1899 Hoffenheim vs. AFC Bournemouth
Die Nullnummer
Der Beginn einer Zeit!?
Das war also die Premiere der neuen TSG. Naja, hoffen wir mal, dass das nicht die Premiere war, sondern mehr so was wie eine Generalprobe. Denn obwohl es niemand will, muss bei einer Generalprobe möglichst viel schiefgehen, damit es dann bei der Premiere klappt. Und in diesem Sinne, aber auch nur in diesem, kann man dem DFB-Pokalspiel nächste Woche entgegensehen.
Doch was die Zukunft bringt, werden wir ja in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Schauen wir also lieber mal zurück, was die Vergangenheit brachte, was sich im Grunde ganz einfach in einem Wort zusammenfassen lässt: Veränderungen.
Salihovic weg.
Schär her.
Modeste weg.
Schmid her.
Firmino weg.
Joelinton her.
Abraham weg.
Kaderabek her.
Beck weg.
Uth her.
Schipplock weg.
Kuranyi her.
Das liest sich nicht nur dramatisch, so kam es bei den Fans und in vielen Foren auch an.
Insbesondere der plötzliche und wenig rühmliche Abschied von Salihovic schlug hohe Welle. Die Facebook-Gruppe „Wir wollen ein Abschiedsspiel für Sejad Salihovic“ erfreute sich sehr schnell sehr hohen Zuspruchs und sorgte immerhin dafür, dass noch am gleichen Tag eine wogenglättende Mitteilung rausging dergestalt, dass man sehen wolle, ob und was da diesbezüglich möglich sei.
Auch wenn er nicht mehr der Schnellste und Agilste war, er war ein Publikumsliebling. Er war Teil der Aufstiegsmannschaft. Er war Teil der Herbstmeistermannschaft. Er war der, der die beiden Elfer in Dortmund verwandelte.
Das tat den Fans schon weh – ganz im Gegensatz zum Abschied von unserem Kapitän und ebenfalls Teil der Aufstiegs- und Herbstmeistermannschaft. Becks Abgang war so überraschend wie wohl für die meisten willkommen. Er hatte schon lange die A…karte bei den Fans gezogen und musste für so alles herhalten, was defensiv schief lief.
Dieses Sündenbock-Image teilte er sich mit Modeste, der bei einem Gut(?)teil der Fans als Chancentod verschrien war.
Die Fans der TSG sind schon hart zu den ihren – und wir sind gespannt, wer der Buhmann 15/16 wird. (Wir hoffen mal auf keinen, tippen aber auf Szalai und Rudy.)
Auch dass Firmino ging, wurde ohne Krokodilstränen zur Kenntnis genommen, eher mit Freudentränen ob der 41 Millionen €, die die TSG für ihn erhielt. (Davon muss sie aber einige Mios gemäß FIFA-Statuten an seine Ausbildungsvereine weiterleiten.)
Ganz anders war es mit dem plötzlichen Abgang Schipplocks, obwohl der noch in der Vorbereitung für diese Saison auflief und traf und traf und traf. Der Schock ging einher mit der Gewissheit, dass damit Szalai bleiben würde, einer der in Sachen Chancentod einen noch schlechteren Ruf als Modeste hat.
Tage später beruhigte sich das alles und durch die Verpflichtung Kuranyis war sowieso alles wieder anders. Natürlich kamen da auch Erinnerungen hoch an die Hoch-Zeiten des Chaos, als wir es schon einmal mit großen Namen versucht haben, aber diesmal gab es keinen 4-Jahres-Vertrag, sondern eben nur einen über ein Jahr mit Option, was alles wesentlich solider wirkt. Und so kippte die Stimmung sehr schnell zugunsten Kuranyis – und man freute sich auf die Doppel-Kevin-Doppelspitze.
Die gab es auch beim Testspiel gegen den AFC Bournemouth zu sehen, wenn auch nur für einige wenige Minuten. Aber das war auch die Phase, wie auch die unmittelbar nach Anpfiff der zweiten Halbzeit, als die Fans Grund hatten, sich am Spiel der Mannschaft zu erfreuen. Der Rest war überraschend wenig – bis gar nix.
Natürlich waren die Spiele, gerade die über die Dörfer der Region, kein Gradmesser. Aber auch die anderen Spiele in der Vorbereitung gingen ja meist reicht torreich und bis auf ein Unentschieden gegen Lilleström AK immer siegreich für unsere Mannschaft aus. Gefühlt ergab sich aus allen Partien ein Ergebnis von 120:5 Toren, was natürlich sofort das Gefühl erweckte, endlich wieder seine „alte“ TSG zu haben, obwohl sie nach sieben Jahren Bundesligazugehörigkeit erstmalig ganz ohne Herbstmeister 2008 antrat, was den Verein sehr menschlich macht – medizinisch gesehen, denn, versteht man den Menschen als die Summe seiner Zellen, ist kein Mensch älter als sieben Jahre, denn binnen dieses Zeitraumes haben sich alle Zellen einmal erneuert.
Entsprechend groß war also Neugier und Vorfreude auf das Spiel gegen den Aufsteiger in die Premier League aus der südenglischen Hafenstadt – und nicht minder groß war die Enttäuschung danach.
Die Schwächen im Spiel nach vorne, die gewiss mit ursächlich für die wenig glückliche Rückrunde waren, schienen nicht behoben. In der ersten Halbzeit allein hätten die Gäste mit drei, vier Toren in Führung gehen können, wenn wir uns nicht auf unsere Defensive hätten verlassen können.
Immer wieder gelang es den Briten durch einen einfachen Pass in die Tiefe ihre Stürmer in Szene zu setzen, aber immer wieder gelang es unserer Abwehr die zum Teil hundertprozentigen Chancen zunichte zu machen.
Allen voran Baumann. Er hielt dem Druck der Gäste stand und seinen Kasten sauber, was er auch seinen Vorderleuten zu verdanken hat, denn wenn er mal geschlagen war, rettete mal Schär auf der Linie, mal Süle mit einer Grätsche im letzten Moment, mal klärte Kim.
Das war noch das Beste. Nach vorne ging gar nichts. Die Engländer verhinderten den Spielaufbau, wo sie nur konnten und das begann damit, dass sie alle Verteidiger abdeckten, wenn Baumann den Ball ins Spiel bringen wollte, so dass ihm nur die Wahl des weiten Abschlags oder Abwurfs gab, die beide selten ankamen. Und konnte er doch einmal einen Ball zu einem Verteidiger spielen, fehlten diesem oft die Anspielstationen, so dass es auch hier der lange Ball folgte – inkl. Verlust desselben.
Zwar gab es ansatzweise das ein oder andere, was einen hoffen ließ, aber echte Torchancen entwickelten sich in der ersten Halbzeit daraus keine.
In der zweiten Halbzeit wurde es dann schon ansehnlicher. Endlich schossen auch unsere Mannen mal aufs Tor des Gegners, meist aber vorbei oder drüber.
Nein, niemand wird den Fehler machen, das zu überbewerten, schließlich kam die Mannschaft erst wenige Tage zuvor aus einem langen Trainingslager, aber dennoch hatte man sich von der Mannschaft als Ganzes mehr versprochen. Einzelspieler hingegen wussten dagegen zum Teil sehr zu gefallen:
Der junge Ochs beispielsweise zeigte sich hoch engagiert, motiviert und selbstbewusst. Beim einzig strafraumnahen Freistoß für uns war er es, der sich den Ball schnappte. OK, er semmelte ihn drüber, aber allein die Chuzpe verdient Anerkennung.
Zuber rennt inzwischen auch nach hinten, aber offensiv halt immer noch zuviel mit dem Ball und verrent sich immer noch oft.
Kuranyi hat das Kicken auch noch nicht verlernt. Es gab zwar für ihn, der Mitte der 2. Halbzeit eingewechselt wurde, wenig Chancen, aber wenn er am Ball war, wirkte das alles doch sehr souverän. Er war einer der wenigen, dessen länge Bälle auch beim Mitspieler ankamen – und das obwohl er tags zuvor erst das erste Mal mit der Mannschaft trainierte.
Auch Uth und Kaderabek fielen jetzt nicht gerade durch Genialität auf, aber ihr Spiel gefiel – und hinterließ einen positiven Eindruck.
Am überzeugendsten von allen Neuzugängen war aber Schär, der zusammen mit Süle eine richtig gute Innenverteidigung bildete, die auch dann die Nerven behielt, wenn sie vom Mittelfeld wahlweise in die Bredouille gebracht oder allein gelassen wurde. Bisweilen auch beides. Am überzeugendsten selbst aber war neben Baumann Niklas Süle Superstar.
Er hatte bereist vor dem Spiel die beste Szene, als auf der Videoleinwand in einem sehr gelungenen Film seine Vertragsverlängerung bis 2019 kundgetan wurde.
Danach hätte er zehn Eigentore schießen können, es wäre allen egal gewesen. Aber tat er nicht, dafür so, als wäre nie was mit seinem Kreuzband gewesen. Er scheute keinen Zweikampf, keine Grätsche und spielte seinen Part, als wäre er nicht monatelang in der Reha gewesen.
Und dahinter der von den Fans zum „Spieler der Saison 2014/15“ gewählten Oliver Baumann. Ja, hm, Abwürfe, Abschläge, immer noch nicht perfekt, aber seine Reaktionen waren tadellos – wie auch sein Verhalten nach dem Spiel, wo er seinen Preis eben zu dieser Wahl entgegen nehmen sollte, was er nicht tat.
Oh, das war kein Affront gegen die Fans. Ganz im Gegenteil: Er fand es schade, dass das nach dem Spiel und nicht im Stadion stattfand. Er war richtigerweise der Meinung, dass dies eine Auszeichnung für ihn von den Fans sei – und die hätte er wohl gerne auch vor ihnen entgegengenommen.
Vor dem nächsten Heimspiel ist das ist leider aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, aber der Preis wird ihm in den nächsten Tagen im Trainingszentrum übergeben.
Die Freude war bei ihm jedenfalls groß über die Wahl – und auch bei Kevin Volland, der, als er den Pokal sah – der ja kein Staubfänger ist, sondern aus Schokolade, freudestrahlend darauf zulief – und meinte: „Den ess ich.“
Man kann den Fanverband nur beglückwünschen zu dieser Idee dieser Wahl. Und auch das Präsent findet zumindest bei denen, für die er bestimmt ist, große Zustimmung, was ja zeigt, wie gut die Fans die Spieler verstehen.
Beim Verein selbst tut man sich damit irgendwie schwer. Den genauen Grund kennen wir natürlich nicht, aber wir tippen mal auf Nr. 77 aus dem pünktlich zur Saisoneröffnung erschienenen Taschenbuch „111 Gründe, 1899 Hoffenheim zu lieben.“
Darin heißt es über die Fans sowie ihrem Verhältnis zum Verein:
„Sie sind auch nicht leicht zu beeindrucken, wenn ihr Verein etwas von ihnen will. Entlang der überwiegenden Herkunft aus vielen vereinzelten Dörfern sind sie das Für-sich-Stehen gewohnt. Hoffenheim muss sich etwas ihrem etwas trutzigen Selbstverständnis nach an sie anpassen.
Sie selber werden sich nie anpassen, soviel ist klar, bei aller Liebe. Für die meist anderswoher stammende Geschäftsführung ist es immer nicht einfach, mit ihren Fans überhaupt ins Gespräch zu kommen – und wenn doch, dann richtig ernst genommen zu werden. Ein Hoffe-Fan hat das einst in die bezeichnenden Worte gefasst:
„Die müssen erstmal verstehen, dass bei uns jeder Zweite einen Traktor im Stall stehen hat. Solange die das nicht begreifen, reden wir aneinander vorbei.“
Da ist wohl viel Wahres dran – auch wenn wir das mit den Traktoren nicht so ganz glauben … 🙂
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