten wollen, fangen wir am besten nach dem Spiel an. Auf der Pressekonferenz fielen nämlich bemerkenswerte Sätze. Zum Beispiel dieser zum Thema Pfiffe von den Rängen:
„Glauben Sie, dass dem Jungen das hilft? Also! Es hilft ihm Null komma null. Und wenn ich gleich wieder auf die Laufleistung gucke von meinen Spielern, dann weiß ich, dass (er) wieder unter den Top 3 ist. Und der Junge hat eine Phase, die in Toren gemessen, sehr, sehr schwierig ist für ihn, aber wenn hier einer glaubt, dass der Junge darüber lachend aus der Kabine rausgeht und sich keine Gedanken macht, ja?, dann ist er hier komplett falsch! Der versucht alles, der will mit der Mannschaft erfolgreich sein und wenn man das nicht sehen möchte, dann ist das okay, ja?, dann kann man ihn weiter auspfeifen, dann kann man sich weiter an ihm reiben, weil er vielleicht zu Borussia Dortmund wechselt, ja?, dann ist das so, damit muss der Spieler dann auch umgehen, aber ich für meine Begriffe als Trainer werde diesen Spieler schützen, wo ich kann, weil er immer einer ist, der immer in den Spielen alles versucht, und heute oder zur Zeit läuft es nicht s rund bei ihm, aber das ist kein Grund für mich, über diesen Spieler den Stab zu brechen.“
Oder dieser zum Thema nichtgenutzter Chancen:
„… aber wir kriegen den Ball manchmal nicht dahin. Das sind die Dinge, die kann man nicht immer erklären für euch. Ihr wollt immer Erklärungen. Ich kann sie euch nicht immer geben, und ich will sie euch auch nicht geben, weil das sind auch Menschen, die auch Fehler machen, die auch Gefühle haben, die auch Emotionen haben, die mal total im Flow sind, da geht alles, und dann gibt’s ein paar Phasen im Leben wie bei jedem hier im Raum, wo nix geht. Ja? Und das muss man diesen jungen Menschen auch zugestehen – und wenn man das nicht kann, dann hat man ein Problem.“
Bemerkenswerte Sätze, die wir einfach gerne mal so stehen ließen. So zum Nachdenken. Ob da nicht was dran ist. Und noch bemerkenswerter ist es, dass diese Worte nicht von Julian Nagelsmann gesagt wurden, sondern von seinem Gegenüber. Aber eigentlich ist es inhaltlich egal, wer sie äußerte, sie sind äußerst zutreffend. Deshalb möchten wir sie auch aufgreifen und fragen, welches Problem das denn sein könnte, das jene Leute haben, die nicht in der Lage sind, jungen Menschen Fehler zuzugestehen? Fühlen sie
- Schmerzen (z.B. unspezifische Kopf- oder Bauchschmerzen)
- ständige Müdigkeit, Energiemangel
- nachlassendes sexuelles Interesse
- Reizbarkeit, Angst
- zunehmende Lustlosigkeit, Apathie
- missmutige Stimmungslage
- Schlafstörungen
- Appetitlosigkeit
oder eine Mischung daraus, wären dies erste Anzeichen einer Depression. Häufige Zusatzsymptome sind in dem Falle nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10:
- Störungen der Konzentration, der Aufmerksamkeit und des Denkvermögens
- vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
- negative und pessimistische Zukunftsvorstellungen
Was dem offensichtlich entgegensteht, ist die sich nach außen richtende Aggression, denn für gewöhnlich denkt man bei depressiven Menschen zuallererst an Aggressionen, die sich gegen einen selbst richten.
Eine Variante davon ist die sogenannte „bipolare Störung“. Bipolare Störungen sind schwere chronisch verlaufende psychische Erkrankungen, die durch manische und depressive Stimmungsschwankungen charakterisiert sind. Die Manie stellt sich als übersteigertes Hochgefühl dar und die Betroffenen sind gleichzeitig meist überaktiv, euphorisch oder gereizt. Auf diese Phase folgen mehr oder weniger ausgeprägte Depressionen, mit gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit und Traurigkeit. Die Stimmungsschwankungen treten episodisch und unabhängig von der augenblicklichen Lebenssituation auf.
Letzteres wiederum widerspricht also auch diesem Krankheitsbild, denn situationsunabhängig treten diese Phänomene, insbesondere die Aggressionen, nicht auf.
Und gerade nach diesem Spiel waren sie besonders heftig, insbesondere an den Klowänden des Internets (= in den „Sozialen“ Medien). Da wurden eigene Spieler (Adams) als „Wichser“ bezeichnet, andere konnten „dem Nagelsmann seine Fresse“ nicht mehr sehen – und auch an die Adresse von Szalai, Kramaric sowie Belfodil flog so mancher verbaler Dreck.
Dabei ist Enttäuschung, Entsetzen, Schock ob der zahlreichen vergebenen Chancen, ja zum Teil absoluter Unglaube, wie man den ein oder anderen Ball nicht im Netz unterbringen konnte, nachvollziehbar, aber es persönlich zu machen, zeugt wahrlich von einem Problem. Vielleicht ist es schlicht zumindest ein temporärer Ausfall des Frontallappens, des Teils des Gehirns, das bei keinem Säugetier so stark ausgeprägt ist wie beim Menschen. Das Stirnhirn macht fast ein Drittel der Großhirnrinde aus und ist neben der Erfüllung motorischer Aufgaben auch für unsere Persönlichkeit und unser Sozialverhalten zuständig, weshalb man es auch als „Organ der Zivilisation“ bezeichnet.
Ein solches Frontalhirnsyndrom zeichnet sich hierdurch aus:
- Unzureichende Problemanalyse
- Unzureichende Extraktion relevanter Merkmale
- Unzureichende Ideenproduktion (Verlust von divergentem Denken und Einfallsreichtum)
- Verringerte Wortflüssigkeit und Reduktion der „Spontansprache“
- Haften an (irrelevanten) Details
- Mangelnde Umstellungsfähigkeit und Hang zu Perseverationen (krankhaftes Verweilen bei ein und demselben Denkinhalt)
- Ungenügende Regelbeachtung und Regelverstöße (auch im sozialen Verhalten)
- Einsatz planungsirrelevanter Routinehandlungen
- Verminderte Plausibilitätskontrollen
- Keine systematische Fehlersuche
- Alternativpläne werden kaum entwickelt
- Handlungsleitendes Konzept geht verloren
- Schwierigkeiten beim gleichzeitigen Beachten mehrerer Informationen
- Kein Multi-Tasking mehr möglich
- Handlungskonsequenzen werden nicht vorhergesehen
- Kein Lernen aus Fehlern
- Unbedachtes und vorschnelles Handeln (erhöhte Impulsivität)
- Rasches Aufgeben bei Handlungsbarrieren (reduzierte Beharrlichkeit und Willensstärke)
- Wissen kann nicht mehr in effektive Handlungen übersetzt werden („Knowing-doing-dissociation“)
Wir hatten es bereits schon einmal behandelt im Sinne von angerissen, interessanterweise zu der Partie von vor zwei Spielzeiten gegen den letzten Gegner, aber nach der Partie müssen wir es unbedingt noch einmal thematisieren, denn das Verhalten ist schon schlimm, wenn es von extern kommt, aber von intern? Nach so einem – ja, bis auf die Chancenverwertung – großartigen und mutigen Spiel unserer Mannschaft?
Letzte Woche spielten wir wahrlich schlecht. Aber diesmal hat die Mannschaft doch wirklich alles versucht: hoch, sehr hoch angelaufen, frühe Ballverluste provoziert, kein Aufbauspiel des Gegners zugelassen, sich toll in den Räumen bewegt, gute Laufwege gehabt, ein tolles Passspiel und sich, wenngleich spät, hoch-, hoch-, sehr hochverdient durch eine tolle einstudierte Standardvariante für ihre Mühen belohnt.
Und sie hat nach der Führung nachgesetzt, sich weitere Großchancen herausgespielt. Wenngleich sie die alle zum Teil kläglich vergeigte, kann man sich doch mal fragen, was einem lieber wäre? Das Gegenteil? Also lieber einen eher unattraktiven, passiven Fußball mit relativ hoher Chancenverwertung? Nun: Der SV Sandhausen freut sich über jeden Zuschauer.
Nein, man will alles. Am liebsten wären dem gemeinen Kommentator (Wortspiel beabsichtigt) des Geschehens Chancenmasse und Ergebnisse, wie es sie heutzutage selbst im Eishockey nicht mehr gibt, zumindest in den oberen Ligen.
Ja, zu Beginn der zweiten Halbzeit war die Angst groß, dass es ähnlich würde wie in der Vorwoche. Vom Anstoß an war da nicht mehr die Geradlinigkeit und Wille zu spüren. Bälle kamen ungenauer und seltener an, was aber auch an der Umstellung der Hausherren lag, die natürlich motiviert aus der Kabine kamen, da sie ja nicht wie im letzten Spiel des Spieltages die Frankfurter mit 1:6 zur Pause zurücklagen. Aber diesmal hielten wir dagegen. Wir erspielten uns trotzdem wieder Chancen, machten sie aber leider wieder nicht rein.
Hinzu kam, dass die seltsame Entscheidung des Schiedsrichters, Posch in der 1. Halbzeit für eine zufällige Berührung des Gesichts eines Gegenspielers mit seiner Hand zu verwarnen. So konnte er nicht mehr so in die Zweikämpfe und als er es doch einmal tat, war zumindest in der Zeitlupe klar zu erkennen, dass wir froh sein mussten, dass wir das Spiel zu elft beendeten.
So konnte Nagelsmann nicht anders, als ihn vom Feld zu nehmen und an seiner Statt Adams einzuwechseln. Diesem dann vorzuwerfen, dass der Ball vor dem 1:1 von ihm für die Hausherren glücklich abgefälscht wurde, grenzt schon an Mutwilligkeit, denn erstens hätte man die Aktion auch zuvor wegen Handspiels abpfeifen können, so dass es erst gar nicht zu dem Tor gekommen wäre (im Sinne des Sports ist die Entscheidung des Schiedsrichters aber sehr vertretbar gewesen), zweitens ist er Abwehrspieler, da ist es immer drin, dass er einen Ball nicht perfekt erwischt, so dass es zu so etwas kommen kann (Es ist Fußball, kein Volleyball. Hier gibt es direkten Kontakt zwischen den Mannschaften nicht nur in der Luft und/oder am Netz.) und drittens: Nagelsmann musste Posch runternehmen und Adams war die einzige Alternative, denn leider, leider hat Hübner Rücken.
Als hätte es eines weiteren Beweises bedurft, aber wie bereits im Grunde die gesamte Hinrunde, wo wir ja die meisten der bisherigen Punkte nach Führung verspielt hatten – nicht gestern – sowie im letzten Spiel war auch in diesem Spiel überdeutlich, dass ohne ihn unsere Defensive erheblich anfälliger ist, auch weil er eine extrem positive Wirkung auf Vogt hat. Das soll die Leistung von Posch nicht im geringsten schmälern, aber weder er und schon gar nicht Adams können ihn adäquat ersetzen.
So bekommen wir unfassbarer-, aber gemäß dem Wissen um die Bedeutung von vorne nicht verwerteter Chancen für die eigene Empfängnis nicht überraschenderweise dann halt aus dem Gewühl den Ausgleich – und schon zeigte sich, wie es um die Stabilität und Funktionalität der Frontallappen der Jammerlappen steht.
„Kinnas!!!!!“, hätte man ihnen am liebsten zugerufen, „noch sind 20 Minuten zu spielen!“, aber diese Menschen hätte man eh nicht erreicht (s.o., unter anderem
- Unzureichende Ideenproduktion (Verlust von divergentem Denken und Einfallsreichtum)
- Mangelnde Umstellungsfähigkeit und Hang zu krankhaftem Verweilen bei ein und demselben Denkinhalt
- Ungenügende Regelbeachtung und Regelverstöße (auch im sozialen Verhalten)
- Einsatz planungsirrelevanter Routinehandlungen
- Verminderte Plausibilitätskontrollen
- Alternativpläne werden kaum entwickelt
- Handlungsleitendes Konzept geht verloren
Außerdem fehlte einem schlicht Zeit und Muße, während des Spiels sich auf ein anderes Medium zu konzentrieren. Zumindest sehen wir uns da als Fans dann doch mehr als Trainer denn Nörgelrentner. „Weiter! Weiter!! Weiter!!!“
Und genau das machten sie, und sie machten das gut, wirklich gut – und just, als man selbst schon verzweifelte und mit dem Fußballgott hadern wollte, weil ein Schuss bereits zum 2. Mal allein in dem Spiel nur das Aluminium traf, und sich also sicher war, dass on May, the 4th die forces nicht mit uns waren, hämmerte Amiri die Kugel aber so was von geil ausgerechnet neben dem Schädel de Mannes, der zuvor durch seine Arm-Handberührung des Balles den Ausgleich überhaupt erst ermöglicht hat, vorbei in die Maschen.
Die erneute Führung, nach wie vor verdient, auch wenn das Torschussverhältnis jetzt nicht mehr bei 15:1 war (am Ende stand es da 26:11) – und das nur acht Minuten nach dem Ausgleich. Das sprach doch für die Mannschaft. Dass sie intakt ist, dass sie gewinnen wollte.
Dass es wiederum rund acht Minuten später wieder unentschieden stand, war natürlich ein Schlag ins Kontor. Leider konnte Vogt seinen Gegenspieler außen nicht stellen, der konnte den Ball in die Box bringen, wo ihn dann keiner unserer Spieler mehr erreichte. Adams versuchte sich noch mit einer gerade eingesprungenen doppelbeinigen Sense, die zum Glück den Gegner nur leicht erwischte, was aber mit Sicherheit zu einem Strafstoß geführt hätte, hätte der nächste Gladbacher den Ball nicht neben Baumann, der eine in der Phase sonst wirklich starke Partie spielte, platziert.
Im Gegensatz zu vielen anderen erfüllte uns völlige Apathie. Erst nach über 24 Stunden nach dem Schlusspfiff fand unsere Sprachlosigkeit ein Ende. Der Schock saß tief und er wich dem Entsetzen, das folgte, als man las, was man lesen musste auf der Suche nach Trost auf den TSG-Portalen.
Am besten waren da wahrlich die Worte Dieter Heckings. Julian Nagelsmann hatte zwar auch so seine Momente, aber auch ihm merkte man an, wie sauer er ob der vergebenen Chancen auf die Mannschaft war. Aber es war mehr so ein diffuser Groll, der sich in der Reinwaschung seiner selbst zeigte und die nichtgemachten Punkte nach Führung auf individuelle Fehler von Spielern, nie taktische Fehler zurückführte. Selbst, wenn dem so wäre, wäre das unnötig zu sagen, aber auch er zählt zu den jungen Menschen, die Dieter Hecking meinte, die Gefühle haben. Und diese Gefühle trügen, denn selbstverständlich hat auch er Fehler gemacht. Nelson immer erst in der 85. Minute zu bringen, einen Spieler, der nach seinen Aussagen gerade defensiv Defizite habe, gerade in den Phasen, wo der Gegner am meisten drückt, zeugt mehr vom Prinzip Hoffnung als Struktur.
Das ist legitim, aber dann sollte man auch das so benennen, zumal das Prinzip Hoffnung zum Ende des Spieltages lebendiger ist als zuletzt.
Ja, wir sind nur noch auf Platz 8, also raus aus den internationalen Plätzen, aber Leverkusen hat Frankfurt das Torverhältnis kaputtgemacht. Sollten Letztere also am letzten Spieltag beim aktuellen Tabellenführer, der nächste Woche bei seinem Gegner im DFB-Pokalfinale antreten darf und dort auch folgenlos verlieren kann, ebenfalls verlieren, überholen wir sie mit Sicherheit. Gladbach spielt am letzten Spieltag zuhause gegen die andere Borussia, die dann vielleicht, gerade wenn die Bayern bei den Bullen nächste Woche verlieren, noch die Chance haben, Deutscher Meister zu werden, so dass auch da ein unmittelbarer Konkurrent von uns in Sachen Europa Punkte verlieren kann, so dass also noch vieles drin ist. Wir müssen halt bloß unsere, diesmal die beiden letzten Großchancen verwerten – und in zwei Spieltagen drei Punkte auf vier Mannschaften aufholen.
Das ist alles!
Spieltag 33:
Leverkusen – Schalke
Stuttgart – Wolfsburg
Nürnberg – Gladbach
Frankfurt – Mainz (erst So., 18.00 Uhr, wegen EL-Rückspiel gegen FC Chelsea)
Spieltag 34:
Bayern – Frankfurt
Gladbach – Dortmund
Hertha – Leverkusen
Wolfsburg – Augsburg
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