Hansa Rostock vs. 1899 Hoffenheim (DFB-Pokal, 1. Runde)
Das Ende ist nah?
Transdisziplinäre Aphorismenexegese deutet auf
saisonfinal extra-nationale Oszillation der TSG 1899 Hoffenheim.
Zum Start in eine neue Saison finden sich in allerlei Journaillen, Medien und Portalen Prognosen über den Ausgang der neuen Saison. Sie sind wohl die schäbigste Form des Sehertums. Aber ob diese Variante, ob Glaskugel, Kaffeesatz- oder Handleserei, alle diesen liegt die Angst vor der Zukunft zugrunde.
Und was fürchtet das vielleicht berühmteste Dorf der Welt mehr als alles andere? Dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt.
Diese Einstellung gibt es aber nicht nur in Aremorica (heute: Bretagne), sondern auch im Kraichgau. Hier gibt es aber auch eine starke Neigung, dem Wahnsinn nach Einstein zu verfallen, demnach das deutlichste Zeichen dafür ist, immer dasselbe zu tun, aber ein anderes Ergebnis zu erwarten. Zu Beginn der Spielzeit 2025/26 müssen wir wohl konstatieren: gab.
Einer. Ein einziger Spieler stand sowohl in der Startelf der TSG der Erstrundenpartie des DFB-Pokals 2024/25 als auch in der der jetzigen Spielzeit: Andrej Kramaric. Wahnsinn. Also: auch Wahnsinn. Aber eben halt anders – und so ganz anders wie bisher.
Falls du, geneigte/r Leser/in, denken solltest, wir irrten, was möglich wäre und weiter wahrscheinlich bleiben wird, da wir Menschen sind, die stets nach Höherem streben – und laut Goethe irrt der Mensch, solang er strebt („Faust“) –, tun wir diese in diesem Fall nicht. Oliver Baumann saß in Würzburg nur auf der Bank.
Die Fans der TSG lieben es menschlich. Und sie lieben Kontinuität. Weggänge, gerade von liebgewonnenen Spielern, wiegen schwer und fallen schwer aufs Gemüt und zu akzeptieren. Auch da ist die Neigung groß, eher das Risiko der Wiederholung des Negativen aus der Vergangenheit zu akzeptieren als das Risiko des Neuen einzugehen.
Zwar könnte man bei Letzterem dagegenhalten, dass es doch egal sein kann, wie man scheitert, falls man scheiterte, aber offenbar wird das potenzielle Scheitern mit Neuen als unangenehmer, schlimmer, stärker empfunden, als der potenzielle Erfolg durch das Neue, die Neuen.
Und wenn die TSG diese Spielzeit etwas ist, dann neu. Da lässt sich gar nichts sagen – und schon gar nicht vorhersagen, da es keine valide Datenbasis über diese Mannschaft gibt. Aber diese Faktenabstinenz hält ja Journaillen, Medien und Portale nicht davon ab, vor dem Anstoß in die neue Bundesliga-Saison bereits von deren Ende zu tönen.
Diese Prognosen sind immer geprägt von einer sehr hohen Erwartbarkeit auf Basis des Ergebnisses der Vorsaison sowie den subjektiven Erwartungen, die aber weniger auf wahres denn medial verbreitetes Schlagwortwissen („bullet-point wisdom“) beruhen, über die Schwächungen bzw. Stärkungen der Ver- bzw. Einkäufe von Spielern. Man könnte auch sagen: plumpes Geplapper von Menschen, die vielleicht viel wissen (oder dies zu tun vorgeben) ohne auch nur einen Hauch von Intelligenz.
Wir, der Akademikerfanclub, aber wissen, dass wir nichts wissen – außer dass Wissen nichts mit Intelligenz zu tun hat – und aller Entwicklungen im Bereich „KI“ zum Trotz und dessen Suggestion von rascher Verfügbarkeit von „Wissen“ bzw. Informationen, wahre, menschliche Intelligenz vor allem eines braucht: Zeit.
Und als TSG wissen wir, dass Investitionen keinen Gewinn garantieren, und als Dorfverein, dass die Saat nicht den Ertrag bestimmt, und als der Dorfverein TSG die Ernte des Vorjahres keinen Aufschluss gibt über Qualität und Quantität der zu erwartenden Ernte. Dazu gibt es einfach viel zu viele Parameter, die kurzfristig eintreten und einem das, was sich sehr gut anlässt, plötzlich völlig verhageln können.
Die Wahrheit liegt auf dem Feld. Aber es gibt natürlich Anzeichen außerhalb, die den wahren Profis Anzeichen geben und nicht nur auf dem letzten Ergebnis, sondern auf langfristige Beobachtungen aller mitspielenden Faktoren beruhen: Bauernweisheiten.
Beispiele:
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„Märzenschnee tut den Saaten weh“ verweist auf den schädlichen Effekt später Kälteeinbrüche.
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„Ist der Oktober warm und fein, kommt ein scharfer Winter rein“ deutet auf eine gegenläufige Korrelation zwischen Herbst- und Wintertemperaturen.
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Die wissenschaftliche Validität dieser Regeln ist zwar unterschiedlich stark ausgeprägt. Allerdings lassen sich manche Beobachtungen meteorologisch plausibilisieren, andere sind Ausdruck kultureller Deutungstraditionen.
Es gibt aber auch Bauernweisheiten, die die intellektuelle Qualität der Prognosen soge- und selbsternannter Fußballexperten sehr gut beschreiben. Beispiel:
„Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,
ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.“
Nun ließe sich auch da intellektuell reduziert konstatieren: „plumpes Geplapper“. Aber wir, der Akademikerfanclub, können auch anders – und dies auch auf unsere Art begründen:
Dieser Agrarpraktikeraphorismus ist ein paradigmatisches Beispiel einer epistemischen Tautologie. Ihr erkenntnistheoretischer Gehalt liegt weniger in einer konkreten meteorologischen Prognoseleistung, sondern vielmehr in der performativen Stabilisierung einer Nicht-Aussage: ein diskursives Artefakt, das durch die logische Inklusivität beider möglicher Systemzustände (Transition vs. Persistenz) eine maximale empirische Unverbindlichkeit bei gleichzeitiger rhetorischer Autorität gewährleistet. In diesem Sinne repräsentiert die Formel ein prototypisches Wissensfragment, das die Grenzen prädiktiver Operationalisierbarkeit markiert und damit als heuristischer Indikator für epistemische Ambiguität fungiert.
Dennoch scheint uns die langfristige Betrachtung von Ergebnissen sinnvoller, eine Aussage über die Zukunft zu treffen. Oder anders gesagt:
Uns erscheint zur Maximierung der ex-ante-Prognosevalidität finaler Saisonkonfigurationen die multiperspektivische, transdisziplinäre Integration externer Faktoren in die Modellarchitektur prädiktiver Verfahren als besonders ergiebig. Diese heuristisch-hermeneutische Inkorporation gewährleistet eine synergetische Re-Kalibrierung prätemporaler Indikatoren, wodurch eine erweiterte epistemische Redundanzminimierung sowie eine paradigmatische Kohärenzerhöhung innerhalb der Evaluierung endogener und exogener Variablen gewährleistet wird.
Und einer der wesentlichen „externen Faktoren“ drängt sich für uns das Abschneiden der TSG in der Erstrundenpartie im DFB-Pokal der jeweiligen Spielzeit auf.
Für uns fungiert dieses Ergebnis als sogenannter Primus-Parameter – als erste empirische Kristallisationsfläche kompetitiver Disparitäten innerhalb eines asymmetrisch finanzierten Mehrfrontensystems – als hochgradig sensitiver Prädiktor. Die darin generierten performativen Signale lassen sich als prototypische Manifestation prätemporaler Muster deuten, deren extrapolative Anschlussfähigkeit an die durch longitudinale Kapitalakkumulation und ligaspezifische Reglementierungen strukturierte Hauptspielklasse eine signifikante Steigerung der Prognosevalidität ermöglicht.
Und das insbesondere bei der TSG Hoffenheim. Basis-Parameter:
Saison | 1. Runde (Gegner / Ergebnis) | Endplatzierung Bundesliga |
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2007/08 | FC Augsburg – 4:2 n.V. | 2. Liga, 2. Platz (Aufstieg) |
2008/09 | Chemnitzer FC – 1:0 | 7. Platz |
2009/10 | FC Oberneuland – 2:0 | 11. Platz |
2010/11 | Hansa Rostock – 4:0 | 11. Platz |
2011/12 | Germania Windeck – 3:1 n.V. | 11. Platz |
2012/13 | Berliner AK 07 – 0:4 (AUS) | 16. Platz |
2013/14 | SG Aumund‑Vegesack – 9:0 | 9. Platz |
2014/15 | USC Paloma – 9:0 | 8. Platz |
2015/16 | 1860 München – 0:2 (AUS) | 15. Platz |
2016/17 | 1. FC Germania Egestorf/Langreder – 6:0 | 4. Platz |
2017/18 | Rot‑Weiß Erfurt – 1:0 | 3. Platz |
2018/19 | 1. FC Kaiserslautern – 6:1 | 9. Platz |
2019/20 | Würzburger Kickers – 3:3, 5:4 i.E. | 6. Platz |
2020/21 | Chemnitzer FC – 2:2, 3:2 i.E. | 11. Platz |
2021/22 | Viktoria Köln – 3:2 n.V. | 9. Platz |
2022/23 | SV Rödinghausen – 2:0 n. V. | 12. Platz |
2023/24 | VfB Lübeck – 4:1 | 7. Platz |
2024/25 | Würzburger Kickers – 3:3, 5:3 i.E. | 15. Platz |
Nun also ging sie los – die Spielzeit 2025/26 – und das gut, bis sehr gut, auch wenn man Gott sei Dank nicht von einer Frühform sprechen kann. Aber, im Gegensatz zu den Befürchtungen, die sich in den Kommentaren zur TSG zum Ende der letzten Spielzeit sowie in den Prognosen der Journaillen, Medien und Portalen zur jetzt gestarteten Saison wiederfinden, gibt das Spiel gegen denselben Erstrundengegner von vor 15 Jahren – mit demselben Ergebnis Anlass zu großer Hoffnung, dass dies eine sehr gute Spielzeit würde werden können.
Schauen wir auf die Daten, landeten wir immer ganz unten, wenn wir in der ersten Runde ausschieden oder zumindest sehr strauchelten. Das Gegenteil lässt sich zwar leider nicht stringent ableiten, aber immerhin gibt es keinen Grund zur Sorge.
Wie bereits erwähnt, hatte die Mannschaft, die gestern hoch im Norden zu Anpfiff auf dem Platz hochstand, mit der, die das vor einem Jahr im Frankenland tat, nur noch das Wappen auf der Brust gemein – und auch der Support war, wenngleich quantitativ geringer, qualitativ um Längen besser. Wie auch das Spiel.
Von den ersten vielleicht fünf Minuten abgesehen, kontrollierte die TSG das Spiel zu jeder Zeit, allerdings ohne jemals wirklich dominant zu sein. Dies aber ist verzeihlich, war es doch das erste Spiel dieser neuen Mannschaft unter Wettbewerbsbedingungen.
Sie agierte insgesamt sehr griffig bereits im Mittelfeld, hier war Bernardo sehr agil, sodass die Abwehr erst gar nicht in brenzlige Situationen kam. Und sobald wir in Ballbesitz kamen, war deutlich das Bemühen zu erkennen, sehr schnell nach vorne zu agieren. Es gab sehr wenig Querpässe, und der Ball umgehend tief in die Spitze – und das zu unserer großen Freude meist flach. Also statt „Hoch und weit bringt Sicherheit“ war es eher „Schnell und steil – schon recht geil.“
Was fehlte, war die Präzision. Gerade der letzte Pass kam nicht an, aber das Team versuchte es immer und immer wieder.
Allerdings hatte sich der Gegner nach rund einer Viertelstunde sehr gut auf unsere Strukturen (lange Tiefenläufe von Touré) und Passfolgen (Avdullahu, Lemperle) eingestellt, machte seine Räume in der Tiefe dichter, deren Abwehr wurde vielbeiniger und die Gastgeber standen enger am Mann, sodass wir immer seltener in den Strafraum kamen.
Bezeichnenderweise war es letztlich ein sehr hoher und weiter Einwurf von Coufal, der für die fällige Führung sorgte. Am Ende war es Burger, der den von Asllani verzogenen Ball mit der Pike ins Netz beförderte.
Kramaric und Baumann hatten bis dahin mit dem Spiel nicht groß was zu tun. Was aber ein gutes Zeichen zu werten ist, denn zum einen zeigt es, dass Kramaric sich voll in die neue Struktur integrierte – und Baumann wenig bis nichts zu tun hatte. Auffälliger waren da die bereits erwähnten Bernardo, Touré, Avdullah, Coufal, Lemperle, Burger, Asllani. Und dass wir Hranac und Machida nicht hervorhoben, lag einfach daran, dass es in der ersten Halbzeit defensiv nicht groß was zu tun gab.
So, geneigte/r Leser/in, jetzt haben wir alle Spieler der Startelf erwähnt – und so ein richtiges Bild vor Augen hast du nicht, ne? Aber das wird im Laufe der Saison noch kommen, was dauern wird, zumal wir da ja noch einiges auf der Bank (Moerstedt, Damar, Prass, Tohumcu, Chaves, Akpoguma, Prömel, Mokwa) sowie in petto haben (Becker, Bebou, Orban) – nicht zu vergessen Hlosek, Gendrey, Kabak im Lazarett und andere auf der (Abschuss-)Liste wie Grillitsch, Geiger, Berisha. Das Transferfenster schließt in zwei Wochen. Da kann und wird noch einiges passieren
Zweite Halbzeit, dasselbe Bild: Hoffenheim überlegen, aber jetzt mit mehr Fokus auf Kontrolle. So wurde das Spiel nicht besser, aber auch nicht groß schlechter, es wurde einfach nur durch den Faktor Zeit in Kombination mit der knappen Führung spannender – und die Hanseaten hatten eine volle Hütte. Deren Fans versuchten ihre Mannschaft nach vorn zu treiben, was sie aber klugerweise nicht machte, denn jede Änderung ihrer Defensivstruktur würde unserer Mannschaft ja sofort mehr Räume, um nicht zu sagen, Tür und Tor öffnen – und bei nur einem Tor Rückstand …
Dann kam die Zeit der Wechsel – und damit die von Max Moerstedt. Eingewechselt in der 66., auf der Anzeigetafel in der 71. nach einer perfekten Flanke von Kramaric, der die sich uns plötzlich eröffnenden Räume perfekt nutzte.
Nun änderte sich das Spiel – vor allem das des Gegners. Die Zeit des Abwartens war vorbei. Hansa intensivierte das Spiel nach vorne und hatte auch hochkarätige Chancen, doch die eine köpfte Bernardo weg, bevor der Ball im Winkel landete, und die andere vereitelte Machida.
Mit einer Monstergrätsche ließe sich hier ergänzend anmerken, aber das wäre viel zu kurz gegriffen. Er war gut einen Meter hinter dem Rostocker Stürmer, als der Oli Baumann ausspielte und allein im Sechzehner aufs leere Tor zulief. Machida umkurvte den am Boden liegenden Baumann dergestalt, dass sich der Abstand zum Gegner noch erhöhte. Er hätte aufgeben können und niemand wäre ihm gram gewesen, aber er tat es nicht, sondern rannte weiter, glitt am Boden in Richtung Pfosten und wehrte den Ball wie durch ein Wunder noch ab. Eine solche Szene sagt sehr viel über den Spirit eines Spielers – und der Jubel der anderen, wie sie ihn für diese Monstergrätsche feierten, über den Spirit im Team.
Mehr oder weniger im Gegenzug nutzte Burger einen Fehler der Gäste im Aufbauspiel, Zuspiel auf Asllani, 3:0. Drei Minuten später noch eine Ecke für die TSG, nochmal Moerstedt. 4:0.
Schlusspfiff.
Die Mannschaft macht erstaunlich viel Spaß. Da klappte sehr vieles schon sehr gut. Da muss einem wahrlich nicht bange sein vor dem Start in die neue Spielzeit, denn auch der erste Gegner in der Liga hat eine sehr neue Mannschaft – und die muss der neue Trainer auch erst einmal so gut hinbekommen.
Wir wollen jetzt nicht sagen, dass wir es für nicht unwahrscheinlich halten, uns dieses Jahr für die UEFA Champions League qualifizieren, aber …
Nach dem Spiel und unter Rekurs auf die epistemologische Heuristik agrarpraktischer Aphorismen bezüglich der Realdaten erscheint die prospektive Wahrscheinlichkeit einer terminalen Platzierung der TSG 1899 Hoffenheim in einer transnational-europäischen Wettbewerbsarchitektur keineswegs marginal. Vielmehr lässt sich – im Sinne einer agrarisch-semiotischen Prognosemethodologie – eine nicht-triviale Wahrscheinlichkeit ableiten, dass die klubinterne Performanzkonstellation in der Spielzeit 2025/26 in die Sphäre kontinentaler Kompetenzarenen überführt wird.
Und wenn nicht: Feiern kann man die Mannschaft nach dem Spiel auf jeden Fall …
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