1899 Hoffenheim vs. Eintracht Frankfurt
Simple Simpel
Wie dumm kann man sein?
Wir lieben das Banale – die Reduktion von Komplexität auf eine Essenz des Evidenten, die das ubiquitär Manifeste nicht negiert, jedoch durch lexikalische Substitution kaschiert, was folgende Locutio non plus ultra exemplifiziert:
„Die voluminöse Expansion subterraler Agrarprodukte steht in reziproker Relation zur intellektuellen Kapazität ihrer Produzenten.“
Ein Uralt-Gag, aber für einen Akademikerfanclub des Dorfvereins eine Selbstverständlichkeit, dass man dies nie vergisst und demütig bleibt, denn, wie obiges Sprichwort ja so gut wie kein anderes zeigt, ist es nicht der schlauste Bauer, der das meiste Gemüse erntet.
Nun kann man das so verstehen, dass das Glück mit den Dummen ist. Oder eben auch andersrum, dass die Schlauen im Grunde zu doof sind, richtig Ertrag einzufahren. Dummerweise ist die TSG alles andere als blöd.
Das klingt paradox, ist es aber nicht. Es ist nur verwirrend. Paradox ist, wie Robert Musil wusste, dass jeder, der über Dummheit spricht, voraussetzt, über den Dingen zu stehen, also klug zu sein, obwohl genau diese Anmaßung als Zeichen für Dummheit gilt.
Das Dumme an die Klugen ist oftmals, dass sie zu blöd sind, das zu tun, was einfach und richtig ist. Sie leider unter einer Art Simplizitätsallergie.
Aber dieses Phänomen gibt es bei vielen Menschen zu beobachten. Es braucht für sie eine besondere Herausforderung, die das Gewöhnliche außergewöhnlich erscheinen lässt, was es auch ist, wenn es denn überhaupt jemand will – und vorausgesetzt es gelingt.
Beispiele:
- Essen.
Sobald sich wer hervortun will, wird mit Quinoa, Chia-Samen und zum Dessert mit Acai- oder Goji-Beeren aufgewartet, obwohl Hirse, Leinsamen, Blau- bzw. Schwarze Johannisbeere inhaltlich (und ökologisch) den erstgenannten Nahrungsmitteln überlegen sind, aber jene gelten als Superfood. - Gymnastik.
Das geht gar nicht. Man geht in Yoga, wo man keine Übungen jedweder Art macht, sondern Asanas, wo jede Dehnung, Streckung etc. ihren ganz eigenen Namen hat, und wo man sich am Ende nicht einfach flach mit dem Rücken auf den Boden legt, sondern sich qua Shavasana tiefenentspannt.. - Fußballer.
Das klassische Dribbling ist out, es braucht mindestens ein Zidane-Übersteiger, der Elfmeter wird auch nicht mehr einfach angelaufen und die Kugel konzentriert und klassisch reingewummst, sondern es sollte schon ein Panenka sein, oder zumindest eine virtuose Anlauftechnik, und warum eine einfache Flanke schlagen, wenn es ein Rabona sein kann. Und was ist aus dem guten, alten Flachpass geworden? Was aus dem Doppelpass?
Nein, nein, nein, immerzu scheint irgendwo irgendwas irgendwie besonders scheinen zu müssen, obwohl es faktisch keinen Grund dafür gibt. Das heißt nicht, dass wir gegen Veränderung sind. Im Gegenteil: Veränderung ist für uns die Basis der Kontinuität. Und es schadet auch gar nichts, wenn man auch mal zu einer Veränderung gezwungen wird, aber ist das ein Grund, Belfodil in die Startelf zu stellen? Oder Gacinovic? Oder Richards?
Oder war das dumm?
Um das beurteilen zu können – mal ganz abgesehen von Musils Paradoxon –, muss man ja erst einmal wissen, was das ist: dumm?
Wilhelm Busch meinte, Dummheit sei auch eine natürlich Begabung. Da ist gewiss viel Wahres dran, aber wenn man das Thema etwas ernsthafter angehen will, muss man feststellen: gar nicht mal leicht zu beantworten. Um es uns – und dir, geneigte/r Leser/in, aber leicht zu machen, fassen wir hier mal die Kurzbeschreibungen auf wikipedia zusammen:
Im engeren Sinne bezeichnet Dummheit die mangelhafte Fähigkeit, aus Wahrnehmungen angemessene Schlüsse zu ziehen beziehungsweise zu lernen. Dieser Mangel beruhe teils auf Unkenntnis von Tatsachen, die zur Bildung eines Urteils erforderlich sind, teils auf mangelhafter Intelligenz oder Schulung des Geistes oder auf einer gewissen Trägheit und Schwerfälligkeit im Auffassungsvermögen beziehungsweise der Langsamkeit bei der Kombination der zur Verfügung stehenden Fakten. In diesem Sinne nennt Kant den „Mangel an Urteilskraft“ als „das, was man Dummheit nennt“, und postuliert, dass „einem solchen Gebrechen … gar nicht abzuhelfen“ sei.
Weitere Ursachen liegen im emotionalen Bereich (emotionaler Widerstand gegen Einsichten, Abhängigkeit von Meinungsbildnern) und in der Indoktrination und Manipulation durch andere.
Auch kognitive Programme wie Weltanschauungen und Religionen könnten als „maladaptive Programme“ wirken und so die kluge Bewältigung der realen Anforderungen behindern.
All das lässt nur einen Schluss zu: Nein, die Aufstellung war nicht klassisch dumm.
Wenn schon, handelte es sich dabei um eine Art Dummheit zweiter Ordnung. Diese bezeichnet Situationen oder Ereignisse, in denen eine Person nach einer Regel, Gesetzmäßigkeit oder allgemein nach einer Struktur sucht, obwohl in dem betrachteten Sachverhalt keine derartige Struktur vorhanden ist.
Nur ist auch das nicht so ganz zutreffend, denn diese Suche findet ja bei Ist-Zuständen oder Analysen (also im Nachhinein) statt. Eine Aufstellung hingegen ist ja ein Suchen nach einer Lösung für ein Problem, das man erwartet, das aber nicht existiert.
Jetzt müsste man halt wissen, was der Trainer erwartete?
Was die Gäste angeht, lag er wohl richtig, weshalb es wichtig und richtig war, Posch auf seine angestammte linke Seite zu stellen, was durch die Hereinnahme von Richards möglich war. Posch rechts und Adams links zu stellen wäre ein größeres Risiko gewesen. Also war Richards trotz seines Mangels an Bindung zur Mannschaft sowie Erfahrung zwar eine sehr mutige, aber eine nachvollziehbare Entscheidung.
Die Aufstellung Gacinovics hingegen schien mehr einem Gefühl, einer Romantik oder schlicht Irrglauben zu entspringen, dass er gegen seine ehemaligen Kameraden anders, engagierter, torgefährlicher, ballsicherer agieren würde. Natürlich verfügte er über Wissen über den ein oder anderen Spieler, aber hier wäre die mündliche Weitergabe sinnvoller gewesen, zumal man ja mit Kaderabek den deutlich besseren Spieler zur Verfügung hatte, was sich ja dann auch in der 2. Halbzeit zeigte.
Bleibt das Multirätsel Belfodil. Warum spielt er? Warum trifft er nicht? Und vielleicht waren es genau diese beiden Fragen, die der Trainer für sich so beantwortete, dass er nicht trifft, weil er nicht spielt. Das stimmt so, ja, aber der Umkehrschluss stimmt nicht. Oder dachte er, dass er einen körperlich kompakteren Mann gegen die Defensive der Frankfurter eher brauche als einen jungen, schnellen, antrittsstarken und ballsicheren Spieler wie Bebou? Oder lag es an dessen vergebenen Großchancen gegen die Bayern und dem Gedanken „Nicht treffen kann Belfodil auch“?
Wir wissen das natürlich alles nicht, würden es aber gerne wissen, denn die zweite Halbzeit zeigte ja vom Start weg, was mit einer anderen Aufstellung möglich gewesen wäre, denn die Einstellung stimmte.
Das dämliche 0:1 steckten wir ziemlich locker weg und konnten der vermeintlichen Mannschaft der Stunde mehr als Paroli bieten. Wir hatten zwar keine Großchancen im ersten Durchgang, aber hätte Gacinovic mal einen Ball festmachen können oder wäre gerade vom Mittelfeld auch mal Belfodil, der ja oft und immer vergeblich in die Spitze rannte, mit dem Spielgerät brauchbar bedacht worden, wer weiß … Aber sowohl Baumgartner als auch Samassekou konnten nach vorne kaum bis keine Impulse setzen.
So gesehen war es auch gar nicht mal so unnachvollziehbar, dass der Trainer Belfodil auch nach der Pause auf dem Platz beließ. Dafür blieb Baumgartner unten, der von Bebou ersetzt wurde. Seine erste Chance war auch gleich der Ausgleich.
Alles davor und auch so manches danach ließ dann doch stark hoffen. Da war auf einmal Dynamik und Spielwitz und auch Spielintelligenz zu sehen. Das 2:1 für uns lag in der Luft, dann der Ball frei im Sechzehner, doch Belfodil setzte ihn knapp neben das Tor.
Das passiert, das ist nicht schlimm, doch was dann passierte, war schlicht dumm. Ein Freistoß aus dem Niemandsland des Feldes an die Strafraumkante – mittig – und statt eines Abwehrspielers der TSG kommen vier oder fünf Frankfurter zentral herangerauscht. Einer bekommt den Ball so doof auf den Kopf, dass Olli Baumann einfach nicht rankommen kann.
Erneuter Rückstand, erneutes Aufbäumen. Gegenzug, wir im Sechzehner der Gäste, Kramaric am Ball, irgendwie dann auch Belfodil, dadurch aber verlieren wir den Ball an die Frankfurter, die ihn wie bereits beim 1:0 einfach nach links vorne droschen, wo er aufgenommen wurde … bla, bla, bla … 1:3.
In weniger als 90 Sekunden hat unser Team ein an sich gutes Spiel von 90 Minuten aus eigener Dummheit verloren. Und das ist wirklich doof, wenn man bedenkt, dass man ja auch die beiden Niederlagen zuletzt nicht deshalb verlor, weil man kein Land sah, sondern oftmals einfach nicht den Nebenmann.
Und das ist das wirklich Ärgerliche: Keine der Niederlagen, auch und insbesondere diese nicht, war zwangsläufig. Vielmehr war sie mehrerer nicht sehr weisen Personalentscheidungen kurz vor 14.30 Uhr geschuldet. Und auch hat der Volksmund hierzu eine sehr klare Meinung:
Intelligenzdefizite sind obligatorisch zu kondemnieren.
Anderseits weiß er auch:
Lapsus sind von fundamentaler Relevanz für die kognitive Progression.
Nach diesem Spiel müssten wir aber nun so viele Fehler in der Saison insgesamt schon gemacht haben, dass wir uns zumindest IQ-punktemäßig auf Champions League-Niveau befinden. Wäre alles andere als doof, wenn es uns endlich mal gelänge, dies auch in Tabellenpunkte umzumünzen.
Klingt klug, gell? Ist aber auch banal. Das ist echte Liebe … und ZACK … Vorfreude … 🙂
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