1899 Hoffenheim vs. RB Leipzig
Der Fluch nach vorn
Mit klassischen Motiven in die Avantgarde?
Es gibt Chancen, die muss man einfach nutzen – auch wenn die Gefahr droht, sich damit ins Abseits zu stellen. Aber als wir sahen, dass wirklich niemand es machen wollte, obwohl so offensichtlich, nehmen wir uns halt dem Thema an, zumal auch beim großen Original nach vier Aufführungen erstmal Schluss war mit dem Werk.*
Die Sage ist alt, aber wirklich zur Legende wurden weder Vanderdecken, Tyn van Straten, van Diemen, van Evert oder van Halen (nein: NICHT die Band), sondern erst Bernard Fokke.
Das verdankte er seiner unglaublichen Geschwindigkeit, die ihm letztlich den Ruf einbrachte, als er plötzlich nicht mehr gesehen ward, mit dem Teufel im Bunde zu sein.
Sein Untergang war aber nie dokumentiert. Er wurde einfach angenommen. Zudem war er auch Sinnbild des Niedergangs seines i. w. S. Arbeitgebers. Mit ihm verlor er Macht, Einfluss und war verdammt, auf immer und ewig irgendwo im Nichts herumzudümpeln. Auf ihm lastete ein Fluch, der ihn dazu verdammte, dass er, egal, was er tut, nie im Leben mehr Land sehen würde.
Eigentlich gab es auch keine Chance auf Erlösung. Die tauchte aber plötzlich auf und erweiterte dann doch eher die Qualen. Alle sieben Jahre (oder zehn oder hundert, je nach Überlieferung) durfte er kurz innehalten und die große Liebe finden. Doch sollte die ihm nicht beschieden sein, so muss er weiter umherirren, allen Gegenwinden und Stürmen trotzen, ohne Kontakt, ohne Hilfe von anderen.
Denen erschien er zwar bisweilen am Horizont, aber sie mieden ihn, denn der Kontakt zu ihm verhieß Unheil und Unglück für die eigene Mannschaft.
Am Ende klappte es aber dann doch. Es fand sich wer, der sich für ihn aufopferte. Das war seine Erlösung.
Woran er nun wirklich scheiterte, welcher Fluch wirklich auf ihm lastete, weiß niemand so genau, aber gemutmaßt wird, dass er an seinem Ehrgeiz, einer erschöpften Mannschaft scheiterte, mit der es ihm nicht möglich war, seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen.
Bernard Fokke war
„Der fliegende Holländer“.
Alfred Schreuder ist nun der „geflogene“, denn im Grunde scheiterte auch er am „Cup der Guten Hoffnung“ (har, har), den er wohl umschiffen wollte. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war es sogar doch seine Ambition, sich für die Europa League zu qualifizieren.
Dabei konnte er wie das Original lange Zeit gegen so manchen Sturm kreuzen, bei Flaute Fahrt aufnehmen (man denke nur an den „Goldenen Oktober“ der Saison), aber vor allem konnte er rückwärts segeln. Auf den Weltmeeren ist das eine Kunst, im Haifischbecken Bundesliga erleidet man damit Schiffbruch. Und so kam es dann ja auch zu Anfang der Woche.
Die Strömungen vor Ort sind saugefährlich. Fast das ganze Jahr über herrschen äußerst widrige atmosphärische Umstände. (Die Rede ist hier natürlich nicht von der TSG, sondern dem KGH (Kap der Guten Hoffnung) an der Südspitze Afrikas.) Wer daran vorbei wollte, brauchte Geschick oder Mut oder war einfach nur wahnsinnig.
Vasco da Gama war so einer.
Er segelte 1497 am Kap der Guten Hoffnung vorbei – und das mehr oder weniger allein. Zumindest wird von einer Meuterei berichtet (die aber nie bewiesen wurde), weil seine Mannschaft sich weigerte, den Weg zu nehmen. Daraufhin habe sich da Gama die Navigationsmittel der Seeleute ausliefern lassen und über Bord geworfen. Den Steuermann und den Schiffsmeister ließ er am Leben, aber in Ketten legen. Er brauche sie nicht, soll er der im wahrsten Sinne des Wortes sagenhaften Erzählung nach gesagt haben, denn Gott sei von nun an der Steuermann. Dem vertraute er – und wurde belohnt. Er war es, der so seinen Landsleuten, den Portugiesen, den Seeweg nach Indien eröffnete.
Bernard Fokke war ein niederländischer Ostindienfahrer des 17. Jahrhunderts. Er nahm auch diese Route und segelte dabei schneller als alle anderen von den Niederlanden nach Java und zurück. Naja, bis auf einmal … und schon wurde er zur Legende.
1806 wurde das Kap, bis dahin im Besitz der niederländischen Krone, britisch. (1869 darauf war es eh vorbei mit dieser gefährlichen Passage, denn der Suezkanal wurde eröffnet.) Aber genau zu der Zeit, als die Niederländer ihre Kapkolonie verloren, tauchte die Legende vom Fliegenden Holländer auf, dem Geisterschiff.
Jenen, die seinem Treiben gewahr wurden, musste diese Erscheinung unglaublich erschienen sein. Alles sah ja von außen betrachtet ganz normal aus, alles trieb und dümpelte so vor sich hin und her, und richtete sich einfach in die Richtung aus, wie der Wind gerade wehte, aber es war halt kein Leben mehr vorhanden. Und schon landen wir bei den Geisterspielen.
Das gestrige Spiel hätte wahrlich Zuschauer verdient gehabt, aber auch von außen betrachtet, hatte es einen ganz besonderen Reiz, denn da war endlich mal Leben in unserer Mannschaft.
Sollte das Team zuvor arbeitsrechtlich korrekt gemeutert haben (aka: Dienst nach Vorschrift, sprich: Taktik)? Wie anders ist es zu erklären, dass sie auf einmal liefen – als Haufen (und sich nicht gegenseitig über selbigen)? Dass die Laufwege stimmten und immer wieder der Weg zur Takelage, sprich: dem Netz gesucht wurde?
Es war ein faszinierender Auftakt unserer Mannschaft, die schon kurz nach Anpfiff durch Baumgartner hätte in Führung gehen können. Leider bekam er den Ball nicht im Tor unter, ihn dafür kurze Zeit später blöd an die Hand, sodass der korrekt gepfiffene Elfmeter trotz etwas unglücklicher Formulierung im Regelwerk korrekterweise zurückgenommen wurde – im Gegensatz zu der Roten Karte aus dem Vorspiel, die Hübner wegen Unsportlichkeit des Gegners erhielt.
Noch blöder war, dass die Jungs im Kölner Unterdeck so lange brauchten, um festzustellen, dass eben nicht alles im Lot war.
Aber am blödesten war natürlich, dass die Gäste im Gegenzug ihr erstes, und am allerblödesten, dass sie zwei Minuten drauf mit ihrem zweiten Angriff ihr zweites Tor erzielten. (Beides Treffer, die wohl mit Hübner nicht passiert wären, da sie genau an seiner Position fielen.)
So lagen wir nun zurück, aber das warf uns der Rückstand nicht. Im Gegenteil: Wir warfen weiter alles nach vorn, was wir so hatten – und das war überraschend viel – und auch weiter gute Chancen, aber halt kein Glück.
So ist das halt mit Flüchen. So einfach wird man sie nicht los. In Wagners Werk, laut Originalbezeichnung: eine „Romantische Oper in drei Aufzügen“) gelingt dies letztlich und der Anfang hierfür liegt im unfreiwilligen Teamwork.
Im ersten Aufzug gerät das Schiff des norwegischen Seefahrers Daland („Norwegen? Hat da nicht früher Rosen gearbeitet? Just sayin‘ …“ (Anm. d. Red.)) in einen schweren Sturm und geht unweit des Heimathafens in einer geschützten Bucht vor Anker. Während die Mannschaft ruht, taucht dort wie aus dem Nichts das Geisterschiff auf. Es war wieder an der Zeit, an Land zu gehen, denn wieder waren sieben Jahre vergangen. Er erfuhr, dass Daland eine Tochter hatte und hielt sofort um ihre Hand an. Natürlich wollte Daland zuerst nicht, dann sah er die reichen Schätze, die der Holländer auf seiner Fahrt gesammelt hat, und stimmt zu. Nachdem der Sturm nachgelassen hat, segeln die beiden Schiffe in Richtung Dalands Heimat.
Das jetzt als die große Metapher für die Trainersuche zu nehmen, wäre klassisch überinterpretiert, zumal wir ja auch nicht glauben, dass wir in fremden Gestaden fündig würden. Es gab ja auch keinen Sturm und es gibt auch keine geschützte Bucht, in der die TSG plötzlich aus dem Nichts auftaucht. Fast die komplette Saison über standen wir in der oberen Tabellenhälfte. Da hat uns der Mann, der bisher das Ruder in der Hand hatte, seelenruhig hinmanövriert. Dabei setzte er halt recht wenig auf die eigenen Kräfte, sondern nutzte immer wieder günstige Strömungen aus statt sich auf Wellen zu begeben, wie andere Mannschaften es taten, die dann aber immer wieder in Strudel gerieten, die sie zurückwarfen.
Das hatte zur Folge, dass wir immer auf Kurs blieben, was gut war, aber gerade jetzt, bei atmosphärischer Flaute, auch nicht wirklich vorankamen. Dabei wäre das gerade jetzt wichtig, wo am Horizont bereits und immer noch Europa erkennbar ist
Gewiss wollte Schreuder nicht, dass unsere Mannschaft Kiel holt, aber so richtig Segel setzen ließ er auch nicht. Oder er hätte das einsetzen müssen, was auch in der Orchesterbesetzung zum Einsatz kommt – und was man heute sonst fast nur noch bei den osteuropäischen Darbietungen beim Grand Prix de la Chanson d’Eurovision kennt: eine Windmaschine.
All das tat er nicht. Er tat nichts – und das Auf und Ab plötzlich auftretender Dynamiken (ja gerade am Kap der Guten Hoffnung ein großes Thema) schlug so große Wellen, dass es für ihn kein Halten mehr gab.
Die TSG hat auch gar keine Notwendigkeit, sich extern wen suchen, der sie durch Liebe erlöst – und schon gar nicht wen, der der Liaison nur des Geldes wegen zustimmt.
Wer gestern das Trainer-Teamwork sah, sah was da möglich ist. Warum sollte es nebst dem Torwart-Trainer nicht auch einen schwerpunktmäßigen Defensiv- und einen schwerpunktmäßigen Offensivcoach geben – plus eben einem Head-Coach, die sich je nach Spielsituation der Linie abwechseln? Ja, das wäre neu. Ja, das hat noch keiner gemacht. Ja – und genau das ist Hoffenheim.
Im 2. Aufzug kommt Dalands Tochter Senta ins Spiel. Sie wird von einem anderen umworben, aber sie ist so gerührt von der Geschichte des Verfluchten, dass sie sich berufen fühlt, ihren Verehrer abzuweisen und den „armen Mann“ zu erlösen. Währenddessen freuen sich alle anderen Mädchen auf die Rückkehr ihrer Liebsten:
Als Daland seiner Tochter den Verzweifelten vorstellt, weiß sie, dass sie ihn erlösen darf und kann. So entsteht zwischen Senta und ihm ein inniges Einverständnis, und die Verbindung wird vorbereitet.
Da könnte man doch schon mehr Parallelen ziehen zwischen der TSG und ihrer (angeblich externen) Trainersuche.
Wer sah, wie gut das zwischen Spieler- und Trainerteam funktion- und harmonierte, kann das nicht wollen. Zudem haben wir gute Erfahrungen mit Trainern aus dem eigenen Stall gemacht – zumindest zuletzt. 🙂
Die Mannschaft lief bis zum Schluss so gut sie konnte – aber nach der ca. 70. Minute konnte sie nicht mehr. Ein Kramaric, Skov, Bebou konnten nicht die erhofften Entlastungen bringen, aber trotzdem gibt die Spielweise Rückenwind.
Der dritte Aufzug beginnt mit dem bekanntesten Singstück Wagners. Die Seeleute des Daland legen dem Steuermann nahe, von der Wacht (abzu)lassen, und mit ihnen zu feiern.
Auch die Besatzung des Geisterschiffs gibt nur gespenstische Laute von sich. Senta wird von ihrem Verehrer zur Rückkehr bedrängt, doch sie verweigert sich ihm und stürzt sich aus Liebe zum Kapitän des Geisterschiffs vom Felsen ins Meer.
Ihre letzten Worte klingen sehr nach Ultra:
Hier steh ich, treu dir bis zum Tod!
Augenblicklich versinkt es in den Fluten.
Alle sind erlöst und steigen aus dem Meer zum Himmel auf.
Aber so weit wollen wir jetzt nicht gehen. Wir wollen es ja nicht übertreiben:
Europa reicht. 🙂
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* Das Werk wurde am 2. Januar 1843 mit mäßigem Erfolg am Königlichen Hoftheater Dresden uraufgeführt und nach nur vier Aufführungen wieder vom Spielplan genommen. Dann wurde ein bisschen umgestellt und voilà … ist sie heute die am 14. häufigsten aufgeführte Oper der Welt.
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Volle Zustimmung – und:
„Hoffe mer mol“, dass – anders als vor etwas mehr als acht Jahren – die TSG dieses Mal nicht der Versuchung erliegt wieder einen „GröTraZ“ zu verpflichten, der in der Lage ist das Schiff auf Grund zu setzen…
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