1899 Hoffenheim vs. 1. FSV Mainz 05
Varieté-S-G
Alles Geschmackssache
Als Inbegriff der Kultiviertheit gilt hierzulande bei sehr vielen Menschen Essen und Trinken. Nicht, dass man etwas gegen Hausmannskost hätte, aber verfeinert sollte sie sein. „Mit Raffinesse gewürzt“, heißt das nicht selten. Und Inspiration holt man sich, wo man sie nur bekommen kann. Allen voran im Fernsehen. Obwohl das Interesse an Kochsendungen in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat, bieten sie immer noch konstante Quoten, so dass es nicht überrascht, dass fast alle großen Sender mindestens eine Sendung haben, die sich mit der Essenszubereitung befasst. Und nicht wenige gehen noch weiter. Motto: „Das Auge isst mit.“ Nicht zu vergessen: die Tischdekoration. Und last but not least: die Getränke. Ohne Sommelier geht anscheinend nichts mehr. Und längst ist das nicht mehr nur auf Wein beschränkt. Inzwischen gibt es auch Geschmacksexperten für Mineralwässer. Und auch Brauereien versuchen mit sogenannten Craftbieren in den Genuss lukullischer Weihen zu gelangen.
Gut, im Stadion ist man hiervon weit entfernt – auch im Businessbereich. Obwohl da die Auswahl an Speisen und Getränken umfangreicher und in vielen Fällen (Softdrinks ausgenommen) auch qualitativ besser ist als das, was man an den „Versorgungsstationen“ in den anderen Bereichen erhält, ist das Angebot dort alles andere als „Nouvelle Cuisine“ oder gar „Haute Cuisine“.
Fände man im Stadion wohl auch affig, wenn man die Wahl zwischen gebratenem Saiblingsfilet auf Quinoa mit Karotten-Romanseco-Curry Gemüse, Gurken-Lachs-Röllchen auf Wasabi-Joghurt und Kaviar oder Brombeer-Zitronengras-Sahne auf Kokos-Biskuit und sich dann auch noch zu entscheidend hätte, ob ein Brauneberger Juffer-Sonnenuhr besser harmonieren würde als ein Hecklinger Schlossberg „Großes Gewächs“.
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Unsere Empfehlung für zuhause:
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Auch im Fußball hat Essen immer mehr Einzug gehalten – sprachlich. Da gibt es Zuckerpässe, Sahnepässe sowie Chancen „satt“; da wird „serviert“ und „eingeschenkt“, bisweilen gibt es sogar „gute Jahrgänge“, Spiele, die „einem auf den Magen schlagen“, die „zäh“ sind oder gar „schwere Kost“ oder Siege “mit fadem Beigeschmack“.
Was war das am Samstag?
Naheliegend wäre aufgrund des Ergebnisses der Vergleich mit einem Vier-Gänge-Menü. Aber das war es nicht. Es war nichts für Feinschmecker. Mehr was für Gourmets mit Kick, denn zwischenzeitlich gab es allerlei Sehenswertes, Überraschendes, Virtuoses und Kabaretthaftes zu sehen – und das – gerade im Vergleich zum Palazzo in Mannheim – sogar zum Vorzugspreis.
99 Euro kostet dort die billigste Karte. Dafür gibt es da zwischen den inklusiven vier Gängen
- Mariniertes Roastbeefröllchen mit Croustillant von der Maispoularde und Gänseconfit auf asiatischem Gemüsesalat mit geröstetem Sesam und Misocreme
- Island Kabeljauschnitte mit grünem Apfel, Meerrettich und geriebenem Blumenkohl in leichtem Champagner-Essigsud
- Kalbsmedaillon im Kräutermantel und geschmortes Kalbsbäckchen mit Parmesanchip, Hummus und Gnocchi an Schalottenjus
- Schokoladenbiskuit und Jivara-Schokoladenschaum mit pochierter Birne in Passionsfrucht-Safransud, eingelegten Cranberries und Vanilleparfait
ebenfalls allerlei Sehenswertes, Überraschendes, Virtuoses und Kabaretthaftes.
In den Vorjahren war die TSG ja immer wieder mal da für seine Weihnachtsfeier. Vielleicht hat man sich vor dem Spiel daran erinnert, was einem da von deren Artisten und Unterhaltungskünstlern geboten wurde, und sich bemüht, dieses Event-Konzept bestmöglich auf den heimischen Rasen zu bringen, nicht zuletzt in der Hoffnung, ähnlich langfristig erfolgreich und begehrt zu sein, schließlich ist deren Hütte – im Gegensatz zur RHEINECKARENA – immer voll. A propos: Getränke gehen auch dort extra.
So ging es denn auch gleich leckerst los – mit einer echten Augenweide: Rudy kredenzte Uth mit einem Filet an Zuspiel den Ball, der verarbeitete ihn optimal und versenkte ihn trocken mit links. 1:0 nach 5 Minuten. Zum Zungeschnalzen.
Alle jubelten. Bis auf die Gäste natürlich. Die aber auch sonst nichts taten, reklamieren, zum Beispiel, denn nach Ansicht der Kommentatoren der Fernsehberichte entschieden diese nach Ansicht der vergrößerten Zeitlupe seiner Ballannahme auf Handspiel. Als Bestätigung der These führte man in der Sportschau Mark Uths natürlichen Abgang ohne extatische Note an. Nun könnte man aber auch das Ausbleiben der Reklamation als Anzeichen dafür nehmen, dass es eben doch kein Handspiel war. Zwar schob Uth seine rechte Schulter samt Arm in Richtung Ball, aber ob er ihn wirklich mit dem Oberarm mitnahm oder ihn sich doch noch mit der Schulterpartie in den Lauf legte, war so eineindeutig nicht zu erkennen, zumal da ja auch nur ein Winkel zur Verfügung stand. Hier wäre interessant gewesen, wie wohl ein Videoschiedsrichter entschieden hätte. Aber das hätte er ja wohl nur getan, wenn die Mainzer protestiert hätten. Haben sie aber nicht.
Bei noch 85 ausbleibenden Minuten war klar, dass sich durch unsere Führung zu dem Zeitpunkt nichts am Spielkonzept ändern dürfte. Die Mainzer standen also weiter tief und warteten auf ihre (Konter-)Chance. Wir hingegen wollten ihnen nicht ins Messer laufen, und haben den Ball sicher in den Reihen geführt, ohne dabei allzu oft steil in die Spitze zu gehen.
Damit dies dem Zuschauer nicht langweilig wurde, gab es von Amiri, Demirbay und Kramaric immer wieder Zwischengänge, die bei uns motorisch unmöglich sind und selbst zu unseren besten Zeiten unmöglich gewesen wären oder, wären sie uns gelungen, zu multiple Gelenkfrakturen geführt hätten. Das war mehr Zirkus als Fußball. Sehr schön anzusehen, aber halt auch nicht mehr. Ergänzt wurden deren Darbietungen von Vogt und Süle, die sich zwischenzeitlich mit ihren zum Teil grotesken Fehlpässen als böse Clowns präsentierten, da sie ihre Gegenspieler wohl immer wieder in (falscher) Hoffnung wiegen wollten, sie hätten eine Chance, an ihnen vorbeizukommen. Hatten sie nicht, wobei insbesondere das Duell Süle-Cordoba Pfeffer hatte.
Dazu gab es Jonglagen von Rudy zu bewundern, wie man sie sonst nur auf irgendwelchen Freestyle-Videos auf YouTube sehen kann. Das aber mitten in einem Bundesligaspiel, war zumindest gewagt, was jedem spätestens dann bewusst wurde, als auch Baumann sich in die Reihe der Trickser einreihte (was ihm eine Grätsche vom Mainzer Mittelstürmer, und ihm wiederum, der gerade eine rote Karte abgesessen hatte, eine gelbe Karte einbrachte), denn, so ansehnlich alle diese Darbietungen waren und so souverän unsere Mannschaft, die Ballbehandlung, die Spielanlage wirkte, die Führung war eine nur knappe.
Auch der Trainer schien das in der Kabine angemerkt zu haben, denn ähnlich dem Beginn des Spiels begann unsere Mannschaft auch die 2. Halbzeit mit mehr Dampf aka Zug zum Tor, doch der Schuss von Uth am Ende der ersten wunderschönen Ballstafette landete einen Meter neben selbigem.
Danach überließ die Mannschaft den Mainzern mehr und mehr den Ball, die aber an diesem Tag wenig damit anfangen konnten, so dass wir immer wieder zu guten bis besten Konterchancen kamen, die entweder durch die Eigensinnigkeit von bzw. Foul an Kramaric nicht genutzt wurden, um durch den 2. Treffer das Spiel vorzuentscheiden.
So köchelte das Gekicke vor sich hin, wollte aber nicht recht munden. Es fehlte einfach, noch so eine kulinarische Referenz, die (auch) im Fußball gang und gäbe ist, das Salz in der Suppe, sprich: Tore. Und dass die Mainzer eines schießen würden, glaubte man nach der Herausnahme von Cordoba (der kurz vor seiner zweiten Verwarnung stand) noch weniger, aber plötzlich hatten sie eine – und was für eine – durch de Blasis.
Da fing man dann doch an, sich an das letzte Heimspiel zu erinnern (und viele andere) und zu befürchten, mindestens zwei sichere Punkte zu verlieren, zumal Nagelsmann Uth und Kramaric gegen die zweite Reihe Terrazzino und Szalai auswechselte. Aber just da endete das Konzept „Sparflamme“ und „unser kleiner Italiener“ (Stadionsprecher) erzielte durch den vielleicht entschlossensten „Abstauber“ (kicker) aller Zeiten das 2:0. Zuvor konnte der Mainzer Keeper einen Freistoß von Demirbay noch an die Latte lenken, lag dann aber weitab vom Geschehen, einem Luftkampf, den Terrazzino mit seinen „nur“ 176 cm auf beeindruckende Art und Weise für sich gewann. Er schraubte sich gefühlt mindestens einen Meter hoch, ließ die Arme am Körper, so dass der Schiedsrichter den Treffer anerkennen musste, obwohl nebst dem Ball auch noch ein Gegenspieler im Netz lag.
Kurze Zeit später füllte sich das Netz wieder mit Ball und Spielern. Diesmal waren es unsere, die darin Szalais 3:0 feierten.
Es fällt schwer, sich zu entscheiden, welcher der beiden Jubel schöner war, denn zuvor wurde Terrazzino, der ja sechzehn Spiele nicht mal im Kader stand, an der Eckfahne von der gesamten Mannschaft (samt Trainer!) geherzt, gedrückt, umjubelt. Jetzt lagen alle (samt Baumann) im Tor der Gäste auf Szalai, der das Zuspiel von Terrazzino irgendwie über die Linie drückte.
Dass Szalai dann auch noch das 4:0 erzielte, war auch nicht mehr so überraschend, aber das Sahnehäubchen. Am Schluss gelang unserer Mannschaft einfach alles und damit auch, die Forderung der Fans aus der Südkurve zu Beginn des Spiels (s. Video) zu erfüllen: die Festung wurde verteidigt, das zehnte Heimspiel in Folge nicht verloren. 5 Siege, 5 Unentschieden.
Das macht Appetit auf – und schmeckt nach: mehr.
Wir sind zuversichtlich, dass Nagelsmann et al. auch nächsten Sonntag was Schmackhaftes zaubern werden. Freuen wir uns also über den Sieg jetzt und kommenden Sonntag auf das (hoffentlich) richtige Rezept für die Zubereitung eines „Wolfsbörgers“.
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