1899 Hoffenheim vs. Hannover 96
Wenn wir jetzt populistisch starten wollten, würden wir so was machen wie: Im drittletzten Spiel der Saison dank drei Mal Kramaric drei Punkte für unsere TSG. Und dann noch eine leicht süffisante Überschrift dazu wie:
Der dreifache Dreier
Wir machen es uns aber einfach zu gern schwer …
… – zumindest da ähneln wir der gestrigen Mannschaftsleistung – und deshalb fangen wir anders an:
Twitter kennt inzwischen jeder. Dem US-Präsidenten sei Dank. Hierzulande ist in puncto Quantität der Kurznachrichtendienst von keiner wirklich nennenswerten Menge genutzt. Die (Be-)Nutzerzahlen sind sehr niedrig, aber dennoch erfreut er sich insofern großer Beliebtheit, als dass auf ihn das alte Motto zutrifft:
„Zähle nicht die Menschen, die du erreichst, sondern erreiche die Menschen, die zählen.“
Twitter hat im Herbst letzten Jahres 330 Millionen monatlich aktive Nutzer weltweit vermeldet. Davon sind aber allein 70 Millionen US-Amerikaner. In Deutschland seien es 12 Millionen. Sagte Twitter. Vor zwei Jahren. Was bezweifelt werden darf. Und was bezweifelt wird. Eine Onlinestudie von ARD und ZDF kam zu dem Schluss, in Deutschland würde Twitter täglich gerade mal von 600.000 Menschen genutzt. (Wöchentlich immerhin von 1,8 Millionen.)
Umso beeindruckender ist natürlich die Präsenz, die dieses Soziale Medium in den klassischen Medien genießt, was schlicht damit zusammenhängen dürfte, dass über dieses Medium Journalisten – und solche, die sich dafür halten – vor allem Journalisten erreichen – und solche, die sich dafür halten. Oder Menschen, die wie Pfaffen ihre Meinung – im Gegensatz zu Pfaffen – in wenigen Worten – ganz wie Pfaffen – als subjektiv Großes ansehen und verkünden. Und meist interessiert es – wie bei Pfaffen – nicht langfristig, es sei denn, es gibt mal ein Aufregerthema wie #aufschrei oder #metoo, was man dann wiederum in den klassischen Medien „Debatte“ nennt, wobei es meist nichts anderes es als eine (relative) Masse an Monologen ist.
Es ist bis auf wenige Ausnahmen ein völlig überflüssiges Medium, dass dadurch noch überflüssiger wird, dass es von den meisten der wenigen Nutzer zur Verkündung von Überflüssigem genutzt wird, so dass das wenige Wesentliche in der Flut des Sinnlosen untergeht.
Was Twitter aber auch ist, ist ein Quell an Gags und Aperçus, wobei man einschränkend dazu sagen muss, dass dieses Gags nicht in einem fort sprudeln – und es aus derselben Quelle auch einen Haufen Bockmist gibt, aber bei gewissen Themen birgt das Medium eine relative Scherzdichte. Dazu zählen Themen wie #Tatort oder auch #ChampionsLeague, insbesondere, wenn sie von Bela #Rethy kommentiert werden.
Nun spielt da die TSG Hoffenheim keine große Rolle – weder im Tatort noch auf Twitter, wo wir es auf 195.000 Follower bringen. (Unserer gestriger Gegner aber genausowenig, auch wenn er auf 321.000 Follower bringt. Nur mal zur Kenntnisnahme: Serge Gnabry, der im Folgenden noch eine Rolle spielen wird, hat ca. so viele Follower wie beide Teams zusammen: 501.000)
Und auch in Sachen Champions League glimmte der Name der TSG auf Twitter nur mal kurz ganz zu Beginn der Saison auf – und es ist ja aufgrund der veränderten Regeln und der aktuellen Tabellensituation alles andere als ausgeschlossen, dass uns dies in der kommenden Saison a) wieder und b) dann öfter gelingt.
Aber dennoch gab es Mitte der letzten Woche einen Beitrag auf Twitter, der das Herz eines Hoffenheimer Fans noch höher hat schlagen lassen, als die Tatsache, dass wir in der Qualifikation an (wahrscheinlich) einem der beiden Finalisten gescheitert sind. (#Standjetzt)
Sinngemäß war da zu lesen, als Boateng verletzungsbedingt ausgewechselt wurde:
„Der Moment, wo ein ehemaliger Stammgast einer Hoffenheimer Dönerbude im Halbfinale der UEFA Champions League gegen Cristiano Ronaldo spielt.“
Eine vollendete Geschichte – in weniger als 140 Zeichen (obwohl inzwischen das Monologmaximum auf 280 Zeichen erhöht wurde), schließlich kommt darin alles vor, was man mit Hoffenheim positivst in Verbindung bringt: unseren Förderer (D. Hopp – die als anatolisch angesehene Delikatesse, obwohl sie wie die Currywurst in Berlin erfunden wurde, ist in seinem Geburtshaus im wahrsten Sinne des Wortes lokalisiert), unser Konzept (Nachwuchsförderung) und dessen Erfolg (schließlich kam (nicht nur) er aus dem Kraichgau in die Königsklasse), ohne dabei auf bodenständige Lebensqualität zu verzichten (10-Fingerfood statt 5-Sterne-Küche).
Dank der Rückrunde unserer Mannschaft war da natürlich vor dem Spiel gegen Hannover die Frage, ob sich so ein Tweet in der nächsten Saison würde wiederholen können – und diesmal ohne Verkauf (oder Rückkehr) des Spielers in die bajuwarische Hauptstadt. Die Antwort ist: wahrscheinlich nicht, was aber nur daran liegt, dass keiner unserer Spieler so aussieht, als ob der dem Drehspieß so zugetan ist, wie es Niklas zumindest ehedem war. Sportlich hingegen stehen die Chancen gut, denn wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Wir haben das Spiel gewonnen. Allerdings war das Spiel gegen das Team aus der Hauptstadt der Niedersachsen auf niedrigem Niveau.
Auch das erinnerte an einen Tweet von Mittwoch, wo wer kundtat, dass es ihm vorkäme, als habe er das Spiel schon hundertmal gesehen. Immerhin kann man aus Hoffenheimer Sicht sagen, dass wir die Führung nicht vergeigt haben. Zugegeben, der Gegner war auch schwächer – und wir in der Chancenverwertung um einiges besser.
Dabei haben wir unsere selbst herausgespielten Chancen eher schlecht genutzt. Erst ein Fehler des Baldkollegen von Uth auf Seiten der Gäste sorgte für die Führung, als Gnabry den Ball vor dem Gästekeeper erreichte und an ihm vorbei in Richtung Tor spielte. Vielleicht und hochwahrscheinlich wäre er auch reingegangen, aber letztlich war es der nie um egoistische Einlagen verlegene Kramaric, der den Ball ins Tor schoss.
Doch weitaus schlimmer als der Wegfall seines 11. Tores für die TSG wog sein verletzungsbedingter Ausfall im Anschluss. Es sieht gar nicht gut aus, unsere Nr. 29 nochmal im Trikot der TSG zu sehen – und sei es nächste Saison. 🙂
Auch wenn von allen Seiten stets betont wird, dass seine Rückkehr nach München feststeht, geben wir die Hoffnung nicht auf. Es wäre wahrlich sehr schade, denn er ist nicht nur ein guter Spieler, er ist für uns auch extrem wichtig, was man allein daran erkannte, dass unser Spiel nach seiner Auswechslung ein anderes und vor allem schlechteres war.
Auf einmal gelang es uns einfach nicht mehr, hinter die Abwehr der Gäste zu kommen. Hin und wieder brach zwar Schulz sich Bahn, aber ihm fehlten einfach die Abnehmer in der Mitte, so dass wir auf einmal so viele Chancen wie die Gäste hatten: 0.
Dennoch kamen sie zum Ausgleich, weil unsere bis dahin sehr konzentriert und konsequent agierende Defensive kollektiv pennte – nicht uninteressant, bei all den den Überschriften, die ehemalige Hoffenheimer Spieler wie Firmino, Volland, besagter Süle, Rudy, Wagner zur Zeit schreiben, auf Vorlage von Schwegler, einem weiteren, ehemaligen Hoffenheimer, durch Karaman, einem weiteren, ehemaligen Hoffenheimer.
Auch in der 2. Halbzeit wusste unsere Mannschaft nicht an die Leistungen in den Spielen davor anzuknüpfen. Die einstudierten Kombinationen waren zwar im Ansatz zu erkennen, aber mehr nicht. Vor allem die Laufbereitschaft, das Sichimmerwiederanbieten ließ doch sehr zu wünschen übrig. Egoismen dominierten vor allem unser Spiel (nach) vorn, so dass der Ball meist, wenn überhaupt, schlicht zu spät zum Mitspieler gepasst wurde.
Dazu passte, dass das 2:1 aufgrund einer Fußballregel fiel, schließlich muss man bei einem Eckball das Spielgerät nach dessen Berührung einem anderen überlassen. Demirbays Ecke wurde von keinem der Köpfe im Strafraum der Gäste erreicht, so dass Kramaric den Ball mit Krawumm und aus dem Stand in die Maschen dreschen konnte, was er auch tat.
Doch kaum führte die Mannschaft, spürte der Fan, dass dies kein Fußballfest wie zuletzt werden würde. Gewiss fehlte der Mannschaft nicht die Lust am Kicken und vielleicht war es die Furcht vorm Nichtsiegen, jedenfalls schienen die Akteure in Blau sich irgendwie nicht grün, womit wir bei den Farben wären und uns um die peinlichste Person auf dem Feld kümmern können: den Mann in Gelb.
Was! Für! Eine! Pfeife!
Wenn man sagt, dass man nach einer Niederlage nicht die Schuld beim Schiedsrichter suchen darf, sondern sich selbst dafür verantwortlich machen muss, muss man nach dem Spiel auch die Mannschaft alleinverantwortlich für den Sieg machen, denn sie hat das Spiel trotz des Spielleiters gewonnen. Patrick Ittrich pfiff einfach nicht nur höchst seltsam, sondern wartete auch mit seltsamsten Gesten auf. Vielleicht hat der Polizeibeamte aus Hamburg just an einem Schiedsrichterkurs für asiatische Kampfsportarten teilgenommen, uns jedenfalls waren keine der unterschiedlichen Handkantenbewegungen, welche dieser in einer Tour darbot, ebenso unbekannt wie die Regeln, die er zum Teil anwendete. Drei Verwarnungen sprach er gegen Hoffenheimer Spieler aus, wovon nur eine wirklich nachvollziehbar war: Kaderabek sah seine 5. Gelbe Karte und ist damit gegen Stuttgart gesperrt. Amiri und Vogt dagegen sind höchst gefährdet, das Saisonfinale gegen Dortmund nicht zu sehen, da ihnen der Pfeifenmann die 4. respektive 9. gelbe Karte der Saison zeigte.
(Auch wenn Amiri deutlich seiner Bestform hinterläuft, wäre es schon sehr wichtig, dass er uns auch in dem Spiel zur Verfügung steht, zumal auch Demirbay verletzt ausgewechselt werden musste – und auch das sah nicht gut aus. Immerhin kommt Grillitsch wieder zurück, der als Ballsortierer schmerzlich vermisst wurde. (Schon beeindruckend, welche Formsteigerung auch er in der Saison hinlegte.))
Das besonders Ärgerliche war, dass der Gegner an sich schwach und ungefährlich war. Aber wir brachten es einfach nicht fertig, ihn zu dominieren. Die Zahl der grundlosen Ballverluste nahm Mitte der 2. Halbzeit beängstigende Züge an. Wollte man den Ausgleich oder wartete man einfach auf die perfekte Konterchance? Letzteres konnte es fast nicht sein, denn es boten sich einige – und alle wurden durch falsche Zuspiele oder Egoismen vergeigt – und wenn dann mal einer durchkam, wie Amiri rund fünf Minuten vor Schluss, und den Ball dann auch verwertbar gleich an zwei Mannschaftskameraden weitergab, landeten sie im Netz bzw. am Pfosten, der Ball hingegen im Aus.
Kurz darauf fiel dann doch noch der erlösende dritte Treffer, wo uns erneut der Gästekeeper insofern half, indem er bei unserer Balleroberung sehr hoch stand, so dass er plötzlich nicht recht wusste, was zu tun ist, als Kramaric an den Ball kam. Unserer 27 ging es aber nicht viel anders, so dass er dann das tat, was einem jeder Jugendtrainer sagt: „Wenn du nicht weißt, wohin mit dem Ball, schieß ihn einfach ins Tor.“ Allerdings tat er das so cool und abgezockt, dass wir ihm dann auch gerne den Torklau aus der 1. Halbzeit verziehen.
Und so standen wir plötzlich auf Platz 4 – und spielen mit fast an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit auch in der kommenden Saison wieder in einem UEFA-Pokalwettbewerb. Das ist schön.
Aber alles andere als das, nämlich eine schöne Scheiße ist die Nachricht, die wir gerade auf Twitter lasen – immerhin sind wir einer der 192.000 Follower der TSG: Im Endspurt werden uns sowohl Demirbay (Kapseleinriss) als auch Gnabry (Muskelbündelriss) fehlen.
Doch außergewöhnliche Situationen bedürfen außergewöhnlicher Maßnahmen und so postulieren wir auf die Husche eingedenk des oben genannten Mottos dieses:
„Zähle nicht die Ausfälle, die du hast, sondern zähle auf die Einfälle, die die anderen hassen.“
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