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FSV Mainz 05 vs. 1899 Hoffenheim

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Die Entdeckung der Langsamkeit

Oder: Warum man „PlayStation“ nicht mit „Fußballfeld“ verwechseln darf …

„Work-Life-Balance“,  „Meditation“ oder gar „Moratorium“ – die Gegenwart ist voll mit Begrifflichkeiten, die auf die „Entschleunigung“ des Einzelnen zielen. Gleichzeitig ist es aber genau der Einzelne, der sich selbst gerne ein immer schnelleres Umfeld schafft: das Auto mit mehr PS soll genau das Gegenteil tun, nämlich noch mehr beschleunigen, eine noch höhere Spitzengeschwindigkeit erzielen; LTE statt DSL und der neue Rechner, ganz gleich ob er eine 27“ oder 5“-Bildschirmdiagonale hat, als ob man sich den auf den Schreibtisch stellt oder in die Hosentasche steckt, muss sowieso einen noch schnelleren Prozessor haben, damit er noch schneller meine Fragen beantworten und Anforderungen erfüllen kann.

Gerade „Gamer“, Menschen, die in der realen Welt nicht wirklich als Hyperdynamiker bekannt sind, haben diesbezüglich Ansprüche an das, wofür sie bezahlt haben, die spätestens in ihrer Projektion auf die Wirklichkeit unmenschlich sind.

Nun kam in dieser englischen Woche die neueste Variante des wohl beliebtesten Fußball-Konsolenspiels auf den Markt: FIFA15. Der Hersteller selbst nennt dies ja eine „Fußballsimulationsreihe“ – und er meint damit wirklich nicht den Fußballweltverband.

Das Wort zeigt eigentlich schon das Problem. Es ist eine Simulation von Fußball. Wie man das aber versteht, ist eine Frage der Perspektive: Wird hier das Spiel mittels Technik bestmöglich nachgeahmt? Oder zeigt das Spiel, was technisch in Sachen Fußball möglich ist?

Und schürt das nicht Erwartungen bei den Nutzern, genauer Betrachtern des Spiels, ganz gleich ob nun das Wahre wahrhaftig im Stadion oder über einen Monitor bzw. Bildschirm?

Damit Sie jetzt hier nicht völlig aussteigen, weil epische Intros bei unseren Spielnachbetrachtungen ja nicht unüblich sind – übrigens auch dies ein Beitrag zur „Entschleunigung“, denn bei uns muss man sich Zeit nehmen, weil wir nun mal das Spiel gerne mit dem ein oder anderen Gedanken ergänzen, eine andere Perspektive wählen oder eben auch zum Nachdenken anregen wollen, ganz gleich, ob das immer so gelingt oder jedem so gefällt, aber/schließlich gibt es für die, denen das nicht zusagt, genug andere und vor allem emotional affirmative Spielnacherzählungen, bei denen es den Schreiberlingen mehr um die Gunst ihrer Leser statt um die Kunst des Schreibens geht (wir zielen halt auf beides, wohlwissend, dass uns dies nie zu einer Seite der Massen machen wird, aber es gibt ja noch andere Qualitätskriterien als „Masse“ 🙂 ) – und da dieses Thema hier noch länger wird:

Ja, das hat was – und nicht nur „was“, sondern sehr viel mit dem gestrigen Spiel zu tun.

Das war ein 0:0 der schlimmeren Sorte. Eine wahres Fehlpassfest. Mit wenig gelungenen Kombinationen und noch weniger Chancen. Und die sehr wenigen, die es gab, hatte eigentlich allesamt die TSG.

Und wer weiß, wie es ausgegangen wäre, hätten die Mainzer nicht auf Okazaki verzichten müssen? Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn Modeste in der 10. Minute den Ball weniger als Rückpass denn Torschuss gespielt hätte und dabei auch noch erfolgreich gewesen wäre?

Aber: Hätte, hätte, Fehlerkette.

Dies hat zwei Gründe, die auch sehr nachvollziehbar und verzeihlich sind – für Menschen, die Fußball real kennen und verstehen. Bei Menschen, deren Kenntnis und Verständnis des Spiels vor allem auf der Spielwahrnehmung via Bildschirm basiert und noch schlimmer, falls das Bild eines ist, das aus einer Simulation erzeugt wurde, ist dies ganz und gar nicht so.

Sie verstehen nicht, dass dies das 3. Spiel in sechs Tagen war. Dass gerade die Dienstagsspiele beiden Mannschaften vor allem kämpferisch und mental sehr viel abverlangt haben. Dass die Spieler einfach entsprechend platt waren.

Diese Menschen, bei denen das (psychologische und/oder Spiel-)Verständnis in reziproker Relation zu ihren Ansprüchen steht, erkennen auch nicht, dass beide Mannschaften den exakt gleichen Matchplan (ehemals „Taktik“) hatten.

Selbst die Halbzeitansprache der Trainer scheint identisch gewesen zu sein, denn beide begannen den zweiten Durchgang schwungvoller („Ihr müsst mehr tun.“), ließen dann aber recht bald nach, so dass man schon sehr bald, spätestens nach der 60. Minute davon ausgehen konnte, dass das Spiel so ausgehen würde, wie es dann auch ausging – eben recht humor-, aber halt vor allem torlos, es sei denn, einer Mannschaft gelänge noch ein „lucky punch“, womit wir nun nach Eishockey und Tennis beim Boxen gelandet sind, um Phänomene im Fußball über Metaphern aus anderen Sportarten zu erklären.

Dabei kann man keiner Mannschaft, keinem Spieler vorwerfen, nicht gefightet zu haben. Aber es gab halt keine nachhaltigen Wirkungstreffer. Zwar gab es in der zweiten Halbzeit noch Chancen durch Elyounoussi, Volland und Firmino, aber da landete, um im Bild zu bleiben, der Gegner kurz in den Seilen, aber der Ball nur am Netz, nie darin.

Dabei machte das Gisdol sehr geschickt. Er setzte nicht komplett auf die gleiche Mannschaft wie im Spiel gegen Freiburg. So saß Vestergaard wieder auf der Bank, dafür Schwegler in der Startelf. Vorn ersetzte Modeste Szalai.

Leider konnte der Schweizer keinerlei Akzente setzen. Auch der später eingewechselte Zuber zauberte nicht. Man merkt, dass er noch nicht lange mit der Mannschaft trainiert. Warum er dann aber regelmäßig den Vorzug vor Hamad bekommt, wird der Trainer bestimmt wissen. Das ist wohl die Krux eines sehr mittelfeldspielerlastigen Kaders. Und natürlich wäre es auch psychisch nicht der Hit, wenn Hamad immer nur dann kommt, wenn es nicht so gut läuft, schließlich würde er so nur sehr schwer in den Genuss von Erfolgserlebnissen kommen, was ja wichtig ist für den Aufbau von Selbstbewusstsein.

Dann gab es noch die klassischen Einwechslungen (Tausch der Mittelstürmer) sowie kurz vor Schluss noch Schipplock, der aber – und dafür muss man ihn einfach mögen – für einigermaßen Wirbel sorgte, was aber auch eine optische Täuschung gewesen sein kann, schließlich war es um ihn rum doch eher „ruhig“.

Und wo wir gerade bei der Optik und damit einem Teilgebiet der Physik sind, kommen wir noch einmal auf die identische Taktik zu sprechen – und damit ein anderes Teilgebiet der Lehre von den Vorgängen der unbelebten Natur: Magnetismus.

Aah, lieber Leser, du verstehst, gell? Denn im Gegensatz zum Menschen, wo man zwar einerseits sagt „Gegensätze ziehen sich an.“, der ja identisch ist mit dem Magnetismus, gibt es ja andererseits den Satz „Gleich und gleich gesellt sich gern.“

(Übrigens: Paare, auf die Letzteres zutrifft, haben eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, länger zusammenzubleiben, als die, die auf „anziehenden Gegensätzen“ beruhen, vielleicht weil die besagten Gegensätze sich weit weniger an- als vielmehr ausziehen.)

Dieser Satz (der vor dem Einschub) ist physikalisch gesehen Humbug. Aber er erklärt, warum der Ball so gut wie nie in Tornähe kam und es ein Spiel im Mittelfeld war. Beide Mannschaften waren einfach gleich gepolt. Und natürlich ändert kein Verantwortlicher seine Ladung, bloß damit das Publikum unterhalten wird.

Ihm geht es um Punkte. Jeden einzelnen. Und wenn es länger dauert, dann dauert es eben länger. Doch es geht nicht um Zeit, sondern um den Erkenntnisgewinn nach einem jeden einzelnen Spiel. Und erst recht geht es nicht um Schönheit oder gar Schnelligkeit. Im digitalen Leben mag das der Fall sein, im realen nicht. Hier steht die Erkenntnis über allem und die geht, auch wenn das viele Leute gerade aufgrund der zunehmenden Schnelligkeit von Prozessoren und Datenübertragungen und Verfügbarkeiten von Informationen nicht wahrhaben wollen, im Regelfall  immer noch mit Langsamkeit einher.

Deshalb ist es auch nur zu loben, dass unser Trainer dem Junktim insbesondere der Journalisten, aber auch der digital verseuchten Masse widersteht und sich mehr an John Franklin orientiert.

John Franklin ist eine literarische Figur und hat als solche auch etwas mit den Spielern in der Fußballsimulation zu tun: Da gibt es zwar durchaus biographische Elemente, aber so wie skizziert gibt es ihn nicht wirklich.

John Franklin ist die Hauptfigur in dem 1983 erschienen Roman von Sten Nadolny, dem dieser Beitrag seinen Titel verdankt. Er ist ein englischer Kapitän und Polarforscher, der von Kindesbeinen an immer wieder Schwierigkeiten eben wegen seiner Langsamkeit hat, aber schließlich gerade wegen seiner Beharrlichkeit ein großer Entdecker wird.

Punkt für Punkt, Schritt für Schritt und eben nicht Schlag auf Schlag.

Für sich selbst würde das jeder für sich auch in Anspruch nehmen wollen, aber gegenüber anderen wachsen die Ansprüche wie die Möglichkeiten bei der Simulation.

Werbetext:

Total Ball Control ermöglicht auf Grundlage schrittbasierter Bewegungen eine völlig neuartige Reaktionsschnelligkeit und Kontrolle in FIFA 15. Mit der verbesserten Spieler-Biomechanik können die Spieler nun bei ihren Reaktionen und ihren Bewegungen im Ballbesitz stärker die Balance bewahren und den Ball enger führen. Präzisere Schritte und Drehungen bei niedrigem Lauftempo sowie engere Ballführung bei hohem Lauftempo ermöglichen eine genauere Steuerung und eine genauere Beweglichkeit auf dem Spielfeld. Neue verzögerte und lange Schritte sorgen dafür, dass die Spieler Läufe, Sprints, explosive Antritte und Dribblings wie ihre echten Vorbilder zeigen können. Eine neue Ballphysik bezieht die Drehung des Balls und den genauen Kontakt mit dem Ball bei jeder Ballbewegung ein. Die präzise Ballbewegung und Kontrolle des Spielers ermöglichen in FIFA 15 bislang ungeahnten Realismus bei jedem Dribbling, jeder Ballberührung, jedem Pass und jedem Abpraller.

Das klingt virtuos. Das ist aber nur deshalb virtuos, weil es virtuell ist. Reell ist das, im wahrsten Sinne des Wortes: natürlich eher seltener der Fall. Doch die Suggestivkraft der Sätze ist enorm

 … dass die Spieler Läufe, Sprints, explosive Antritte und Dribblings wie ihre echten Vorbilder zeigen können.

In der Simulation natürlich immer, in echt natürlich nicht.

Die präzise Ballbewegung und Kontrolle des Spielers ermöglichen in FIFA 15 bislang ungeahnten Realismus bei jedem Dribbling, jeder Ballberührung, jedem Pass und jedem Abpraller.

Das schürt natürlich Erwartungshaltungen, die nicht erfüllt werden können – und entsprechend enttäuscht reagieren die Betrachter dann, wenn ein Spieler, weil es z. B. das dritte echte Spiel über echte 90 Minuten in sechs Tagen ist, nicht mehr in der Lage ist, „ bei jedem Dribbling, jeder Ballberührung, jedem Pass und jedem Abpraller“ „ eine präzise Ballbewegung“ durchzuführen.

Natürlich hat diese Simulation was mit Fußball gemeinsam: Es ist ein Spiel. Aber halt ein ganz anderes.

Und dieses war kein gutes von unserer Mannschaft. Aber eines, bei dem sie wieder keinen Gegentreffer kassiert, wieder einen Punkt gewonnen hat plus die Erkenntnis, dass wir es zum Glück letzte Saison nicht in die Europa League geschafft haben.

🙂

Aber so langsam … könnten wir das vielleicht ja auch mal angehen … 🙂

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