1899 Hoffenheim vs. FC Augsburg
Wider die Langeweile
Erst klingelt der Wecker, dann klingelt’s im Kasten, dann geht’s drunter und drüber, dann heim.
6.45 Uhr. Der Wecker klingelt. Der Arbeitstag beginnt. Für Julian Nagelsmann. Um 9 Uhr kommt extra ein Dozent aus Hennef angereist, damit unser Trainer seine Prüfung im Fach „Physiologie und Sportmedizin“ im Trainingszentrum in Zuzenhausen ablegen kann.
Deine Herzschlag schlägt.
Er dröhnt in deinen Ohren.
Für diesen Moment
hast du so viel vorgenommen.
Die Chancen stehen gut.
Du weißt, es wird gelingen.
Sie werden, wie du gesagt hast,
Lobeslieder auf dich singen.
Wie lange wartest du schon?
Drei Stunden Zeit hat er. Nach spätestens 2 Stunden 10 wolle er abgeben, sagte er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den FC Augsburg.
Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gab er zu, dass er nicht so gut in Sachen Regelkunde gewesen sei, obwohl ihm § 8 Nr. 1 b der Recht- und Verfahrensordnung des DFB geläufig war, also jener Paragraph, mit dem der DFB die 3 Spiele Sperre gegen Sebastian Rudy begründet hat.
Es war übrigens wogenglättend klug auf jener Pressekonferenz, diesen Passus „für die, die es genau wissen wollen“, zu nennen, auch wenn der Zusatz, dass dieser drei Spiele Sperre vorsehe, so nicht stimmt, schließlich zählen wir zu jenen, die es nicht nur gerne, sondern es auch sehr gerne sehr genau wissen wollen, also haben wir nachgeschaut und fanden in dem Dokument auf dfb.de dies:
§ 8
Strafen gegen Spieler in einzelnen Fällen
1. Bei Bundesspielen gelten für Spieler unter anderem folgende Strafen:
(…)
b) für rohes Spiel gegen den Gegner Sperre von zwei Wochen bis zu sechs Monaten; roh spielt, wer rücksichtslos im Kampf um den Ball den Gegner verletzt oder gefährdet;
Ganz abgesehen davon, ob überhaupt die Voraussetzungen für ein „rohes Spiel“ gegeben waren, bezieht sich das vorgegebene Strafmaß auf einen Zeitraum (nicht Spieltage), was wiederum seltsam ist, denn dadurch, dass wir aktuell eine „englische Woche“ spielen, fehlt uns unser Spieler einen zusätzlichen Spieltag im Vergleich zu dem normalen Turnus. Und auch wenn wir das vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten hätten, aber wir meinen das ganz ernst, und das Spiel gegen Augsburg hat es gezeigt: Rudy fehlt.
War seine Spielweise in der Hin- sowie zu Beginn der Rückrunde selbst mit dem Wort „pomadig“ noch euphemistisch charakterisiert, hat er in den wenigen Tagen und Wochen unter Nagelsmann angefangen, das abzurufen, was viele Experten schon immer in ihm sahen. Ihn zu ersetzen, war keine leichte Aufgabe …
Es wird nicht einfach sein.
Und würde es einfach sein,
was wär’ dann dein Leben wert?
Nein, es ist nicht zu schwer.
Und niemand, niemand außer dir glaubt daran.
Was wäre, wenn es reicht, dass du weißt,
dass du es wirklich schaffen kannst.
… die Schwegler zuteil wurde. Bei dem Schweizer war, bleiben wir in Anbetracht der Euphorie nach diesem so wichtigen Sieg euphemistisch, der Mangel an Spielpraxis nicht zu übersehen. Zudem musste Nagelsmann verletzungsbedingt auf Strobl verzichten, dessen Stelle Polanski einnahm, aber nicht seine Rolle. Aber auch unser 8er stand in den letzten Wochen wenig auf dem Platz und heute Abend dort bisweilen auf verlorenem Posten.
Und trotzdem, trotz dieser Ausfälle, trotz dieser nicht ganz gelungenen Kompensation und trotz eines Polizeibeamten aus Kerken vom SV Nütterden, der gewiss nicht erst seit der Partie stolzer Eigentümer eines Plasmafernsehers ist, hat unsere TSG dominiert und vor allem, wenn auch noch keinen Platz in der Tabelle, so doch dieses Spiel gewonnen.
Natürlich hatten die Fuggerstädter in den letzten Wochen viele Spiele zu absolvieren, weshalb niemand mit einem einzigen Sturmlauf der Gäste gerechnet hatte. Aber wir sind mal so tolldreist zu behaupten, dass die passive sowie prinzipiell auf Dekonstruktion angelegte Spielweise der Gäste auch unserem neuen Trainer geschuldet war – denn wie bereits Tuchel nach dem Sonntagsspiel richtig feststellte, hat die Mannschaft, die aktuell auf Platz 17 steht, nichts mehr mit der zu tun, deretwegen sie auf Platz 17 steht. Nagelsmann sei Dank …
Du willst alle bewegen.
Alles bewegt sich mit dir.
Was spricht auch dagegen?
Du bist nicht nur zum Träumen hier.
Inzwischen wollen wir wieder und können sogar das Spiel machen. Und genau das wollten uns die Gäste mit vielen Spielunterbrechungen vermiesen. Dies umso mehr, als Volland bereits in der 1. Spielminute wieder einmal eine sehr gute Torchance nicht verwerten konnte.
Dennoch versuchten wir unser Glück weiter in der Offensive, wobei es diesmal wesentlich mehr schlampige Zuspiele im Mittelfeld gab, was den Gästen erlaubte, auch ihrerseits insbesondere mit ihren schnellen Außen Nadelstiche zu setzen. Vor allem Ochs war um diese, seine defensive Aufgabe nicht zu beneiden, dafür umso mehr für seine offensive Aktion in der 25. Minute zu bewundern, als er einen Tick vor Hitz am Ball war.
Komm, geh’ zwei Schritte weiter!
Es ist nur noch ein kleines Stück.
Du bist am Ende des Tunnels.
Von hier aus gibt es kein Zurück!
Der Gästekeeper hatte Sekunden zuvor sowohl das Nachsehen als auch Glück, als der wunderbare Fernbogenball von Vargas über ihn drüber nur an den Pfosten knallte. Den zurückspringenden Ball bekam er nicht gleich zu fassen und als er nachfassen wollte, war eben Ochs schneller, legte quer auf Volland und der wiederum, wiederum nicht zu fassen, …
Wie lange wartest du schon?
… schob Volland nach über 1000 torlosen Minuten zum 1:0 ein. Und nach dem Tor änderte sich nichts am Spielverlauf. Nach dem Elfmeter für die Gäste vieles.
Niemand, kein Spieler, kein Betreuer, kein Fan, kein Zuschauer, nicht einmal sein Seitenassi verstand, warum der Spielleiter vom SV Nütterden den pfiff, denn datt mütt er nich: Handelfmeter. Dazu zeigte er Süle auch noch die gelbe Karte. Dabei hatte unser Abwehrspieler die Hände vor dem Torso und wehrte den Ball mit selbigem ab.
„So einen Elfmeter möchte ich nicht gepfiffen sehen,“ soll Dr. Merk im Fernsehen dazu gesagt haben, was wir, weil wir eben euphorisch und so für diese Form des Euphemismus zu haben sind, hier gerne mit aufnehmen, denn schließlich ging ja noch alles gut. Auch deswegen beließ es Nagelsmann auf der Nach-Spiel-PK auf den freundlichen Verweis auf sein nicht 100% sicheres Wissen in Regelkunde. Zudem ging er so den Fragen der Journalisten nach dieser grotesken Schiedsrichter-Fehlentscheidung aus dem Weg.
Aber erst mal der Ball rein, Ausgleich, und dann bei uns wenig zusammen. Wir liefen Gefahr, dieses für uns ach so wichtige Spiel aus der Hand zu geben.
Es wird nicht einfach sein.
Und würde es einfach sein,
was wär’ dann dein Leben wert?
Nein, es ist nicht zu schwer.
Und niemand, niemand außer dir glaubt daran.
Was wäre, wenn es reicht, dass du weißt,
dass du es wirklich schaffen kannst?
In der 2. Halbzeit übernahm Bicakcic Ochs’ Aufgabe, der wiederum ins Mittelfeld rückte. Schwegler verließ das Spielfeld, aber uns nicht der Glaube an die Mannschaft, die nicht zuletzt durch die Fehlentscheidung, die sie ja in ihrer Kabine sehen konnten, bleiben wir bei den Euphmismen: hoch motiviert in die 2. Halbzeit startete.
Auch wenn erst mal spielerisch wenig lief, liefen die Emotionen auf Hochtouren und die Spieler aufeinander zu. Rudelbildung, nachdem Hitz Volland wohl wegen Schwalbenverdachts anging. Eigentlich nichts Dramatisches, aber es zeigte, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, die gereizt war. Das machte sie natürlich gefährlich, aber auch anfällig für Konter. Doch bis auf ganz wenige blieben die alle aus. Stattdessen bemühte sich unsere Mannschaft mehr und mehr um Struktur, um näher und näher ans Tor zu kommen, doch Augsburg verteidigte sehr solide.
Es wird nicht einfach sein,
aber vielleicht ist es soweit?
Es wird nicht einfach sein,
aber vielleicht ist jetzt deine Zeit?
Es wird nicht einfach sein,
aber vielleicht ist es soweit?
Es wird nicht einfach sein,
aber vielleicht ist jetzt deine Zeit?
Mit Kramaric (für Vargas) kam dann neuer Schwung ins Spiel und von ihm dann der entscheidende Ball in die Mitte auf Uth, der angerannt kam und den Ball derart ästhetisch ins Netz drosch, dass es eine Augenweide war und zu einem der seltenen Momente führte, in denen man Kakophonie als Ohrenschmaus begreift. Die längst überfällige Führung. 81. Minute. Und wir alle wissen, wie anfällig wir in den Schlussminuten sind, zumindest waren …
Es wird nicht einfach sein.
Und würde es einfach sein,
was wär’ dann dein Leben wert?
Nein, es ist nicht zu schwer.
Und niemand, niemand außer dir glaubt daran.
Die Augsburger hatten dann auch fast im Gegenzug ihre beste Chance im zweiten Durchgang. Baumann kam nicht ran, der Ball ging aber auch nicht rein. Dafür gingen die drei Minuten Nachspielzeit nicht rum. Doch auch diesmal gelang es unserer Mannschaft, den Ball in den eigenen Reihen und fern der eigenen Hälfte zu halten. Dennoch fing man auf den Rängen an zu zittern – und das nicht nur des eisigen Südwestwinds wegen. Wann wüddadenn, wann wüddadenn, die Pfeife vom SV Nüttersen, abpfeifen?
21.52 Uhr: Abpfiff des Spiels.
Jetzt sind wir immer noch auf Platz 17. Aber wir haben nun bereits zwei Mannschaften vor uns in Schlagdistanz – und ein schweres Spiel vor der Brust. Zwar sind die Schwaben noch sieben Punkte vor uns, aber mit einem Sieg wären es nur noch vier und dann sogar theoretisch der Sprung auf Platz 15 möglich. Insgesamt sind noch 30 Punkte zu vergeben. Damit hätten wir 51. Damit spielten wir … unten definitiv nicht mehr mit.
Was wäre, wenn es reicht, dass du weißt,
dass du es wirklich schaffen kannst?Es wird nicht einfach sein,
aber vielleicht ist jetzt deine Zeit?
23:15 Uhr (geschätzt): Die Autotür geht zu. Der Arbeitstag endet. Für Julian Nagelsmann. Er fährt nach Hause. Und vielleicht läuft ja im Radio sein Lieblingslied von Tim Bendzko …
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