1899 Hoffenheim vs. VfB Stuttgart
3 D
Druck, Dezibel und Das wurde ja endlich auch mal Zeit
Vorwort: Das hatten sich alle anders vorgestellt.
Nach einer sehr guten Vorbereitung in höchsten und sonnigsten Gefilden, einem Sieg gegen die Kaizer Chiefs, das Bayern München des afrikanischen Kontinents, im Stadion des WM-Finales von 2010, sowie zwei Siegen zurück in den eigenen, wesentlich kälteren und flacheren Gefilden, unter anderem einem 7:0 gegen IF Brøndby Kopenhagen, rechnete eigentlich jeder damit, allen Unwägbarkeiten des Fußballs zum Trotz, dass wir ähnlich gut in die Rück- wie in die Hinrunde starten würden.
Aber es kam anders. Statt der ehedem neun Spielen ohne, setzte es heuer drei Niederlagen in Folge. Es grenzte fast an ein Wunder, dass wir dennoch Platz 7 in der Tabelle hielten, aber der Kontakt zur Spitzengruppe und damit der Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb schmolz, während gleichzeitig die Nähe zu den Niederungen der Tabelle wuchs.
Das Duell der Nr. 1 in Baden gegen die Nr. 1 in Württemberg kam da gerade recht – nur nicht als tabellarische Standortbestimmung, denn, auch wenn obige Klassifizierung stimmt, war es, was ja (leider) genau so wahr war, das Spiel: Tabellenletzter Rückrunde gegen Tabellenletzter gesamt.
Und genau das machte es zu einem ganz besonderen Spiel, zumal die Gründe der vorangegangenen Niederlagen weniger der Stärke der anderen als der eigenen Schwäche zu Recht zugeschrieben wurden. Es galt also in diesem Spiel, gegen den Gegner, bei der Konstellation, bei aller Liebe zum schönen Spiel sich schmutzig zu machen, Einsatz zu zeigen und das bis zum Schlusspfiff.
Diese Ausgangslage motivierte uns auch zu diesem Vorabvideo, das so gut ankam, das wir uns überlegen, das zu wiederholen, zumal wir damit unser prophetisches Potenzial an den Tag gelegt haben.
I. Druck
Die Mannschaft(en) stand(en) also gehörig unter Druck. Aber was bedeutet das wirklich? Druck?
Druck ist ein Maß für den Widerstand, den Materie einer Verkleinerung des zur Verfügung stehenden Raumes entgegensetzt. Gemessen wird sie, zumindest in der Physik, in Pascal, berechnet aus dem Quotienten aus Kraft und Fläche.
Auch wenn es kein gutes Spiel war: Könnte man sich ein besseres Spiel zur Veranschaulichung dessen vorstellen als diese Partie, bei der lange Zeit ja alles andere als Partystimmung aufkommen wollte? (Hat sich dann ja gegen 17.20 Uhr schlagartig geändert.)
Torszenen gab es kaum welche. Dafür sehr viele Zweikämpfe und Territorialauseinandersetzungen. Das wiederum führte zu sehr vielen Spielunterbrechungen seitens des Schiedsrichters, bei dem schon sehr früh der Gedanke aufkam, dass er mit einem Auto mehr anfangen kann als mit einer Systemsoftware.
So bekamen die Gäste sehr viele Freistöße in recht aussichtsreicher Position zugesprochen, aber der Aussicht setzte unsere umformierte Hintermannschaft Vorsicht entgegen – und Wucht. Ja, diesmal ging es unserer Mannschaft in erster Linie nicht ums Schönspielen, sondern ums Keinenreinkriegen.
Dieses Konzept ist aber ja so etwas wie das Markenzeichen des Gästetrainers. Und damit bei den Gästen die Null möglichst lange stand, standen seine Mannen im Grunde in zwei Fünferreihen mit maximal zehn Meter Abstand zueinander massiert in der eigenen Hälfte.
Da war an ein spielerisches Durchkommen nicht wirklich zu denken, trotzdem haben wir es immer wieder versucht, aber es nicht dabei belassen, sondern das Passspiel variierte mit dem langen Ball über die beiden Reihen, was zwar auch nicht schön aussah und ebenso oft zu Ballverlusten führte.
Dann gab es Szenenapplaus von den Rängen, als der Schiedsrichter nach fast einer halben Stunde erstmalig den Ballverlust einem unfairen Spiel der Gästeverteidigung zuschrieb und uns den gefühlt ersten Freistoß zusprach. Da brach höhnischer Jubel aus, dem eine Minute drauf fröhlicher Jubel folgte, denn aus dem Freistoß resultierte nicht nur die eigentlich erste Torchance des Spiels, sondern eben auch das 1:0 durch Firmino.
Dummerweise hatten die Gäste kurze Zeit später Glück, dass Bicakcic einen an sich ungefährlichen Ball unglücklich abfälschte. Ausgleich. Halbzeit. Weiter ging’s … und das ausschließlich auf ein Tor: das der Gäste.
Was immer man der Mannschaft in den letzten Spielen vorwarf, sie versuchte wirklich alles, diesen Eindruck nicht nur wett-, sondern wieder gutzumachen. Immer und immer wieder rannte sie gegen die nach wie vor tief und dicht gestaffelte Abwehr der Schwaben an – und sich darin fest. Immer und immer wieder. Immer und immer wieder. Es war zäh. Sehr zäh. Auch nicht schön anzuschauen, aber bewundernswert, dass die Mannschaft nie verzweifelte, sondern es immer und immer wieder versuchte, ohne dabei die Defensive zu vernachlässigen.
Natürlich war die in einigen Situationen eher ungeordnet und ungestüm, aber wenn es darauf ankam, war sie da und der Ball letztlich weg aus der Gefahrenzone.
Amiri wich für Salihovic, kurz drauf Schipplock für Modeste, was beides sofort zu merklich mehr Dynamik nach vorne führte, denn der eine sorgte für ein präziseres Passpiel und der andere war einfach glücklicher in der Behauptung und Weiterleitung der hohen, langen Bälle.
So wurde das Spiel unserer Mannschaft immer ansehnlicher, aber dennoch blieb vieles zäh, denn die Gäste hielten dem zunehmenden Druck unserer Mannschaft stand, wenngleich auch mit ein bisschen Glück, aber so war es halt.
Und spätestens zehn Minuten vor Schluss, als bei uns Abraham verletzungsbedingt gegen Toljan ausgewechselt werden musste, wurde die Nervosität groß, nicht dass dann auch noch, und eventuell „ausgerechnet“ der inzwischen für die Gäste auf dem Platz und seit vielen Spielen glück- und torlos agierende Ibisevic den völlig unverdienten und dann wahrscheinlich entscheidenden Treffer erzielen würde.
Aber bis zum Ende der regulären Spielzeit konnten wir die Gäste nicht nur in Schach, sondern auch in deren Hälfte halten. Als dann die Hälfte der Nachspielzeit rum, also 90 Sekunden über die 90 Minuten drüber war, waren sie drüben – vor unserem Tor. Da kam kurz Panik auf der Tribüne auf. Doch ein resolut weggedroschener Ball sorgte da wieder für Ruhe – und den letzten Spielaufbau der Stuttgarter von hinten.
Alle Mann unseres Teams hinter der Mittellinie. Der Stuttgarter treibt den Ball in die Mitte, legt ihn sich aber etwas zu weit vor, Rudy fängt ihn ab, überlässt ihn Volland, rennt selber durch, bekommt a) das Spielgerät wieder von Volland zurück, und b) 30 Sekunden vor Schluss durch die kaum mehr als 30 Zentimeter geöffneten Beine des Gästetorwarts.
Wiederum 30 Sekunden danach wusste Rudy auch, was es mit der Druck-Formel genau auf sich hat, da stellt F nämlich den Betrag der Kraft dar, die senkrecht auf die Bezugsfläche mit Flächeninhalt A wirkt.
II. Dezibel
Dezibel beschreibt, wie der Name schon sagt, ein Zehntel Bel.
Es ist eine Hilfsmaßeinheit zur Kennzeichnung des Schalldruckpegels (LP), der wiederum das logarithmierte Verhältnis des quadrierten Effektivwertes des Schalldrucks eines Schallereignisses zum Quadrat des Bezugswertes beschreibt.
Oder anders, genauer und ohne (viel) Worte ausgedrückt:
OK, bis dahin ist das ja pillepalle, schließlich weiß das ja wohl jeder. (Das ist wohl der Punkt, wo ein Verweis auf Ironie möglichen Missverständnissen vorbeugen könnte.)
Aber wie hoch er war, als Rudy das langersehnte und hochverdiente Siegtor schoss, das weiß leider keiner. (Eigentlich überraschend, wo doch sonst alles in der Arena gemessen wird, u.a. Laufleistung, Schussgeschwindigkeit. A propos Schuss: Ein Maschinengewehr bringt es auf 130 dB.)
Die Messung hätte gewiss einen neuen Rekord ergeben, zumal der Bezugswert ein wirklich geringer war, denn nachdem die Hälfte der Nachspielzeit rum und der Gegner tief in unserer Hälfte war, war es schon fast schock- und angststarrenstill.
Ohnehin war es im Stadion relativ ruhig. Einige Anti-Hopp-Gesänge gab es aus dem Gästeblock, aber sie verklangen fast schon ohne Gegenwehr der Hoffenheimer Fans, was schon sehr zuversichtlich stimmt, wenn es nicht mal mehr ein Capo schafft, seine für ihre Reflektionskompetenz wenig bekannte Kurve hinter sich zu bringen.
Befremdlich waren dann aber doch, wenngleich nur vereinzelt auftretend, die Pfiffe zum Spiel unserer Mannschaft.
Klar, das war kein Schönheitswettbewerb, keine Eleganzvorführung, es war ein Kampfspiel gegen eine sehr massiert spielende Abwehr, deren primäres Ziel die Zerstörung unseres Angriffsspiels war. Und das haben sie leider sehr lange (92 Minuten, 20 Sekunden) sehr gut gemacht – aber dennoch muss man doch auch das Mühen der Mannschaft sehen und anerkennen, das Wollen, das Allesgeben. Unverständlich, wie man da pfeifen kann, statt das Team zu unterstützen und zu motivieren, dass sie nicht den Mut und schon gar nicht das Spiel verliert.
Ist dann ja auch nicht passiert, weil etwas anderes passierte.
III. Das wurde ja auch endlich mal Zeit.
Uns wirft man Traditionslosigkeit vor. Darf man. Wem es wichtig ist, soll sie haben. Wir jedenfalls sind froh darüber, dass wir in dem Spiel mit zwei „Traditionen“ gebrochen haben: zum einen, dass wir, wie es bisher 2015 der Fall war, im schlimmsten Falle sogar sehr früh in Rückstand geraten, und zum anderen, dass wir Spiele/Punkte in den letzten Sekunden der Begegnungen verlieren.
Und eine weitere „Tradition“ wird sich (hoffentlich baldigst) ändern und damit Hoffis Ruf erschallen in der Klamm ein allerletztes Mal. Schon als dieses opus maffayensis 2010 eingeführt wurde, hatten wir so unsere Probleme damit, wie man auch auf 11freunde.de nachlesen kann . Doch als inoffizieller Fanclub des Art.67 GG respektieren wir natürlich, dass meckern allein ungebührlich und falsch ist, man braucht schon etwas Besseres – und das haben wir jetzt – dank des Teams, denn es war die Mannschaft selbst, also nicht Trainerstab, Marketingabteilung oder sonst wer, sondern unsere Spieler selbst, die dieses Lied einspielten.
„Unser Ding“ heißt das starke Stück, das stark an Eminem und Fanta4 erinnert. Ein guter Rhythmus, ein klarer, simpler, und alles sagender Fußballtext, der einfach Spaß macht mitzugröhlen.
Mutig war es, dass die Mannschaft dies vor dem Spiel unbedingt laufen lassen wollte, als ob der Druck (s.o.) von außen nicht schon groß genug war. Da war die Aufmerksamkeit groß und da wurde genau hingeschaut, u.a. durchs Handy vom Integrativen Fanclub, aber schon bald wird das das Fanlied werden.
Leider hat es die Stadionregie verpeilt, diesen Song nach dem Spiel zu wiederholen, um das Lied in bester NLP-Manier gleich positiv bei den Fans einzubrennen. Statt dessen griff sie auf die Ur-Alt-Ballermann-Variante zurück. Warum? Vielleicht wegen Anflug von „Tradition“? 🙂
Nachwort: Noch mehr gute Nachrichten zum guten Schluss …
Mit diesem Sieg sind wir jetzt in der TraditionaLISTE einen Platz nach oben gestiegen, haben den SV Waldhof Mannheim von Platz 27 verdängt und sind damit definitiv die Nr. 1 der Region.
Zudem weist uns die „Ewige Bundesligatabelle“ jetzt als die beste Mannschaft mit nur sieben Spielzeiten in der höchsten Spielklasse aus.
Auch wenn wir natürlich drei Punkte gegen die Stuttgarter gewonnen haben, werden wir zumindest in dieser Tabelle noch eine Weile hinter ihnen bleiben. Der Abstand zur aktuellen Nr. 4 in diesem Ranking beträgt aktuell 2250 Punkte. Unser nächster Gegner liegt uns da schon näher: Platz 22. Allerdings haben die Breisgauer auch bereits 16 Spielzeiten in der Wertung und satte 338 Punkte Vorsprung. Aber wir haben ja keine Tradition, sondern Zukunft. Also werden wir auch das eines Tages packen. Und idealerweise sind es in einer Woche nur noch 335 Punkte, die wir dort hinter, bzw. bereits 12 Punkte, die wir in der Bundesliga dann vor ihnen liegen.
Einfach Wahnsinn, wie befreiend so ein Sieg sein kann … und was er verändert, obwohl sich nichts verändert hat. Nach wie vor Platz 7, aber plötzlich erscheint da am Horizont die Türe Europas.
Wenn wir uns jetzt da noch ein bisschen strecken, könnten wir ja mal wagen anzuklopfen … Naja, es reicht, wenn wir es wie Rudy machen:
zum Schluss und mit Erfolg. 🙂
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