1899 Hoffenheim vs. Hertha BSC (Abgesagt!)
Das Spiel ist aus!
Die Gralshüter als Totengräber
Uns gibt es jetzt fast seit 13 Jahren. Seit dieser Zeit verfassen wir zu jedem Bundesligaspiel einen Bericht, der sogar partiell mit Fußball zu tun hat. Was sich aber heute auf dem Rasen der Heimstatt der TSG abgespielt hat, hat mit Fußball nichts zu tun.
Deshalb möchten wir auch bei dir, geneigte/r Leser/in um Nachsicht bitten, dass wir uns diesmal auch mal wiederholen. Ja, bereits beim letzten Spiel griffen wir mit dem Eingangsmonolog Fausts aus Goethes gleichnamiger Tragödie Ersten Teils auf etwas zurück, was wir zuvor schon mal als Aufhänger genutzt hatten, aber nicht 1:1. Aber diesmal ging es nicht anders. Wir mussten einfach das Video voranstellen, das wir bereits hier schon einmal verwandt haben, denn das, was uns heute geboten wurde, war nichts, gar nichts.
John Cage war ein überaus fleißiger Komponist, auch wenn man ihn nicht mit den klassischen Komponisten wie Bach, Beethoven oder Mozart vergleichen darf. Letztere verfassten 1128, 722 sowie über 600 Werke, seine die Anzahl seiner Werke ist auch nicht gerade wenig unbeeindruckend. Über 250 Werke hat er verfasst. Damit liegt er zwar auch weit hinter uns (Du liest gerade Spielbericht #425+), aber doch noch weit vor dem vielleicht bekanntesten Komponisten der Neuzeit Hans Zimmer, der es bislang auf 153 brachte. (Sollte dir, geneigte/r Leser/in, sein Name nichts sagen: zahlreiche Kompositionen Zimmers kennst du. Dazu zählen die Filmmusiken aus „Fluch der Karibik“, „Inception“, „Rain Man“, „Gladiator“ , „Der König der Löwen“, „Kung Fu Panda“, „Illuminati“ und viele, viele mehr.)
Doch im Gegensatz zu Zimmer (wie auch Bach oder Mozart) war Cage kein Auftragskünstler. Allerdings schuf er – wie Bach mit seinen Fugen – mit seinen musik- und kompositionstheoretischen Arbeiten von grundsätzlicher Bedeutung. Wichtig waren vor allem seine Einflüsse auf die sogenannte Fluxusbewegung. Dabei kam es nicht mehr auf das Kunstwerk an, sondern auf die schöpferische Idee.
Wir wissen natürlich nicht, ob Schreuder irgendeinen Bezug zu Cage hat, wir würden sogar noch weitergehen, obwohl wir auch das nicht wissen: Er kennt ihn nicht einmal und würde bei dem Namen ehesten noch an Nicolas Cage, den Schauspieler, denken, aber wenn man sich das Selbstverständnis dieser Fluxusbewegung anschaut und das, was einem heute dargeboten wurde, dann muss man sagen: Das ähnelt sich doch alles sehr.
Schon in der Vergangenheit war ja viel von „mutiger Spielweise“ von Schreuder zu hören, aber leider wenig davon auf dem Platz zu sehen. Wir hatten ja bereits vor Wochen die Vermutung, dass dabei ein Verständigungsproblem die Ursache sein könnte. Doch wer hätte ahnen können, dass Mut derart konzeptionell gemeint ist.
Wobei, das müssen wir fairerweise einräumen, gab es bereits in der Woche zuvor klare Anzeichen und –sagen – und das nicht mal nur von Schreuder, sondern der gesamten TSG.
Für völlig Ahnungslose – zu der Randgruppe zählen wir uns dann doch nicht – jedenfalls für völlig Ahnungslose hätte es wie die maximale Ausweitung einer Kollektivstrafe wirken können, für güllegegerbte Schandmäuler – dazu zählen wir uns (ohne Scheiß!) auch nicht – kam es womöglich wie das radikalste Mittel vor, das definitiv vorhandene Heimspieltrauma des Vereins zu bekämpfen, jedenfalls verkündete der Verein ganz ohne Druck von oben, keine Zuschauer zu diesem Pflichtspiel zuzulassen.
OK, wir fanden das gut. Virus und so. Infektionskette unterbrechen. Neudeutsch: Disruption. Aber die „Fanseele“, also jene Repräsentanten, die meinten, sie seien Herz und Seele des Spiels, waren ja Mittwoch beim sogenannten Geisterderby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln bereit, für die nächsten Wochen Kopf und Kragen, also das Leben zu riskieren – wegen eines Fußballspiels. Also nicht ihr Leben primär, sondern das ihrer unmittelbaren Mitmenschen.
Es war genau jene Ultragruppe vom Niederrhein, die bei Ihrem Heimspiel zuvor gegen unsere TSG die Eskalationslawine ins Rollen gebracht haben, die diesmal dazu aufrief, sich vor „ihrer“ Nordkurve zu versammeln und sich nicht dem Diktat der Vernunft zu unterwerfen. Spätestens damit haben sich die selbsternannten Gralshüter des Fußballs eher als (dessen) Totengräber erwiesen.
Ihr Verhalten gegen Dietmar Hopp hat die Heimstatt der „50 Hornochsen“ danach so begründet:
„Die Nordkurve Mönchengladbach ist eben kein ausschließlich auf Familienfreundlichkeit ausgelegter Fanclub Nationalmannschaft, sondern ein Ort, an dem man Fankultur noch frei entfalten können sollte.“ (Quelle)
Dazu zählen wohl auch nach deren (Selbst-)Verständnis Viren.
Wir betonen an dieser Stelle ausdrücklich, dass es kein Verbot gibt und jeder Fan nach wie vor zum Stadion kommen kann. Wir sind uns der Situation bewusst, werden aber unserer Mannschaft einen würdigen Derbyempfang bereiten und sie zum Beginn des Spiels pushen, wie es sich für das Derby gehört. (Quelle)
Das ist eine hübsche Volte: Sie suggerieren ja damit, dass, hätte es ein Verbot gegeben, sie sich daran gehalten hätten. Nun sind beleidigende Banner sowie Pyro auch verboten, was die Frage aufwirft ….
… genau, geneigte/r Leser/in, was das mit der Begegnung unserer TSG gegen Hertha zu tun hat?
Oder mit John Cage.
Nun, mehr als du denkst:
„Die Fluxusbewegung war nach dem Dadaismus der zweite elementare Angriff auf das Kunstwerk im herkömmlichen Sinn, das negiert wurde, weil es als bürgerlicher Fetisch galt.“ (Quelle)
Und das, was diese „Unterkultivierten Ultras“ da taten, was übrigens bitte nicht als Beleidigung zu verstehen, sondern nur eine freie Übersetzung ihres Namens ist, war bereits in kürzester Zeit der zweite Angriff auf das, was für sie wohl (!) ein bürgerlicher Fetisch ist: ein schönes Fußballspiel, an dem sich die ganze Familie im gesamten Stadion gefahrlos erfreuen kann.
Vielleicht ist das das Beste, was man über diesen Samstagnachmittag in der PreZero-Arena sagen kann: Er verlief absolut friedlich.
Natürlich für manche zu friedlich. Man hätte schon gerne etwas mehr gesehen als das, was da geboten wurde: ein absolut körperloses Geschehen. Dabei waren wir ja schon wieder genervt, dass um 15:30 Uhr weder Kaderabek noch Ribeiro auf dem Platz standen. Andererseits auch kein Rudy und kein Posch, so dass zumindest so gesehen Hoffnung auf mehr Dynamik bestand.
Aber auch diese Hoffnung wurde jäh enttäuscht. Was da geschah, hatte mit Fußball aber mal so gar nichts zu tun, aber viel mit John Cages Werk, dessen Partitur auch dem ähnelt, was man sonst so als Grundformation im Fußball versteht. Auch sie hat drei Teile. Und alle drei Teile haben eine klare Vorgabe. Bei Cage (bzw. in der Musik) heißt das Tacet, im Fußball nennt man das Taktik. Das Problem ist bloß, dass an diesem Nachmittag nix von Taktik zu sehen war, aber viel Tacet – und die in Perfektion, schließlich bedeutet es, dass der Spieler in dem so gekennzeichneten Abschnitt nichts macht. Und wenn es überhaupt etwas gab, was man an diesem Nachmiitag im Stadion erleben konnte, dann war es das Pausieren der Akteure.
Von Anfang an boten sich große Räume, doch sie wurden einfach nicht genutzt. Es gab keinen Ball in die Spitzen, keinen Eckball, nichts. Vor Wochen gab es immerhin noch einen Sturm, am heutigen Nachmittag nicht mal ein laues Lüftchen. Und wenn man keinen Ball, keinen Spieler in den Strafraum bringt, dann bringt es ja nur in den seltensten Fällen etwas, auf ein Tor zu hoffen. Ja, wir haben mit Skov und Kramaric durchaus Spieler in unserem Kader, die auch mal aus der Ferne draufhauen können, aber auch davon war heute einfach nichts zu sehen.
Wobei man bei aller angebrachten Kritik das Positive nicht vergessen darf: Von den Herthanern war ebenfalls nichts zu sehen. Es gab keinen einzigen Schuss aufs Tor der TSG – und damit ist es eine Verbesserung zur bisher schrecklichsten Niederlage gegen Hertha BSC, wo ja auch keine Mannschaft aufs gegnerische Tor schoss, wir die Partie damals aber „dank“ eines Eigentores von Polanski mit 0:1 verloren.
Außerdem werden wir auch am Ende dieses Wochenendes in Schlagdistanz zu einem UEFA-Wettbewerb sein. Die Plätze 1-5 sind zwar weiterhin in weiter Ferne, aber das kann sich ja in einigen Wochen wieder ändern. Das ist ja das Schöne im Fußball – und das gilt aktuell mehr denn je – und diesmal sogar für die ganze Saison: Keiner weiß, wie es ausgeht
Doch.
Wir.
Wir wissen es.
Es gibt vier Möglichkeiten.
- Es geht entweder zu Ende.
- Oder es geht gut.
- Oder es geht beides, denn wie es ein Hochkultivierter mal sagte (sei es nun Oscar Wilde, John Lennon oder sonst wer gewesen):„Am Ende wird alles gut.
Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“ - Auf jeden Fall geht es weiter …
… und dann ist mit Sicherheit auch bei uns wieder mehr Musik drin!!! 🙂
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Geneigte/r Leser/in, wenn du dich schon mit was anstecken lässt oder angesteckt wirst:
Lass es Zuversicht sein!
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…dazu fällt mir dieses Mal nur ein (musikalisches) Bild ein: „Crisis? What Crisis?“ (Albumcover von Supertramp 1975)
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