1. FC Nürnberg vs. 1899 Hoffenheim
Premiere vs. Premium
oder: Die Leichtsinnigkeit des Scheins
Auch wenn sie mal nicht aus den Brettern ist, die die Welt bedeuten, sondern aus Gräsern, die durch Wurzeln und Ausläufer, und Kunstfasern mit der Vegetationstragschicht verbunden sind, Bühne ist Bühne und Regel ist Regel – und die bekannteste lautet:
misslungene Generalprobe, gelungene Premiere.
Und auch ihre Umkehrung gilt, wie in der gestrigen Aufführung zu Nürnberg offenbar ward.
Die Proben liefen ja alle, und allen voran die Generalprobe, ganz hervorragend. Ebenso liefen die Spieler selbst und vor allem der Ball hervorragend. Doch dann, als sich der Vorhang zum 2. Akt des tragikomischen Lustspieldramas, das wir Bundesligasaison nennen, erhob, lief wenig zusammen. Wenig ward von dem gesehen, was spiels zuvor noch Aug’ und Gemüt erfreute.
Vor dem Spiel unkten die Fans der Gastgeber noch selbstironisch, dass das Kürzel ihres Brustsponsors „Noch kein Dreier“ bedeutet. Selbstbewusst konnte man dem um 15.29 Uhr noch entgegenhalten, dass auch unserem eine saisonbezügliche Bedeutung zukommt: „Spektakel als Prinzip.“ Und 17.20 h hätte man dabei auch noch bleiben können, dann aber in bitterer Selbstironie, was jedoch tendenziell unser Ding nicht ist.
Wir sind nach unserem Selbstverständnis Premium. Bei uns ist alles Premium. Die Unternehmen unserer Region, das Wetter, die Lebensqualität, unsere Landschaft, unser Essen, unsere Weine. Auch sind die Löhne in unserer Region überdurchschnittlich, wie auch die Produktivität. Und da der/die Einzelne für diese Produktivität verantwortlich ist, fühlt er/sie sich selbst Premium. Das aber wird einem nicht geschenkt, sondern das muss jede/r Tag für Tag in Büro, Fabrik, Werkstatt und Praxis beweisen. So zumindest das Gefühl und so ist auch die Erwartung an andere.
Für Selbstironie ist da wenig Platz. Premium dominiert und wird auch gerne demonstriert: die bewohnte Immobilie, ihre Einrichtung, das eigene Auto, die Bekleidung, die Urlaube, die vor allem Genuss-Nahrungsmittel, das eigene Hobby bzw. die für dessen Ausleben notwendigen Materialien, Werkzeuge, Sportgeräte etc., alles so premium wie möglich. Selbst die Bescheidenheit ist auf Premium-Niveau, denn angeben oder zur Schau stellen, darf man das alles nicht. Oder wie man hier eingedenk seiner nie zu ignorierenden ländlichen Herkunft derbe formuliert: Man darf nicht höher furzen, als einem der Arsch gewachsen ist. (Wer aber, um im Sprachbilde zu bleiben, keinerlei Winde abgibt, ist auch suspekt.)
Entsprechend wird auch erwartet, dass der eigene Verein Premium ist und premium spielt.
Ersteres ist der Fall: der Mäzen, das Vereinszentrum mit Schlösschen und perfekter Infrastruktur, zu der in Bälde noch ein Footbonaut zählen wird, das Stadion, auch die kurze Geschichte des Vereins, die ja immer noch eine Geschichte des Erfolgs ist (aus der Regionalliga direkt zur Herbstmeisterschaft) – das passt perfekt ins Premiumdenken.
Aber dann kam die Realität. Verletzungspech, Misserfolg, Missverständnisse, Fehleinkäufe, geplatzte Hoffnungen und Erwartungen und (da sind wir wieder …) Theater!
Auch dass man nun im sechsten Jahr am Stück Bundesliga spielt, interessiert nicht. Das ist nach dem Selbstverständnis der meisten Menschen hier in der Region Minimum, nicht Premium.
Der Fakt, dass dies, wenn man das horizontal vergleicht, also mit anderen Bundesligamannschaften, doch völlig normal ist, dass es da ja auch Vereine gibt, die in vielerlei Hinsicht weitaus schlimmere Schicksalsschläge zu erleiden hatten, interessiert nicht. Schließlich vergleicht man sich hier nicht mit allen und ist dann zufrieden, wenn man besser als der Durchschnitt ist, man vergleicht sich mit den Besten.
Erfolg ist alles. Und ein Heimsieg bisher ist zu wenig. Da kann man den nichtgegebenen Treffer Vollands im Hinspiel dieser Partie anführen, das Phantomtor und Ähnliches, es interessiert nicht. Dass man dann doch mehr Punkte auf dem Konto hätte, wird galant frei nach Steinbrück mit einem vierhebigen Jambus gekontert: „Hätte, hätte … Perlenkette“
Unterm Strich steht da ein (!) Heimsieg, irgendein Platz im dunklen Grau der Tabelle, der dem Keller näher ist als dem Platz an der Sonne, die hier ja so viel scheint wie sonst nirgends in der Bundesrepublik, und vor der Brust der 2. Akt, in dem wir ja bis auf letzte Saison immer schlechter gespielt haben.
Nun gab es diese schöne und erfolgreiche Vorbereitung. Nur Siege, nur ein Gegentreffer.
Schon bevor dies fix war, erwartete Dietmar Hopp in einem Interview auf RNF die beste Bundesliga-Rückrunde in der Geschichte der TSG – und er war gewiss nicht der einzige.
Auch Markus Gisdol schlussfolgerte vor dem Start in die Rückrunde, dass man sich in allen Mannschaftsteilen verbessert habe, die Verteidigung stabilisiert sei und so weiter. Man glaubte ihm. Man konnte es ja selbst sehen. Die Fakten, sprich: Ergebnisse sprachen ja für sich bzw. für die Richtigkeit seiner Aussage.
Lässt man diese Vorbereitung aber nun einmal außen vor, sieht es faktisch so aus:In den letzten beiden Spielen spielten wir beim Tabellenletzten sowie dem Tabellenvorletzten.
Wir verloren beide Spiele.
Wir schossen kein Tor.
Nun sind wir ja namenstechnisch zur Faktizität verpflichtet. Wir kommen dem gerne nach und die Emotionen dabei nicht zu kurz.
Höchstens 2 punkte vom relegationsplatz entfernt. Vorbereitung und platz 13. Vergiss es. Abstiegskampf ist Realität. alles andere ist Träumerei. Ich habe keine lust auf bonusspiele. Mehr rennen und mehr Zweikämpfe gewinnen ist das gebot der stunde. Halt gras fressen. HOFFE alle im Verein kapieren das und bitte keine ausreden mehr….
So lautete ein Fazit dieses Spiels. Nun verdeutlicht nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Orthografie, dass dies kurz nach Schlusspfiff verfasst wurde (allerdings auf einem Smartphone, was noch mehr in Sachen Orthografie erklärt) – und inzwischen ist unser CFO auch wieder in besserer Verfassung, wenngleich nur leicht – aber es verdeutlicht auch, wie es um die Fanseele an sich bestellt ist.
Diese Angst, wieder in den Abstiegsstrudel zu geraten, ist evident. Auch vor einem Jahr waren es die entscheidenden Spiele gegen die Um-uns-rum-Platzierten zu Anfang der Rückrunde, die verloren gingen, so dass wir recht bald auf verlorenem Posten standen.
Nun war es in dem Spiel ja nicht so, dass wir nicht wollten. Das Problem war viel eher: die anderen wollten auch – und sie wollten wirklich.
Schon nach 40 Sekunden gab es den ersten statistischen Torschuss für die Gastgeber. Der war nicht dramatisch, eher eine Rückgabe, aber seine Entstehung verwunderte schon etwas. Sicher wirkte die Abwehr da nicht. Aber sicher wird sie jetzt wach und im Spiel sein, dachte man so bei sich und bewies damit die Richtigkeit des alten Goethe-Wortes: „Es irrt der Mensch, solang’ er strebt!“
In der Folgezeit ging es recht ansehnlich hin und her. Auch wir entwickelten unsere Chancen, kamen aber im Grunde nie zum Abschluss. Auf der anderen Seite schossen die Gastgeber wesentlich öfter auf unseren Kasten, übertrafen ihn aber meist um mehrere Meter.
Nach rund einer Viertelstunde kam dann etwas mehr Struktur in unser Spiel. Wir begann das Spiel zu kontrollieren und spielten wunderbare Chancen heraus. Die beste hatte Johnson, dessen wunderschön geschlenzter Ball das Tor nur knapp verfehlte.
Im Grunde im Gegenzug das Gegentor. Die Gastgeber schossen mal wieder, Vestergaard wollte noch dem Ball aus dem Weg gehen, aber das Spielgerät traf das Knie des Spielers, wodurch es den Weg ins Tor fand.
Plötzlich merkten unsere Spieler, dass da was anders war. Das war zwar kein Champions League-Aspirant, wie der letzte Gegner, das aber war Bundesliga. Hier ging es um etwas – und das ließen uns die Gastgeber spüren.
Gerade unsere lange wie halt auch junge Innenverteidigung schien davon völlig überrascht zu sein. Sie spielten hüftsteif, lahm und weit unter ihren Möglichkeiten. Und auf links sah es nicht besser aus. Hier wurden Johnson, vor allem aber Elyounussi ein ums andere Mal nicht nur ausgespielt, sondern auch überlaufen.
Zum Glück hatten wir in der Phase noch ein Mittelfeld, einen ackernden Polanski sowie einen gut aufgelegten Hamad, der allerdings viel zu selten angespielt wurde. Rudy war da noch ordentlich und über Firmino lief alles.
Das machte er in der 1. Halbzeit auch so schlecht nicht – bis auf den letzten Pass. Da konnte Schipplock sich mühen und freilaufen, wie er wollte, er sollte nicht an den Ball kommen.
Nun ist ein Eintorerückstand zur Halbzeit kein Drama gegen den Tabellenvorletzten, der bisher kein Spiel gewann, aber dabei blieb es leider nicht. Kurz vorm Pfiff zur Halbzeit pfiff der O-Bein-Knut Freistoß für die Gastgeber. Dieser wurde eher ungefährlich hoch mittig in den Strafraum gespielt, wo Süle sicher an den Ball kam, ihn aber einem Frankenstürmer vorlegte, der dann nachlegte.
Als dann kurz nach Wiederanpfiff nach einer Chance für uns das 0:3 fiel, war es eigentlich gelaufen. Natürlich erinnerte man sich daran, dass der Gegner in der Hinrunde einen solchen Vorsprung noch aus der Hand gab, aber bei den Jungs war Feierabend.
Zwar setze Gisdol mit der Einwechslung Vollands und Modestes noch einmal voll auf Angriff, aber das war wohl mehr Symbolik und Verzweiflung. Wenn schon ein Stürmer keinen Ball bekommt, warum sollte das bei dreien dann besser werden?
Und spätestens als das abwehrtechnisch hanebüchene 4:0 fiel, hatte auch Gisdol mit dem Spiel abgeschlossen. Er, der ja sonst gerne und viel von der Seite coacht, schaute sich das Treiben/Elend nur noch regungslos von der Bank an, was bei den Temperaturen auch gewiss nicht einfach war. Oder, wesentlich wahrscheinlicher, er hat innerlich gekocht, so dass er von der scheiß Kälte in dem heutzutage ungewohnt weiten Rund nichts mitbekam.
Auch das Abseitstor sowie die Riesenchance für Firmino, wo ein Abwehspieler für den bereits geschlagenen Torwart den Ball vor der Linie klärte, ließen (nicht nur) ihn kalt.
Sehen wir also das dieses Spiel als Generalprobe für die Rückrundenheimpremiere an und freuen wir als auf das 1. Heimspiel der Rückrunde. Zum Glück, muss man sagen, lief ja alles so falsch, dass jeder Spieler nun einfach wissen muss, dass es um etwas geht, was auf dem Spiel und wo man selbst in der Tabelle steht. Und da es dort unten nun sehr, sehr eng zugeht, kann es auch sehr, sehr schnell nach ganz unten gehen.
Nach oben ist schon schwieriger. Da hat sich inzwischen eine kleine Lücke aufgetan oberhalb derer eine Mannschaft steht, die heute vor einem Jahr noch hinter uns stand. Was hat sie, was wir nicht haben? Qualität? Nein. Alle sagen, dass wir, dass die Mannschaft da, wo sie steht, zu Unrecht steht. Dass sie von ihren Anlagen und Fähigkeiten weiter oben stehen müsste, weil sie die Klasse und die Qualität hat. Das stimmt bestimmt. Aber was fehlt? Hat sie neben der Klasse und der Qualität auch eine klasse Mentalität? Dies braucht’s. Dies gilt’s zu beweisen. Ab jetzt. Von Spiel zu Spiel. In jedem Spiel – und nicht nur gegen Premium-Gegner, gegen die es ja diese Saison ganz bis sehr gut geklappt hat.
Es muss stets beides zusammenkommen: Siegerqualität mit Siegermentalität, dann ist alles gut. Dann, aber auch nur dann kommen auch mehr Menschen. Zu den Spielen. Zum Verein, denn dann, aber auch nur dann, ist er nämlich wie sie: Premium.
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