1899 Hoffenheim vs. FC Augsburg
Organ
„Das ist elitär!“
Nach dem zweitbesten Saisonstart der TSG in der Bundesliga ist es endlich mal Zeit über Champions League zu sprechen. Und Kommerz. Und zwar richtig groß. Und Thronbesteigung.
Nein, wir sind jetzt nicht komplett abgehoben, auch wenn wir der Meinung sind, dass es kaum etwas Erhabeneres gibt. Und das hat auch nichts mit Wunschdenken, aber dafür mit Machbarkeit, wenn man es sprachlich nicht so genau nimmt. Falls aber doch: mit John Wanamaker – und dem nach ihm benannten Wanamaker Kaufhaus in Philadelphia, USA, womit der Punkt „Kommerz“ erklärt sein möge. Darin – und nicht in New York, Sydney, London, Berlin oder dem Vatikan –, befindet sich die der Welt größte vollständig spielbare Orgel, die Königin der Instrumente („Champions League“).
Wanamaker wusste, dass den Leuten das Einkaufen in einem großen Kaufhaus ohne Musik keinen Spaß macht. Also kaufte er 1909 eine Orgel, die auf der Handwerksausstellung von Saint Louis übriggeblieben war. Schon damals war sie die größte Orgel der Welt, und die Los Angeles Art Organ Company, die sie gebaut hatte, war an den enormen Kosten bankrott gegangen.
Wanamaker ließ das Instrument in den Innenhof seines Kaufhauses einbauen, installierte im Dachboden des Hauses eine Orgelbauerwerkstatt, und von nun an wurde und wird bis heute unentwegt an der Orgel herumgebastelt: neue Pfeifen hinzugefügt, ein riesiger Spieltisch errichtet, Schwellwerke und Tremulanten erfunden. Die Orgel sollte das größte und schönste Instrument werden, das die Welt je gesehen hat.
Am 22. Juni 1911 wurde sie just zu der Stunde eingeweiht, als man in England Georg V. zum König krönte. („Thronbesteigung“)
So. Nachdem wir das Intro hinreichend erklärt haben, stellt sich nur noch eine Frage:
„Hä?“
O.K., vielleicht noch eine, aber nur für jene, die NICHT im Stadion waren, denn alle, die die Partie live im Stadion erlebt haben und das Instrument nur vage kennen werden verstehen, warum die Orgel (von altgriechisch ὄργανον órganon „Werkzeug“, „Instrument“, „Organ“) hier als Metapher herhalten muss. Für alle anderen seien nur die diese Gründe genannt:
- Der Gegner – sei es jetzt das Instrument an sich oder der FC Augsburg im Speziellen – sind extrem schwierig zu bespielen.
- Die Qualität der Darbietung hängt enorm von der Fußarbeit ab.
- Es braucht enorm viel Luft, um den Gegner zu beherrschen.
- Man braucht ein Gespür für die Balance der Höhen und Tiefen.
- Ohne Druck geht gar nichts.
- Die Vollendung gelingt nur, wenn man weiß, wann man wie welche Register ziehen muss.
Ja, die Redewendung „alle Register ziehen“ geht auf dieses Instrument zurück. „Register“ nennt man die einzelnen Pfeifenreihen. Um eines einzuschalten, muss man einen Registerzug betätigen. Je nach Registrierung lässt sich auf der Orgel ein schlichtes Flötenensemble oder ein riesiges Orchester nachahmen. Wenn alle Register gezogen sind, sind also alle (!) Pfeifen der Orgel aktiviert.
Was hier vielleicht gut klingt, tut es in Wirklichkeit nicht, insbesondere nicht bei der „Wanamaker Grand Court Organ“, was man sich leicht vorstellen kann, wenn man weiß, dass sie sich auf sieben Etagen verteilt und 28.500 (!) Pfeifen besitzt. Also niemals – und das tat unsere Mannschaft dankenswerterweise nicht –, tutti spielen.
Es hilft auch nichts, wenn man die Tasten mehr oder weniger sanft betätigt, wie man das vielleicht vom Klavierspielen her kennt. Die Tasten verfügen über einen Druckpunkt. Ist dieser erreicht, setzen diverse Mechanismen im Inneren des Instruments in Gang, und die den jeweils zur Taste passende und dem Register entsprechende Pfeife wird aktiviert. Wenn man den Druckpunkt nicht erreicht, passiert nichts. Anders als beim Klavier erfolgt also beim Tastenanschlag ein immer gleich lauter Ton. Die Kunst der Betonung liegt also mehr in der Länge des Tastenschlags und darin, wie sehr welches Register gezogen wurde.
Und es gibt auch bekanntlich viel mehr Tasten als bei einem Klavier, weshalb sie komplett anders aufgebaut sind – im wesentlichen in zwei Blöcke.
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- Die Manuale.
Das sind die Flächen mit Tasten, die mit den Händen bedient werden und die man auch von Klavieren kennt. Nur haben Orgeln meist mehrere davon. - Die Pedale.
Die „Tasten“ für die Füße. Sie decken eine komplette Klaviatur ab. Während die Manuale den/die Organisten/-tin vor die Herausforderung stellen, nicht die Kontrollen über die Finger und den Überblick über die Tastenreihen zu verlieren – in ihrer nicht nur horizontalen, sondern eben auch vertikalen und meist terrassenartigen Anordnung – , müssen die Füße die Pedale völlig blind treffen. Und einen Fehltritt kann da schon mal in die Magengrube gehen, denn im Allgemeinen sind die Pedale für die Bassnoten zuständig – und je nach dem, wie welches Register gezogen wurde …
- Die Manuale.
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Kurze Zwischenfrage:
Pfeifst du, geneigte/r Leserin, eigentlich schon aus dem letzten Loch? Nicht? Schön, denn dann wird dich freuen, entweder weil du es schon wusstest oder jetzt erfährst, dass diese Redewendung sich NICHT aus der Orgel ableitet, sondern ganz allgemein von Blasinstrumenten.
Wenn da wer ins letzte Loch bläst, erklingt der höchste Ton, den das Instrument spielen kann. Nach dem Blasen des letzten Lochs sind die Möglichkeiten des Instruments erschöpft. Also musikalisch gesehen, ist da dann Feierabend.
Bei uns geht es jetzt erst los:
TUSCH /// ANPFIFF
Die Sorgen um den Start ins Spiel waren schon vor dem Spiel gering, als man sah, dass Big Brust Breiti die gleiche Startelf aufstellte wie bereits gegen Leverkusen, die ja nicht nur gegen uns, sondern auch gegen unseren gestrigen Gegner verloren hatte, wenngleich die beiden Spiele völlig anders verliefen.
Das war mehr als ein Vertrauensbeweis in die Spieler. Er sah sie als Register an, nicht als Pfeifen – und er sollte Recht behalten mit dieser Einschätzung, denn unsere Elf war von Anfang an tonangebend und ihr Spiel sehr temperiert.
Dieser Terminus hat nichts mit dem Wetter zu tun, sondern leitet sich vom italienischen „tempo“ ab, ergo der Geschwindigkeit des Spiel und das – ACHTUNG: Wortspiel – HeranTasten an den Gegner. Dessen Konter sowie eine erstklassische … äh: erstklassige Torhüterleistung waren es, warum die Fuggerstädter bei den Pillendrehern gewannen. Es ging also zuerst einmal völlig richtigerweise darum, in der Offensive nicht die Geduld, in der Defensive nicht den Ball und überhaupt nie die Kontrolle über das Spiel zu verlieren.
Dazu kam sehr schnell, die Erkenntnis, dass man auch nicht die Kontrolle über sich verlieren durfte, denn die Augsburger wollten partout eine andere Partitur spielen, die sehr körper-, aber nicht klangkörperbetont war. Sie spielten weder schlecht noch gut, sie spielten schlicht foul. Was das Ganze ans geradezu Unerhörte grenzen ließ, war, dass eine Pfeife nicht funktionierte, die des Regeldirigenten, der in deren AufTreten wohl eine Art Fuge sah. Und da hatte er nicht ganz Unrecht, denn es schien schon so „komponiert“.
Kennzeichnend für die Fuge ist eine besondere Anordnung von Nachahmungen (einer Tonfolge) eines Themas in verschiedenen Stimmen, wobei der Beginn des Themas zeitlich versetzt wiederholt und jeweils auf unterschiedlichen Tonhöhen einsetzt meist exakt beibehalten wird. Der Anfang des Themas bleibt hingegen meist exakt gleich.
Was vor allem Rutter an „Nickligkeiten“ einstecken musste, war wahrlich grenzwertig. Immer und immer wieder wurde er in die Mangel genommen, zu Fall gebracht und es war gewiss kein Zufall, dass die Fuggerstädter vor allem dabei variierten, wer für ihn zuständig war. Bei zwei, drei solcher Aktionen, die ja nie grob, aber dennoch unfair waren, wird, so wohl das Kalkül, kein Spieler verwarnt werden. Also stellt man um und ihm wen anderen auf und gerne mal auch in die Füße.
Auch Prömel wurde immer wieder körperlich angegangen, gerne in Kleinigkeiten in Ballferne oder bei Einwürfen, Eckbällen, doch fast alle diese Provokationen blieben vom Schiedsrichter verwunderlicherweise – kein Musikwortspiel – notiert mit der Folge, dass in der Foulspielstatistik der FCA mit 9:14 besser als dasteht als die TSG.
A propos: Verwunderlicherweise gingen auch keine der Fernsehbeiträge auf ARD, ZDF, DAZN darauf ein. Auch nicht auf keine der strittigen Strafraumszenen. Dafür aber auf den Zweikampf, der dem einzigen Tor der Spiels vorausging. Eine wahrlich verwunderliche Art der Berichterstattung.
Aber auch nicht verwunderlicher als unsere, aber nicht so lustig bzw. lehrreich. Und wenn man so will, nicht so „elitär“.
Doch das meinte der Reporter einer dieser TV-Spielbeiträge nicht mit seinem Satz, dem dieses Opus seine Zwischenüberschrift zu verdanken hat, zum Tor des Spielers, dessen Nachnamen nicht ganz unschuldig ist am Inhalt dieses Opus:
„Ihn so zu treffen mit dem Schwächeren,
das ist elitär!“
meinte er zu Geigers Schuss, der den krönenden Abschluss einer herrliche Stafette über links, Rutter, Kramaric, Skov beendete, bei der ein jeder seine Fußtechnik perfekt einsetzte – mit dem jeweils stärkeren.
Nun könnten wir ins Schwabulieren kommen, ob das wirklich „elitär“ ist, wenn man sogar mit seinen Schwächen Großes vollbringt.
Aber nein, tun wir nicht, ist es nicht, es heißt ja soziologisch gesehen lediglich, dass man einer Gruppierung überdurchschnittlich qualifizierter Personen angehört. Obwohl, so gesehen …
Auf jeden Fall war es virtuos gespielt gewesen – und hochverdient.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in der Folge des Spiels kaum etwas Nennenswertes geschah – und das lag vor allem an dem Mann, der gen Ende des Spiels noch Gelb sah, obwohl er gar nicht auf dem Platz stand: Big Brust Breiti.
Er hat damit nicht nur ein super Zeichen auf den Rasen geschickt, sondern auch super Wechsel: Kaderabek, Rudy und Sammassekou hatten sich super schnell eingefunden, Larsen und Dabbur hatten noch super Chancen.
Auch wenn sie sie, wenn schon bei Geigers Schuss von „elitär“ die Rede war, verviolonisierten, war wesentlich entscheidender, dass der Gegner fast über die ganze Spielzeit hinweg von unserem Sechzehner konnte ferngehalten werden. Die Eckenstatistik (4:6) lässt da zwar was anderes vermuten wie bei der Foulspielstatistik, aber mehr war da nicht. Und das war schön:
große Harmonie im Ensemble, dem Gesamtkörper, dem Organ, große Erleichterung dort wie auf den Rängen und natürlich auch große Freude allenthalben, nachdem die letzte Pfeife ein letztes Mal ertönt war.
1:0.
Sieg.
Stille.
„Die Qualität und Mentalität in der Mannschaft stimmt“, sagte Big Brust Breiti nach dem Auftritt.
Stimmt.
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