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Akademikerfanclub 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e. V.

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Schalke 04 vs. 1899 Hoffenheim

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Der Verlust der -tive

oder: Manchmal fehlen einem die Eigenschaftsworte

Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering. Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.

Mit diesen Worten beginnt Robert Musils Übertausendseiter „Der Mann ohne Eigenschaften“. Überschrieben ist das Ganze mit den Worten, die auch so wunderbar zu unserem Spiel passen:

Woraus bemerkenswerterweise nichts hervorgeht

Überhaupt passiert in seinem als Meisterwerk postulierten Buch vielsagend nichts. Vollblut-Literaten sehen darin feine Ironie, Otto Normalleser legt das Buch nach spätestens 30 Seiten weg – und wer kann es ihnen verübeln?

Die Ansprüche an Literatur haben sich geändert. Ebenso wie die Anforderungen an Fußball. Ironie ist beim einen wie beim anderen wesentlich brachialer.

„Ohne Wiese habt ihr keine Chance!“ skandierten die Fans der Heimmannschaft gegen Ende der 90 Minuten eingedenk des besten Spiels unseres inzwischen Tribünentorwarts. Seine Paraden waren es, die mit für den Sieg im Heimspiel sorgten. Seine Eskapaden waren es, die mit für die Situation sorgten, in der wir uns jetzt wiederfinden – und der (Spiel-)Tag passte perfekt dazu.

Das Spiel fand fast einhundert Jahre später statt. Ein grauer Märztag des Jahres 2013. Ostersamstag. Ein Tag, der an Symbolik kaum zu übertreffen war, entsprach er doch exakt der Tabellensituation: irgendwo zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung.

Der Tag ging vorüber, das Spiel verloren, doch die Mannschaft ist mit Glück keinen Schritt weiter, denn an der Gesamtsituation hat sich in Sachen Tabelle trotz der 0:3-Niederlage nichts geändert. Es besteht also immer noch die Chance, sich auf den Relegationsplatz zu retten, auch wenn diese von Spieltag zu Spieltag geringer wird.

Und es gibt auch eine Eigenschaft, die Grund zur Hoffnung gibt: Einsatzbereitschaft. Denn eines muss man den neuen sportlich Verantwortlichen lassen: Sie haben dafür gesorgt, dass die Mannschaft defensiv besser agiert.

Natürlich klingt das Ergebnis deutlich, aber wenn man sich die Entstehungsgeschichte anschaut, hätte es auch zu einem Punkt reichen können. Doch dann liefen wir in der beginnenden Schlussphase des Spiels in einen Konter, der zur Führung der Heimmannschaft führte, und danach nur noch umher, was zu zwei weiteren Gegentreffern führte.

Hätte nicht sein müssen, denn bis zu dem ersten Treffer hatten die Hausherren genauso wenige Chancen wie wir – und von den wenigen hatten wir noch die besseren.

Wäre Joselu in der ersten Halbzeit nicht an seinen Nerven und gegnerischem Torwart gescheitert, hätte er gesehen, dass er nur auf seiner Seite allein war, aber nicht auf weiter Flur, ein Pass zum Mitspieler in der Mitte hätte wahrscheinlich nicht nur die Führung, sondern auch mehr Sicherheit in das Spiel der Mannschaft gebracht.

So aber blieb es bis eben zur ca. 70. Minute dabei, dass wir defensiv gut agierten, offensiv hingegen gar nicht.

„Hinten die 0 und vorne hilft der liebe Gott!“ – gerade an Ostern eine nachvollziehbare Taktik, zumal bei einem Gegner, dem diese Spielweise ja sogar mal den Gewinn des UEFA-Pokals einbrachte. Und bekanntlich spielten in der Mannschaft, die in Mailand das entscheidende Elfmeterschießen gewann, die aktuell sportlich Verantwortlichen unserer TSG.

Doch das, was damals weise war, ist heute sch … ade. Ade, du Spielwitz, du Kombinationsspiel, du Lust am Lauf, du Druck nach vorn. Das 2013er-Spiel von 1899 lässt jene –tive vermissen, die unser Spiel 2006 ff. auszeichnete.

Es ist nicht mehr attraktiv.
Es ist nicht mehr konstruktiv.
Es ist nicht mehr kollektiv.
Es ist nicht mehr produktiv.
Es ist nicht mehr effektiv.
Es ist nicht mehr perspektiv.
Es ist nicht mehr lukrativ.

Ohne diese Eigenschaften gibt es keine Meisterschaften. Und ohne Aufbauspiel auch kein Aufbäumen. Und so offensichtlich die Fortschritt in der Defensive sind, so offensichtlich sind die Rückschritte in der Offensive.

Pässe werden ungenau, schwach und schlampig gespielt. Passwege scheinen unbekannt, was es aber zu geben scheint, sind Passüberführungen, also hohe Bälle aus der Abwehr nach vorn, wo man auf Volland hofft – oder eben den lieben Gott. Dabei müsste es sich auch in unsere Provinz herumgesprochen haben, dass Pässe in einen Tunnel für weitaus mehr Torgefahr sorgen.

Kurz’ Vorgänger hatte die längste Vorbereitung aller Bundesliga-Mannschaften angeordnet und durchgezogen, aber halt auch seinen Stiefel und es so nicht geschafft, eine Mannschaft zu formen. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass er sich mit Spielern eindeckte, die ihm große Bewunderung für sein Gespür hätten einbringen können, aber letztlich führten diese Neuen und deren bekannten Vertragsinhalte zu einem üblen Riss auch zwischen Mannschaft und Fans.

Und auch die neue sportliche Leitung setzte im Winter mehr auf Nachschub denn auf Nachwuchs. Aber bis auf den Torwart und Abraham hat sich keiner in der Startelf etablieren können, manche kommen nicht einmal in der U23 zum Einsatz. Warum dann nicht Spieler der U23 integrieren? Schlechter als U aller Sau könnten diese auch nicht agieren.

Auch wenn der Spruch „Mit der Offensive gewinnt man Spiele, mit der Defensive Meisterschaften.“ gewiss seine Berechtigung hat, sollten sich Kurz, Müller & Co daran nicht orientieren. Schließlich geht es nur noch um wenige Spiele – und darum, dort nach Möglichkeit voll zu punkten.

Dazu braucht es aber einen strukturierten Spielaufbau. Wir haben aktuell ein Mittelfeld, dem jedes Mittel fehlt, die Stürmer in Szene zu setzen. Dazu müsste z. B. Firmino den Ball a) früher, b) präziser und c) schärfer zum Mitspieler abspielen.

Und Stürmer? Volland wird inzwischen gut gedeckt und bringt entsprechend wenig und dennoch mehr als jeder andere, der außer ihm als Offensivkraft auf dem Platz steht.

In der 2. Halbzeit gaben wir keinen einzigen Schuss aufs Tor ab.
Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen den Schuss gehört haben.

Denn im Gegensatz zu Ostern ist es im Fußball alles andere als sicher, dass nach der Kreuzigung die Wiederauferstehung folgt.

Diese gelang, wenn man die literarische Vorlage heranzieht, durch eine Kraft, wobei unklar ist, ob sie von innen kam (das wäre der Gekreuzigte selbst gewesen), von außen (sein Babba?) oder von beiden zusammen, die den größten Brocken aus dem Weg räumten und damit den Weg nach oben freimachten.

Viele halten die Ostergeschichte jedoch schlicht für ein Wunder – und nicht wenige halten dies in unserer Situation für realistischer, daran zu glauben, um exakt 100 Jahre nach Musils Vorlage wieder in der 1. Liga zu spielen – und zwar mit den Eigenschaften, die wieder mehr –tive besitzen.

Und wem Glauben allein zur Zeit nicht reicht, wunderbar. Denn genau jetzt gibt es noch etwas ganz anderes, was Kraft gibt und Mut macht und die Mannschaft braucht:

Eier.

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