1899 Hoffenheim vs. Hertha BSC
60 Minuten Tabellenführer
Alles eine Frage der Perspektive – und des Rhythmus
Die Ursprung für Frustrationen sind Erwartungen. Ganz gleich, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, ist man enttäuscht. Die Frage ist halt nur: Wie sehr sie nicht erfüllt werden.
Die Erwartungen an Fußballer im Allgemeinen und hier im Besonderen an die Nagelsmänner ist besonders hoch. Wie das für die Region üblich ist, erwartet man nicht nur das Beste, man fordert es auch ein. So ist ein Sieg gegen die Bayern das „Maß aller Dinge“. Kürzt man das aber ab, weiß man, was es wirklich ist: „mad“ – engl. für verrückt. Denn wer von dem noch so jungen Team bei der Belastung permanenten Hochgeschwindigkeitsfußballs mit maximaler Präzision erwartet, ist eher der Realität ent-rückt. Wir hingegen sind ent-zückt – natürlich nicht wirklich von dem einen Spiel, aber von der Leistung unseres Teams bis hierher.
Wer hätte wirklich gedacht und realistisch erwartet, dass wir nach Spielen gegen Bremen, Leverkusen, Bayern und dem ebenfalls in der Europa League-spielenden Verein aus der Hauptstadt ungeschlagen im oberen Tabellendrittel stehen würden, zumal wir im Gegenzug zu den anderen Mannschaften noch zwei sehr kräftezehrende Champions League-Play Off-Spiele in den Knochen haben – inklusive der Reisestrapazen sowie der eigenen Enttäuschung über das Nichterreichen der Königsklasse und die darin dargebotene eigene Leistung, die man ja mannschaftsintern wesentlich kritischer sah als der gemeine Fan?
Wie gemein der sein kann, merkt man eben an diversen Unmutsbekundungen nach solchen Spielen. Wie anders da unser Trainer ist, merkt man an seiner Reaktion nach der Partie heute. War er ja gerade nach dem Rückspiel an der Anfield Road sehr angesäuert ob des Verhaltens der Spieler und nicht an Kritik an seinem Team sparte, fand er diesmal, dass sie es eigentlich ganz gut gemacht hat.
Das war überraschend zahm, zumal wir ja auch am Donnerstag unser erstes Spiel in der Europa League ziemlich ähnlich dämlich wie die Punkteteilung heute verloren haben, aber allein das zeigt ja auch schon eine leichte Besserung, denn während wir vor drei Tagen noch gegen einen schwächeren Gegner verloren haben, blieben wir diesmal im 20. Bundesligaheimspiel in Folge ungeschlagen.
Mehr noch, wir waren nach dem wunderschönen, schulbuchmäßigen Kopfballtor von Wagner sogar rund 60 Minuten Tabellenführer der Fußball-Bundesliga.
Das ist doch klasse.
Ja, das Spiel war vor allem in der zweiten Halbzeit nichts. Schon zu Beginn konnte man spüren, dass da die Dynamik der ersten 45 Minuten fehlte. Und spätestens, nachdem zehn Minuten nach Wiederanpfiff der Ausgleich (und damit die Mannschaft tabellarisch zurück-)gefallen war, merkte man, dass bei uns nicht mehr viel kommen würde.
Zu unpräzise die Zuspiele, zu unbequem der Gegner, der sich wohl die Taktik Bragas ganz genau angeschaut hatte. Und so wie die Portugiesen zeigten auch die Berliner nach ihrem einen Tor in der zweiten Halbzeit, dass Klischees mehr sein können: wahr.
Demonstrierte Braga seine Kompetenz im Zeitspiel, zeigte Berlin, dass es was von Mauern versteht.
Sie standen teilweise mit zehn Mann auf einer maximal ein Meter breiten Linie vor dem Sechzehner, was ein Durchkommen im Grunde unmöglich machte. Vielleicht wäre mit mehr physischer und psychischer Frische mehr möglich gewesen, aber wie sagte Lothar Matthäus so schön wie richtig: „Wäre, wäre, Fahrradkette …“
Aber, auch wenn das gerade die Spieleverwalter offensichtlich anders sehen, wir haben es hier nicht mit digitalen Figuren zu tun, sondern mit Menschen, die Körper besitzen, die zwar jünger und trainierter und damit belastbarer als die des Durchschnitts, aber dennoch keine Maschinen sind – und auch deren weit überdurchschnittliche Bezahlung kann ganz normale physiologische Prozesse in diesen Körpern nicht ändern, dazu zählen die allen Lebewesen innewohnenden infradiane, circadiane sowie ultradiane Rhythmen, wobei erstere beim Menschen eher selten sind, denn sie beziehen sich auch auf Zeitabläufe, die über einen Tag hinaus gehen, z. B. Wechsel des Federkleides bei Vögeln oder der Winterschlaf einiger Tierarten. Beim Menschen könnte man eventuell den Sexualzyklus dazuzählen.
Wichtiger für uns Menschen sind die beiden anderen. So bestimmt der circadiane Rhythmus all das, was der Körper alle 24 Stunden regelmäßig tut und braucht, z. B. Schlaf, und der ultradiane Rhythmus, was er in geringeren Abständen benötigt , z. B. Essen und Trinken. Beide zusammen sind das, was man für gewöhnlich „innere Uhr“ nennt.
Dazu zählt für einen Fußball-Fan 13.30 Uhr nicht – und erst recht nicht für die Spieler!
Wenn sie also um 13.30 Uhr spielen müssen, muss von da an zurückgerechnet werden, wann was wie getan werden muss, um zum gewünschten Zeitpunkt das gewünschte Ergebnis, in dem Falle körperliche und geistige Frische und Fitness, zu erzielen. Die Folge: um 10 Uhr Mittagessen. Das allerdings auf Basis eines geänderten Frühstücks, was entweder ganz, zumindest aber zeitlich und/oder inhaltlich doch ganz anders ausfällt, als das, was der eigenen Körper so gewohnt ist, der natürlich dann ganz anders reagiert. So kennt ein jeder seine eigene Trägheit nach der Aufnahme der Hauptmahlzeit des Tages. Normalerweise korreliert die mit der normalen Mittagsträgheit, die ein ganz normaler Teil des ultradianen Rhythmus ist, aber bei so einer Spielzeit ist nicht ausgeschlossen, dass hier zwei physiologische/biologische Leistungshemmer aufeinandertreffen. Mehr noch: Der Spielverlauf lässt diese Schlussfolgerung zu, denn bis Viertel nach zwei lief ja noch alles recht gut. Da liefen die Spieler, da lief der Ball, da lief so ziemlich nicht nur wegen des frühen Führungstreffers so ziemlich alles nach Plan – und getreu dem Cruyff’schen Motto: „Solange du den Ball hast, kann der Gegner kein Tor erzielen.“
So ein Ballbesitzspiel funktioniert nur durch ein konsequentes Spiel ohne Ball.
Ja, das klingt lustig, ist aber logisch, schließlich braucht der ballführende Spieler immer wieder sichere Anspielstationen. Damit sind alle die, die nicht am Ball sind, am Zug in die entsprechenden freien Räume, die uns die Hertha auch anbot, aber halt nur bis so 25 Meter vor dem Tor. Da stand sie dann, die Berliner Abwehrmauer und unsere Mannschaft vor der Schwierigkeit, selbige zu überwinden. So richtig gelang es spielerisch nur ein-, zweimal – und einmal eben durch eine kurze Ecke, bei denen die Gästeabwehr geistig und auch körperlich nicht ganz auf der Höhe war, weshalb der Verteidiger der Gäste unter dem Ball durch-, was Wagner, der hinreichend hochsprang, genügte, um den Ball ins Netz zu befördern.
Dieses Ballbesitzspiel wollte in der 2. Halbzeit nicht mehr gelingen. Kamen wir in der ersten Hälfte eigentlich nur durch eigene Unzulänglichkeiten in die Brä… Breddu .. Brett… in Schwierigkeiten, kamen wir in der zweiten kaum mehr an den Ball. So liefen wir zwar immer noch viel, aber mehr Ball und Gegner hinterher oder die Räume zu, was natürlich viel Kraft kostete, die ohnehin nicht mehr im Übermaß vorhanden war. So plätscherte dann das Spiel dahin, denn den Berlinern, deren Spiel am Donnerstag erst zwei Stunden später endete und die zudem ja noch anreisen mussten, ging es wie uns und so, wie das Spiel wurde: nicht besser.
Aber ein Tor geschossen, eines kassiert, macht: ein Punkt und ein Punkt ist ein Punkt und mit dem einen Punkt haben wir jetzt schon vier mehr als zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison, womit wir natürlich keine falschen Erwartungen schüren wollen. Nur mal zeigen, wie gut unsere Mannschaft aktuell auch nach einem nicht ganz so guten Spiel dasteht. Und das dürfte uns doch allen gut gefallen, so dass wir statt mit Frust mit Freuden zum einen Mittwoch, zum anderen dem vielleicht wichtigsten Bestandteil unseres circadianen Rhythmus heute Abend entgegensehen …
Gute Nacht!
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ein wirklich schöner Bericht ohne irgend welche akademischen Versuche besonders intelligent zu scheinen. Vielleicht sollte ma wirklich schärfer aus denFan Clubs gegen die marktbeherrschend Einfluß angehen, denn Freitag, Samstag, Sonntag und jetzt noch Montag, das ist einfach zu viel. Die Stadien werden sich leeren und die Werbung gewinnen. Sehr schade, dass der DFB dieses Spiel mitmacht. Vielleicht erheben sich die Vereine, die Fans und die Spieler selbst gegen dieses Vermarktungssystem. Ein bisschen Kritik an den mittlerweile allzu sicheren Trainer sollte nichts schaden.
Liebe Grüße und Danke
Peter
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