1899 Hoffenheim vs. Borussia Mönchengladbach
Die Null.
Fortschritt durch Nichts
Was ist eine Nummer? Zum einen eine eher latent vulgäre Umschreibung für einen Geschlechtsakt, die wiederum auf den Terminus zurückgeht, wie er in der Kunst, speziell in der Musik, aber auch im Varieté, Kabarett, Zirkus etc. verwendet wird, ansonsten ist es eine (fortlaufende) Zahl bzw. eine Ziffer.
„Ziffer“ wiederum ist ein Wort, das sich vom arabischen صِفْر (sprich: „aṣ-ṣifr) für „nichts“ oder „null“ ableitet, während „Null“ wiederum aus dem Lateinischen für „nichts“ stammt: „nullus“, das vielleicht so manchem noch bekannt ist aus dem alten Merkvers:
Unus, solus, totus, ullus
uter, alter, neuter, nullus
und auch alius
haben alle
-ius in dem zweiten Falle
und im dritten haben sie
allesamt ein langes -i.
Für die Null selbst gab es aber im Lateinischen kein Zahlzeichen. Aus der Sprache kennt man I (1), V (5), X (10), L (50), C (100), D (500), M (1000) und die Regeln, dass man Zahlenwerte der Größe nach von links nach rechts anordnete und alles addierte, es sei denn, ein Zeichen für einen kleineren Zahlenwert stand vor einem größeren, dann wurde er von der folgenden Zahl abgezogen.
Wir schreiben also den XV. XII. MMXVIII. Spieltag XV. Es traten gegeneinander an:
TSG MDCCCXCIX Hoffenheim gegen das Fußballunternehmen des offiziell ein Jahr später gegründeten Borussia Verein für Leibesübungen MCM aus Mönchengladbach – und wie bereits in der ersten Partie der beiden Mannschaften gegeneinander am XIX.VIII.MMVII (sowie am XVIII. Spieltag der Saison MMXII/MMXIII) gab es auch in der gestrigen Partie eine, aber diesmal wohl der Welt unverdienteste „Nullnummer“.
Wie konnte es dazu kommen?
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich durchsetzen konnte. Klar gab es schon sehr früh Ansätze, aber sie verpufften. Die ersten waren die Sumerer, aber ihr Wissen ging verloren, dann waren es die Babylonier, die Mayas und schlussendlich die Inder, die die Null entdeckten.
Bei den Babyloniern kam sie im 4. Jahrhundert auf als eine Art „Lückenfüller“. Sie trat immer dann auf, wenn identische Zahlen voneinander substrahiert wurden.
Die Maya hingegen hatten schon ein Stellenwertsystem, in dem die Null eine Rolle spielte. Jedoch konnte man damit nur addieren. Das Interessante daran war, dass in jenem System die 0 den Anfang darstellte, also nicht, wie bei uns, die 1.
Durchsetzen konnte sich erst das indische System, das die Grundlage unseres Dezimalsystems bildete. Es entwickelte sich aus dem Abakus, einem Rechenschieber mit je neun Steinen für die Einer-, Zehner-, Hunderter-, Tausenderstellen. Im 6. Jahrhundert kam hier die Null dazu, allerdings nicht gleich als Zahl. Sie wurde als Punkt oder Kreis gekennzeichnet, woraus sich dann unsere Form und das Positionssystem entwickelte, das die Wertigkeit der einzelnen Ziffern bestimmte. Heute selbstverständlich, damals eine Riesenerfindung. Seitdem erhöht die Null (oder eine andere Ziffer) nach einer Ziffer die Wertigkeit dieser Ziffer um je mal zehn, zwei Ziffern mal hundert und so weiter. Damit war es nun möglich, größere Zahlen mit wenigen Ziffern zu Papier zu bringen – und sie auch lesbarer zu machen – vgl. 10 000 vs. MMMMMMMMMM bzw. 9999 vs. MMMMMMMMMCMXCIX.
Da die Zahlen also nicht groß werden konnten, nahm man damals verschiedene Maßeinheiten, wie es heute z. B. noch in den USA gang und gäbe ist, wo man ja nicht das metrische System, sondern das imperiale System nutzt, wobei die Maßeinheiten selbst, z. B. inch, foot, yard, rod, fathom, furlong, chain, mile, in keinem stringent-logischen Verhältnis zueinander stehen, so ist eine Meile acht Furlongs lang, aber ein Furlong zehn Chains, was wiederum 22 Yards entspricht, der wiederum 3 Fuß, der sich aus zwölf Inches ergibt.
Alles sehr kompliziert, so dass wir sehr dankbar sein müssen, dass die Inder dieses System erfunden haben. Sie haben auch eine andere Art entdeckt, die es erlaubt, sehr schnell sehr große Zahlen miteinander zu multiplizieren.
Nun kann man über Kriege und Kapitalismus ja denken, was man will, aber man darf deren Bedeutung für den zivilatorischen Fortschritt auch nicht völlig ignorieren. So verdanken wir es zum einen den Kreuzzügen als auch den Handelsbeziehungen mit den Ländern im fernöstlichen und arabischen Raum, dass die Null im 13. Jh. Einzug nach Europa hielt.
Bis sich die Null jedoch in Europa durchgesetzt hat, dauerte es eine Weile. Leonardo von Pisa befasste sich bereits zwar schon 1202 in seinem Buch liber abaci („Das Buch vom indischen Rechenschieber“) mit der Null, hatte allerdings das Problem, wie viele andere Gelehrten auch, dass die katholische Kirche die Null als Teufelswerk ansah. So dauerte es noch rund 100 Jahre, bis zumindest bei den Gelehrten trotz ihrer faktischen Nichtigkeit die Null in ihrer nicht nur mathematischen Wichtigkeit erkannt wurde. Bekannte Lehrer und Rechenmeister, wie z. B. Adam Riese verhalfen dann auch der Null zu dem in Europa, was unserer TSG gestern gegen das Bollwerk der Gladbacher nicht gelingen wollte: der Durchbruch.
90 Minuten rannten unsere Mannen an. 90 Minuten spielten sie defensiv konzentriert und offensiv kontrolliert – und all das in einer mehr als überraschenden Auf- und einer ganz hervorragenden Einstellung. Man darf ja nicht vergessen, dass wir im Gegensatz zu den Gästen ein schweres Champions League-Spiel bestritten hatten, das unser finales Ausscheiden aus allen europäischen Wettbewerben besiegelte.
Nichtsdestotrotz liefen wir und liefen und liefen und es lief auch flüssig, auch sehr viel zusammen und auch fielen Tore, aber halt aus Abseitspositionen, was einmal gut, aber halt zweimal blöd für uns war, wie es auch das Ergebnis ist, denn nicht nur haben wir jetzt zum vierten Mal hintereinander Unentschieden gespielt, sondern wieder einmal nicht gegen ein vor uns platziertes Team gewinnen können.
Zumindest konnten wir so den Abstand halten, was ja nicht das Schlechteste ist, denn die null Tore brachten uns immerhin einen Punkt ein (und Oli Baumann die zweite „weiße Weste“). Außerdem konnten wir einen Konkurrenten in der Tabelle damit schon einmal hinter uns lassen. Also war es keine wirkliche Nullnummer, sondern ein Spiel das zeigte, worauf wir zählen können und womit man jetzt in den verbleibenden XIX Spieltagen in der Liga wird rechnen müssen, weil sie alles andere als Nullen sind:
unsere TSG!
P.S.: Falls wer nun Lust bekam aufs indische Multiplizieren, bitte sehr:
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