Bayern München vs. 1899 Hoffenheim
Kaiser und Pinguin
Kein Trauerspiel –
und trotzdem wieder keine Punkte.
Es waren ähnliche Vorzeichen wie bei unserem Auftritt in der Allianz-Arena. Und ähnlich kalt. Doch reisten wir Anfang Dezember 2008 mit ganz anderen Erwartungen an. Und einem ganz anderen Team. Und einem ganz anderen spirit.
Und auch damals machte der Kaiser Schlagzeilen vor dem Spiel.
„Wir gewinnen das Spiel, und die Hoffenheimer gewinnen die Herbstmeisterschaft!“
Diesmal bekanntlich auch – doch fand er am Tage des Spiels statt der richtigen Worte seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof am Perlacher Forst und wurde dort im engsten Familienkreise beigesetzt.
Der Kaiser ist tot. Und König Fußball geht es auch nicht mehr so gut wie 2008. Und wir Provinzfürsten? Sind weiterhin weit entfernt von Glanz und Gloria vergangener Jahre – und dem Geist der Revolution, der uns ehedem umgab.
Gleichzeitig hat aber auch die Bayern an Strahlkraft verloren, die sie seit unserem Aufstieg auszeichnete. Zwar gewannen sie seitdem zwölf der 15 Meisterschaften, davon die letzten elf am Stück, aber die Ursache ihres Erfolg lag mehr und mehr am Devotismus der Gegner als an der Dominanz ihrer selbst.
So gab es auch für unsere Elf beim letzten Spiel der Hinrunde und dem Eröffnungsspiel des Ligabetriebs in 2024 keinen Grund, aus Angst vor einem Untergang mit wehenden Fahnen mit vollen Hosen an- und aufzutreten – es sei denn, wegen Thermounterwäsche, denn es war schon sehr kalt und auf dem Rasen ging es auch nicht wirklich heiß her.
Dass den Fans zumindest etwas warm ums Herz wurde, lag an den Minuten vor dem Spiel, in denen Franz Beckenbauer gedacht wurde. Den Gästefans war es sogar noch etwas wärmer um die Pumpe, jedoch nicht aus Gründen der Pietät, sondern der himmelsleiterartigen Treppe, die uns über gefühlt 200 Stufen auf unsere Plätze unterm Dach führte.
Sonst führte da nix – außer uns die Nichtbeschilderung in die Irre bzw. dazu, dass wir von der U-Bahn auf wirrsten Wegen zum Stadion, ums Stadion und irgendwann dann auch ins Stadion.
Der FC Bayern stand ja für seine Kooperation mit Katar sehr in der Kritik und führt diese seit dieser Spielzeit auch diesen nicht mehr weiter. Statt des arabischen Wüstenstaats prangt nun der Hinweis „Visit Rwanda“ als Werbung an Ärmel und Banden, was auch viele Menschen nicht verstehen. Wer aber mal versucht, in der Dunkelheit bei fast minus 10 °C von der U-Bahn in den Gästeblock zu kommen, tut das. Zumindest gefühlt scheint der afrikanische Kleinstaat, der von 1884 bis 1916 als Teil von Deutsch-Ostafrika deutsche Kolonie war, leichter erreichbar.
Auf dem Platz führten zwar die Gastgeber, aber nur das Zepter. Weil wir sie ließen. Sie hatten sehr viel Land- und Ballbesitz, aber in den entscheidenden Bereichen sehr wenig Raum. Das lag an der metereologischen Taktik unserer Mannschaft.
Oder orientierten wir uns an dem Wort „Kolonie“? Jedenfalls stand unsere Elf bei antarktischen Temperaturen insbesondere in der ersten Halbzeit eng wie die Pinguine zusammen um, am und im Sechzehner.
Und wie, geneigte/r Leser/in nennt man eine Gruppe von Pinguinen an Land? Genau: Kolonie. (Zu Wasser? Floß.)
(Kaiser-)Pinguine zeichnet zudem ein sehr tiefer Körperschwerpunkt aus, was ihnen insbesondere in der Masse ein hohes Maß an Kompaktheit verschafft. Damit wurde keine Kolonialherrschaft geschaffen, sondern vermieden, dass wir erneut (und wie zuletzt auch beim Testspiel) sehr luftig verteidigten. Damit vermieden wir sehr erfolgreich ein Durchkommen, -kombinieren der Gastgeber. Zudem agieren sie ihrerseits meist sehr bodenständig in ihrem Territorium, wenn es darum geht, ihren Gegner zu besiegen.
Das hat unser Mathematik-studierte Trainer schon sehr gut berechnet, dass es weniger auf die Sprungkraft der einzelnen Akteure ankommen wird (auch wenn Pinguine fast zwei Meter hoch springen können – allerdings nur aus dem Wasser), sondern auf die Fähigkeit des schnellen Watschelns.
Gewiss hätten wir es gerne gesehen, dass wir den Gastgebern auch mal offensiv eine (metaphorische) Watsch’n verpassen, aber das Rennen ist die Sache der Pinguine nicht.
Sie sind eher zögerliche Wesen, was sich in unserer Spielweise insbesondere im ersten Durchgang zeigte. In der Netzwerktheorie nennt man dies den Pinguin-Effekt.
Er beschreibt, dass frühe Nutzer aus einem System nur einen geringen Nutzen ziehen, weil noch nicht genügend andere Nutzer daran beteiligt sind. In der Folge kommt es zu einer abwartenden Haltung unter den potenziellen Nutzern mit der Folge, dass nichts passiert bzw. das System scheitert.
Besonders interessant mutet an, dass der Name aus dem Verhalten von hungrigen (!) Pinguinen ableitet. Noch größer als die Gier ist bei der Jagd die Angst, genauer Vorsicht.
Anstatt ins Wasser zu springen und nach Nahrung zu suchen, verharren Pinguine in kleinen Gruppen am Rande des freien Wassers auf festem Grund, weil ja im Wasser potenzielle Fressfeinde lauern könnten. Der einzelne Pinguin weiß nicht, ob sich tatsächlich Feinde im Wasser befinden. Sobald der erste den Sprung ins Wasser gewagt hat, können die noch abwartenden Vögel die Gefahr besser abschätzen und jagen dann ihrerseits und springen hinterher. Und wieder einer und wieder einer. Dann funktioniert das System. Sonst …
Und genau so sahen unsere Konterbemühungen vor allem in der ersten Halbzeit aus. In der zweiten wurde das deutlich besser, zumal man erkannte, dass so die Riesengefahr von den Bayern nicht ausging. Aufs Tor selbst schossen sie im ersten Durchgang auch nur viermal, allerdings trafen sie dabei ein Mal – und wie erwartbar durch eine Aktion am Boden.
Unsere Jungs brachten immerhin zwei Schüsse gar nicht mal sooo ungefährlich auf den Kasten des deutschen Nationaltorwarts, der es wohl ansonsten der Rasenheizung zu verdanken hatte, dass er nicht am Boden festfror.
Ob es an den Temperaturen und der Angst, wieder raus in die Kälte zu müssen, oder an der extra Injektion Courage lag, dass die TSG sich lange in den Katakomben des gar nicht mal so iglu-unähnlichen Stadions aufhielt, wobei wir das jetzt hier nicht vertiefen wollen, schließlich passen (die Sprach-)Bilder von Iglu und Pinguin nicht zusammen, wissen wir nicht, doch kam die Mannschaft spät und motiviert zurück.
Nach etwas Anlaufzeit schien sich der Pinguin-Effekt zum Positiven zu wenden. Rund eine Viertelstunde nach Wiederanpfiff waren wir es, die fast im Minutentakt beste Chancen auf fette Beute hatten. Doch deren Nr. 1 entwickelte sich zur Krake, die jede Attacke abwehrte. Oder wir schnappten nicht perfekt zu. Jedenfalls brachten wir nichts ins Netz, die Hausherren schon. Wieder nach zwei flachen Aktionen. Und eine davon, nachdem unsere Elf nur noch zu zehnt waren, nachdem Prömel von dem sehr eigentümlich pfeifenden Schiedsrichter mit einer gelb-roten Karte des Feldes verwiesen worden war.
Somit fehlt er zum Rückrundenstart, was jetzt auch nicht so schlimm ist, denn eigentlich war er doch – gedacht – der „Pinguin“, der das ganze System („Offensive“) antreiben sollte, doch zeichnet sich sein Spiel nicht dadurch aus, dass er klare und präzise Pässe nach vorne und somit Bewegung in die eigenen, aber vor allem auch die generischen Defensivreihen und diese so durcheinander bringt.
Das konnte mal Vogt, aber a) ist er nicht mehr bei uns, b) tat er das unter Matarazzo auch nicht mehr, da er ihn kaum zentral spielen ließ. Links außen verteidigte diesmal Nsoki, der das beeindruckend abgeklärt machte und auffallend selten nach hinten spielte. Diesen Spirit braucht es. Wir haben genug Personal, die auch die entsprechende Mentalität mitbringen. Es gibt also keinen unbedingten Zwang mit diesem zögerlichen Pinguin-Effekt aufzutreten. Natürlich schützt er davor, gefressen zu werden. Aber wir sind, um im Bild zu bleiben, umgeben von Fressfeinden. Diese werden sich nicht selbst erlegen. Und wenn man nur abwartet, wird man vielleicht nicht selbst zur Beute, aber man verhungert. Da scheint es doch wichtiger, schneller und mutiger zu sein und mit mehr, viel mehr Biss zu agieren, um Fett auf die Rippen aka Punkte aufs Konto zu kriegen.
Jetzt sind 24 Punkte zur Halbzeit so schlecht nicht. Und auch Platz 8 kann sich sehen lassen. Doch wenn man bedenkt, dass der Tabellenerste fast doppelt so viele Punkte hat und wir dennoch irgendwie zufrieden sind, erkennt man, wie weit wir Provinzfürsten uns insgesamt inzwischen von unserem majestätischen Fußball unserer frühen Jahre entfernt haben.
Der Kaiser ist tot. (Und dem Kaiserpinguin geht es auch nicht so gut. Er wurde 2016 in der Roten Liste gefährdeter Arten als „Near Threatened (NT)“ = „potentiell gefährdet“ eingestuft.)
König Fußball schwächelt. (Er ist einfach zu politisch korrekt geworden, zu vegan, genauer: weder Fisch noch Fleisch.)
Und ob sich das mit Graf Kohle als Investor bessern wird, kann auch niemand sagen. Und beeinflussen können wir im Großen und Ganzen eh nichts. Aber wir könnten aufhören zu antichambrieren. 🙂
(schwaches Verb – bildungssprachlich
(mit dem Ziel, etwas Bestimmtes zu erreichen) sich unterwürfig, diensteifrig um jemandes Gunst bemühen
Damit wäre schon viel gewonnen – und das haben wir in der Hinrunde immerhin sieben, in den letzten zehn Spielen aber nur ein einziges Mal. Es wird Zeit für einen neuen Anfang. Als Elche. Oder noch besser: Piranhas.
(Sagt der weise Hei…ko, oder was? Der Red.
Witzisch …. Nein, sag‘ ich nicht. Aber bin halt n Tier in Sachen Gier, nur eben – bei aller phänotypischen Ähnlichkeit – kein Pinguin. (Und gewiss nicht nur) Ich will mehr Punkte – und / weil nach Europa. Der Ausflug in die Antarktis am Freitag hat mir gereicht. Aber auch großen Spaß gemacht. Das lag aber nicht am Ergebnis, sondern dem Ausflug zu Ehren unseres CFOs, der 60 wurde. HW)
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